Altväterliche Wahrheiten

Kolumne 16.02.2007, Bilanz

«Wer erfolgreich ein Buch verkaufen will, muss in einem Satz sagen können, worum es in diesem Buch geht», empfehlen mir Leute, die beides geschafft haben. Nun sitze ich ratlos vor dem Bildschirm. Ich habe zwar ein Buch geschrieben ­ aber ich brauche mehr als sechshundert Wörter zur Erklärung.Am Anfang war der Satz: «Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir!» So dachten unsere Eltern noch, das war ihr grösster Wunsch. Betrachte ich heute meine Generation der 40- bis 50-Jährigen, so stelle ich fest: Die meisten von uns haben das geschafft. Nur empfinden wir jetzt, da wir selber Eltern sind, einen solchen Wunsch als altväterlich. ­ Sollen es unsere Kinder etwa nicht mehr weiter bringen als wir heutigen Väter?Sicher. Aber wir wagen es nicht mehr, dies laut zu sagen. Wobei ich das Wörtchen «wir» in Anführungszeichen setzen muss. Als Journalist verkehre ich unter Journalistinnen, Pädagogen, Sozialarbeiterinnen, Bankangestellten, Ärztinnen, Grafikern ­ und damit in privilegierten, oft akademischen Kreisen. Auch wenn «wir» in der sozialen Rangliste nicht ganz zuoberst gelandet sind, so doch immerhin so weit oben, dass «wir» uns nicht mehr getrauen, von unsern Kindern noch mehr zu verlangen. Also fördern «wir» unsere Kinder subtil. Früh schicken «wir» sie in Malkurse, in den Klavierunterricht oder ins Englischsprachbad. Tauchen Schwächen auf, lassen «wir» diese von Experten abklären, diskutieren Massnahmen, notfalls leisten «wir» uns eine Privatschule. Vielleicht reden «wir» nicht mehr wie unsere Väter. Aber eigentlich wollen «wir» dasselbe Ziel umsetzen ­ um dann gleichzeitig in der Öffentlichkeit über die «mangelnde Chancengleichheit» zu klagen. Die Gesellschaft müsse durchlässig, der soziale Aufstieg für alle möglich sein ­ egal, welchen Pass die Kinder haben, welchen Namen sie tragen, an welchen Gott sie glauben, Mädchen wie Knaben.

Dabei ist die Zahl der obersten Plätze fix beschränkt. Seit je gibt es nur drei Nationalbankdirektoren, sieben Bundesräte, einen CEO der Nestlé, der gleichzeitig VR-Präsident sein will, die ETH Zürich hat lediglich 350 Professuren. Sollten auf diesen wenigen Posten auch Aufsteiger landen, müssen die Plätze ­ logischerweise ­ von Absteigern freigegeben werden.

Hier geht es um die uralten, aber für die Zukunft relevanten Fragen: Wer steigt auf? Wer steigt ab? Meine Antwort: Beides findet statt, der Aufstieg wie der Abstieg, heute noch häufiger als früher. Nur merken wir das nicht, weil solche Prozesse langsam ablaufen. Auf alle Fälle erweist sich unsere Gesellschaft als viel durchlässiger, als wir meinen. Während «wir» Bildungsbürger alles tun, damit es unsere Kinder an eine Uni schaffen (wo einige dann 15 Semester lang Kunst und Archäologie studieren), demonstrieren andere, wie man tatsächlich den Erfolg erzwingt: mit Mut, Ehrgeiz, Neugier und Leidenschaft. Immer öfter kommen die neuen Aufsteiger aus dem Ausland: In den Software-, Elektronik- und Biotech-Labors engagieren sich Fachleute aus China und Indien, im Alltag avancieren die Gökdumans zu Kebab-Königen und einige Tamilen zu Hoteliers. Unter Einwanderern aus allen Ländern, selbst aus Ex-Jugoslawien, gibt es aufmunternde Erfolgsgeschichten. Und manche der heutigen Aufsteiger beginnen wie unsere Altväter: mit einer kommunen Berufslehre. Die Besten von ihnen schaffen die Berufsmatur, hängen eine Fachhochschule an, nutzen also die neuen Chancen, die das moderne Schweizer Bildungssystem bietet ­ und realisieren damit, was Ökonomen eine «hohe Bildungsrendite» nennen. Auch ein Marcel Ospel oder ein Oswald Grübel haben schliesslich als ganz gewöhnliche Banklehrlinge angefangen.

Wer will, der kann. Noch nie waren in der Schweiz die Chancen so gleich verteilt wie heute. Es muss nicht einmal ein Nachteil sein, wenn die Kids in Häusern aufwachsen, in denen sich die Eltern weiterhin laut zu sagen trauen: «Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir.»

«Klassenwechsel», das neue Buch von Markus Schneider, erscheint im Echtzeit Verlag. BILANZ-Leserinnnen und -Leser können es im BILANZ-Shop beziehen (www.bilanz.ch/shop). Es kostet für BILANZ-Abonnenten 25 statt 28 Fr. (inkl. Mehrwertsteuer, ohne Porto und Verpackung).

Hören Sie eine Passage aus «Klassenwechsel» unter: www.bilanz.ch.

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