Der Schweizer Star-Ökonom Buno S. Frey hat das Heilmittel gefunden: Vertrauen. 03.08.2006, Weltwoche
Ein Professor wird nicht gern gefragt: «Was haben Sie im letzten Halbjahr geforscht und veröffentlicht?» Also setzt er sich hin, forscht und veröffentlicht einen Artikel zur Frage, warum er nicht gern gefragt wird, was er letzthin geforscht und veröffentlicht habe.Bruno S. Frey, 65 Jahre, Professor der Universität Zürich, spricht von einer neuen Krankheit, der «Evaluitis»: «Jedes und alles wird unablässig evaluiert», schreibt er in seiner Studie. Von dieser Krankheit besonders befallen sei die Wissenschaft. «Heute werden in immer kürzeren Abständen ganze Universitäten, Fakultäten, Fachbereiche, Institute, Forschungsgruppen und einzelne Forschende begutachtet.» Sein Einwand ist «grundsätzlich». Frey sagt nicht, man müsse Evaluationen «verbessern»; er will sie auch nicht «abschaffen». Er sagt einfach, es gebe «zu viele».Mit absurden Folgen. Getestet werde, was sich messen lässt der ganze Rest aber, um den es eigentlich ginge, falle weg. «So wird heute fast überall die Anwerbung von Drittmitteln als Leistungskriterium verwendet» ein fragwürdiges Kriterium. Denn damit kümmern sich Forscher um etwas, wofür sie nicht qualifiziert sind: Sie versuchen, zusätzliche Finanzquellen zu organisieren während sie die «weniger gut messbaren Forschungs- und Lehrleistungen», um die es eigentlich ginge, vernachlässigen.Wie lässt sich die Forschungsleistung schon ermitteln? Misst man, wie üblich, die Anzahl Zitierungen, führt das zu perversen Reaktionen: «Sobald die Forschenden wissen, dass ihre wissenschaftliche Leistung nach diesem Kriterium gemessen wird, werden sie veranlasst, sich solchen Forschungsfragen zu widmen, die gerade Mode sind und wo sie deshalb erwarten können, viel zitiert zu werden.» Dieser Satz schreibt nicht irgendwer, sondern Bruno S. Frey der meistzitierte Ökonom der Schweiz.
Was hat diesen Wissenschaftler angetrieben, damit er seine Artikel in allen wichtigsten Zeitschriften des Fachs veröffentlichen konnte, von der American Economic Review, dem Economic Journal bis zum Journal of Economic Literature? Etwa der Wunsch, bei Evaluationen möglichst gut dazustehen? Sicher nicht. Evaluationen, schreibt Bruno S. Frey, würden die Arbeitsmoral der Forschenden zwar tatsächlich beeinflussen aber negativ. Die Bewertung werde «in der Regel als kontrollierend» empfunden. Das hätten Sozialpsychologen in «Hunderten von Laborexperimenten» analysiert. Beim wissenschaftlichen Fortschritt müsse die Motivation von innen heraus («intrinsisch») kommen, gerade bahnbrechende Ergebnisse würden von Aussenstehenden gar nicht erkannt: Diese widersprechen dem Zeitgeist und kommen darum in Evaluationen «schlecht» weg. Konkret: «Es lässt sich schwer vorstellen, wie wirklich führende Forscher wie Einstein oder Planck in den Naturwissenschaften und Keynes oder Hicks in der Ökonomie in einer durch dauernde Evaluationen geprägten Umgebung hätten florieren können.»
Die heute grassierende Evaluitis führte dazu, dass «Ergebnisse in der Forschung weit über deren Bedeutung hinaus hochgejubelt» würden. Auch bestünde ein «verstärkter Anreiz, nur noch erfolgreiche Tests zu publizieren und die negativen Ergebnisse zu verschweigen oder sogar zu beseitigen». Bruno S. Frey erkennt gar einen «Anreiz zum Betrug mittels Fälschung von Forschungsergebnissen». Starke Worte.
Natürlich sitzt Bruno S. Frey im Glashaus. Jeder Wissenschaftler, der sich selber nicht testen, messen und bewerten lassen will, liefert sich dem Vorwurf aus, er hätte «Angst vor der Evaluation». Er täte «also gut daran, begeistert mitzumachen», schreibt Bruno S. Frey und findet gerade das unerträglich: «Damit wird ein Einverständnis vorgetäuscht, das in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. Gleichzeitig wird einer zynischen Haltung zur Wissenschaft und zu deren Ergebnissen Vorschub geleistet.»
Als Ökonom kann Frey kaum jede Kosten-Nutzen-Analyse ablehnen. Welche Alternative bietet er an? Man solle Wissenschaftler nicht nachträglich evaluieren oder wenigstens nicht so oft, sondern das Gewicht auf die Tests zum Voraus legen. Entscheidend sei die Auswahl der richtigen Person. «Wenn diese einmal ernannt ist zum Beispiel eine Professur für ein bestimmtes Wissensgebiet erhalten hat wird ihr vertraut. Sie wird in Ruhe gelassen.» Das tönt fatalistisch, und Frey gibt zu, dass das ausgenutzt werden kann. «Einige unter den ausgewählten Personen werden nicht mehr viel tun». Aber das sei der Preis, den die Gesellschaft in Kauf nehmen muss im Namen des wissenschaftlichen Fortschritts. «Andere werden durch den gewährten Freiraum beflügelt und erreichen Spitzenleistungen. In der Wissenschaft sollten Letztere zählen und die Unwilligen und Versager als notwendiges Übel betrachtet werden.