Entziffert 22.11.2006, Bilanz
__ Heute wollen wir uns Leuten zuwenden, die es schwer haben in der reichen Schweiz. Dazu gehört die Kategorie der sogenannten «Ausgesteuerten»: Arbeitslose, die so lange arbeitslos sind, dass sie aus der Arbeitslosenversicherung herausfallen. Davon betroffen sind Monat für Monat mehr als 2000 Menschen. Was geschieht mit diesen vielen Leuten? Was tun sie zwei Jahre später?Mit dieser Frage befasst sich der Basler Sozialforscher Daniel C. Aeppli seit Jahren. Soeben hat er die Studie «Zur Situation der Ausgesteuerten in der Schweiz im Jahr 2005» vorgestellt. Diese Studie können wir so oder anders lesen entweder auf eine extrem negative oder auf eine extrem positive Art.Die erste Variante geht so:Jeder dritte Ausgesteuerte hat nie mehr einen Job gefunden. Das Schicksal der Arbeitslosigkeit wird endgültig. Das letzte Geld, das diese Leute verdient haben, war das Stempelgeld bei der Arbeitslosenversicherung. Wovon leben sie jetzt? Die meisten lassen sich privat aushelfen, sodass die übrige Gesellschaft nichts merkt. 45 Prozent geben an, dass sie vom Lebenspartner, von der Lebenspartnerin finanziert werden, 32 Prozent zapfen ihr Erspartes an. Und wer das nicht kann oder wem das nicht ausreicht? Der muss beim Staat anklopfen. 29 Prozent der Ausgesteuerten, die keine Arbeit finden, leben von der Sozialhilfe; ihr Anteil ist in letzter Zeit stark gestiegen. Etwa 15 Prozent landen bei der IV; diese Quote stagniert. Selbst von den «Glücklichen», die wieder eine Art Arbeit finden, fühlen sich nicht alle glücklich. Acht Prozent aller Ausgesteuerten schaffen es bloss in ein Beschäftigungsprogramm, also in das nächste Provisorium. Ebenso viele machen sich selbständig. Nur einer von drei Ausgesteuerten findet einen Job aber was für einen? «Gut ein Viertel der Ausgesteuerten verdient bei der neuen Arbeit einen Lohn, der deutlich unter dem Betrag ihrer zuletzt erhaltenen Arbeitslosenentschädigung lag.»Und jetzt zur optimistischen Interpretation:Ein überraschend hoher Anteil findet einen Job. Jeder dritte Ausgesteuerte, genau 36 Prozent, ist zwei Jahre später fest angestellt. Davon antwortet eine klare Mehrheit, genau 59 Prozent, dass der neue Job den Vorstellungen und Wünschen voll entspreche. Jeder Vierte von ihnen, genau 25 Prozent, verdient sogar einen «Lohn, der den Betrag der letzten Arbeitslosenentschädigung deutlich übertraf». Und was das Wichtigste ist: Mehr als zwei Drittel der Ausgesteuerten, die einen Job gefunden haben, beurteilen ihre allgemeinen Zukunftsaussichten als «gut» oder «sehr gut». Es ist einfach nicht wahr, dass alle Leute, sobald sie einmal ganz unten gelandet sind, ohne jede Perspektive dort unten stecken bleiben. Erstaunlich vielen gelingt es, sich aus dieser misslichen Lage zu befreien und schon wenige Monate später blicken sie neuen Mutes vorwärts.
Welche Interpretation ist nun richtig? Liegt die Wahrheit wie so oft in der Mitte? Nein. In diesem Fall ist es eher ein Sowohl-als-auch.
Es gibt eben beides. Es gibt Leute, die tatsächlich an den Punkt gelangen, an dem ihre berufliche Karriere in eine Strasse abbiegt, die nur in eine Richtung, nämlich abwärts, führt. Besonders betroffen sind drei Gruppen unter den Langzeitarbeitslosen und Ausgesteuerten: Leute über 50, Ungelernte und Hilfskräfte. Viele dieser Leute sehen keine Chance mehr. Und einige bekommen auch tatsächlich keine mehr.
Aber es gibt zum Glück auch die andern. Das sind diejenigen Leute, die zu Beginn der Arbeitslosigkeit ihre eigene Situation vielleicht noch überschätzt haben. Infolge der vielen Frustrationen passen sie allmählich ihre Ansprüche nach unten an, kriegen irgendwann, selbst wenn sie längere Zeit ausgesteuert sind, doch einen Job und bekommen bald zu spüren: Manchmal folgt auf eine letzte Chance wieder eine nächste.