Alle Energie für null Energie

05.11.2009, Schweizer Familie
In Abu Dhabi wird eine Ökostadt aus der Wüste gestampft. Nick Beglinger verfolgt dasselbe Ziel auf dem ehemaligen Flughafen in Dübendorf – ein Abu Dübi 05.11.2009, Schweizer Familie
Nick Beglinger hat Grosses vor. Auf dem brachliegenden Militärflugplatz in Dübendorf ZH will er der Welt beweisen: Was das arabische Emirat Abu Dhabi kann, können wir besser: eine neue Öko-Stadt hochziehen, die ohne Autos und ohne Ölheizungen auskommt. Die Energie holen wir gratis von der Sonne oder aus der Hitze des Erdinnerns. «Null Kohlendioxid-Ausstoss» lautet das erste Ziel, «null Müll» das zweite. Und falls trotzdem ein paar Kilo Abfall entstehen oder einige benzinbetriebene Lieferwagen in Neu-Dübendorf vorfahren sollten? Dann wird Nick Beglinger deswegen nicht verzweifeln. Entscheidend ist die richtige Richtung, die saubere Technik. «Cleantech Innovationspark Dübendorf» nennt er seine Idee.In der Presse kursiert ein kürzerer Titel, der besser trifft: «Abu Dübi».Wer ist Nick Beglinger? Ein Pionier? Ein Fantast, der dem Grössenwahn verfallen ist? Der 39-jährige Ökonom lacht. «Gigantismus» werde ihm oft vorgeworfen. Er sei Partner der Firma Maxmakers. Maxmakers ist ein Schweizer Bauberatungsunternehmen, aktiv in Entwicklungsländern. Die Hälfte der Kunden sind Regierungen, die andere Hälfte Investoren. «Der klassische Fall ist der Ölscheich, der viel Geld und ein Stück Land hat, aber nicht wirklich weiss, was er damit anstellen will.» Das ist kein Klischee, sondern die direkte Rede des Nick Beglinger. In der Folge schiessen mitten aus der Wüste gigantische Siedlungen empor, gebaut im amerikanischen Stil «mit dünnen Wändchen und dünnen Fenstern», sodass wir aus der Ferne erkennen: Die Araber, reich geworden dank dem Öl unter der Erde, verheizen das Öl in die Luft.

Null Müll, null Energie

Das aber ist nicht im Sinn des Nick Beglinger. In der Schweiz sitzt er im Vorstand von Minergie, einem Verein, der für effiziente Isolationen kämpft. 14 000 Gebäude erfüllen bereits den strengen Minergie-Standard. Zum Beispiel die beiden Sunrise-Türme in Zürich-Oerlikon, entwickelt vom Atelier WW. Zu diesen Zürcher Stararchitekten ging Nick Beglinger und fragte nach einem «Null-Energie-Haus fürs Wüstenklima». Wobei die Zahl «null» auf eine falsche Fährte lockt: Energie wird weiter verbraucht, aber ausschliesslich aus erneuerbaren Quellen. Technisch funktioniert das ökologische Wüstenhaus wie eine umgekehrte Solaranlage im Winterland: Das Licht der Sonne wird in elektrischen Strom verwandelt, mit diesem Strom wird Wasser gekühlt, das zur Abtemperierung der Innenräume benutzt wird. Und gegen aussen muss ein Wüstenhaus natürlich perfekt isoliert sein.

So geschah es im Jahre 2005, dass Nick Beglinger im Namen der damals unbekannten Firma Maxmakers aus der Schweiz in Abu Dhabi zur Beraterin der Regierung avancierte, die eine neue Stadt – «Masdar City» – aus der Wüste stampft, in der 40 000 Einwohner und 50 000 Pendler null Energie und null Müll produzieren sollen, so lautet zumindest das ehrgeizige Ziel. Seite an Seite mit den obersten Chefs von Masdar reiste Nick Beglinger zu Weltkonzernen, die sich zum nachhaltigen Wirtschaften bekennen. Vom Schweizer Zementkonzern Holcim über Siemens bis zu Google in Kalifornien. Alle hörten aufmerksam zu. Aber als der Zürcher Beglinger sie aufforderte, sie sollten nach Masdar kommen, lachten sie. Das könne er vergessen. Das Wichtigste für Google sind gut ausbildete junge Leute. Solche Leute wollen sicher nicht nach Abu Dhabi auswandern, sondern ins schöne Zürich.

Nick Beglinger zählt zur Sorte Mensch, der manchmal im Flieger sitzt, wenn er die Zeitung liest, was ökologisch sicher nicht korrekt ist. Dabei erfuhr er von einem Projekt aus seiner nächsten Umgebung. Zehn Minuten vom Stadtzentrum Zürich, zehn Minuten vom Flughafen Kloten entfernt soll auf dem früheren Militärflugplatz Dübendorf ein Innovationspark entstehen. Genutzt von Unternehmen, die sich mit zukunftsgerichteten Technologien befassen. Das Areal ist nicht 650 Hektaren gross wie in Masdar, aber mit 250 Hektaren für hiesige Verhältnisse riesig.

Ein paar Tage später wurde Nick Beglinger von der Schweizer Botschaft in Abu Dhabi eingeladen, das Projekt Masdar zu präsentieren. Zu Besuch war auch Bundesrätin Doris Leuthard. Beglinger redete lange, wie es seine Art ist. Am Ende weckte er das Publikum mit der Frage: «Und wie wärs, wenn wir so etwas für Dübendorf in der Schweiz denken?»

Doris Leuthard antwortete per Mail. Sie werde Moritz Leuenberger, den Energieminister, auf die Idee ansprechen. «Wow», merkte Nick Beglinger, «da kann etwas in Bewegung kommen.» Hier, bei uns in der Schweiz: «Abu Dhabi braucht bezogen auf die wirtschaftliche Leistung doppelt so viel Energie wie Amerika, Amerika doppelt so viel wie Europa, und in Europa steht die Schweiz am besten da. Wir sind Weltmeister bei der Wasserkraft, Weltmeister beim öffentlichen Verkehr, Weltmeister beim Recycling.» Wenn sich ein Land aufdränge als ökologisches Vorbild, dann die Schweiz, sagte sich Nick Beglinger.

Von der Wiege zur Wiege

Sein Plan für Dübendorf präsentiert sich rudimentär so: Die Hälfte der heutigen Wiese soll grün bleiben. Die besten Böden werden für Bio-Landwirtschaft reserviert. Ins Zentrum ziehen Institute der ETH ein, direkt neben einer neuen Station der Glattalbahn. Keine Wolkenkratzer richten sich auf, sondern etwa 6-stöckige Gebäude, dicht aneinandergebaut, gemischt genutzt für Forschung, Fabrikation, Kindergarten, Läden, Wohnungen, alles zusammen. Die heutige Autobahn wird vor dem Brüttiseller Kreuz unter den Boden verlegt, damit oberirdisch ein Fussweg frei wird hin zum Greifensee. Das «Businessmodell» skizziert Nick Beglinger so: Die Eidgenossenschaft, die das Land besitzt, gründet mit dem Kanton und der Gemeinde eine Stiftung. Diese Stiftung vergibt einzelne Parzellen im Baurecht weiter. Oberstes Kriterium für die Nutzung ist die Nachhaltigkeit: Eines der momentanen Lieblingsworte, die Nick Beglinger im Munde führt, lautet «cradle to cradle». Auf Deutsch: von der Wiege zur Wiege (statt zur Bahre). Gemäss diesem Prinzip muss das Polster eines Bürostuhls nicht unbedingt auf der Halde landen. Es könnte auch als Dünger dienen.

Für Nick Beglinger ist das keine Utopie. Aber als Lothar Ziörjen, der Stadtpräsident von Dübendorf, zum ersten Mal von Abu Dübi hörte, winkte er ab: «Man kann nicht Ideen aus der Wüste 1:1 in Dübendorf kopieren.» Bis heute sei weiterhin offen, ob der Flugbetrieb in Dübendorf endgültig verschwindet. Selbst FDP-Nationalrat und Unternehmer Ruedi Noser, der als Erster auf die Idee Innovationspark Dübendorf kam, will heute «noch nicht über Inhalte reden». Zuerst brauche es ein Gesetz auf Bundesebene, die neue kantonale Raumplanung und vieles mehr. «Das Ganze ist frühestens 2014 baureif.» In einer direkten Demokratie dauert es eben länger als im Emirat Abu Dhabi, bis Bagger auffahren.

Doch Nick Beglinger weibelt weiter, knüpft Kontakte, holt den Solarpionier Bertrand Piccard an Bord, gründet mit ihm einen Cleantech-Wirtschaftsverband. Und plant in Abu Dhabi ein geradezu reales Projekt. Auf 20 Hektar Fläche soll ein Dorf entstehen, das er «Swiss Village» nennt und zentral in Masdar liegt. Hier wird die Schweizer Botschaft einziehen, zusammen mit dem Baukonzern Implenia, Swiss Re und andern Schweizer Firmen. Die Fäden zieht die Handelsförderung Osec in Bundesbern. Als Bundesrat Moritz Leuenberger in Abu Dhabi angeflogen kam, um eine «Absichtserklärung» zu unterzeichnen, sass mit am Tisch: Nick Beglinger.

Foto Alex Buschor

Was ist Null-Energie?

Werden Kohle, Öl, Erdgas oder andere fossile Brennstoffe verbrannt, entsteht Kohlendioxid (CO2), das oft «Treibhausgas» genannt wird, weil es die Klimaerwärmung verursacht. Um den drohenden Klimakollaps zu verhindern, muss die Energie künftig aus andern, erneuerbaren Quellen stammen: von der Sonne, dem Wasser, dem Wind oder aus der Erde (Geothermik). Alle diese Verfahren sind erfunden, haben sich aber kommerziell noch nicht richtig durchgesetzt. Das arabische Wort «Masdar» übrigens heisst auf Deutsch «Quelle».

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