Es droht ein Duopol

Kauft Migros Denner, beherrscht sie mit Coop fast den gesamten Detailhandel für Lebensmittel.
01.03.2007, Weltwoche

Ein mittelständischer Nahrungsmittelproduzent meldet sich. Seinen Namen möchte er nicht genannt haben, weil er sich, wie er sagt, «vor der Migros und Coop» fürchte. Hört man ihm zu, verdichtet sich der Eindruck: In Zukunft wird sich dieser Mann noch stärker vor der Migros und Coop fürchten als heute schon.Was er genau produziert, soll auch nicht in der Zeitung stehen. Nur so viel: «Ich liefere für den Nahrungsmittelmarkt.» Was ihm einfach nicht in den Kopf will, ist die Tatsache, dass in der Schweiz alle immer nur vom «Detailhandel insgesamt» redeten, um dann trotz der Übernahme von Waro durch Coop und der geplanten Übernahme von Denner durch die Migros kühn zu behaupten: Alles halb so schlimm, es gibt immer noch genug Konkurrenz.

Das stimme womöglich für den Detailhandel insgesamt, also wenn man auch Kosmetika, Möbel, Textilien einbeziehe. Bei Lebensmitteln allein werde es aber eng. Sehr eng. Und falls die Migros Denner kaufen dürfe, der sich zuvor schon Pick Pay einverleibt hat, dann wird es für den Mittelständler sogar «verdammt eng».

Der Mann ist nicht allein. So wie ihm ergeht es künftig allen, die Nahrungsmittel in der Schweiz verkaufen wollen ­ egal, ob es sich um Nutella-Brotaufstrich, Nudeln, Cornflakes, Pommes Chips oder Kraft-Käse handelt. Sie sind auf Migros (inklusive Denner) und Coop angewiesen ­ weil diese beiden Grosshändler zusammen 83 Prozent Marktanteil erreichen. «Halten Sie sich das bitte vor Augen», sagt der Mann: «Wenn Migros Denner gekauft hat, haben wir Lieferanten genau vier Varianten zur Wahl.»

Die erste Variante geht so: Ein Lieferant arbeitet weder mit der Migros noch für Coop. Dann bleiben ihm gerade noch 17 Prozent des Marktes, und diese 17 Prozent sind fein aufgesplittert zwischen Volg, Manor, Casino, Carrefour, Aldi und einigen andern. Weil sich so viele Anbieter diesen kleinen Rest aufteilen, ist dieser kleine Rest für unsern Gewährsmann leider keine Alternative: «Solange es Denner gab, hatte ich die Hoffnung auf eine dritte Kraft.» Dass ein ausländischer Anbieter wie Aldi zur dritten Kraft werden kann, ist nach dem Migros-Handel nur eine vage Hoffnung.

Die zweite Variante geht so: Ein Nahrungsmittel-Hersteller arbeitet mit der Migros, den Kleinen ­ aber nicht für Coop. Das habe negative Konsequenzen, doppelt negative. Er verzichte nicht nur auf den Marktanteil von Coop, sondern liefere sich zugleich fast vollständig den Launen der Migros aus. Nach seinem Entscheid, auf Coop zu verzichten, laufe 73 Prozent seines Absatzes über die Migros. Er wird total abhängig von ihr.

Die dritte Variante läuft analog. Der Produzent arbeitet mit Coop, den Kleinen ­ aber nicht für die Migros. Das hat schon wieder eine doppelt negative Folge. Er verzichtet diesmal sogar auf 47 Prozent des Nahrungsmittelmarktes (Migros plus Denner/Pick Pay), zugleich begibt er sich in die Arme von Coop. Nach einer Absage an die Migros hängt er zu 67 Prozent von Coop ab.

Die Angst, aus dem Regal zu fallen

Fazit: Keine dieser drei Varianten ist wirklich attraktiv. Also bleibt den Nahrungsmittelproduzenten nichts anderes übrig als Variante vier: Sie müssen für beide arbeiten, Migros und Coop, egal zu welchen Bedingungen. Der besorgte Mann kommentiert sarkastisch: «Bravo, damit kann ich überleben.» In Wahrheit fühlt er sich aber extrem unwohl: «Wenn einer von beiden hustet, komme ich ins Zittern.» Damit drohe Variante eins, zwei oder drei, und das sei auch der Grund, warum alle seine Geschäftskollegen heute schweigen und niemand gegen den Denner-Kauf durch die Migros protestiere: «Weil wir Angst haben, dass unsere Produkte bei Migros aus den Regalen hinausgeworfen werden.»

Die Zahlen, welche der Mann geliefert hat, stammen vom Marktforschungsinstitut AC Nielsen. Sie betreffen den Lebensmittel-Detailhandel Schweiz (ohne Tessin). Eine Nachfrage bei der AC Nielsen ergibt: Die Daten stammen aus dem Jahr 2004; neuere Zahlen könne man leider nicht zur Verfügung stellen, weil die Kunden (sprich: Migros und Coop) das unterdessen verboten hätten.

In der Öffentlichkeit wurde bis jetzt erst ein einziger Protest laut: von Alex Seidel, dem Chef von Unilever Schweiz. «Für die Markenartikler wird es zunehmend schwieriger, ihre Produkte zu verkaufen», beklagte sich Seidel in der Wirtschaftszeitung Cash. «Im Schweizer Markt gibt es bereits jetzt nur noch zwei grosse, mächtige Anbieter. Diese setzen immer mehr auf Eigenmarken. Bei der Migros sind es über 90 Prozent und bei Coop schon über 50 Prozent. In den vergangenen Jahren sind mit Pick Pay, Waro oder EPA wichtige Detailhändler verschwunden.» Um dann zu ergänzen: «Denner ist für uns, mit dem Anteil von über 70 Prozent Markenartikeln im Sortiment, der bedeutendste alternative Kanal.»

Bald muss die Wettbewerbskommission entscheiden, ob Migros Denner kaufen darf. Sagt die Behörde ja, droht im Detailhandel für Nahrungsmittel ein klassisches Duopol. Migros und Coop beherrschen dann praktisch den Markt -­ trotz der ausländischen Konkurrenz, die von den hiesigen Grossverteilern heraufbeschworen wird. Worauf ein Duopol in der Praxis hinausläuft, kann man in jedem Lehrbuch nachlesen.

Grundsätzlich gibt es zwei Strategien: Die beiden Grossen bekämpfen sich, so hart es geht. Dabei werden sie jedoch bald merken, dass sie einander nur weh tun. Viel angenehmer wäre es für beide, sie würden sich zu einem Kartell zusammenschliessen, um damit ein Monopol zu bilden. Weil das die Wettbewerbsbehörden aber nie dulden würden, kommt es in aller Regel zu einem sogenannten Nash-Gleichgewicht, benannt nach dem Mathematiker John Nash. Demnach treffen die wechselseitig verbundenen Akteure einzeln ihre bestmögliche Strategie mit Blick auf die Entscheidungen der andern. Migros schaut, was Coop macht, und Coop schaut, was Migros macht ­ im beiderseitigen Wissen, dass es beiden am besten geht, wenn sie sich gegenseitig nicht allzu hart konkurrenzieren.

In Wahrheit haben also nicht nur die Produzenten allen Grund, sich vor den beiden Duopolisten zu fürchten, sondern auch wir Konsumenten. Migros und Coop werden für Fleisch, Honig und Kaffee zwar kaum Monopolpreise verlangen; aber die Duopolpreise werden mit Sicherheit höher sein, als wenn im Detailhandel eine stärkere Konkurrenz spielen würde.

Halten sich die Wettbewerbshüter an die Duopoltheorie, ist denkbar, dass sie den Verkauf von Denner an die Migros unterbinden. «Wir hoffen, dass die Wettbewerbskommission die Interessen der Konsumenten im Auge behält und dafür sorgt, dass das Angebot im Schweizer Detailhandel nicht noch weiter reduziert wird», sagte Unilever-Chef Alex Seidel.

Die Wettbewerbskommission hat den Detailhandel bereits eingehend untersucht: 2003, als Coop die Gruppe Waro kaufen wollte ­ und schliesslich auch durfte. Im Bericht fallen heute zwei Stellen ins Auge. Einerseits wird darauf hingewiesen, dass es auch in andern kleineren europäischen Ländern zu Duopolen komme. In Holland beherrschen die beiden Grössten 70 Prozent des Marktes, in Österreich 48 Prozent, in Portugal 42 Prozent, in Frankreich 39 Prozent, in Deutschland aber nur 23 Prozent. In der Schweiz wären es, falls die Migros Denner kaufen kann, aber sage und schreibe 83 Prozent. Eine derart extreme Machtballung gibt es nirgends auf der Welt.

Wunschdenken der Wettbewerbshüter

Damals, bei der Bewilligung zum Waro-Kauf durch Coop, hat freilich ein anderes Argument den Ausschlag gegeben: Waro war vor allem im Non-Food-Bereich stark, weswegen Coop «auf den potenziell problematischen Märkten» kaum zulegen werde, wie es im Bericht hiess. Vor allem aber erhoffte sich die Wettbewerbskommission, dass dank des Coop/Waro-Zusammenschlusses sich Denner «stärker auf dem Markt positionieren» könne. Wörtlich: «Es ist aus Wettbewerbssicht wünschbar, wenn Denner stärker wird, da eine Disziplinierung von Coop und Migros möglich wird.»

Man lese diesen Satz zweimal. Die heutige Denner/Pick Pay bedient immerhin zehn Prozent des Schweizer Lebensmittel-Detailhandels. Verschwindet diese «dritte Kraft», droht ein Detailhandels-Duopol. Also wäre, wie sich die Wettbewerbskommission ausdrückt, «eine Disziplinierung von Coop und Migros» kaum mehr möglich.

Kann unsere Kartellbehörde dazu ja sagen? Sie würde sich selber widersprechen.

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