Fragen des Anstands

Darf Deiss Verwaltungsrat bei Emmi werden?
25.01.2007, Weltwoche

Es ist noch keine zwölf Monate her, dass die Wettbewerbskommission die Übernahme der Aargauer Zentralmolkerei durch den Milchkonzern Emmi verbieten wollte; dann intervenierte der damalige Bundesrat Joseph Deiss, und Emmi durfte. Jetzt darf derselbe Joseph Deiss Verwaltungsrat des Milchkonzerns und Subventionsempfängers Emmi werden, auch wenn SP- wie SVP-Politiker heftig protestieren.Warum darf er das? Weil es zum Glück keinen Paragrafen gibt, der es ihm verböte. Schliesslich haben wir schon Regeln und Gesetze genug.Joseph Deiss darf übrigens auch Verwaltungsrat der BAK Basel Economics werden. «Erste Motivation waren seine internationalen Beziehungen», erzählt Christoph Koellreuter, der Leiter des Forschungsinstituts. Als ehemaliger Aussen- und Wirtschaftsminister kenne Deiss sehr viele ausländische Minister persönlich. «Die zweite Motivation», so Koellreuter weiter, sei «heikler». Die BAK wolle auch von Deiss› nationalem Beziehungsnetz profitieren; das Basler Institut fühlt sich bei Bundesaufträgen im Vergleich mit der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich benachteiligt.

Deiss darf eigentlich jedes Mandat annehmen. So wie Adolf Ogi als ehemaliger Sportminister Einsitz nehmen durfte in der Holding eines alten Berner Oberländer Freundes, die Völkl Schweiz kontrolliert. Oder Flavio Cotti: Kurz vor Ende seiner Amtszeit, als die Credit Suisse in Japan ein Problem mit den Aufsichtsbehörden bekam, bat er den japanischen Botschafter, man möge die Bank doch pfleglich behandeln. Wenig später durfte derselbe Cotti als Ex-Bundesrat den damaligen internationalen Beirat der Credit Suisse präsidieren. Und erst Kaspar Villiger: Fast unmittelbar nach dem Rücktritt präsentierte er sich als Dreifach-Verwaltungsrat von Swiss Re, Nestlé und Neuer Zürcher Zeitung. Nachdem SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli laut vermutet hatte, er sei mit diesen glänzend dotierten Posten von Rainer E. Gut für die Bundesmilliarden bei der Swiss-Gründung belohnt worden, rechtfertigte sich Villiger beflissen: «Ich habe mich nicht kaufen lassen.»

Regeln, Gesetze, Paragrafen

Kaspar Villiger, Flavio Cotti, Adolf Ogi, Joseph Deiss: Sie alle dürfen. Auch Pascal Couchepin wird später jedes Mandat annehmen dürfen, sogar jenes der Krankenkasse Groupe Mutuel, wenn er will. Er sass ja schon einmal im Verwaltungsrat der Kasse, was man ihm als Bundesrat manchmal auch angemerkt habe, wie Ständeräte in einer Ratsdebatte kritisierten. Und Christoph Blocher, der sich in den letzten Wochen kräftig für den erweiterten Patentschutz der Pharma- und Biotechnologiekonzerne einsetzte, wird nicht daran zu hindern sein, später solche Mandate anzunehmen; anders sein wird in diesem Fall nur etwas: Christoph Mörgeli wird für einmal nicht protestieren.

Welche Regeln, Gesetze, Paragrafen sollte man denn einführen? Dass Ex-Bundesräte in den ersten zwei Jahren nur gemeinnützige Mandate annehmen dürfen? Sofort würde ein Streit um die Definition ausbrechen. Ist etwa die Schweizerische Stiftung zur Förderung des biologischen Landbaues, für die alt Bundesrat Otto Stich seit Jahren weibelt, eine gemeinnützige oder eine subventionsmaximierende Organisation? Selbst die BAK Basel könne, wie Christoph Koellreuter anmerkt, als «eine Art Non-Profit-Organisation» angesehen werden, welche sich «um das Wohl der Eidgenossenschaft» kümmere. Auch für das Emmi-Mandat wird sich Deiss mit einem Honorar zufriedengeben, das 35000 Franken kaum übersteigt. Verbirgt sich hinter seinem Einsatz für den Milchverarbeiter also gar eine ehrenamtliche Ambition zugunsten der Landwirtschaft? Roger Federer bezieht als Werbeträger für Emmi über eine Million Franken, während Deiss auch als Ökonomieprofessor an der Uni wieder in die Hosen steigen will.

Ein anderer Vorschlag lautet: Man solle bitte eine generelle «Anstandsfrist» von zwei Jahren verstreichen lassen. Das klingt ganz vernünftig, bezieht doch jeder Ex-Bundesrat eine jährliche Rente von 205000 Franken, einem halben Bundesratslohn.

Nur scheint auch ein zweijähriges Abseitsstehen kaum realisierbar. Gerade die jetzigen Bundesräte sind schon in die Jahre gekommen. Auch wenn sie nicht müde werden, einer Rentenflexibilisierung nach oben das Wort zu reden, die biologische Grenze wird irgendwann eben doch erreicht. Pascal Couchepin und Hans-Rudolf Merz feiern dieses Jahr den 65., Christoph Blocher sogar den 67. Geburtstag. Falls diese drei einmal zurücktreten, werden sie für ihre nächsten Mandate kaum eine zweijährige Anstandsfrist einhalten können.

Vor allem aber heisst die «Anstandsfrist» nicht zufällig so. Hier geht es um Feinheiten, die jeder Ex-Bundesrat letztlich mit sich selber ausmachen muss. Dass er anschliessend, wenn er diese «Anstandsfrist» nicht einhält, hart kritisiert wird, gehört zum Geschäft. Jeder Politiker, der meint, nach dem Rücktritt kein Politiker mehr zu sein, war schon zuvor kein richtiger Politiker.

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