Kind und Karriere: Mit den einkommensabhängigen Krippentarifen, wie sie in der Schweiz üblich sind, vertreibt der Staat die Frauen aus der Berufswelt. 27.04.2006, Weltwoche
Ökonomie ist ein Männerfach. Eine trockene Materie. Sind in der Medizin inzwischen sechs von zehn Studenten weiblich, stagniert ihre Zahl in den Wirtschaftswissenschaften bei drei von zehn. Auch die vielen «Experten», die öffentlich auftreten, ob Professoren oder Think-Tank-Direktoren, ob Chefökonomen im Bundeshaus oder bei den Gewerkschaften, sind alle männlich und permanent in Sorge um das geringe Wirtschaftswachstum.Warum wächst die Schweiz so schwach? Eine Antwort bietet das eigene Fach: weil zu wenige Frauen aktiv sind. Dies behauptet inzwischen sogar der Economist, redaktionell ähnlich männlich dominiert wie die Weltwoche.Auf den ersten Blick sieht zwar alles gut aus. Hierzulande arbeiten 81,3 Prozent der Frauen zwischen 25 und 54 Jahren, fast so viele wie in Schweden oder Dänemark. Aber es gibt eine grosse Einschränkung: Die meisten Schweizer Frauen arbeiten nur Teilzeit. Haben sie Kinder, hat nur noch eine von vier einen vollen Job.Warum das so ist, dafür haben sich Ökonomen bisher kaum interessiert. Als Monika Bütler, eine der wenigen Professorinnen (7 auf 81) an der Universität St. Gallen, voriges Jahr ihre Antrittsvorlesung hielt, hat sie unter dem akademischen Titel «Home Economics» eigene Erfahrungen verarbeitet. Die Mutter von zwei Kindern erklärte, warum Frauen immer öfter kein Kind haben wollen oder im Maximum eines, dann aber meistens nur halb arbeiten. «Weil sich Arbeiten nicht lohnt und ein zweites Kind noch weniger.»
Schuld daran sind die Tarife der Kinderkrippen und Kinderhorte. Diese Tarife sind vom Einkommen der Eltern abhängig mit grotesken Auswirkungen auf die Frauen: «Für nichtarbeitende Mütter sind sie am günstigsten», rechnet die Ökonomin Bütler akribisch nach. Steigere die Frau ihr Arbeitspensum, steige das Einkommen und parallel dazu der Tarif für die Kinderbetreuung. Arbeiten Mann und Frau voll, wächst das Einkommen so stark, dass meist der Maximaltarif gilt: Pro Kind und Tag macht das gut und gerne 100 Franken. Also muss eine Frau, sobald sie zwei Kinder hat, ziemlich viel Geld verdienen, um sich eine Krippe samt den zusätzlich anfallenden Steuern leisten zu können.
Akademischer Gebärstreik
Die Konsequenzen seien «dramatisch», so Monika Bütler, besonders «für hochqualifizierte Eltern». Wolle die Frau achtzig Prozent arbeiten, um die Aussicht auf eine Karriere zu wahren, werde «das zweite Kind prohibitiv teuer». Das tönt etwas theoretisch, doch die Statistik bestätigt: Am wenigsten gebärfreudig sind jene Frauen, die am besten ausgebildet sind. Akademikerinnen bringen im Schnitt nur 0,8 Kinder zur Welt, bei einem Landesdurchschnitt von 1,4 Kindern pro Frau.
Warum sind die Frauen in den Gebärstreik getreten? Weil sie lieber arbeiten wollen? Das Gegenteil ist wahr: In jenen Ländern, in denen die meisten Frauen arbeiten, in Schweden und den USA, ist auch die Geburtenrate am höchsten. In Japan oder Italien dagegen liegt beides tiefer: die Erwerbsbeteiligung der Frauen und die Geburtenrate. Offensichtlich kommt es darauf an, Kind und Karriere zu verbinden zum volkswirtschaftlichen Wohl aller. Selbst der Economist ergänzt heute nüchtern: «Würden Italien oder Deutschland ihre Wirtschaft feminisieren, würden sie damit ihre darniederliegenden Volkswirtschaften stimulieren.»
Das gilt auch für die Schweiz. Dank den Modellrechnungen mit den Krippentarifen von Monika Bütler wird klar: Ab dem zweiten Kind sind in der Regel nur noch einer oder zwei Arbeitstage «optimal» «optimal» für das Portemonnaie der betroffenen Familien. Aus gesellschaftlicher Perspektive ist das natürlich absurd: Damit «treibt der Staat die Frauen aktiv aus dem Arbeitsmarkt», es komme «zu erheblichen Steuerausfällen und einem geringeren Wirtschaftswachstum», und dazu tragen «ironischerweise gerade jene Frauen bei, welche der Staat zuvor mit hohen Kosten ausgebildet hat», schreibt Monika Bütler.
Verschleiertes Potenzial
Betrachtet man die hiesige Unternehmenslandschaft durch die Brille des Economist, fällt auf: Solange nur drei Prozent der obersten Chefposten, nur vier Prozent der Verwaltungsratssitze von Frauen besetzt sind, setzt die Wirtschaft zweifellos in vielen Fällen aufs «falsche» Pferd. Inzwischen haben einige Banken etwa herausgefunden, dass Frauenteams die besseren Geldanleger sind und höhere Renditen herausholen als die üblichen Männerteams.
David S. Landes, der grosse amerikanische Historiker, der eine umfassende Abhandlung zur Frage schrieb, warum die einen reich und die andern arm sind, bestätigt, dass der Wohlstand der Gesellschaften stark von der Rolle der Frauen abhängt. Es gehöre zum «Wichtigsten», dass die Frauen «ermutigt werden, ihre Rolle in der Wirtschaft zu finden, anstatt einfach nur Kinder auf die Welt zu stellen». Gutausgebildete und selbstbewusste Frauen würden auch häufiger ihren Männern widersprechen, was viele von denen noch nicht gewohnt seien.
Ganz besonders gelte das für die islamischen Länder: «Die Muslime», sagte Landes kürzlich im Magazin, «haben leider noch immer nicht begriffen, dass sie ihre Wirtschaft und Gesellschaft enorm schwächen, wenn sie die Hälfte der Bevölkerung von einer sinnvollen wirtschaftlichen Tätigkeit ausschliessen. So verlieren sie noch mehr Terrain gegenüber dem Westen und Ostasien.»
Auch unser Volkswirtschaftsminister ist sensibilisiert. «Die Frau ist die Zukunft des Mannes», zitierte Joseph Deiss neulich den Dichter Louis Aragon. Und ergänzte: «Die Frau ist die Zukunft der Wirtschaft.»
Was muss die Schweiz also tun? Die einkommensabhängigen Tarife in den Krippen und Horten abschaffen, schleunigst. Die Schweiz leistet sich hier einen internationalen Sonderfall und schadet den hiesigen Familien extrem. Das belegt Monika Bütler, das bestätigen Brigitte Dostert, Monika Engler, Petra Huth, drei Volkswirtschafterinnen bei der Credit Suisse: «Ein zusätzlicher Verdienst darf nicht durch die zusätzlich entstehenden Betreuungsauslagen weggesteuert werden.»
Darum schlagen die Credit-Suisse-Ökonominnen eine neue Familienpolitik vor, denn Familienpolitik sei Wachstumspolitik. Zentraler Punkt sind Betreuungsgutschriften für Kinderkrippen und Kinderhorte: Der Staat dürfe nicht länger die Plätze für jene Frauen verbilligen, die am wenigsten Geld verdienen. Sondern umgekehrt: Er müsse jene Paare belohnen, die möglichst viel arbeiten wollen. Diese Paare sollen neu Betreuungsgutschriften erhalten, damit der Tarif in der Krippe auf etwa fünfzig Franken pro Tag sinke. Die Anzahl Gutschriften müsse sich streng nach dem Arbeitspensum richten: Arbeitet ein Paar zusammen 180 Prozent, erhält es Anrecht auf vier Tage Betreuungsgutschriften pro Kind und Woche. Bei 160 Prozent Pensum wären es noch drei Tage Betreuungsgutschriften. Ganz nebenbei würde dieses System auch positiv auf den Markt der Krippen und Horte wirken: Die Eltern könnten aus dem Angebot frei auswählen, welche Einrichtung ihnen am besten passt.
Es geht darum, dass Frauen endlich die gleichen Karrierechancen erhalten wie Männer. Erst dann schöpft die Schweiz ihre Ressourcen voll aus. Erst dann wird die Wirtschaft auch wieder wachsen; und erst dann werden Schweizerinnen und Schweizer wieder Lust auf mehr Kinder haben.
Monika Bütler: Arbeiten lohnt sich nicht ein zweites Kind noch weniger. Als PDF unter: www.vwa.unisg.ch/org/vwa/web.nsf/SysWebRessources/ VWA_2006_05/$FILE/DP05_Buetler-ganz.pdf
Brigitte Dostert, Monika Engler, Petra Huth: Familienpolitik unter neuen Vorzeichen. Economic Briefing Nr. 40, Credit Suisse, 2005. Als PDF unter http://emagazine.credit-suisse.com/article/index.cfm? fuseaction=OpenArticle&aoid=117734&lang=de