Auf den Mann spielen Was unterscheidet enien Fussball-Holigan vom Investement-Banker?

Was unterscheidet enien Fussball-Holigan vom Investement-Banker?
11.06.2009, Schweizer Familie
Denkpause
Schuld sind immer die paar wenigen. Es waren zweihundert, höchstens dreihundert Angestellte im Bereich des Investment-Bankings, die bei der UBS einen Schaden in noch unbezifferbarer Höhe angerichtet haben, den letztlich wir Steuerzahler solidarisch ersetzen werden. Ähnlich wenige haben am Strassenkampf nach dem Spiel zwischen dem FC Basel und dem FC Zürich oder nach dem Cupfinal im Bahnhof Bern randaliert, geprügelt, das Massenfest gestört und den Landfrieden gebrochen. In jedem Fall waren es kleine, eigentlich überschaubare Tätergruppen.Das gemeine Volk wüsste, wie auf solche Ausnahmeerscheinungen zu reagieren wäre, draussen vor den Stadien, drinnen in den Banken. Man müsse das Übel bei der Wurzel packen, heisst es. Mit aller Härte. Scharfen Sanktionen. «Null Toleranz», wie sich Politiker ausdrücken. Wer sich dem jeweiligen Milieu annähert, merkt bald, wie weltfremd diese Rhetorik ist. Kein Fussballclub und schon gar kein Bankverein sägt am Ast, auf dem er selber sitzt. Ein Geldhaus, das seine Investmentbanker pauschal mit einem «Hausverbot» belegt, wirft das Handtuch. Nimmt sich selber aus dem Spiel. Verzichtet freiwillig auf den Schuss des Elfmeters. Würde also etwas tun, was im Ernst kein Politiker verlangen kann.Demonstrativ anständigDie UBS hat es doch nicht einmal gewagt, jenen zwei-, dreihundert, die das Schlamassel angerichtet haben, nachträglich den Lohn zu kürzen. Im Gegenteil: In der Zwischenzeit erhöhen Grübel, Villiger & Co. gewisse Saläre, ausgerechnet bei den Investmentbankern, ausgerechnet in Zeiten der Krise. Schliesslich will die neue, staatlich gerettete UBS in Zukunft ein attraktiver Arbeitsplatz sein für die Klügsten und Mutigsten dieser Welt.

Dasselbe Spiel im St.-Jakob-Park. Die Jüngsten und Kühnsten, Stürmerstars wie Derdiyok, Rakitic, Caicedo, sind nicht zu halten. Doch wie traurig käme es heraus, wenn die ganze Muttenzer Kurve ausgesperrt würde? Vor drei Jahren haben wir es erlebt, als der FC Basel, um Ausschreitungen zu verhindern, für Auswärtsspiele einen Fan-Pass einführen wollte. Subito protestierten die Fans an den Heimspielen – indem sie demonstrativ anständig blieben. Kein Schlachtlied mehr, keine Fackel, kein Feuerwerk. Nichts. Eine einzige Depression herrschte im Rund des Stadions. Traf ein Spieler ins Tor, klatschten die Damen und Herren auf der Haupttribüne so heftig in ihre Hände, dass den Kindern im Family-Corner die Tränen kamen.

Ruf nach totaler Überwachung

Das Exempel zeigt: Als ganze Gruppe lassen sich diese Übeltäter nicht bestrafen. Und als Einzelpersonen halten sie sich an keinen Paragrafen. Unter den wenigen fehlbaren Investmentbankern koksen einige, ohne dass ihre Chefs kollektive Urinkontrollen androhen. Unter den wenigen wirklichen Hooligans kiffen die meisten. Nun rufen Politiker von links bis rechts nach strikten Alkoholverboten. Totalen Überwachungen per Video. Nach Kontrollen. Scharfen Kontrollen. Ganz scharfen Kontrollen. Doch was genau soll kontrolliert werden? Wer durchschaut wirklich, was ein «Credit Default Swap» ist? Wer kennt sich aus bei «Collateralized Debt Obligations»? Wer weiss, welche Bretterbuden in verbrieften Hypotheken gebündelt werden?

Ich weiss es nicht. Aber ich weiss inzwischen, dass es die internen Kontrolleure der UBS auch nicht so genau wussten. In der Folge brachte eine Schar von zweihundert, dreihundert Individuen die grösste Schweizer Bank ins Wanken.

Ganz ähnlich läuft eine Eingangskontrolle ins Stadion ab: Von aussen sieht man einer «Pyro» offenbar nicht an, dass ein bengalisches Feuer drinsteckt – bis es effektiv in Flammen aufgeht. Was dann rechtzeitig nach jedem Tor in der Axpo Super League und pünktlich beim Ankick zur zweiten Halbzeit geschieht.

Wo die betriebseigenen Kontrollen derart augenscheinlich versagen, muss der Staat einspringen: mit Hilfe der Polizei oder der Finanzmarktaufsicht. Also mit Institutionen, die bei Hochrisikospielen und Hochrisikogeschäften schnell überfordert sind. Konsequenterweise wird die eidgenössische Finanzmarktaufsicht von einem Mann geführt, der früher in der UBS hätte für Ordnung sorgen müssen. Auch die Basler Kantonspolizei stellt in der Praxis auf jene Sozialarbeiter ab, denen der FC Basel im Rahmen seiner Fan-Arbeit den Lohn überweist.

Ich meine das nicht als Vorwurf an die Adresse der Finanzmarktaufsicht oder an die Adresse der Polizei. Nein: Ich sehe hier den einzigen Ausweg aus der wütenden Subprime-Hooligan-Krise. Der Staat muss sich darauf verlassen können, dass die Banken, die Clubs und wir alle am selben Seil ziehen – selbständig und autonom. Indem wir die wenigen Einzeltäter an die Kandare oder eben an die Hand nehmen. Schön nach Szene gemäss den dort üblichen Sitten und Bräuchen.

Abgestrafter Ospel

Wie gut diese Selbstregulierung funktionieren könnte, hat ausgerechnet Marcel Ospel vorgeführt. Er musste keinen Bonus zurückzahlen oder Bussen abtragen. Stattdessen wurde er sozial abgestraft. Von den eigenen Reihen. Auf eine Art und Weise, dass es ihm weh tun musste. Als sich Marcel Ospel eines Abends wie gewohnt in der Zürcher Kronenhalle an den Tisch Nummer 9 setzen wollte, wurde er nicht ausgebuht oder angepöbelt, das gehört sich nicht in diesen Kreisen. Aber das Publikum begann, mit den Fingern auf die Tische zu trommeln. Bis dem Basler Fasnächtler klar wurde, dass er im Zürcher Edellokal nichts mehr zu suchen hat.

Dasselbe Muster von Sühne und Strafe wird nun auf die Rampe der Hooligans hinausgetragen. Gezielte soziale Ausgrenzung, lautet das Motto. Bundesrat Ueli Maurer spricht von «De-Anonymisierung». Via Internet sollen die Gesichter der prügelnden, urinierenden, Raketen zündenden Fans an den Pranger gestellt werden. Oder um es in der Sprache der Sportreporter zu sagen: Man spielt auf den Mann. Das mag etwas hinterhältig sein. Aber es wirkt. Sowohl auf dem Fussball- wie auf dem Finanzplatz.

Was meinen Sie?

Haben Hooligans und Banker etwas gemeinsam?

Wie sollen die wenigen Schuldigen bestraft werden?

Braucht es mehr Staat oder mehr soziale Kontrolle?

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Markus Schneider, 49, war früher «Weltwoche»-Autor und «Bilanz»-Koluminst. Seit April arbeitet er bei der «Schweizer Familie. Vor kurzem erschien sein neues Buch: «Grimassenherz. Eine Reise zurück ins Leben.» www.echtzeit.ch/ schweizerfamilie

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