Wirtschaftswunder Schweiz Woher kommt das Wachstum? 05.10.2006, Weltwoche

Wirtschaftswunder Schweiz
Woher kommt das Wachstum? 05.10.2006, Weltwoche
Am 4. März 2005 war der Himmel blau. Ein strahlender Tag mit Temperaturen nahe beim Gefrierpunkt. Im Technopark im Zürcher Kreis 5 fand eine Konferenz statt, schön klimatisiert, unter Ausschluss des Tageslichts, dafür in Anwesenheit sämtlicher Fachleute. «Diagnose: Wachstumsschwäche», so lautete der Titel der Veranstaltung.Frostig wurde es, als der dritte Redner auf das Podium trat. Ulrich Kohli, der Chefökonom der Schweizerischen Nationalbank, Professor an der Universität Genf. Denn er sagte etwas, was diese Fachleute lieber nicht hören wollten: «Das Problem ist nur halb so schlimm.» Mit farbigen Dias und forschen Zitaten führte Kohli effektvoll vor: Wer behaupte, die reiche Schweiz sei inzwischen selbst von einem aufstrebenden Land wie Irland überholt worden, habe keine Ahnung von Irland. Ein Wirtschaftswunderland, gewiss. Aber dass Irland, gemessen am Wohlstand, vor der Schweiz stünde, das sei ein Witz.Alles halb so schlimm? Thomas Held, der Direktor des Think-Tanks Avenir Suisse, war sichtbar irritiert. Landauf, landab hatte er vorgetragen: Die Schweiz wächst nicht mehr, wenn wir nicht endlich etwas dagegen tun! Nun hatte er zu dieser Konferenz in den Technopark eingeladen, es war ihm gelungen, an diesem sonnigen Tag sämtliche Fachleute der Schweiz in einem einzigen dunklen Saal zu versammeln. Mit dem Resultat, dass diese Fachleute sich nicht einmal einig waren, wie schlimm es tatsächlich um die Schweiz steht.Böses ahnte auch Aymo Brunetti, der Chefökonom des Staatssekretariats für Wirtschaft in Bundesbern. Er, der von Amtsstube zu Amtsstube vor dem ausbleibenden Wachstum gewarnt hatte. Er, der ein halbes Jahr zuvor in der Weltwoche, sich auf die Entwicklung des Bruttoinlandprodukts berufend, festgestellt hatte: «Irland ist inzwischen reicher als die Schweiz, und wenn es so weitergeht, werden wir bald von Österreich überholt.» Jetzt sass er hier an dieser Konferenz, an der der Wissenschaftler Kohli einen «wissenschaftlich famosen» Vortrag hielt, sagte Brunetti. Aber hier drinnen sassen eben nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Journalisten, die mit den Füssen scharrten und via Mobiltelefon an ihre Zentralen meldeten: «Die Schweiz hat gar kein Wachstumsproblem.»

Dabei hatte Brunettis Amtschef, Jean-Daniel Gerber, gerade ein letztes Brikett draufgelegt: «Gemäss einer simplen Hochrechnung wird die Schweiz, bei Fortsetzung des mageren durchschnittlichen Wachstums seit 1980, im Jahre 2028 – gemessen am kaufkraftbereinigten Pro-Kopf-Einkommen – eines der ärmsten Länder in Westeuropa sein», schrieb er im Januar 2005 in der NZZ am Sonntag. Hilfe, wir verarmen.

So wurde Alarm geschlagen, vor anderthalb Jahren erst. (Auch ich spielte eine kleine Rolle. Ich hatte das «Weissbuch 2004» herausgegeben, das ins gleiche Horn blies: «Die Wirtschaft wächst nicht mehr, der Sozialstaat wird unbezahlbar. Wie weiter?», verhiess der Klappentext. Die Schweiz sei selbst von Finnland überholt worden. Zehn Rezepte, inklusive Flat Tax, habe ich vorgeschlagen. Mein allerletzter Satz klang wie eine Abbitte: «Und man vertraue darauf, dass diese Massnahmen das Wirtschaftswachstum ankurbeln – und nebenbei den Sozialstaat retten.»)

Die Fachleute im Technopark wollten die «Wachstumsschwäche», die sie für «schlimm», Kohli für «halb so schlimm» ansahen, beenden. Und sie waren sich sogar einig, wie das klappen müsste: mit Reformen, Reformen, Reformen. Selbst Ulrich Kohli, der Spielverderber des Tages, stimmte in diesem Punkt zu. Reformen brauche das Land, Reformen von der AHV über die IV bis zum Strommarkt, Reformen von der Post über die Spitäler bis zur Landwirtschaftspolitik, dem grössten Ärgernis überhaupt.

Und heute? Seit neuestem steht die Schweiz auf Platz 1 in der Liste des Genfer World Economic Forum, das regelmässig die Wettbewerbsfähigkeit aller Nationen misst. Auch wenn mehrheitlich subjektive Kriterien in diese Liste einfliessen, damit hätte kaum jemand gerechnet: die Schweiz vor Finnland, die USA auf Platz 5, Irland auf Rang 21.

In der kurzen Zwischenzeit ist auch in der realen Welt etwas passiert. Etwas, was die Fachleute schon lange nicht mehr beobachten durften. Zart und leise, bald kraftvoll begann die Schweizer Volkswirtschaft zu spriessen, zu blühen, zu wachsen. Wie aus dem Nichts, wie von Zauberhand. Im Jahr 2004 legte das Bruttoinlandprodukt (BIP) um 2,3 Prozent zu. 2005 um 1,9 Prozent. Dieses Jahr werden es mindestens 2,7 Prozent sein. Seit drei Jahren floriert unsere Wirtschaft, prächtiger und schneller sogar als in den umliegenden Ländern der Europäischen Union. Was steckt bloss hinter diesem Wachstumswunder? Etwa die Reformen, die die Experten im Technopark gefordert hatten?

Zu Besuch im Staatssekretariat für Wirtschaft in der Bundesstadt Bern. Aymo Brunetti schliesst die Fenster, zu lärmig sind ihm die Trams unten. In Basel, erzählt der Basler Brunetti, sei es gelungen, die Trams zu entquietschen. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wohin der Fortschritt in der Schweiz führt: zu einem angenehmeren, bequemeren Leben. Aber nicht unbedingt zu einer höheren Produktivität. Just eine höhere Produktivität jedoch wäre nötig, damit Aymo Brunetti die Zukunft der Schweiz so rosarot malen könnte wie die Experten am WEF in Genf.

Erste Frage: Woher kommt das Wachstum? – «Wir befinden uns einfach in einer konjunkturell guten Phase», antwortet Brunetti kühl. Aber an seiner grundsätzlichen Analyse habe sich – «leider» – nichts geändert. Der Exportsektor sei hochproduktiv; der Binnensektor weiterhin lahm. Im Detailhandel, Handwerk, Gewerbe, im ganzen Gesundheitswesen gebe es weiterhin zu wenig Wettbewerb, zu viel Grenzschutz, zu komplizierte Gesetze, Normen und Spezialregeln, die den Markt nur behindern. Was boome zurzeit, das seien die Pharmabranche und der Finanzsektor, also die Exportwirtschaft. Ausserdem dürfe man nicht allein auf die letzten drei Jahre starren, das störe die Wahrnehmung.

In der Zeit zwischen 1997 und 2000 gab es bereits einmal «vier gute Jahre». Dann kam die Phase von 2001 bis 2003, in der alles verpuffte und die Schweiz wieder auf den ungefähr letzten Platz in der internationalen Wachstumshitparade absank.

Fürs nächste Jahr sieht Brunetti noch 1,7 Prozent Wachstum, für die weiteren Jahre wird er fast schon pessimistisch. Rund 1 Prozent im Durchschnitt bis 2040; so gering schätzt er das potenzielle Wachstum. «Leider», sagt Brunetti. Während andere Länder wie Irland oder auch Österreich eben ein höheres Potenzial hätten. Seine Prognose gelte allerdings nur, wenn sich die Produktivität der Schweizer Wirtschaft weiterhin so gemächlich entwickle wie in den letzten zwanzig Jahren – was der Bundesrat gerade zu verhindern versuche: dank der Wachstumspolitik.

Damit ist Aymo Brunetti am Punkt angelangt, an dem die Debatte im Technopark aufgehört hat: Er zählt auf, was die Politiker alles tun müssten, damit die Wirtschaft wieder stärker wachsen könnte. Einen «Wachstumsbericht» hat er mit seinem Team dem Bundesrat auf den Tisch gelegt, eine für hiesige Verhältnisse neue Mischung zwischen akademischer Auslegeordnung und politischem Programm. Denn dieser Bericht sollte, so war’s von Anfang an geplant, Folgen haben. Also wurde ein «17-Punkte-Programm» herausdestilliert, bei dem der Bogen von der Strommarktliberalisierung über die Bildungspolitik bis zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer (nach dem Flat-Tax-Muster) reicht. Sofern diese 17 Punkte einmal voll durchgezogen würden, redet sich der schnell redende Brunetti schnell, würde auch er zu sagen wagen: «Jetzt kommt es zum Trendbruch. Jetzt verbessert sich das langfristige Wachstum spürbar.»

So weit sind wir noch nicht. Brunetti wirkt deswegen nicht einmal frustriert, im Gegenteil, er sagt: «Für mich ist einiges gelaufen, das Wachstumspaket schreitet voran wie erhofft.» Tatsächlich? Konkret seien zwar noch nicht viele Punkte umgesetzt, gibt er zu, aber das liege in den meisten Fällen nicht am Willen des Bundesrats, sondern am politischen Prozess. Der Bundesrat könne ja immer nur den ersten Schritt tun und eine Botschaft vorlegen. «Von da bis zur Realisierung ist es ein weiter Weg, da sind einige Klippen zu bestehen.»

Wie langsam es vorangeht, kann man nachlesen in einem amtlichen Bericht, der pünktlich jeden Januar erscheint. Absender ist die interdepartementale Arbeitsgruppe «Wachstum», geschrieben wird er vom Team rund um Brunetti. Darin wird peinlich genau Rechenschaft gegeben, wie weit das 17-Punkte-Programm bereits umgesetzt ist. Vergangenen Januar waren zwei Punkte vollständig realisiert; 15 Punkte (noch) nicht. Ein Häkchen gab’s hinter das Binnenmarktgesetz, das eine gegenseitige Anerkennung von kantonalen Diplomen bringt, was, wie Brunetti selbst einräumt, «relevant, aber nicht matchentscheidend» sei.

Und sonst? Sofort kommt Brunetti auf die Personenfreizügigkeit mit den alten und neuen Ländern der EU. Dies ist der zweite Punkt des 17er-Programms, der schon umgesetzt ist. Und der macht dem Chefökonomen sogar Mut. Dieser Faktor könnte dazu führen, dass das potenzielle Wachstum der Schweiz nicht so gering bleibt, wie es Brunetti weiterhin fürchtet. «Bis jetzt kam es in jedem kleinen Konjunkturhoch sofort zu einem Beschäftigungsmangel», genau das aber könnte beim jetzigen Boom anders sein. Ab sofort reagiert das Angebot an Arbeitskräften, es wächst, weil immer mehr Leute zuwandern, darunter auffallend viele Deutsche, die zudem erfreulich gut ausgebildet und damit besonders produktiv sind. Wenn der Tages-Anzeiger heute auf der Titelseite meldet, es fehlten «Hunderte von Ingenieuren», so wirkt das wie ein Stelleninserat hinaus in den süddeutschen und Vorarlberger Raum.

Trotz dieser positiven Zeichen hält Brunetti an seiner früheren Diagnose fest. Die jetzige Lage sei am besten mit «Wohlstand ohne Wachstum» zu beschreiben, also mit dem Titel des Buches, das Silvio Borner und Frank Bodmer geschrieben haben. Dieser Titel passe perfekt. Im Wohlstand quietschen die Trams nicht mehr, aber wir verpassen es trotzdem, in der gegebenen Arbeitszeit mehr und bessere Leistungen zu erbringen. Eine höhere Produktivität erreiche man a) durch mehr Sachkapital (bessere Maschinen), b) durch mehr Humankapital (bessere Bildung) und c) durch das Ausnützen des technischen Fortschritts. Man merkt: Brunetti ist auch Titularprofessor an der Uni, der soeben ein Lehrbuch zur «Volkswirtschaftslehre» verfasst hat, 1,8 Kilo schwer.

Ist die Schwere dieses Lehrbuchs etwa ein Exempel, wie wir Schweizer trotz neuer technischer Möglichkeiten das Gewicht weiterhin auf das Falsche legen? Im Gegenteil. Brunetti hat auf den Vorwurf hin, das Buch sei im internationalen Vergleich etwas schwer geraten, zu Hause mit der Küchenwaage die Lehrbücher grosser amerikanischer Ökonomen gewogen und befunden: Das Lehrbuch von Joseph E. Stiglitz wiegt 2,2 Kilo, das von N. Gregory Mankiw 1,7 Kilo, das von Michael Parkin 1,8 Kilo. Also tut der Schweizer Spitzenökonom nur, was wir andern Berufsleute auch tun müssten: uns an der absoluten Weltspitze orientieren.

Gern verweist Aymo Brunetti auch auf Ben Bernanke, den neuen amerikanischen Notenbankpräsidenten, der letzthin eine glänzende speech gehalten habe. Titel: «Productivity». Von 1970 bis 1995 sei die Arbeitsproduktivität in den USA ähnlich schwach gewachsen wie in der Schweiz, nur um 1 bis 1,5 Prozent im Jahr. Dann kam es – ums Jahr 1995 – zum Trendbruch. Seither wächst die Arbeitsproduktivität in den USA um 2 bis 3,5 Prozent im Jahr. Was ist 1995 in Amerika passiert, was in Europa – und speziell in der Schweiz – noch nicht passiert ist?

Bernankes Erklärung: Die Amerikaner holen vor allem aus dem Internet mehr heraus. «In den USA wenden nicht nur Wissenschaftler und Ingenieure die neuen Informationstechnologien an, dort hat der technische Fortschritt auch den Alltag von Krankenschwestern, Automechanikern und Fabrikarbeitern erfasst.»

Letzte Frage an Aymo Brunetti: Hinken wir tatsächlich hinterher? Auch bei uns kaufen immer mehr Leute im Internet ein. Die Preisbindung im Buchhandel ist, seit es www.amazon.de gibt, kein wirkliches Problem mehr. Brunettis brandneues Lehrbuch etwa, das im Schweizer Laden 64 Franken kosten würde, wird für 36.45 Euro, also zehn Prozent billiger, ins Schweizer Heim geliefert, inklusive Paketporto und Verpackung. Auch TV-Flachbildschirme und Laptops sind im Internethandel viel billiger als bei Fust oder Media-Markt. Wir sind doch nicht blöd. Als Konsumenten sind wir heute dank der neuen Informationstechnologien in der Lage, dem wenig produktiven Detailhandel auszuweichen. Solche Prozesse laufen ab, automatisch, dank ihnen wird die Binnenwirtschaft der Konkurrenz ausgesetzt, das beginnt vielleicht beim Buchhandel, geht dann über zum ganzen Detailhandel – nicht nur in den USA, auch in der Schweiz.

«Nein», antwortet Aymo Brunetti. «Es genügt nicht, wenn ein paar Konsumenten die neuen Technologien anwenden. Die Firmen müssen das auf breiter Front tun, ein gutes Beispiel dafür ist Wal-Mart in den USA.»

Der grösste Kronzeuge, wenn es um die «Diagnose: Wachstumsschwäche» geht, ist Silvio Borner, Professor für Nationalökonomie an der Universität Basel. Borner war der Erste, der den damaligen Trendbruch hin zur Stagnation erkannt hatte. (Ich war Anfang der achtziger Jahre einer seiner Studenten, und ich hielt das damals noch für «alarmistisch».) Im Jahre 1990, als die Schweiz noch weitum als das Nonplusultra galt, publizierte Borner mit dem Untertitel «Vom Sonderfall zum Sanierungsfall» ein Buch, das leider nicht ernst genug genommen wurde. Einer seiner beiden damaligen Co-Autoren hiess übrigens Aymo Brunetti.

Heute mailt Silvio Borner gelassen und unaufgeregt: «Wenn ein Land längere Zeit fast nicht mehr gewachsen ist, kann es kurzfristig auch einmal rascher wachsen als die andern.» Ob damit ein höherer Wachstumspfad erreicht worden sei, müsse offen bleiben. «Konjunktur und Wachstum sind zwei verschiedene Dinge. Das Wachstum wird durch die Produktivitätssteigerung getrieben, die Konjunktur durch die Nachfrage, heute primär durch den Export.»

Dass er ein «Alarmist» gewesen sei, dagegen möchte er sich dann doch wehren. «Wir haben einfach ein realistisches Bild der letzten dreissig Jahre gezeigt.» Wenn die Leute zu ihm sagten: Schau mal, was für schöne Strassen es hier gibt, was für gut erhaltene Häuser, dann antworte er denen: «Alles Akkumulation von gestern.» Entscheidend sei doch, ob die Wertschöpfung über längere Zeiträume rascher wachse als in den Vergleichsländern. «Ist das nicht der Fall, fallen wir im Wohlstandsvergleich relativ zurück.» Und genau das befürchtet er. «Wir leben auf einer Preis- und Kosteninsel, müssen für alles mehr bezahlen, vom Telefon über den Strom zu den Nahrungsmitteln.» Zudem seien die Steuern und die Zwangsabgaben in der Schweiz überdurchschnittlich angestiegen, so dass die verfügbaren Einkommen der von der Arbeit lebenden Schweizer Familien kaum angestiegen seien. «Der Protektionismus», erklärt Borner, «ist nach wie vor gross und belastet die Konsumentinnen sehr stark.»

Dann verweist Borner auf die Gewerkschaften, die vier Prozent mehr Lohn verlangten und gleichzeitig die stärksten Bremser des Produktivitätsfortschritts seien. Abschliessend erwähnt er auch die «Goldküsten-Reichen», die sich für weniger Flugzeuge, weniger Lärm einsetzen. Gerade die Älteren unter den Reicheren, die wollen gar kein Wachstum mehr. Denn Wachstum heisst Veränderung und stört die Friedhofsruhe. Neues wird gebaut, es gibt Lärm, es passiert etwas, das Alte wird abgerissen, Poststellen zum Beispiel werden geschlossen, «auch auf dem Bruderholz», wo die Reichen von Basel wohnen, die jetzt plötzlich in den «Service-public-Chor» einstimmen. Darauf möchte Silvio Borner noch etwas an die Adresse von Ulrich Kohli gesagt haben, dem Nationalbank-Ökonomen, der damals im Technopark darüber referiert habe, dass das Bruttoinlandprodukt das falsche Mass sei, um den Wohlstand zu messen. Kohlis Begründung lautete unter anderem so: Die Schweiz habe hohe Kapitalanlagen im Ausland, von denen regelmässig hohe Erträge zurückfliessen, die nicht vom Bruttoinlandprodukt erfasst würden. Das sei richtig, sagt Borner, und das sei von ihm, Borner, schon 1984 ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getragen worden (mit dem Buch «Die Sechste Schweiz»). Aber er finde es nach wie vor richtig, dass wir beim Wachstum vor allem auf das Bruttoinlandprodukt abstellen. «Im Bruttosozialprodukt hingegen sind vor allem die unverteilten Gewinne der Multis enthalten, und die gelangen nie zu Otto Normalverbraucher.» Dasselbe gelte für einen grossen Teil der Dividenden. «Nestlé zum Beispiel beschäftigt in der Schweiz gerade mal noch 2200 Menschen. Die allermeisten Leute leben vom Arbeitseinkommen, und dieses kommt ausschliesslich aus der inländischen Wertschöpfung, dem Bruttoinlandprodukt eben.»

Es gehe dem unteren Mittelstand seit einiger Zeit unter dem Strich kaum besser. Da reichen die Lohnerhöhungen oft nicht einmal aus, um die zusätzlichen Krankenkassenprämien und andern Zwangsabgaben zu zahlen. «Die verfügbaren Einkommen der kleinen Leute verlaufen seit über einem Jahrzehnt ziemlich flach.»

Diesen Herbst steigen die Prämien der Krankenkassen etwas weniger stark an; eine Premiere. Der zuständige Bundesrat feiert das als seinen Erfolg. Doch an den Reformen kann es kaum liegen, die harren irgendwo im Stadium der Kommissionsberatungen der eidgenössischen Räte. Parallel dazu der Trend in der Invalidenversicherung: In den neuesten Statistiken sinken die Zahlen der Neurenten, und zwar beträchtlich; ebenfalls eine Premiere. Der zuständige Amtsdirektor feiert das als seinen Erfolg. Doch auch hier kann das kaum an den Reformen liegen. Die IV-Revision, seit Jahren in der Debatte, wird im allerbesten Fall in der jetzigen Session in Flims abgeschlossen.

Braucht es gar keine Reformen? Genügt es, dass die richtigen Debatten geführt werden? Zumindest in der IV scheint es, als ob die Akteure ihr Verhalten geändert hätten, freiwillig, ohne dass ein einziger Paragraf geändert wurde. Offensichtlich sind die Ärzte vorsichtig geworden und stempeln nicht mehr so viele Leute für deren ganzes Leben zu «Invaliden» ab. Bewirken solche Einsichten womöglich mehr als neue Gesetze? Silvio Borner: «Entscheidend ist, dass das Verhalten sich ändert.» Das könne vom Gesetz her kommen, aber auch von einem «Mentalitätswandel» her. «Auch darauf haben wir gezielt.»

Willkommen bei Avenir Suisse. Der Think-Tank führt seine fröhlich gelb gestrichenen Büros gleich gegenüber dem Technopark, mitten im pulsierenden Kreis 5 von Zürich. Direktor Thomas Held ist als ausgebildeter Soziologe ein Spezialist für den «Mentalitätswandel». Er lässt sich assistieren von Frank Bodmer, dem Ökonomen, der mit Silvio Borner das Avenir-Suisse-Buch «Wohlstand ohne Wachstum» verfasst hat. Man sieht: Die Szene der Diagnostiker ist eng vernetzt. (Auch ich war ganz am Anfang für drei Monate im Dienst von Avenir Suisse.) Nun ist Bodmer daran, für Avenir Suisse ein Nachfolgebuch zu schreiben, das noch keinen Titel hat, aber «eine Art Update» bringen werde.

Vorbild sei das Buch «The Power of Productivity», geschrieben vom ehemaligen McKinsey-Berater William W. Lewis, herausgegeben in der renommierten University of Chicago Press. Dieses Buch ist zwar auch schon zwei Jahre alt, aber in der Schweiz reden alle davon: Bodmer, Borner, Brunetti; und in den USA beruft sich auch Bernanke auf dieses Standardwerk mit der Botschaft: Es ist die Produktivität, die entscheidet, und diese Produktivität müsse eben nicht nur in den High-Tech-Branchen gesteigert werden, sondern vor allem auch bei Tante Emma und bei der Tiefbau AG.

Xavier Comtesse, der welsche Vizedirektor von Avenir Suisse, den man in der Deutschschweiz etwas weniger kennt – Comtesse hat zu dieser Frage bereits ein Buch publiziert. Er diagnostizierte «das Schweizer Paradox»: Nämlich dass wir, ob als Arbeitgeber oder als Arbeitnehmer, immer die neuesten Mobiltelefone und die teuersten Computer kaufen, aber es trotzdem nicht schaffen, diese Investitionen «in Produktivitätsgewinn umzumünzen». Wir wollen diese gadgets nur besitzen, ohne sie zu benutzen.

Oder ist das Schnee von gestern? Findet heute in der Schweiz ein Trendbruch statt, den niemand bemerkt, ganz ähnlich wie damals, 1995, in den USA, als auch niemand den Trendbruch bemerkt hat?

«Das wäre pure Spekulation», antwortet Frank Bodmer und verweist auf die harten Fakten. «Drei Jahre Aufschwung sind sehr erfreulich, reichen aber noch nicht aus, um von einer Trendwende zu sprechen.» Dazu müsste der Aufschwung noch einige Jahre dauern. Bodmer macht, ganz ähnlich wie Brunetti, einen Unterschied zwischen dem Exportsektor und der Binnenwirtschaft: Vor allem bei der Binnenwirtschaft sei ein Wachstumsdefizit zu orten. Zur Lösung der längerfristigen Probleme wie der Finanzierung der Sozialwerke brauchen wir zudem nicht nur wachsende Kapitaleinkommen, sondern auch wachsende Arbeitseinkommen, weiss Bodmer. Auch hier werde die Entwicklung der Binnensektoren zentral sein, erzielt doch ein Grossteil der schweizerischen Arbeitnehmer sein Einkommen in der Binnenwirtschaft.

Thomas Held hört zu. Zum Thema Produktivität fällt ihm auf, dass die Geschwindigkeit, mit der in der Schweiz das digitale Fernsehen eingeführt wird, von der Buchhaltungspraxis der SRG abhängt. Wir müssen alle darauf warten, bis die SRG ihr altes Material abgeschrieben hat.

Persönlich ist er stark am Bau interessiert, und da fällt ihm auf: «Es gibt enorme Produktivitätsgewinne!» Damals, als er für den französischen Stararchitekten Jean Nouvel den Bau des KKL (Kultur- und Kongresszentrum Luzern) geleitet hatte, habe man sie ausgelacht: Flüssigbeton? Nichts für die Schweiz. Heute sehe er: Flüssigbeton ist Standard.

Überhaupt sei es «leichter» geworden zu bauen – trotz dieser unseligen VCS-Diskussionen. Es gab zwar auch hier keine Reform, am bisherigen Verbandsbeschwerderecht wurde kein Paragraf geändert. Aber: Die FDP des Kantons Zürich hat diesen Frühling eine Volksinitiative eingereicht, und die bewirke nun «Verhaltensänderungen», berichtet Thomas Held. «Wenn irgendeine unserer Arbeiten eine direkte politische oder ökonomische Wirkung gehabt hat, dann die Berichte zum Verbandsbeschwerderecht.»

Mitten in Zürich, rund um das Büro von Avenir Suisse darf Thomas Held laufend neue Baustellen besichtigen. Der Prime Tower, 126 Meter hoch, bei der nahen Hardbrücke wurde überraschend schnell bewilligt. Zu einem neuen Stadtteil beim Hauptbahnhof sagte das Zürcher Stimmvolk klar Ja. Zum riesigen Einkaufszentrum in der ehemaligen Stückfärberei (mit einer Verkaufsfläche von 31000 Quadratmetern) sagte das Basler Stimmvolk klar Ja. Bei solchen Projekten müsse aber jeweils ein hoher Preis bezahlt werden: «Eine absurd tiefe Parkplatzzahl, erpresst vom VCS.»

Wird einmal gebaut, wird schnell gebaut, viel schneller als früher. Das Sihlcity in Zürich-Süd, entworfen von Theo Hotz, wird eröffnet im März 2007, ohne Verzögerungen, wie sie früher üblich waren. Der neue Turm von Basel, 160 Meter hoch, von Herzog & de Meuron neulich als Skizze der verdutzten Öffentlichkeit vorgestellt – diesen Turm will die Roche bereits 2011 beziehen. Auch abseits der Metropolen regt sich etwas: Der Ägypter Samih Sawiri darf in Andermatt ein riesiges Resort bauen: «Das staatspolitische Interesse gebietet es», meinte der Bundesrat wörtlich.

Die Stimmung ist gekippt, noch bevor die Reformen umgesetzt sind. Beginnt der Aufschwung etwa im Kopf, wie ein Slogan in den neunziger Jahren versprach? Nicht unbedingt. Aber es lief ein Prozess ab, bei dem sich verschiedene Dinge hübsch zusammengefügt haben. Bücher und Studien, gerade auch von Avenir Suisse, haben politische Debatten ausgelöst zu Themen, die zuvor tabu waren (zum Beispiel: die IV), diese Debatten sind inzwischen in Gesetzesrevisionen eingemündet, die vielleicht etwas lange dauern. Aber manchmal werden Gesetze gar «vorweg angewendet», sagt Thomas Held, gerade in der Schweiz werde das «oft praktiziert».

Der Bauboom jedenfalls findet statt, und das Volk bekommt ihn sogar zu spüren. Die Zahl Quadratmeter Wohnfläche, die ein einzelner Einwohner rein statistisch zur Verfügung hat, springt Volkszählung für Volkszählung in die Höhe: von 34 über 39 auf 44 Quadratmeter, und zwar von 1980 über 1990 bis 2000. Die Wohnfläche pro Kopf nimmt viel stärker zu als das Einkommen pro Kopf. Nur spricht kaum jemand davon, das Positive wird in der Schweiz systematisch verdrängt. Frage an Thomas Held: «Waren Sie ein Alarmist?»

«Dass ich ein Alarmist war, würde ich akzeptieren.» Aber er sei nie ein «Untergangsprophet» gewesen, er habe immer auch die Pluspunkte erwähnt. Zum Beispiel: «Die Schweiz ist das internationalste Land der Welt», wie man auch im neuesten Newsletter Avenir aktuell nachlesen könne. Auch habe er immer den Arbeitsmarkt speziell gelobt: flexibel, individuell, so dass auch viel Teilzeitarbeit möglich ist, kein Vergleich etwa mit den tariflichen Vereinbarungen in Deutschland, ganz zu schweigen vom dortigen Kündigungsschutz. «Aber», fügt Thomas Held an, er finde auch heute noch: «Der Alarmismus war berechtigt.» Wenn er an die Sozialwerke denke und alle Probleme addiere: «AHV plus IV plus KVG plus BVG – über alles gesehen stehen wir hier nicht viel besser da als Deutschland.» Und schon redet er sich in Rage, wie er sich das angewöhnt hat auf seinen Vortragsreisen. «Da muss man zuerst immer die Höllenfahrt aufzeigen – und gleich anschliessend den Weg zum Heil.»

Was würde er heute anders machen, wenn er die ganze Wachstumsdebatte nochmals von vorn beginnen könnte?

Thomas Held denkt nach. Er würde nicht so stark die Politik angreifen, sondern auf die Zielgruppen zugehen und dabei den aufklärerischen Aspekt ins Zentrum stellen. Er würde fragen: «Was bedeutet Wachstum? Warum ist Wachstum gut? Warum braucht es Wettbewerb? Warum nützt es der Gesellschaft als Ganzes, wenn einzelne Gruppen im Moment etwas verlieren?» Ja, er würde versuchen, auf populäre Art und Weise Antworten zu geben. «Aber thematisch würde ich gar nichts ändern.»

Und studiert Thomas Held die Zeitungen, dann fühlt er sich erst bestätigt. Gerade heute sind ihm in der NZZ zwei Meldungen aufgefallen:

– Die Elektra Birseck Münchenstein BL, ein Strommonopolist, hat sich als Kabel-TV-Betreiber versucht und fünf Millionen Verlust eingefahren; neu engagiert die Elektra Birseck auch Gärtner, Maurer, Maler, hat sogar drei Handwerksbetriebe hinzugekauft und preist sich nun an als Sanierer von «ganzen Badezimmern», zu vermutlich nicht ganz kostendeckenden Preisen. Ist solcherlei Quersubventionierung Staatsaufgabe?

– Die Gemeinde Stadel ZH lehnt den Bau von Hindernisbefeuerungen (sichtbare Masten im Wald) für den Flugverkehr auf ihrem Gemeindegebiet vorläufig ab, wie zuvor die Gemeinde Weiach ZH. Allerdings sei die Gemeinde Stadel zu Verhandlungen bereit. Gefordert werden verbindliche Regeln im künftigen Betriebsreglement, Mitsprachemöglichkeiten bei An- und Abflugverfahren und finanzielle Entschädigungen. Erlaubt solcherlei Gemeindeautonomie eine nationale Flughafenpolitik? «Ein klassisches Politikversagen», urteilt Thomas Held.

Auf der andern Seite gibt es auch Erfolgsmeldungen. Der Kanton Aargau zum Beispiel hat sich mit einem offiziellen Wachstumsprogramm geschmückt. «Hat man das Wort für Wort gelesen, hatte es auch viele deklamatorische Elemente drin», sagt Held. Aber aus dem Aargauer Wachstumsprogramm wurde inzwischen ein Steuersenkungsprogramm. Und überhaupt: der Steuerwettbewerb, der vom Tessin bis in den Thurgau, von Schaffhausen bis Obwalden in Gang gekommen ist und sich bis nach St. Gallen, Luzern und jetzt eben den Aargau ausgewirkt hat. Reihenweise wurden die Steuern gesenkt, «und das fördert nun auch das Wachstum», befindet Direktor Held und blickt zu Buchautor Bodmer, der sich fleissig Notizen macht. All das werden wir im nächsten Buch genauer nachlesen können.

Als Avenir Suisse im Jahre 2001 von Grossbanken, Versicherungen, Pharma- und andern Konzernen ins Leben gerufen wurde, haben sich die Leute um Thomas Held Sorgen gemacht um die Volksschule, lange vor dem Pisa-Schock. Später folgte dann die Pisa-Debatte, die wie üblich in der Schweiz keinen grossen Wurf ausgelöst hat. Aber dafür einige Pilotversuche, da und dort ein neues Schulgesetz, etwa im Kanton Zürich – vor allem aber kam es zu entscheidenden Änderungen beim Verhalten. Bereits deuten sich die Verbesserungen an, in der zweiten Runde von Pisa hat die Schweiz etwas besser abgeschnitten. Warum wohl?

Wie Avenir Suisse in einer breitangelegten «Best Practice»-Studie gezeigt hat, kommt es nicht auf die «Schulmodelle» an, sondern in erster Linie auf die Einstellung, die Motivation und die Kompetenzen der einzelnen Lehrperson. Die Unterschiede von Land zu Land, von Kanton zu Kanton, von Schulhaus zu Schulhaus, von Klassenzimmer zu Klassenzimmer sind ja nicht neu; die hat es immer schon gegeben, aber man hat sie in früheren Zeiten nicht gemessen. Seit Pisa misst man sie, nicht nur mit den Pisa-Methoden, sondern auch mit anderen, landesinternen Tests. Wie die Schülerinnen und Schüler dastehen, können diese auf einschlägigen Websites sogar selbst hinterfragen: etwa auf Klassencockpit.ch oder auf Stellwerk-check.ch. Heute findet ein permanenter Wettbewerb statt, kein Lehrer, keine Lehrerin kann sich mehr im Klassenzimmer verschanzen: «Und genau das haben wir in sämtlichen Bildungsstudien verlangt», sagt Thomas Held.

Er verabschiedet sich, denn zurzeit ist er mit seinem Team von Avenir Suisse in den letzten Zügen, einen Landwirtschaftsbericht fertigzustellen. Auch hier: An radikalen Reformen scheint niemand interessiert, weil mehr Markt eben etwas ungemütlich wäre, und zwar für alle Akteure. Dabei kann es den Schweizer Bauern kaum so schlecht gehen, wie sie klagen. Das zeigt doch jede Fahrt ins Grüne samt Besichtigung der Gehöfte mit deren Maschinenparks.

Machen wir Schweizer uns systematisch schlechter, als wir sind? Als Ulrich Kohli vor eineinhalb Jahren im Technopark auftrat, überbrachte er eine an sich positive Botschaft: «Alles halb so schlimm.» Das Glas sei nicht leer, nicht voll, sondern halbleer oder halbvoll. «Aber es könnte uns besser gehen.»

Dasselbe sagt Ulrich Kohli heute noch. Wir machen uns doch unglaubwürdig, wenn wir uns dauernd schlechter darstellen, als wir sind. Das potenzielleWachstum ist in seinen Augen ohnehin ein «abstraktes Konzept». Auch diese ganze Produktivitätsdebatte hält er für ein eher «abstraktes Konzept». Klar, wenn die Investitionen steigen, dann steige auch die Arbeitsproduktivität. Aber was ist, wenn die Schweizer im Ausland investieren? Dann steige das Bruttoinlandprodukt nicht, dann erhöhe sich die Arbeitsproduktivität in der Schweiz nicht, aber es solle ihm doch niemand sagen, das sei nutzlos. Das bringt uns doch Erträge! Und nicht nur den Multis! Auch alle Leute, die in einer Pensionskasse versichert sind, profitieren davon, wenn ihre Kasse zum Beispiel in Ostasien eine Rendite erwirtschaften könne, die hoffentlich höher ausfällt als die potenzielle Rendite in der Schweiz.

Er habe übrigens damals, als er im Technopark seine Rede gehalten habe, nicht nur negative Reaktionen aus der Schweiz erhalten, sondern auch negative Reaktionen aus Irland, ergänzt Ulrich Kohli. Die beklagten sich bei ihm, sie seien zu schlecht dargestellt worden. Da sehe man die unterschiedliche Mentalität: Die Iren wollen möglichst weit vorn stehen, die Schweizer möglichst weit hinten.

Inzwischen möchte Kohli aber nicht länger den Spielverderber spielen. Er freut sich einfach über die gute Konjunktur samt den verschiedenen positiven Zeichen. Und er hofft, dass auch die Politik den Schwung mitnehmen könne, etwa indem der Bundesrat sein 17-Punkte-Programm nun umsetze. Aus diesem Programm ist inzwischen sogar ein 19-Punkte-Programm geworden, und grosse Hoffnungen setzt Kohli insbesondere auf Punkt 18: Die Schweiz solle das Cassis-de-Dijon-Prinzip einseitig einführen, ohne auf die EU zu warten, und alle Güter, die in der EU bewilligt sind, auch in den Schweizer Läden zulassen. Das hätte enorme Auswirkungen beim täglichen Einkauf von uns allen. Genau darauf zielt Doris Leuthard, die frische Volkswirtschaftsministerin: Nach nur 58 Amtstagen sagt sie explizit, dass sie das Cassis-de-Dijon-Prinzip am liebsten einseitig einführen möchte, zur Freude von Aymo Brunetti.

So viel Konsens herrscht im Oktober 2006. Die Schweiz ist erwacht, der Aufschwung ist da, dank einer international guten Konjunktur, verbunden mit einem gehörigen Mentalitätswechsel im Innern. Es herrscht ein völlig anderes Klima als noch vor anderthalb Jahren im Technopark. Und was wird erst passieren, wenn die nötigen Reformen auch umgesetzt werden?

Aymo Brunetti: Volkswirtschaftslehre. Ott, 2006. 506 S., Fr. 64.–
Xavier Comtesse: Dartfish, Logitech, Swissquote und Co. Orell Füssli, 2005. 239 S., Fr. 44.–
Lukas Steinmann, Hans Rentsch (Hrsg.): Diagnose: Wachstumsschwäche. NZZ Libro, 2005. 255 S., Fr. 44.–
Silvio Borner, Frank Bodmer: Wohlstand ohne Wachstum. Orell Füssli, 2004. 240 S., ab O 15.– (über www.amazon.de)
William W. Lewis: The Power of Productivity. University of Chicago Press, 2004. 368 S., Fr. 25.50
Markus Schneider: Weissbuch 2004. Weltwoche-Verlag, 2003. 135 S., Fr. 39.–

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