Eine Postkarte für den Steuervogt

Einfach und flach 28.03.2007, Schweizer Familie

Steuern zahlt niemand gern. Doch bevor wir uns über die Steuerrechnung ärgern können, müssen wir uns über etwas anderes ärgern: über die Steuererklärung. Jeden Frühling werden wir gezwungen, uns mit vielen Formularen, Belegen, Gesetzen, Treuhändern, Tricks und Tipps und all dem Kram auseinanderzusetzen, der offiziell «Wegleitung» genannt wird, bis wir endlich in der Lage sind, das dicke Couvert mit allen Beilagen abzuschicken. Ein alljährlicher Horror.Dabei weiss inzwischen fast jedes Kind: Das müsste nicht sein. Es ginge anders. Einfacher. Mit etwas gutem Willen fände die Steuererklärung auf einer Postkarte Platz. Oder auf einem Bierdeckel. Bevor wir uns dieser Lösung zuwenden, müssen wir uns zunächst fragen, warum das jetzige System so kompliziert ist. Ganz einfach: Weil es so viele verschiedene Abzüge gibt: einen Sonderabzug für den Arbeitsweg, die Kinderkrippe, die Weiterbildung, die Küchenrenovation, die Gesundheitskosten, die Einzahlung in die dritte Säule. Dabei müssen wir aber einen jeden dieser vielen Abzüge einzeln belegen und sauber begründen.

Daraus ergibt sich die nächste Frage: Warum gibt es so viele Abzüge? Antwort: Weil sich der Staat nicht getrauen würde, seine hohen Tarife voll und ganz zu erheben, darum gewährt er Rabatt, aber nur für bestimmte Ausnahmesituationen. Das führt uns zur dritten und bereits letzten Frage: Warum verlangt der Staat so hohe Tarife? Antwort: Weil es so viele Abzüge für diese Ausnahmesituationen gibt, die das Ausfüllen der Steuererklärung leider so mühsam machen, wie es ist.

Ein typischer Zirkelschluss, zum Nachteil von uns allen. Der Staat stiehlt uns Zeit und Energie, bis wir diese Steuererklärung ausgefüllt haben; oft müssen wir uns sogar einen Treuhänder leisten. Noch schlimmer ist, dass uns der Staat systematisch in vorsorgliche Zwangsmassnahmen hineinführt. Denn wir alle müssen, damit wir die Abzüge tätigen können, etwas tun. Zum Beispiel müssen wir ein eigenes Haus kaufen und dieses renovieren, während unser Nachbar, der sich eine teure Wohnung mietet und einen Porsche kauft, keinen Steuerrabatt erhält. Oder wir müssen unseren Jahresbonus angeblich «freiwillig» als Nachzahlung in unsere Pensionskasse stecken, während unser Geschäftskollege, der mit dem Bonus-Geld eine Segeljacht postet oder es in die Softwarefirma seines Sohnes investiert, schon wieder keinen Rabatt erhält. Und so weiter: Das Steuersystem zwingt nicht nur «die Reichen» dazu, ihr ganzes Leben darauf auszurichten, Steuern zu sparen; auch wir Normalverdiener sind zunehmend von diesem Irrsinn betroffen, denken wir nur an die dritte Säule, zu der wir vom Steuervogt quasi gezwungen werden.

All das ginge einfacher. Das Rezept hiesse: Man verlange von den Reichen lieber ein bisschen weniger. Man senke die Tarife, man verflache sie. Aber man ziehe diese flachen Tarife dafür konsequent ein. Flat Tax heisst diese Steuer im Jargon (flat für flach). Alle sollen gleich viel, nein: alle sollen gleich wenig bezahlen. Ein Beispiel dafür ist die Slowakei mit einer Flat Tax von 19 Prozent. Damit wissen die weniger oder mehr Erfolgreichen: Der Staat nimmt etwas, nämlich 19 Prozent vom Lohn, 19 Prozent vom Gewinn, 19 Prozent von den Zinseinnahmen. Aber niemals mehr; also lohnt es sich für «die Superverdiener» kaum, sich andauernd Gedanken zu machen, wie sie Steuern sparen könnten.

Spätestens an diesem Punkt bringen alle sozial aufgeschlossenen Leute den immer gleichen Einwand vor: Das sei doch nicht gerecht, wenn alle Leute, ob arm oder reich, gleich viel Steuern zahlen müssten. Die Antwort lautet: Ja, das wäre tatsächlich unsozial. Darum darf man die vielen heutigen Abzüge auch nicht ersatzlos streichen – man muss sie ersetzen durch eine Pauschale. Die Pauschale könnte zum Beispiel 15 000 Franken pro Person betragen – egal, ob diese Person einmonatig oder hundertjährig ist, verheiratet oder homosexuell. Jedes Paar mit zwei Kindern weiss damit: Die ersten 60 000 Franken sind steuerfrei. Was darüber hinausgeht, wird besteuert, zu einem flachen Tarif. Aber diesen flachen Tarif müssen alle zahlen. Alle. Auch «die Reichen» werden auf ihren vollen Einkommen belangt, weil es ja keine andern Abzüge mehr gäbe – und damit auch keine Steuerschlupflöcher mehr.

Wenn der Staat wollte, könnte er sogar die Vermögenserträge richtig anpacken. Das Rezept hiesse hier: Soll-Kapitalrendite-Besteuerung. Das klingt kompliziert, ist aber simpel. Demnach müssen wir in unserer Steuererklärung nur den Saldo des Vermögens auf das Jahresende hin deklarieren. Der ganze Rest fällt weg – und damit rückt der Traum von der Steuererklärung per Postkarte nahe. Auf diesen Vermögenssaldo rechnet das Steueramt eine Soll-Rendite aus, die etwa dem Mindestzins bei den Pensionskassen entsprechen könnte. Konkret: Ein Vermögen von 500 000 Franken führt bei einer Soll-Rendite von zurzeit 2,5 Prozent zu einem steuerbaren Jahreseinkommen von 12 500 Franken. Wer höhere Risiken eingeht und höhere Renditen, Dividenden usw. erzielt, darf diese Gewinne behalten. Gerade für Selbständige, die ihr Kapital in die eigene Firma platzieren, wäre das sehr interessant.

Übrigens: Es ist keine Utopie. Im Kanton Zürich hat die FDP begonnen, Unterschriften zu sammeln für eine Easy Tax; der Gewerbeverband hilft mit, auch einige Sozialdemokraten machen begeistert mit. Eine Reihe von Reformländern haben die Flat Tax längst eingeführt: Estland, Georgien, Hongkong, Island, Kirgisien, Lettland, Litauen, Mazedonien, die Mongolei, Rumänien, Russland, die Slowakei sowie die Ukraine. All diese neuen, dynamischen Volkswirtschaften haben erkannt, worauf es bei einem modernen Steuersystem ankommt: Erstens muss es einfach sein. Zweitens muss das ganze Einkommen samt den Kapitalerträgen voll besteuert werden – aber zu Tarifen, die möglichst flach sind.

MARKUS SCHNEIDER ist «Weltwoche»-Autor und «Bilanz»-Kolumnist. Sein neues Buch heisst: «Klassenwechsel: Aufsteigen und Reichwerden in der Schweiz – wie Kinder es weiterbringen als ihre Eltern», Echtzeit Verlag, Basel, 2007.

Übersicht