Auf der Couch mit Monika Stocker

Kolumne 16.03.2007, Bilanz

Heute versuchen wir, Monika Stocker zu verstehen. Ihr Problem ist der Sozialmissbrauch, wobei dieses Wort falsche Vorstellungen weckt. «Missbrauch» tönt nach einem unter Palmen liegenden Lebenskünstler, der seinen gutgläubigen Sozialarbeiter in Schwamendingen narrt. Solchen Missbrauch müsse man bekämpfen, sagt sogar Monika Stocker. Doch tut sie das auch?Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, müssen wir festhalten, dass Sozialhilfe ein alltägliches Angebot darstellt. Nicht nur Monika Stocker will es, sondern auch das ganze Volk. «Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich selber zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind»: So steht es in der Bundesverfassung. Zum «menschenwürdigen Dasein» in einem reichen Land gehört ein TV-Gerät samt Radioempfang, ein Laptop mit ADSL, der Zahnarzt, die Coiffeuse, ein Espresso in der Bar, die Mitgliedschaft in einem Verein, selten mal auch zwei Wochen Ferien. All das ist kein Missbrauch, sondern «Teilhabe am gesellschaftlichen Leben», wie sich Sozialarbeiter ausdrücken. Also muss Fürsorge generös sein, nicht wegen Monika Stocker, sondern aus dem Geist unserer Verfassung heraus.

Andere Menschen, die ihr knappes Geld fleissig selber verdienen, können neidisch werden. «Arbeiten lohnt sich nicht», sagen sie. Diesen Punkt kritisiert sogar Monika Stocker. Freilich möchte sie niemandem Geld wegnehmen, sondern alle ermuntern, selber etwas zu tun. Also entwickelte sie ihr «Anreizmodell», dank dem auch Sozialhilfeempfänger einen geringen Zusatzverdienst behalten dürfen. Dank dieser Politik, inzwischen schweizweit eingeführt, kann eine dreiköpfige Familie, die ein klein wenig hinzuverdient, mehr als 5000 Franken im Monat erreichen, eine sechsköpfige Familie mehr als 7000.

Dass solche Zahlen in der Zeitung genannt werden, empfindet Monika Stocker als Provokation. Dabei müsste sie, um gleiche Rechte für alle herzustellen, ihre Stadtbewohnerinnen und -bewohner offen informieren, etwa mit Plakaten in Tram und Bus: «Familien mit zwei Kindern und weniger als 5500 Franken Monatslohn: Bitte auf dem Sozialamt melden!» Damit riefe Monika Stocker nicht zum Missbrauch auf, sondern zum Gebrauch der Sozialhilfe, die nebenbei bewirkt, dass man keine Steuern zahlen muss; auch die Franchise und den Selbstbehalt bei Krankheitskosten übernimmt der Staat.

Doch wie gesagt: Solche Plakate würde Monika Stocker nie aufhängen. Auch sie findet, dass Leute möglichst lange für sich selber schauen müssten. Erst wenn sie «in wirkliche Not» geraten, sollen sie sich auf dem Amt melden. Sozialhilfe sei kein automatischer Anspruch. Ihre Behörde müsse für jeden einzelnen Fall abklären, ob Fürsorge gewährt werde. Damit der Staat zahlt, muss zuvor das Vermögen aufgebraucht sein, inklusive des Gelds für das Auto, das man verkaufen muss. Sogar das Portemonnaie naher Verwandter kann angezapft werden. Wer Sozialhilfe beansprucht, muss in finanzieller Hinsicht die Hosen herunterlassen.

Lustig ist diese Kontrolliererei nicht. Sozialarbeiter müssen miesepetrige Kleinbürger spielen, die sie nicht sind. Ihre Chefin in Zürich, Monika Stocker, eignet sich erst recht nicht für diese Rolle. Jetzt sucht sie Sozialdetektive via Inserat ­ aber nur, weil sie politisch dazu gezwungen wurde. Nachdem Monika Stocker in der «Weltwoche» hatte lesen müssen, dass gewisse Sozialhilfebezüger weiter in ihrem Auto herumführen, während andere landesabwesend seien, aber trotzdem ihre Fürsorge kassierten, schickte sie die Juristen los, um nach dem Beamten zu suchen, der den Journalisten mit Akten versorgt hatte; dabei müsste sie uns doch zeigen, wie sie künftig solchen «Missbrauch» bekämpfen will.

Politisch ist diese Reaktion dumm, psychologisch verständlich. Die Grüne Monika Stocker, die 1968 zwanzig war, will nicht als biedere Kleinbürgerin enden. Obschon sie tief in ihrem Innersten wohl wüsste, dass das Schweizer Fürsorgesystem nur auf zwei Arten zu retten ist: Entweder wir errichten zur Abschreckung einen Apparat mit Spitzeln und Detektiven ­ oder dann definieren wir das «menschenwürdige Dasein» etwas strenger und kürzen die Ansätze.

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