Wer reich stirbt, hat falsch gelebt

Kolumne 30.03.2007, Bilanz

Die Rechten und Reichen klagen manchmal, wir lebten in einer Neidgesellschaft. Genau das ist nicht der Fall. Wir Schweizerinnen und Schweizer, die etwas weniger rechts stehen und etwas weniger reich sind, werden nicht einmal dann neidisch, wenn wir Anlass dazu hätten.Zum Beispiel könnten wir neidisch in die USA blicken. Dort gibt es stolze Männer und Frauen, die noch wissen, was ein Lebenswerk ist. Also gründen sie ihre Unternehmen, erarbeiten sich Reichtum, zeugen Kinder, sorgen sich um deren Ausbildung, um ihnen später mitzuteilen, sie sollten sich ihren Reichtum bitte selbständig erarbeiten. «Wenn wir als Eltern mit unserer Erziehung erfolgreich sind, werden unsere Kinder zustimmen, dass sie nur einen kleinen Teil des Vermögens erben werden.»

So sagen es Bill und Melinda Gates. In den USA herrschen offenbar ein anderer Gerechtigkeitssinn und eine andere Mentalität: eine Leistungsmentalität. Thomas Jefferson, der dritte Präsident, forderte: «Jeder Mensch hat sich an der gleichen Startlinie aufzustellen.» Warren Buffett meint, man dürfe doch nicht «ein Leben lang eine Art Sozialhilfe beziehen, nur weil man der richtigen Gebärmutter entschlüpft ist».

Anders in der Schweiz. Hier blättern wir das neue Buch über das «Erben in der Schweiz» (Rüegger Verlag) durch und sehen all die Zahlen und Grafiken, die uns zeigen, wie unheimlich viel Geld vererbt wird, dass dieses Geld jedoch nicht zu uns allen fliesst, sondern nur zu ein paar wenigen. Es gelte das Matthäus-Prinzip: «Wer hat, dem wird gegeben.» Viermal wird dieses biblische Wort samt Quelle (Apostel Matthäus) zitiert, womit uns die Autorinnen vom eher linken Berner Büro Bass wohl sagen wollen: Wir hätten allen Grund, neidisch zu sein.

Aber wir sind es nicht. Wirklich nicht. Das steht sogar in diesem Buch. Erben, schreiben die verdutzten Autorinnen, werde als Privatsache betrachtet, nicht als unverdientes Vermögen. «85 Prozent der Bevölkerung sehen kein Gerechtigkeitsproblem.» Also möchten wir auch keine Erbschaftssteuern einführen, im Gegenteil, in letzter Zeit haben wir alle Erbschaftssteuern für direkte Nachkommen abgeschafft, Kanton für Kanton.

Wären wir kleinliche Neider, würden wir schleunigst Unterschriften sammeln für eine nationale Erbschaftssteuer. Schön nach dem Matthäus-Evangelium würde sich unsere Volksinitiative nur gegen diejenigen richten, die schon haben. Denn wir selber, die etwas weniger haben, müssten das kleine bisschen, das wir selber erben werden, natürlich behalten dürfen. Darum würden wir einen Freibetrag einführen: Bis zu einer halben Million könnte jedes Erbe steuerfrei sein. Unser Neid würde sich also nur an die obersten 10 Prozent richten, die 75 Prozent der Erbsumme einstreichen, ohne dass sie selber dafür eine Leistung erbracht haben.

Trotzdem: Wir starten diese Volksinitiative nicht. Selbst die Linken reden nur davon. Weil sie wohl wissen, dass sie damit nur auf die Nase fielen. Wir Schweizerinnen und Schweizer finden es nämlich okay, dass Leute, die ihr Leben lang Einkommens- und Vermögenssteuern bezahlt haben, am Ende selber entscheiden dürfen, was sie mit ihrem Geld anstellen wollen und was nicht. Das ist echt grosszügig von uns, aber so sind wir eben: grosszügig.

Der Rest ergibt sich von selbst. Reiche, die über ihre Reichtümer frei verfügen dürfen, tun das verantwortungsvoll. «Ich beschloss, nicht länger Vermögen anzuhäufen, sondern mich der ernsteren und deutlich schwierigeren Aufgabe zuzuwenden, das Vermögen weise zu verteilen», schrieb etwa der amerikanische Stahlmagnat Andrew Carnegie, der Konzerthallen und Bibliotheken gestiftet hat, in denen sein Ruhm bis heute nachhallt. «Wer reich stirbt, stirbt ehrlos», notierte er in seiner Autobiografie.

Ganz so weit sind wir in der Schweiz noch nicht, bei uns läuft der Kreislauf meistens anders ab. Die richtig Reichen warten, bis sie über 80 sind, oft bis zum Tod, um danach ihre Schätze einfach an ihre Kinder zu überschreiben, die auch schon über 50, wenn nicht schon pensioniert sind. ­ Himmelherrgott, was würde wohl der Evangelist Matthäus zu solchen Lebenswerken sagen?

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