Die Seligkeit des Gebens Zahlt sich Vertrauen aus? 28.09.2006, Weltwoche

Die Seligkeit des Gebens
Zahlt sich Vertrauen aus? 28.09.2006, Weltwoche
Viertausend Zürcherinnen und Zürcher, zufällig ausgewählt, erhalten eine briefliche Einladung, «mit einem geringen Zeitaufwand Geld zu verdienen». Was steckt dahinter? Ein Lockvogel, ein Witz, ein Kettenbrief? Es ist eine wissenschaftliche Anfrage durch das Institut für Empirische Wirtschaftsforschung der Uni Zürich, ob man bereit sei, bei einem «Experiment» mitzumachen. Und alles ist echt: das Geld, mit dem man spielt. Und das Interesse, das die Wissenschaftler anmelden. Denn die versprechen sich neue Erkenntnisse zu den Themen «Vertrauen» und «Diskriminierung», nachzulesen in einer Studie, die dieser Tage als Arbeitspapier erscheint (unter dem Titel «Trust and Discrimination ­ A Citywide Experiment»).Das Experiment findet im Frühling 2004 statt. Von den viertausend angefragten Personen machen tausend mit. Sie alle erhalten je 20 Franken Startkapital. Do ut des, lautet die Spielregel auf Lateinisch. Ich gebe dir, damit du mir gibst. Sofort werden die tausend Teilnehmer in zwei Gruppen eingeteilt, eine Gruppe A und eine Gruppe B. Die Personen der Gruppe A sollen den ersten Schritt tun: einen Teil des Startkapitals an eine unbekannte und anonyme Person der Gruppe B weitergeben. Das sei nicht als Geschenk zu verstehen, sondern als Investition. Denn die Leiter der Studie verdreifachen jeden Betrag, den eine Person A an eine Person B transferiert. Am Schluss dürfen dann die Teilnehmer der Gruppe B entscheiden, was sie mit dem erhaltenen Geld tun: alles für sich selber behalten? Oder einen Teil davon zum Dank wieder an den unbekannten Partner A zurückzahlen?20 Franken, die mehr bedeutenZuerst kommt es darauf an, wie viel Vertrauen eine Person A in ihren Partner B setzt. Hat sie sehr viel Vertrauen, investiert sie die volle Summe, 20 Franken. Ihr Mitspieler B erhält damit das Dreifache, 60 Franken. Weil dieser am Anfang ebenfalls 20 Franken Startkapital erhalten hat, sitzt B nun auf 80 Franken. Was soll er damit tun? Würde er «fair» und «gerecht» handeln, würde er 40 Franken zurückzahlen; damit hätten am Ende beide gewonnen, und zwar beide gleich viel, sowohl A wie B hätten 40 Franken im Sack. Umgekehrt läuft die Sache, wenn A gar kein Vertrauen mitbringt. Dann überweist er null Franken, womit B auch keinen Anlass sieht, etwas zurückzuzahlen. Somit blieben A wie B auf ihren 20 Franken sitzen, beide gewännen nichts hinzu.

«Das Vertrauen spielt eine elementare Rolle im Alltag und im Geschäftsleben», schreiben die Ökonomen der Uni Zürich im ersten Satz in ihrem neuen Papier, das über das 20-Franken- Experiment berichtet. Eine Weltpremiere, die der internationalen Fachwelt soeben an einer Konferenz in Wien vorgestellt wurde. «Bereits haben Kollegen in Skandinavien Interesse gezeigt, das gleiche Experiment durchzuführen», freut sich Christian Zehnder, einer der Zürcher Autoren.

In Zürich, stellte sich heraus, wird Vertrauen grossgeschrieben. Auffallend viele Teilnehmer sind im Experiment sogar bereit, das Maximum von 20 Franken weiterzuleiten; nur wenige Teilnehmer geben weniger als 10 Franken weiter. Im statistischen Mittel setzen die Teilnehmer der Gruppe A 13 Franken ein. Werden sie dafür belohnt? Erweisen sich die Teilnehmer der Gruppe B tatsächlich als vertrauenswürdig? Eigentlich dürften sie die zu ihnen geleitete Summe, von den Uni-Ökonomen verdreifacht, für sich behalten. Das wäre eigennützig, aber erlaubt.

Zumindest im Experiment spielen die meisten Zürcherinnen und Zürcher ehrenhaft mit. Prompt zeigt sich in der Endabrechnung, dass beide Seiten (fast) gleich viel Geld in der Tasche haben. Teilnehmer A investiert einen schönen Teil in Teilnehmer B, im Mittel wie gesagt 13 Franken. Dann wird dieser Transfer verdreifacht, doch weil B weiss, wem er dieses viele Geld zu verdanken hat, zahlt er einen schönen Teil wieder zurück, im Mittel Fr. 24.50. Somit lohnt sich das Experiment für beide: Die Teilnehmer der Gruppe A gewinnen im Mittel Fr. 31.50, diejenigen der Gruppe B Fr 34.50. Zu dieser Win-win-Situation kommt es aber nur deswegen, weil beide Partner einander «blind» vertraut haben.

Selbstverständlich wollten die empirischen Forscher der Uni Zürich tiefer bohren. Sie wollten herausfinden, ob die Zürcher in alle Zürcher gleich viel Vertrauen setzen ­ und ob tatsächlich alle Zürcher dieses Vertrauen wert sind. Deswegen müssen die rund 500 Teilnehmer der Gruppe A, bevor sie ihre 20 Franken einsetzen dürfen, genau überlegen: Wem vertrauen sie wie stark?

Wenn ein Teufelskreis droht

Zürich ist bekanntlich in zwölf Kreise eingeteilt. Im Kreis 1 (Altstadt) wohnen eher arrivierte Beamte und Rechtsanwälte, im Kreis 4 (Langstrassenquartier) eher Modeschöpfer, bunte Vögel und auch einige Prostituierte, im Kreis 7 (Zürichberg) eher «die Bonzen» und in den Blocks im Kreis 12 (Schwamendingen) die eher schlechtverdienenden Arbeiter. Aber das sagen die Wissenschaftler nicht. Sie legen den Teilnehmern der Gruppe A nur eine Karte vor, auf der alle 12 Stadtkreise eingezeichnet sind, ohne jeden weiteren Kommentar. Dann fragen sie: «Wie viel Geld würden Sie investieren, wenn Teilnehmer B im Kreis 1, Kreis 2, Kreis 3 etc. wohnt?»

Dabei stellt sich heraus, dass 45 Prozent der Teilnehmer A gar keinen Unterschied machen. Sie schauen nicht darauf, wo ihr Partner B wohnt. Diese 45 Prozent sind, wie die Wissenschaftler mit Fragebogen erheben, eher besser gebildet, und auffallend oft haben sie Kinder; keine Rolle spielt es, wie lange sie sich bereits in Zürich aufhalten oder wo genau sie wohnen. Diese 45 Prozent geben sich zumindest in diesem Experiment locker, mutig, ja grosszügig: Im statistischen Mittel investieren sie über 17 Franken.

Die übrigen 55 Prozent machen Unterschiede. Vorsichtig achten diese darauf, wo jemand wohnt, und reduzieren, je nach Wohnort von B, die Summe, die sie zu geben bereit sind. Das macht sie auch insgesamt etwas knauserig. Im statistischen Mittel überweisen sie weniger als 10 Franken. Politisch positionieren sich diese 55 Prozent eher «rechts». Die Präferenzen, welche diese Leute an den Tag legen, sind solide und stabil. Am meisten Vertrauen setzen sie durchwegs in denjenigen Stadtkreis, in dem sie selber wohnen.

Das ist ein Resultat, das die Ökonomen schon von andern Experimenten kannten: Fast alle Leute bevorzugen die eigene Gruppe. Interessant ist nun aber, dass die Rangfolge des Vertrauens in die andern Stadtkreise bei allen Teilnehmern etwa gleich ausfällt, unabhängig davon, wo die Leute wohnen. Zuoberst steht der Kreis 8 (das Seefeld: beste Lage, teure Mieten), gefolgt vom Kreis 7 (Zürichberg). Hinten in der Rangliste der Kreis 12 (Schwamendingen), ganz zuhinterst der Kreis 4 (Langstrasse).

Wie kommt es zu dieser Rangfolge? Die Ökonomen der Uni Zürich durchforsten mit ökonometrischen Methoden die Datenbanken des statistischen Amts der Stadt Zürich Kreis für Kreis. Sie suchen nach allen möglichen Merkmalen, welche diese fixe Rangfolge der Stadtkreise erklären könnten. Aber sie werden nur bei zwei Kriterien fündig: Erstens spielt der Ausländeranteil eine Rolle. Je mehr «Fremde» in einem Kreis wohnen, umso tiefer das Vertrauen in diesen Kreis. Und zweitens der Wohlstand: je höher das Durchschnittseinkommen, umso grösser das Vertrauen in die Bewohner dieses Kreises.

Diese unterschiedliche Wahrnehmung bekommen die Teilnehmer der Gruppe B im Experiment prompt zu spüren: Wohnen sie im Seefeld, erhalten sie im Mittel Fr. 13.83. Wohnen sie im Langstrassenquartier, bekommen sie nur Fr. 12.44. Das ist tatsächlich eine Benachteiligung, die zwar gering erscheint. Aber die Sozialwissenschaftler der Uni Zürich bezeichnen diese Differenz als «signifikant». Man dürfe solche Effekte nicht unterschätzen: «Wenn die Leute jedes Mal, wenn sie zum Automechaniker, zum Rechtsanwalt oder zum Zahnarzt gehen, solche Unterschiede machen, summiert sich das», sagt Christian Zehnder. Komme dieser Prozess einmal in Gang, drohe ein Teufelskreis: Die reichen Quartiere ziehen immer noch mehr Investitionen an, während die Kluft zu den ärmeren immer tiefer wird.

Nicht ehrenhaft, aber vertrauenswürdig

Genau das aber ist in Zürich nicht der Fall. Sogar das Quartier mit dem schlechtesten Ruf, der Kreis 4, geniesst ein erstaunlich hohes Ansehen, jedenfalls im Experiment der Ökonomen. Insgesamt sei das Vertrauen intakt, ganz offensichtlich gebe es «keine No-go-Area», freut sich Christian Zehnder. «Hätten wir dieses Experiment in Paris durchgeführt, wären die dortigen Banlieues vermutlich viel stärker abgefallen.»

Nun zur Schlussfrage: Lohnt es sich in Zürich, einen Unterschied zu machen? Die 55 Prozent der Teilnehmer, welche einzelne Stadtkreise bevorzugen, wählen zwar tatsächlich die «richtigen» Stadtkreise aus. Sie favorisieren die reicheren Stadtkreise mit weniger Ausländern, und just in diesen Stadtkreisen erweisen sich die Mitspieler tatsächlich als besonders vertrauenswürdig. Die Teilnehmer B im Kreis 1 (Altstadt) oder Kreis 8 (Seefeld) zahlen klar höhere Beträge zurück als die Teilnehmer B im Kreis 12 (Schwamendingen) oder im Kreis 4 (Langstrasse). Nur: Es war ­ zumindest im Experiment ­ nicht klug, wenn man sich stur von solchen Unterschieden leiten liess. Denn man hat dadurch günstige Gelegenheiten verpasst. Die 55 Prozent der Teilnehmer A, die einen Unterschied gemacht haben, waren meist zu vorsichtig (gaben also weniger Geld), sobald sie auf einen Partner im Kreis 4 oder 12 trafen. Zwar erwies sich dieses Gegenüber als tatsächlich nicht ganz so ehrenhaft wie in einer reicheren Gegend, aber: Dieses Gegenüber wäre im Durchschnitt vertrauenswürdig genug gewesen.

Überall in Zürich haben die Teilnehmer B ihren unbekannten Partnern A den Einsatz zurückbezahlt, um ein Mehrfaches. Die Bewohner von Schwamendingen schickten das 1,5-Fache zurück, die Bewohner im Kreis 4 das 1,6-Fache, die Bewohner im reichsten Kreis 7 das 1,9-Fache, und im stadtnäheren, ebenfalls noblen Kreis 6 zahlten sie sogar das 2,1-Fache zurück.

Vorsicht, Akademiker!

Was lehrt uns dieses Experiment? Dass sich in Zürich das blinde Vertrauen in jedem Fall lohnt? Nicht unbedingt, denn das Risiko bleibt natürlich gross. «Im Einzelfall läuft man immer Gefahr, auf jemanden zu treffen, der null zurückzahlt ­ und dann verliert man alles», warnt Christian Zehnder. Sogleich erzählt er, dass Forscher schon ähnliche Experimente mit Studenten ausprobiert hätten, mit freilich andern Resultaten. Da seien die Rückzahlungen deutlich geringer ausgefallen, so dass sich für die Teilnehmer A eine Investition in einen ihnen unbekannten Studenten kaum gelohnt habe.

Merke: Sei vorsichtig bei Akademikern. Den meisten andern Zürcherinnen und Zürchern aber darfst du ruhig trauen, ganz egal, wie fremd sie dir auch vorkommen. Genau das macht diese Stadt doppelt attraktiv: Die Leute fühlen sich wohl hier. Und sorgen damit für ein Klima, in welchem die Geschäfte florieren.

Armin Falk, Christian Zehnder: Trust and Discrimination ­ A Citywide Experiment. September 2006 Als PDF zu beziehen über zehnderBiew.unizh.ch

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