Robin Hoods Verrat Zur Abstimmung über die Nationalbankgewinne 31.08.2006, Weltwoche

Robin Hoods Verrat
Zur Abstimmung über die Nationalbankgewinne 31.08.2006, Weltwoche
Man dürfe die Geldpolitik der Nationalbank nicht verpolitisieren und gar mit der Sozialpolitik vermischen. Die Nationalbank sei nicht dazu da, Gelder bereitzustellen für die AHV. Das schaffe nur Abhängigkeiten. Damit würden die Politiker unsere Nationalbank unter Druck setzen, Gewinne zu erzielen, statt den Schweizer Franken stabil zu erhalten.All diese Argumente, landauf, landab zu hören vor der Volksabstimmung vom 24. September, tönen stichhaltig. Nur: Sie sind scheinheilig. Mit derselben Begründung hätten sich dieselben bürgerlichen Politiker schon gegen die bisherige Verwendung der Nationalbank-Gewinne stemmen müssen.Bei der Verteilung der Nationalbank-Gewinne handelt es sich um ein neueres Abenteuer. Bis 1990 gab es gerade 8 Millionen Franken im Jahr, kaum der Rede wert. 1991 wurde die Ausschüttung dann aber auf 600 Millionen im Jahr erhöht: Eine neue Geldquelle, entdeckt vom damaligen SP-Finanzminister Otto Stich, dem zweitgrössten Schuldenmacher in der Schweizer Geschichte. Gäng sövu, sagte man in seiner Finanzverwaltung zu diesen 600 Millionen, die bis 1997 regelmässig flossen. Stichs Nachfolger, FDP-Finanzminister Kaspar Villiger, der zum grössten Schuldenmacher avancierte, hat die Geldtankstelle Nationalbank noch stärker angezapft. Unter seiner Ägide wurde die Ausschüttung doppelt verdoppelt: auf 1,5 Milliarden für die Zeit von 1998 bis 2001, und dann auf 2,5 Milliarden für die Jahre ab 2002.Passiert ist, was zu befürchten war. Politiker, die so viel Geld «geschenkt» erhalten, sind abhängig geworden vom jährlichen Frankensegen. Das zeigt sich just vor der Abstimmung vom 24. September. Weil die Sozialdemokraten den Geldfluss neu in die AHV lenken wollen, kommt die stärkste Opposition prompt von denjenigen Politikern, die heute am stärksten an diesem Tropf hängen: vom Bundesrat, angeführt von FDP-Finanzminister Hans-Rudolf Merz, sekundiert von der neuen CVP-Volkswirtschaftsministerin Doris Leuthard. Die Absicht ist klar, der Bund will seinen heutigen Anteil ­ einen Drittel der Ausschüttungen ­ in der Zukunft sichern. Von den Kantonsregierungen kommt eine mindestens ebenso starke Opposition, was ebenfalls kein Wunder ist. Denn sie erhalten heute zwei Drittel der Gewinne, zurzeit 1,6 Milliarden; in Zukunft würde diese Summe auf eine Milliarde begrenzt.

So zeigt sich, dass Politiker tatsächlich süchtig werden nach Nationalbankgewinnen. Nur: Das ist kein spezifisches Merkmal von AHV-Politikern.

Zum zweiten Argument: Man dürfe die Ausschüttung der stark schwankenden Nationalbankgewinne nicht mit andern Zielen vermischen, etwa der Finanzierung der AHV. Auch hier spricht die Logik für sich. Doch selbst diese Vermischung ist leider kein neues Phänomen. Statt Sozialpolitik wurde bisher Regionalpolitik betrieben, aber das in gehörigem Ausmass. Statt in die AHV flossen die Milliarden via Nationalbank in die Randregionen. Ein Mechanismus, der seit 1991 immer stärker in Gang gekommen ist, kaum durchschaubar, kaum thematisiert.

Vom Zentrum in die Peripherie

Konkret werden die 2,5 Milliarden, welche zum Beispiel dieses Jahr zu zwei Dritteln an die Kantone fliessen, nicht etwa gleich auf alle 26 Voll- und Halbkantone verteilt. «Gleich» hiesse: Jeder Kanton erhielte für jeden Einwohner genau gleich viel. Aber so läuft es nicht. Sondern die «ärmeren» Kantone bekommen viel mehr, die «reicheren» viel weniger Geld. Die Extremfälle präsentieren sich wie folgt: Der reichste Kanton, Zug, erhält pro Einwohner am wenigsten, nur 158 Franken im Jahr. Die Stadtkantone Basel und Genf und das Wirtschaftszentrum Zürich müssen sich mit 166 Franken pro Einwohner begnügen. Ganz anders die Landkantone in den bergigen und hügeligen Zonen: Obwalden erhält 543 Franken pro Einwohner, das Wallis 535 Franken pro Einwohner, der Jura 510 Franken pro Einwohner.

So lief ­ und läuft ­ in eine knallharte Umverteilung vom Zentrum hinaus in die Peripherie, pekuniär geschmiert aus den Gewinnen der Nationalbank. Und zwar ohne dass ein einziger bürgerlicher Politiker protestiert.

Damit nicht genug: Die Nationalbank hat in der jüngsten Vergangenheit nach diesem Verteilschlüssel nicht nur ihre Gewinne ins Land hinaus verstreut, sondern auch einen schönen Teil ihres Vermögens. Konkret ging es um «überschüssige Goldreserven» ­ die sich in Franken gemessen auf sagenhafte 21 Milliarden aufgetürmt hatten. Zwei Drittel davon, nicht weniger als 14 Milliarden Franken, wurden im Laufe des Jahres 2005 bereits an die Kantone verschenkt, schon wieder nach dem Prinzip: Die «ärmsten» Kantone erhalten viel mehr, die «reichsten» Kantone viel weniger. Und kein Mensch fragte: Ist es eigentlich gerecht, wenn «unser» Volksvermögen dazu verwendet wird, den Randregionen unter die Arme zu greifen? Wollen wir das tatsächlich?

Beim Nationalbankgold ging’s ans Tafelsilber. Über das finanzschwache Bernbiet ergossen sich 2,5 Milliarden Franken, weil der Kanton pro Einwohner mehr als doppelt so viel erhielt wie zum Beispiel der Kanton Zürich. Noch krasser im Fall Obwalden: Weil dieser Mini-Halbkanton pro Einwohner fast viermal so viel Geld einkassierte wie zum Beispiel das finanzstarke Zug, holte Obwalden sogar insgesamt mehr Geld ab als Zug (135 Millionen gegenüber 123 Millionen).

Eine einmalige Aktion war das, doch weil es insgesamt um gewaltige Summen ging, werden die randständigen Kantone die Auswirkungen noch lange spüren. Sie haben zum Beispiel Schulden abbauen können, selbstverständlich in stärkerem Ausmass als die zentralen, angeblich so reichen Stadtkantone. Einige kleine Kantone haben die Gelegenheit sogar beim Schopf gepackt, um sich im Wettbewerb der Kantone neu zu positionieren: Sie haben Steuern gesenkt, endlich, um in Zukunft mit den finanzkräftigen Kantonen etwas besser mitzuhalten. Kaum zufällig hat sich dabei Obwalden besonders hervorgetan ­ und kaum zufällig im Jahr 2005 ein neues degressives Steuersystem eingeführt. Gleiches tat Appenzell Ausserrhoden, das ebenfalls überdurchschnittlich vom überschüssigen Nationalbankgold profitiert hat.

So erfreulich dieser neuentflammte Wettbewerb ist ­ es mutet seltsam an, dass ausgerechnet die Nationalbank mit ihrer «Gold-Verteilete» diesen Prozess in Gang gesetzt hat, indem sie durch ihren Vermögens-«Abbau» die einzelnen Kantone ungleich behandelt hat. Denn eigentlich gehört die Förderung strukturschwacher Gegenden so wenig zu den Kernaufgaben einer Zentralbank wie die Alimentierung der AHV.

Das tun

Weil alle bürgerlichen Politiker zur bisherigen Politik geschwiegen haben, tönen ihre Argumente jetzt, unmittelbar vor der Volksabstimmung über die SP-Kosa-Initiative, hohl. Man dürfe die Nationalbank nicht zum «Selbstbedienungsladen» der Politiker machen, heisst es etwa. Doch genau das ist die Nationalbank bereits. Bedient haben sich namentlich Kaspar Villiger (FDP), Otto Stich (SP) ­ und unzählige Regionalpolitiker in Obwalden, Jura, Neuenburg, Freiburg, Wallis, Uri, Bern, Luzern, Graubünden, Appenzell. Geduldet wurde diese Politik von links bis nach rechts zur SVP, deren ländliche Klientel von dieser Form der Umverteilerei natürlich besonders stark profitiert hat.

Was tun? Die Nationalbank muss, um im Notfall den Schweizer Franken stützen zu können, Geldreserven halten. Diese Geldreserven werfen Zinsen ab. Würde die Nationalbank all diese Zinsen horten, stiege ihr Vermögen, bis wieder «überschüssige Reserven» anwachsen, die irgendwann eben doch verteilt werden müssen. Also stellt sich die Frage: Wie kann die Nationalbank ihre Gewinne auf vernünftige Art verteilen? Wie also sollen wir am 24. September abstimmen?

Falls wir ja sagen zur SP-Initiative, wird das Geld künftig in die AHV fliessen. Auch davon würden leider nicht alle Personen gleich stark profitieren. Im Vorteil wären die heutigen Rentner, die in der grossen Mehrheit eher reich sind, während der Nutzen für die künftigen Generationen höchst unsicher ist. So argumentiert etwa die St. Galler Volkswirtschaftsprofessorin Monika Bütler in der NZZ. Und sie verweist darauf, dass heute schon nicht alles, was die AHV tut, sozial dringend nötig ist: «Die AHV schüttet pro Jahr fast 100 Millionen Franken Renten an minderjährige Kinder von AHV-Rentnern aus. Pro Kind sind dies fast 700 Franken monatlich, ein Betrag, von dem junge Eltern nur träumen können.» Die Väter dieser Kinder seien in der Regel gutgestellt.

Fragwürdige Alternativen

Falls wir nein sagen, werden trotzdem sieben Milliarden in die AHV fliessen ­ denn der Bund hat «seinen» Anteil an den überschüssigen Goldreserven noch nicht verteilt. Nun versprechen bürgerliche Politiker grosszügig, diese Summe der AHV zu verschenken, falls das Volk nein sagt zur Kosa-Initiative. Ein durchsichtiger Deal. Denn damit könnte der Bund auch in Zukunft über einen Drittel der Gewinne gebieten, die Kantone über zwei Drittel. Immerhin käme bald ein neuer, gerechter Verteilungsschlüssel zum Einsatz. Gemäss dem neuen Finanzausgleich, der ab 2008 in Kraft treten soll, würden die Kantone ­ endlich ­ nach ihrer Einwohnerzahl an den Gewinnen partizipieren. Trotzdem bliebe es natürlich den jeweiligen Politikern überlassen, was sie effektiv mit dem Geld tun. Da ist Skepsis am Platz.

Also haben wir die Wahl zwischen zwei fragwürdigen Alternativen. Nur um Gewinne zu verteilen, braucht es keine Politiker. Diese Aufgabe können wir, das Volk, auch selber in die Hand nehmen. Indem wir uns zum Beispiel darauf einigen, dass wir die Gewinne, welche die Nationalbank auf unserem Volksvermögen erwirtschaftet, an uns zurückvergüten. Direkt. Ohne dass auch nur ein einziger Politiker eigene Ziele verfolgt.

Damit würde aus der Schweiz ein wahrhaftiges Stück Paradies auf Erden. Jedem Einwohner, ob reich oder arm, Kind oder Greis, männlich oder weiblich, inländisch oder ausländisch, könnten wir den genau gleichen Betrag auszahlen. Das wäre gerecht und erst noch sozial. Zurzeit vergibt die Nationalbank von ihren Gewinnen jedes Jahr 2,5 Milliarden an die Politiker; würden wir diese 2,5 Milliarden aufs Volk übertragen, gäbe das einen Betrag von 335 Franken pro Kopf. Womit eine vierköpfige Familie immerhin 1340 Franken erhielte, bar auf die Hand, Jahr für Jahr. Gäng sövu, wie es im Volksmund heisst.

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