Der Gini der Schweiz beträgt 0,33 24.05.2006, Bilanz

Der Gini der Schweiz beträgt 0,33
Werden die Armen immer ärmer, die Reichen immer reicher?/Entziffert 24.05.2006, Bilanz
«Die Wirtschaftswelt», analysiert der «Blick», «ist aus den Fugen geraten.» Bei den Topmanagern sei die Gier ausgebrochen, «die Verhältnisse stimmen nicht mehr». Geld sei da, mehr denn je. «Aber es wird immer ungleicher verteilt. Dabei möchte auch Otto Normalverdiener wieder spürbare Lohnerhöhungen. Möchte Brot statt nur Brosamen.»So schreiben fast alle Journalisten, so reden fast alle Politiker. Doch trifft das auch zu? «Die schweizerische Gesellschaft ist in den vergangenen dreissig Jahren weder substanziell ungleicher noch gleicher geworden», heisst es im «Sozialbericht 2004», in dem sich eine ganze Gruppe von Soziologen intensiv diesen Fragen widmet. Selbst in den neunziger Jahren habe sich die Ungleichheit nicht verschlechtert, «sondern eher verbessert». Man dürfe nicht nur auf die Lohnunterschiede schauen, man müsse auch beachten, wie weit der Staat korrigierend eingreift, indem er den «Armen» unter anderem mit Krankenkassensubventionen Sozialhilfen gewährt – und indem er die «Reichen» besteuert.Entscheidend ist das verfügbare Einkommen. Genau hier setzen die regelmässigen Einkommens- und Verbrauchserhebungen des Bundesamts für Statistik an. Auch nach diesen Zahlen driftet die Schweiz nicht auseinander, sondern zusammen: 1990 verfügte das oberste Fünftel der Haushalte über knapp 4-mal so viel Einkommen wie das unterste Fünftel; heute ist es noch 3,5-mal so viel.Die gründlichste Analyse über die «Verteilung des Wohlstands in der Schweiz» stammt vom Büro Ecoplan. Sie bestätigt: Das verfügbare Einkommen von Otto Normalverdiener stieg nur leicht, es stieg bei den «Reichen» stärker, aber es stieg bei den «Armen» ebenfalls stärker. Insgesamt sei die Verteilung von 1990 bis 1998 etwas «ungleicher» geworden, was sich bis 2001 wieder angeglichen habe. Neuere Studien gibt es nicht.

Nun liesse sich behaupten: Die Verhältnisse in der Schweiz seien schon längst «unzumutbar ungleich». Internationales Mass dafür ist der Gini-Koeffizient, den der italienische Statistiker Corrado Gini entwickelt hat. Dieser Wert kann zwischen 0 und 1 liegen; je höher er liegt, umso grösser die Ungleichheit.

Die neuesten Zahlen, sie finden sich im «Human Development Report 2004» der Weltbank, bestätigen alle Vorurteile. Am «gleichsten» präsentiert sich die Einkommensverteilung in Skandinavien und in Japan mit einem Gini-Koeffizienten von 0,25. Deutschland folgt mit 0,28, dann Österreich, Holland, Frankreich und schliesslich die Schweiz mit 0,33. Noch «ungleicher» hingegen ist die angelsächsische Welt: Grossbritannien weist einen Gini von 0,36 auf, die USA 0,40. Ganz zu schweigen ist von den Entwicklungsländern. In China, offiziell immer noch kommunistisch, liegt der Gini bei 0,45, in Argentinien bei 0,52, in Botswana und Sierra Leone bei 0,66.

Nun darf man sich im Guten streiten, welches Mass an Ungleichheit optimal sei. Sicher sind Zustände wie in Afrika nicht wünschenswert. Selbst chinesische Journalisten kritisieren inzwischen mutig, dass «ihr» Gini-Koeffizient ein Signal sei für soziale Instabilität. Aus schweizerischer Sicht erscheinen bereits «amerikanische Zustände» als untragbar. Umgekehrt finden in Skandinavien oder in Japan immer mehr Leute, dass etwas «mehr Ungleichheit» ihren Gesellschaften nur gut täte. Denn wer leistet, soll dafür belohnt werden – und das in seinem Portemonnaie bitte spüren dürfen.

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