Heuschrecken und Alpenrosen

Kolumne 27.07.2007, Bilanz

Zeit zum Baden draussen in der Natur. Reinspringen dürfen wir ins kühle Nass, ohne Angst haben zu müssen, denn: «In den vergangenen Jahren hat sich die Wasserqualität der Seen und Flüsse deutlich verbessert.» Und tauchen wir wieder auf, dürfen wir kräftig Atem holen, denn: «Die Luftqualität hat sich verbessert.» Anschliessend dürfen wir uns ohne Tüchlein direkt ins Gras oder auf den nackten Boden legen, denn: «Die Schadstoffbelastung ist stark zurückgegangen.»All diese Urteile und Einschätzungen sind offiziell. Sie stammen wörtlich aus dem frisch publizierten und äusserst umfassenden Bundesbericht «Umwelt Schweiz». Eine saubere Bilanz, die mit Worten, Zahlen, Grafiken die drohende Klimakatastrophe dokumentiert, insbesondere in den Alpen. Gleichzeitig macht dieser Bericht deutlich: Es wird nicht nur global gefaselt, es wird auch lokal gehandelt. Mit dem Resultat, dass nicht überall alles «schlechter» und «dreckiger» wird. Im Gegenteil.Zum Beispiel waren nach dem Sandoz-Chemieunfall in Schweizerhalle alle Aale tot. Alle. Trotzdem ist das Ökosystem nicht gekippt, der Fluss erholte sich, viel schneller als von Biologen erwartet. Innert dreier Jahre war er einigermassen regeneriert, heute schwimmen wieder 63 Fischsorten im Rhein, sogar Lachse, zusammen mit Baslerinnen und Baslern. «Aus der grössten Kloake Europas ist nunmehr ein lebendiger Strom geworden», schreibt die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins in ihrer Bilanz zwanzig Jahre nach der Katastrophe von Schweizerhalle.

Und wird es uns zu heiss in den Städten, dürfen wir hinauf in die Berge. Dabei sehen wir: Die Natur lebt. Obschon es öfter auch hier oben ganz schön warm wird. So warm, dass die Gletscher zerfliessen. «Setzt sich die Eisschmelze im bisherigen Tempo fort, werden bis ins Jahr 2050 drei Viertel der Alpengletscher verschwunden sein», steht im Umweltbericht. Doch nicht jeder Trend in der Natur muss weiterlaufen wie bisher; es kommt immer auch auf den Menschen an.

Vor 12 000 Jahren übrigens waren die Alpen fast vollständig vergletschert. Und vor 5000 Jahren, da lebte noch immer kein Mensch hier. Und gleich unterhalb der Waldgrenze, die noch etwas höher reichte als heute, gab es nichts anderes als einen einzigen, dichten Wald. Dann kam der Mensch und rodete, leider bis hinauf in höchste Lagen. Er schuf Wiesen und Weiden und Äcker, und mit dem Menschen wanderten auch Pflanzen- und Tierarten ein, die es vorher nicht gab.

Vor zwanzig Jahren waren die letzten noch übrig gebliebenen Wälder Mitteleuropas vom Sterben bedroht. Heute jedoch sehen sogar wir Städter, wenn wir zum Wandern in die Berge hochkommen: Wald wächst nach. Er wächst wie wild. Je höher wir kommen, umso wilder. Und das hat mit dem Menschen zu tun. Weil der an gewissen Orten endlich damit aufhört, selbst die steilsten Hänge zu bewirtschaften. Sobald diese Wiesen nicht mehr geheut und auch nicht mehr beweidet werden, wachsen sie zu. Mit Wald. Ganze Täler entsiedeln sich und verwildern. Die Natur triumphiert über den Menschen; wenigstens in ein paar französischen, piemontesischen und Schweizer Alptälern.

Aber was passiert? Die Bedenkenträger melden sich zu Wort, eine bunte Koalition aus angeblichen Naturschützern und subventionierten Landschaftsgärtnern, die politisch links und rechts stehen, das Rütli neu entdecken und keck vorrechnen: In einer richtig gepflegten Wiese sei die Artenvielfalt zwei- bis dreimal so hoch wie im wild wachsenden Wald! Heuschrecken, Schmetterlinge, Alpenrosen! Gerade eine Alpwiese sei ein «Hot Spot der Biodiversität Europas», so eine Nationalfondsstudie.

Mit Verlaub: Das ist Bullshit, zu Deutsch Kuhmist, verantwortlich für 93 Prozent der Ammoniakemissionen. Nachwachsender Wald hingegen ist ein positiver Beitrag zur globalen CO2-Absorption, der uns nicht einmal etwas kostet, im Gegenteil, wir sparen Subventionen. Warum zum Teufel soll der Mensch mit aller Kraft Pflanzen- und Tierarten schützen, die in Zonen vorgedrungen sind, die von der Natur für diese Arten gar nicht vorgesehen sind? Selbst das Rütli wird schliesslich und endlich verganden und verwalden ­ sobald der Mensch ausgestorben ist.

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