Seit Jahren läuft die Debatte um exzessive Löhne und Boni immer hitziger und trotzdem ins Leere. Wer stoppt die Abzocker? Viel Geld verlangt ein bisschen Anstand, sagt unser Autor und formuliert drei simple Regeln.Noch bevor die Abzocker als «Abzocker» beschimpft wurden und schliesslich in die Schweiz eingedrungen waren, sah Jesus seine Jünger an und klagte: «Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen!» Die Jünger waren über seine Worte bestürzt. Doch Jesus meinte: «Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.»So dreht und dreht sich die Debatte bis zum heutigen Tag, da der Dalai Lama, die ferne Schweiz besuchend, «mehr Bescheidenheit und weniger Gier, mehr Spiritualität und weniger Materialismus» predigt. Doch eher wird der Pfarrerssohn und Multimilliardär Christoph Blocher zum Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen ernannt, als dass die Abzocker selbstverantwortlich Mass halten. Egal, ob Marcel Ospel oder Oswald Grübel die obersten Herren der UBS wollen so viel wert sein wie Brady Dougan bei der CS.
Das nämlich war das erste Versagen im Kampf gegen die Abzockerei: Man rief nach Transparenz und dachte, wenn alle Leute erfahren, wie viel die wenigen ganz oben absahnen, kommen diese wenigen von allein zur Vernunft.
Das Gegenteil geschah: Spitzenmanager und Verwaltungsratspräsidenten fordern, als wären sie Gewerkschafter: «Gleicher Lohn für gleiche Verantwortung.» Seit die Löhne von Vasella & Co. auf die Mil-lionen vor dem Komma publik sind, will Paul Bulcke, der neue Chef von Nestlé, gleich viel in seiner Tüte. Dieses bunte Treiben und Übertreiben fordert die Politiker direkt auf, sich einzumischen. Heute bezichtigt die Spitze der FDP die Spitze der CS, «das liberale Wirtschaftssystem zu untergraben». Für die dortigen «exzessiven Boni» verantwortlich zeichnen: zahlende «Freunde der FDP».
Und wenn bald die populäre «Anti-Abzocker-Initiative» des braven Mundwasserunternehmers Thomas Minder vors Volk kommt? Dann stimmt die Mehrheit, wenn nicht alles täuscht, zu im festen Bewusstsein, dass sich deswegen nichts ändern wird. Bereits haben Minders «Freunde der SVP» zum Umweg geblasen: Sie wollen zuerst die Rechte der Aktionäre per Gesetz stärken, als ob Aktionäre in der kapitalistischen Schweiz unterdrückt werden wie Mönche in Tibet von der kommunistischen Partei Chinas.
Unterdessen fordert der Bundesrat in corpore Sondersteuern auf besonders hohe Boni im Finanzsektor. Diese neue Steuer wird mit hundertprozentiger Sicherheit umgangen, wie jeder ältere Bürger-liche ahnt. Jüngere Sozialdemokraten hingegen sammeln Unterschriften für ihre Losung, wonach der höchste Lohn nicht höher sein darf «als das Zwölffache des tiefsten vom gleichen Unternehmen bezahlten Lohnes». Dieser Wunsch führt wohl oder übel ins akademische Rätselraten, wie hoch die hohen Löhne effektiv sind. Es gibt wenige fixe, viele variable Lohnbestandteile und genug undurchschaubare Bonus-programme.
Fassen wir zusammen: Alles deutet darauf hin, dass nichts geschehen wird. Appelle an Ethik und Selbstverantwortung verpuffen im Nichts. Bemühungen der Politik enden im Dschungel der Paragrafen. Und der Rückgriff auf die Religion führt die Schuldigen nicht unbedingt in die Hölle. Was bleibt?
Ich schlage vor: drei Regeln, nicht völlig frei von Moralin, aber simpel und verständlich für Dumme und Kluge, Gläubige und Ungläubige, Notleidende und Wohlhabende. Schön unter dem Motto: Noch ist die Schweiz ein fantastischer Ort für die Reichen. Noch dürfen sie Tram fahren wie du und ich. Noch dürfen sie jedes Fussballstadion betreten, sie werden nicht angepöbelt. Noch müssen sie sich nicht in Villen hinter hohen Mauern einbunkern und von Sicherheitskräften bewachen lassen wie die Oligarchen von Moskau, Manila oder Bogotá. Noch lange nicht.
Sofern die Reichen in der Schweiz nur drei Regeln einhalten.
Regel 1: Man kann seinen Erfolg erklären
Und zwar so, dass es «die Frau von der Strasse» oder «der Mann an der Werkbank» begreift. Nicolas G. Hayek, ursprünglich ein Einwanderer aus dem Libanon, muss sich vor niemandem rechtfertigen. Bruno Bencivenga auch nicht: Der Secondo aus Italien, Sohn eines Gipsers, gelernter Verkäufer aus Rapperswil SG, hat die Marke Navyboot erfunden. Sobald die 300 Reichsten der Schweiz, die vom «Wirtschaftsmagazin» aufgelistet werden, echte Erfolge vorzuweisen haben, rümpft niemand die Nase. Echte Erfolge sind unternehmerische Leistungen wie Swatch-Uhren, Kambly-Biskuits, Rivella-Getränke, Sulzer-Gelenke, Phonak-Hörgeräte, Logitech-Computermäuse, Kaba-Schlösser, Forster-Küchen, Schindler-Aufzüge, Vögele-Kleider, Villiger-Stumpen, Ricola-Kräuterperlen, Sprüngli-Luxemburgerli, Nespresso-Kapseln, Valium-Tabletten.
Regel 2: Man werde nicht zu schnell reich
Auf dem Finanzplatz Schweiz sind Draufgänger auffallend schnell auffallend reich geworden und auffallend oft gestrauchelt. Nach dem Fall von Werner K. Rey oder von Martin Ebner kam da und dort sogar Freude auf. War das Schadenfreude? Oder regte sich «der gesunde Menschenverstand», den die Briten Common Sense nennen? Niemand darf zu schnell zu reich werden.
Regel 3: Man gebe etwas zurück
Zurückgeben heisst: Steuern zahlen, Stiftungen gründen, Lehrlinge ausbilden, Kultur fördern. «Giving back», sagen die Amerikaner. Der reichste Mann der Welt, Bill Gates, hat zusammen mit seiner Frau Melinda die grösste Stiftung der Welt erschaffen. Begriffen hat dieses Prinzip auch ein junger, sympathischer Kerl aus Baselland, der unter seinem Namen in Südafrika eine Stiftung gegründet hat zur Förderung von benachteiligten Kindern und der auch als Unicef-Botschafter um die Welt reist: Roger Federer. Ja, auch er ist schnell reich geworden. Aber er kann erklären, wie und warum. Und er gibt bereits zurück.
Das sind gute Manieren. Sie erinnern an Adolph Freiherr Knigge. Der verzichtete auf das «von» in seinem Namen, freiwillig. Der verlangte keine weissen Tischtücher, kein richtig platziertes Gedeck. Im Kern ging es Knigge um den Satz: «Achte dich selbst, wenn du willst, dass andere dich achten sollen!»
Im Kern ging es Adolph Freiherr Knigge um den Satz: «Achte dich selbst, wenn du willst,
dass andere dich achten sollen.»
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Markus Schneider, 50, Journalist und Buchautor, ist ständiger Mitarbeiter der
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