Das vierte Kind hat 8,2 Prozent weniger Chancen Entziffert 27.09.2006, Bilanz

Das vierte Kind hat 8,2 Prozent weniger Chancen
Entziffert 27.09.2006, Bilanz
Bei der Familienplanung machen wir uns viele Gedanken, und manche kreisen ums liebe Geld. Jedes Kind ist ein Kostenfaktor. Allein für Kleider, Nahrung, Spielzeug, Krankenkasse, Musikunterricht usw. fallen pro Monat und Kind rund 1100 Franken an, wurde in einer Nationalfondsstudie behauptet. So hoch diese Summe erscheint, so gewiss ist, dass die zusätzlichen indirekten Kosten noch höher sind. Gemeint ist der Erwerbsausfall, der dadurch entsteht, dass sich Eltern um ihre Kinder kümmern müssen und deswegen weniger arbeiten können, also weniger verdienen.Davon betroffen sind in der Regel die Mütter ­ im Besonderen jene, die Karriere machen könnten, hätten sie keine Kinder. So gesehen ist es nur logisch, wer wie viele und wer wie wenige Kinder hat. Je höher der Bildungsgrad, umso tiefer die Geburtenrate. Eine Frau ohne jede Bildung kommt im Schnitt auf 1,85 Geburten, eine Frau mit lediglich obligatorischem Schulabschluss auf 1,75, eine mit absolvierter Berufslehre auf 1,42, eine mit Matur auf 1,32 und eine Frau mit Hochschulabschluss noch auf 1,24 Geburten.Tendieren unsere besser ausgebildeten Schichten damit zur Ein-Kind-Familie? Halten wir freiwillig ein, was in China politisch befohlen wird? Kommt es auch bei uns zu «one mouth, six pocket»-Familien, in denen ein einziges Kind von jeweils sechs Erwachsenen ­ zwei Eltern, vier Grosseltern ­ umsorgt, betreut und gefördert wird? Falsch. Nur etwa 15 Prozent aller Schweizer Frauen haben ein Einzelkind; dieser Anteil ist heute so gering, wie er früher war. Hingegen haben 38 Prozent aller Frauen zwei Kinder; und dieser Anteil ist heute sogar höher als früher (30 Prozent).Die Veränderungen zeigen sich an den Extremen: Einerseits zeigt der Trend klar Richtung Kinderlosigkeit. Inzwischen haben 25 Prozent aller Frauen gar kein Kind mehr, nachdem dieser Anteil noch vor dreissig Jahren erst bei 15 Prozent gelegen hat. Andererseits weist der Trend klar weg von der Mehr-Kinder-Familie. Der Anteil der Frauen mit drei Kindern sank von 22 Prozent auf 16 Prozent, derjenige mit vier und mehr Kindern brach gar von 18 Prozent auf 6 Prozent ein. Die Schweiz ist definitiv nicht China: Bei uns gibt es keinen Trend zur Ein-Kind-Familie. Bei uns haben immer mehr Frauen entweder gar keine Kinder, oder dann haben sie meistens zwei ­ und seltener auch mal eines oder drei.

Diese Entwicklung bringt verblüffende Konsequenzen mit sich. Der Ökonom Jean-Marc Falter von der Universität Genf hat die Daten der Volkszählung 2000 auf den Schulerfolg der Teenager hin analysiert. Dabei hat er entdeckt: Die Rangfolge der Geschwister wirkt sich direkt auf den Schulerfolg aus, und zwar unabhängig davon, wie gut oder wie schlecht die Eltern ausgebildet waren. Ein Einzelkind, dem die volle Aufmerksamkeit seiner Eltern zuteil wird, hat die höchsten Chancen, ans Gymnasium zu kommen. Das erstgeborene Kind in einer Mehr-Kinder-Familie hat noch annähernd gleich hohe Chancen. Beim zweitgeborenen sinken die Chancen, ans Gymnasium zu kommen, bereits um 4,6 Prozent, beim drittgeborenen um 6,2 Prozent und beim viertgeborenen sogar um 8,2 Prozent.

Für Ökonomen ist dieses Resultat plausibel. Eltern «investieren» in ihre Kinder, so sagt es jedenfalls der Chicagoer Nobelpreisträger Gary S. Becker. Je mehr Kinder da seien, umso weniger Zeit, Gefühle und auch Geld blieben den Eltern als Faktoren übrig, die sie in jedes einzelne Kind stecken können. Die negativen Folgen davon schlagen sich sogar in der Schule nieder, wie nun Falter mit Schweizer Daten nüchtern nachweist.

So gesehen hat der Geburtenrückgang sogar eine erfreuliche Seite. Indem unsere Frauen auf ein viertes, fünftes, sechstes Kind verzichten, leisten sie einen Beitrag zu mehr Chancengleichheit.

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