Fröhliches Beizersterben

Kolumne 02.02.2007, Bilanz

Warum das Volk seinen Wirten auf die Finger schauen muss – eine Einführung in die Nationalökonomie.«Es gibt zu viele Beizen», hören wir die zu vielen Beizer in den angeblich zu vielen Beizen klagen. Auf alle 250 Einwohner komme heute ein Betrieb, rechnet Klaus Künzli vor, der in Ostermundigen den «Bären» führt. Drei Millionen Stühle stelle seine Branche zur Verfügung, fast die Hälfte der Bevölkerung fände permanent in einem Restaurant Platz. Ein klares Überangebot. «Rund 10 000 Betriebe müssten verschwinden!», poltert Künzli ­ nicht bei sich am Stammtisch, sondern ins Mikrofon eines Journalisten der «Südostschweiz». Ginge es nach ihm, dem Präsidenten des Verbands Gastrosuisse, hätte jedes dritte Restaurant, jede dritte Bar, jeder dritte Tearoom den Rollladen hinunterzulassen.Das erinnert an früher. Bis vor zehn Jahren wurde das Angebot künstlich verknappt. Für jede Gaststätte brauchte es ein Patent. Dieses Patent, auf die Liegenschaft ausgestellt, hing ab vom behördlich definierten Bedürfnis, das nicht übermässig befriedigt werden durfte. Für jede Kneipe mit Alkoholausschank war ein spezielles Bedürfnis nötig. Zusätzlich hatte jeder Wirt einen entsprechenden Fähigkeitsausweis vorzulegen, auch die Polizeistunde war fix und streng. Wer seine Bar nur um ein paar Hocker erweitern wollte, war auf den Goodwill eines Beamten angewiesen. Entsprechend sah die Restaurationslandschaft aus: trist, schwerfällig und anfällig auf Korruption. Vor zwölf Jahren, beim Prozess rund um den Zürcher Chefbeamten Raphael Huber, waren just die agilsten Wirte der Stadt angeklagt.

Danach fand zum Glück eine Liberalisierung statt. Eine Bedürfnisklausel gibt es nirgends mehr, Fähigkeitsausweise meistens auch nicht. «Wir haben auch schon Analphabeten als Wirte zugelassen», vermeldet die Zürcher Wirtschaftspolizei stolz. Obwalden und Uri haben die Polizeistunde abgeschafft. Resultat: eine bunte Beizen- und Barszene mit laufend neuen Attraktionen. An fast jeder Ecke öffnet eine Imbissstube oder ein Takeaway, Tellerwäscher aus allen Kontinenten machen bei uns Karriere. Quasi nebenbei fand eine Revolution unseres Mittags statt: Nicht immer, aber immer öfter essen wir am Arbeitsplatz, was wir uns beim Thai, beim Italiener oder beim Libanesen frisch abgeholt haben. Selbst beim Thema Hygiene erweisen sich Behörden inzwischen als liberal: «Fanden früher Visiten statt, welche den Begriff Kontrolle verdienten, handelt es sich heute um Beratungsgespräche», liess der Stadtrat von Zürich verlauten. Auch draussen auf dem Land oder oben auf der Alp merken einige Bauern: Es ist nicht länger verboten, Spaziergänger zu bewirten.

So wie sich das Angebot vervielfältigt hat, so sind die Preise gefallen samt den Gewinnen der Wirte. «Es steht nun beinahe allen frei, ein eigenes Lokal zu eröffnen», heisst es auf der Internetplattform www.gruenden.ch, wo laufend neue Selbständige beraten werden. «Aber Achtung: Die Konkurrenz ist gross, die Margen sind klein und die Kunden anspruchsvoll.»

Ja, es überleben nur die Besten. Die andern verschwinden wieder, müssen ihre Lokale verlassen. 8 Prozent der Wirte hören im ersten Jahr auf, 16 Prozent nach zwei bis drei Jahren. Aber immer steht ein nächster Kandidat bereit, der ebenfalls Wirt werden und seine Chance wahrnehmen will. Das freut uns Konsumenten ­ und ärgert gewisse Wirte. «Statt eines Beizensterbens erleben wir ein Beizersterben», klagt Klaus Künzli vom «Bären» in Ostermundigen, der es lieber umgekehrt hätte: Gäbe es ein paar Gaststätten weniger, hätten es die übrig bleibenden Wirte etwas leichter. Als aktiver FDP-Politiker hat Künzli von den Behörden des Kantons Bern bereits «eine restriktivere Bewilligungspraxis» gefordert. Nun sorgt sein Verband Gastrosuisse auf Bundesebene dafür, dass durch die Hintertür wieder eine Art Wirtepatent eingeführt werden könnte: indem eine neue Minimalausbildung für Hygiene verlangt wird, zwangsweise. Letzthin haben sich Künzlis Leute mit Bundesrat Pascal Couchepin getroffen.

Was lernen wir daraus? Dass wir den Wirten auf die Finger schauen müssen. Denn nur so können wir sicher sein, dass auch künftig jeder, der Wirt werden will, Wirt werden kann ­ zum Wohl des Volks.

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