Entziffert 13.09.2006, Bilanz
© Bilanz; 13.09.2006[0]; Nummer 15; Seite 77Kolumne
Regel eins: Frech ist nicht, wer reich wird, sondern wer nicht aufzeigen kann, was ihn reich gemacht hat. Am liebsten sind uns Leute, die Swatch-Uhren verkaufen, Ricola-Kräuterperlen, Kambly-Biskuits oder Medikamente: echte Unternehmer. Junge Bankiers hingegen sind uns schon verdächtig. Am schwersten haben es Pensionskassenverwalter, deren Vermögen eine Sphäre erreicht, die völlig losgelöst ist von der Summe ihrer Gehälter. Denn ein Pensionskassenverwalter verdient nicht viel; selbst jener, der schweizweit als «der Frechste» gilt, kommt auf einen Jahreslohn von lediglich 240 000 Franken plus Bonus in derselben Grössenordnung.Regel zwei: Frech ist nicht, wer reich wird, sondern wer zu schnell zu reich wird. Der frechste aller Pensionskassenverwalter verdiente sich diesen Titel dadurch, dass es ihm gemäss Einschätzung der Steuerbehörden binnen fünf Jahren gelungen sein soll, sein Vermögen von 0,5 auf 70 Millionen zu verhundertvierzigfachen. In der kurzen Zeitspanne von 1997 bis 2001 hat sich der Schweizer Aktienindex allerdings «nur» verdreifacht. Das heisst: Dieser Mann muss von 1997 bis 2001 eine ganz gerissene Strategie gewählt haben. Vom Höhepunkt 2001 an ging es dann brav weiter, mehr oder weniger parallel zum Schweizer Aktienindex. Sein Vermögen sackte zwischenzeitlich auf 42 Millionen ab, soll heute aber wieder 68 Millionen betragen.Uns Normalverdienern wird manchmal gesagt: Auch wir könnten reich werden, wenn wir nur Aktien kauften. Um eines Morgens als Millionär aufzuwachen, brauchen wir dann nur noch etwas Geduld. Nämlich achtzig Jahre. Aber dann klappt es. Oder besser: Es hätte geklappt, rückwärts gesehen. Wir hätten nicht einmal in die Ferne schweifen müssen. Wir hätten einen Korb Schweizer Aktien gemäss dem Index kaufen können, und es hätte genügt, wenn wir 1925 zwei Tausendernoten so investiert hätten. Dann wären wir heute 1,1-facher Millionär, wie die Genfer Bank Pictet in einer Langzeitstudie aufzeigt.
Klar, ein schöner Teil der gewonnenen Million wäre mit der Inflation zerronnen. Aber selbst wenn man die Teuerung berücksichtigt, haben sich die ursprünglichen zwei Tausender in 180 Tausendernoten verwandelt. Also hat sich der Einsatz verneunzigfacht real, nach Abzug der Teuerung, innert achtzig Jahren.
«Kapitalbildung», lehrt Konrad Hummler von der St. Galler Privatbank Wegelin, «braucht keine übermässigen Sparanstrengungen, sondern vor allem Zeit.» Dann kommt ein Effekt zum Spielen, den man Zinseszinseffekt nennt. Solange Aktien im langfristigen Durchschnitt etwa sieben Prozent rentieren, verdoppelt sich die Summe, die wir in Aktien anlegen, innert zehn Jahren. Ohne dass wir etwas tun, wird aus einer halben Million innert zehn Jahren eine ganze; innert zwanzig Jahren werden daraus zwei, innert dreissig Jahren vier Millionen. So geht das, und kein Mensch muss deswegen frech werden. Aber wir müssen früh beginnen. Im Alter von 25 heisst es: 62 500 Franken in Aktien anlegen. Und sich dann in Geduld üben. Warten. Hoffen, dass sich im Durchschnitt die Rendite von sieben Prozent einstellt. Den Rest besorgt der Zinseszinseffekt. Und mit 65 Jahren sind wir Millionär.
Doch genau das tun die wenigsten von uns. Bis 30 brauchen wir unser Geld für anderes, und den Rest bringen wir unserem Pensionskassenverwalter. Der muss unser Kapital nicht zu 7 Prozent, sondern zurzeit nur zu 2,5 Prozent verzinsen. Da spielt der Zinseszinseffekt zwar auch, aber nur ganz schwach. Wenn wir braven Leute es zum Beispiel schaffen, irgendwann ab Alter 50 auf eine halbe Million Franken Kapital in unserer Pensionskasse zu kommen, brauchte es weitere 28 Jahre, bis aus dieser halben Million eine ganze würde. Und nochmals 28 Jahre… Aber dann sind wir längst tot.