Klima- Poker Lässt sich der Klimawandel stoppen?

26.11.2009, Schweizer Familie
Lässt sich der Klimawandel stoppen? Ein Spielforscher beweist: Ja, vorausgesetzt, die Menschen spielen für und nicht gegeneinander. Dafür stehen die Chancen 50:50. 26.11.2009, Schweizer Familie
Das Klima geht uns alle an, sagt Manfred Milinski, Professor für Evolutionsbiologie der deutschen Max-Planck-Gesellschaft. Und erhebt den Zeigefinger. «Das Spiel mit dem Klima ist ein Spiel, das wir Menschen auf keinen Fall verlieren dürfen.»Um uns plastisch vor Augen zu führen, um was es geht, hat Milinski, wie es in der wissenschaftlichen Spieltheorie üblich ist, spezielle Regeln ausgetüftelt und ein Spiel erfunden, das die Realität simuliert. Sogleich hat der Professor dieses Spiel getestet: mit 200 Studenten. Aber es ist so simpel, dass es auch von jedem Schweizer Primarschüler nachgespielt werden könnte. Alles, was es dazu braucht, sind sechs Mitspieler und ein Häuflein Geld – echtes Geld.Alle sechs Spieler bekommen 40 Euro bar auf die Hand. Was von diesem «Startkapital» übrig bleibt, dürfen sie behalten. Es gibt also etwas zu verdienen. Freilich nur unter einer zwingenden Bedingung: Das Spiel muss «gut» ausgehen. «Gut» heisst: Die sechs Studenten dürfen nicht nur auf ihren eigenen Nutzen schauen. Sie sollen auf das Wohl der Gruppe achten. Sie müssen ein bisschen Solidarität üben. Alle. Obschon kein Einziger die Garantie hat, dass es die fünf andern ebenfalls tun.

Milinski nennt das ein «Dilemma», und auf dieses arbeitet er hin. Die Studenten sollen von ihren anfänglichen 40 Euro einen Teil auf ein sogenanntes «Klimakonto» investieren. Am Ende des Spiels müssen dort 120 Euro liegen. Kommt diese Summe nicht zusammen, verlieren alle sechs Studenten alles – egal, wie sie sich verhalten haben.

Der Schlüssel zum Glück

Nach genau diesem Muster läuft der globale Klimawandel ab: Ein Mensch allein, ein Dorf allein, eine Nation allein kann nichts ausrichten. Es nützt nichts, wenn zum Beispiel die Leute von Venedig freiwillig aufs Auto verzichten. Solange alle andern Erdenbürger fuhrwerken wie bisher (um die Welt jetten, dürftig isolierte Räume aufheizen, Regenwälder kahlschlagen, Kohle in Strom verwandeln), gelangen zu viele Treibhausgase in die Atmosphäre. Die Temperaturen steigen um mehr als ein Grad Celsius und die Meeresspiegel um mehr als einen halben Meter. Dann fliesst so viel Gletscherwasser den Berg hinab und ins Meer, dass in den Niederlanden alle Dämme brechen. Und wenn nicht Rotterdam im Meer versinkt, dann eben das Venedig, Vietnam, ganz Bangladesch und halb Nigeria. Oder wie Forscher Milinski warnt: «Der grösste Teil der bewohnten Erdoberfläche könnte unbewohnbar werden.»

Im Vergleich zu solchen Bedrohungen ist das Spiel mit den 40 Euro trivial. Vor allem ist es lösbar – und durchschaubar: Der Schlüssel zum gemeinsamen Glück springt den sechs Studenten sozusagen ins Auge: Investiert ein jeder 20 Euro, kommt die nötige Summe zusammen (6 x 20 = 120). Womit ein jeder 20 Euro behalten darf (40 minus 20 = 20). Vernunft und Logik sagen ein und dasselbe: Wer die eine Hälfte seines Startkapitals hergibt, hat die andere Hälfte für sich gewonnen. Sofern – und jetzt kommt der Knackpunkt –, sofern alle andern ebenfalls Vernunft und Logik walten lassen. Wie entsteht das nötige Vertrauen?

Das ist die Frage, die Milinski beantworten wollte. Sein Spiel ging über zehn Runden. In jeder Runde durfte jeder Teilnehmer entweder null, zwei oder vier Euro zum Schutz des Klimas «investieren», je nach Lust und Taktik. Die Studenten spielten anonym, doch die Zwischenresultate wurde ihnen mitgeteilt. Damit war den sechs jederzeit klar, was die fünf andern insgesamt taten. Spielten sie fair? Gaben sie im Schnitt die nötigen zwei Euro ab?

Das Schlussresultat

Im Spiel bestätigte sich, was aus früheren Experimenten bekannt ist: Am Anfang spielten die Studenten fair und warteten ab. In den nächsten Runden begannen die Ersten, auf ihren eigenen Vorteil zu schielen. Sie taten dies im Wissen, dass sie später «nachzahlen» könnten. Entscheidend wird ja erst das Schlussresultat sein.

Und dieses präsentierte sich wie folgt: Knapp die Hälfte aller Studentengruppen kam ans Ziel. Sie haben ihr «Gleichgewicht» gefunden, die geforderten 120 Euro gesammelt. Die zweite Hälfte der Studentengruppen ist gescheitert, einige knapp, die andern klar. Doch ob knapp oder klar: Alle verlieren in diesem Fall alles. «Ich war noch nie in meiner Arbeit so frustriert wie nach diesen Versuchen», bilanziert Übungsleiter Milinski. Zum Fehlschlag sei es gekommen, weil zu viele Studenten weniger Euro einzahlten als nötig gewesen wäre – in der Hoffnung, dass andere ihr Manko kompensieren würden. Oder wie es sprichwörtlich heisst: Zu viele wollten gratis auf dem Trittbrett mitfahren. «Das läuft auch in der wirklichen Klimapolitik so», fürchtet Milinski.

Im Spiel hat er nicht den Weltuntergang an die Wand gemalt. Dafür hat er die Studenten konkret gemahnt: «Wenn wir unseren CO2-Ausstoss nicht senken, werden Teile der Erde möglicherweise unbewohnbar.» Das Wörtchen «möglicherweise» hat er exakt beziffert: Deshalb änderte Milinski die Spielregeln und liess den Computer nach dem Zufallsprinzip entscheiden: In einem von zehn Fällen des Misserfolgs verlieren die Studenten ihr Startkapital nicht.

Wie sensibel wir Menschen auf Risiken reagieren, genau das hat Milinski mit seinem Spiel demonstrieren wollen. Darum liess er die Studentengruppen unter wechselnden Bedingungen zum Spiel vortraben. Zuerst, als die Studenten mit 90 Prozent Wahrscheinlichkeit ihr Geld verloren, kam immerhin knapp die Hälfte der Gruppen ans Ziel.

Danach würfelte der Computer «günstiger». Die Studenten verloren ihr Geld nicht mehr mit 90, sondern nur noch mit 50 oder 10 Prozent Wahrscheinlichkeit. Worauf die Studenten reagierten: Sofort sank ihre Solidarität gegen null. Unter solch «rosigen» Voraussetzungen hat fast keine Sechsergruppe die nötige Summe von 120 Euro auf dem «Klimakonto» gesammelt.

Schwarzmalen nützt nichts

Je geringer die erwartete Gefahr, umso kärglicher die Solidarität. «Dieses Experiment zeigt, dass man die Menschen von den noch zu erwartenden dramatischen Auswirkungen des Klimawandels überzeugen muss», meint Jochem Marotzke, Meteorologe am Max-Planck-Institut, der Milinskis Experiment begleitet hat. Erst wenn es den Naturwissenschaftlern gelinge, ihre Warnungen vor dem Klimaschock glaubhaft darzustellen, werde der Mensch zur kollektiven Vernunft fähig sein.

Trotzdem sollten Klimaforscher, wenn sie die Welt retten wollen, nicht übertreiben mit dem Schwarzmalen. Sonst glaubt ihnen am Ende niemand mehr. Beträgt das Risiko eines Totalschadens tatsächlich 90 Prozent, wie Milinski in seinem Spiel vorgab? Klimaforscher bezeichnen dieses Ausmass der Gefahr als «real». Aber Milinski ist sich bewusst, dass die «gefühlte» subjektive Gefahr heute tiefer liegt. «Entweder die Leute haben noch nichts davon gehört, dass wir unsern Ausstoss der Treibhausgase endlich reduzieren sollten, oder sie glauben den Journalisten und den Wissenschaftlern nicht, weil andere Horrorszenarien ja auch nicht eingetreten sind.» Erinnert sei an das Waldsterben oder den Rinderwahnsinn BSE.

Das nächste Spiel findet im Dezember in Kopenhagen statt: Am Welt-Klima-Gipfel wollen sich 192 Nationen einigen. Aus der Spieltheorie weiss man: Bei einer so hohen Zahl von Teilnehmern wird es schwierig. Sehr schwierig.

Was hilft die Spieltheorie? – Ein Film liefert die Antwort

Zehn Personen gehen auswärts essen. Die Rechnung wird abschliessend durch zehn geteilt. Was passiert? Alle bestellen ein bisschen mehr, als wenn sie für sich selber bezahlen müssten. Die Kosten werden schliesslich zu neun Zehnteln von den Tischgenossen subventioniert. Das gleiche Prinzip lässt sich in vielen Situationen beobachten: vom leeren Kühlschrank in der Wohngemeinschaft bis zur Überfischung von Gewässern. Wenn alle «rational» den eigenen Nutzen maximieren, leidet das Wohl der Gemeinschaft.

Hier setzt die Spieltheorie an, im wörtlichen Sinn. Wissenschafter erfinden Spiele mit Regeln, um das Verhalten von Menschen in Gruppen zu testen. Populär sind solche Experimente unter Psychologen, Soziologen, Politologen und besonders unter Ökonomen. Bis jetzt wurden vier Nobelpreise der Wirtschaftswissenschaften im Bereich Spieltheorie vergeben. Einer von ihnen ist gar weltberühmt: John Nash, dessen Leben von Hollywood verfilmt wurde («A Beautiful Mind»). In einer Szene sitzt der junge John Nash, gespielt von Russell Crowe, mit drei Kollegen in einer Bar. Es treten auf: fünf junge Frauen; von denen eine besonders attraktiv ist. Normalerweise würden die Männer nun um die Schönste buhlen. Doch John Nash warnt seine Freunde: Das wäre eine Beleidigung für die vier andern, ebenfalls schönen Frauen. Viel besser wäre, sie würden sich ausschliesslich den vier etwas weniger attraktiven Frauen widmen. Dann gehe der Abend für sie alle auf: die vier Männer, vier Frauen und nur für eine nicht.

Klimakonferenzen – Von Kyoto bis Kopenhagen

Jedes Jahr im Dezember findet eine Uno-Klimakonferenz statt. 1997 wurde in Kyoto (Japan) das berühmte Kyoto-Protokoll beschlossen: Darin haben sich die Industrieländer verpflichtet, ihren jährlichen Ausstoss von Treibhausgasen (CO2) um durchschnittlich 5,2 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren. Aber ausgerechnet die USA, das Land mit den meisten Treibhausgasen, haben dieses Protokoll bis heute nicht ratifiziert.

Am 7. Dezember beginnt die nächste Konferenz in Kopenhagen. Im Vorfeld machten europäische Länder Druck auf ein neues Abkommen, welches das Kyoto-Protokoll ersetzen und diesmal von wirklich allen Ländern unterzeichnet werden soll, inklusive der USA. Auch das stark wachsende China soll neu mit verpflichtet werden. Ob das gelingt?

Übersicht