«Eigentlich habe ich es kommen sehen»

Interview mit Doris und Charles Meyer über Krisen, Kränkungen und knallharte Entscheide
03.06.2010, Schweizer Familie
Schweizer Familie: Ihr seid seit 36 Jahren ein Paar und schreibt jetzt ein Buch mit dem Titel «Mein Mann hat eine Jüngere!». Was war der Anstoss?Doris Meyer: Dass wir in unserem Umfeld von immer mehr Fällen gehört haben. Das Thema hat sich als spannend erwiesen.Keine eigenen Erfahrungen?Charles Meyer: Krisen gibt es in jeder Beziehung.

Doris Meyer: 36 Jahre lang schafft es kein Paar ohne Probleme. Probleme aller Gattung.

Warum sucht sich ein Mann eine jüngere Frau?

Charles Meyer: Er sucht sich gar keine. Es passiert ihm. Er trifft eine junge Schöne, die himmelt ihn an, das lockt.

Und wie reagieren die Frauen?

Doris Meyer: Alle Frauen, die ich interviewt habe, haben nochmals gekämpft. Warum sollte ihre Beziehung auch Knall auf Fall vorbei sein? Vielleicht wars nicht mehr «der Wahnsinn», aber es war «okay». Die Frauen dachten, sie hätten guten Sex, hätten sich mit ihrem Mann verstanden, wären gute Partner gewesen. Plötzlich soll alles anders sein, aus heiterem Himmel. Plötzlich wissen die Frauen nicht mehr: Wer ist dieser Typ neben mir eigentlich? Der benimmt sich völlig anders! Auch das Umfeld war überrascht, da hat niemand die Krise kommen sehen.

Charles Meyer: Halt, ganz so einfach ist es nicht. Man merkt, wenn eine Beziehung nicht mehr lebt. Im Nachhinein müssen die meisten, wenn sie ehrlich sind, zugeben: «Eigentlich habe ich es kommen sehen.»

Wie und woran sieht man das?

Charles Meyer: Lebt eine langjährige Beziehung nicht mehr, fressen das die Männer in sich hinein – und werden irgendwann überschwemmt von dem, was ihnen seit Jahren fehlt. Um die 40 kommen sie in eine Sinnkrise. Sobald das erste Kind auf die Welt kommt, verliert der Mann seine Frau – und erhält eine Mutter. Männer werden bei der Geburt ihrer Kinder entthront. Das ist eine Kränkung. Sie sind nicht mehr Männer, sondern Väter und Verdiener, die ihrer Frau Partner sein sollten. Und wenn dann mit 40 oder 50 eine schöne, junge Frau daherkommt …

Die Männer, die ihr beschreibt, ver-lassen die Frau erst, wenn ihre Kinder Teenager sind. Diese Männer hatten zehn, fünfzehn Jahre Zeit, sich an ihre Vaterrolle zu gewöhnen.

Doris Meyer: Sollte man meinen. Trotzdem wirkt diese Kränkung offenbar nach. Das zeigt sich, wenn die neuen Paare wieder ein Kind haben. Dann muss oft die neue Frau – die Jüngere – ihren älteren Mann zum Paartherapeuten schleppen. Frauen definieren «Beziehung» anders als Männer. Frauen wissen, die Welt ist nicht ewig rosarot. An einer Beziehung muss man arbeiten. Aber wenn man das tut, kann man es schaffen.

Der Mann verlässt wegen der Jüngeren nicht nur seine Frau, sondern auch seine Kinder. Geht das so locker?

Charles Meyer: Dieser Entscheid ist knallhart. So hart, dass man ihn innerlich nur vertreten kann, wenn man alles andere ausblendet. So funktionieren Männer. Den Schmerz, den sie nebenbei anrichten, schauen sie gar nicht an. Sonst müssten sie sich ja hinterfragen.

Hat der Mann keine Angst vor dem Endgültigen? Er kann nicht einfach wieder zurückkehren.

Doris Meyer: Einige Männer denken schon, dass das geht. Wir haben solche getroffen, die wollten weiterhin abends heimkommen, die Kinder sehen, und die Frau kocht das Essen. Den Service würden sie nehmen – nur die Liebe, die Aufregung, wollen sie bei der Jüngeren erleben.

Was kann die Frau dagegen tun? Den Mann unter Druck setzen?

Doris Meyer: Es ist gefährlich, einen Ratschlag zu geben. Jede Frau muss auf sich selber hören. Ich für mich würde nicht zu schnell alles über Bord werfen. Klar, es ist eine Riesenverletzung. Knall auf Fall wird die Frau ausgetauscht gegen das jüngere Modell. All die Emotionen sind weg, alles, was die frühere Beziehung ausgemacht hat, alles weg.

Charles Meyer: Einer unserer Interviewpartner hat gesagt: «Gegen den Körper einer Jüngeren hat meine Frau keine Chance.»

Das gilt umgekehrt auch. Jede Frau könnte sagen: «Gegen den Körper eines Jüngeren hat mein Mann kein Chance.» Warum sagen das Frauen nicht?

Doris Meyer: Immer öfter tun sie es. Aber sie tun es im Bewusstsein, dass sie, wenn sie sich heute auf einen Jüngeren einlassen, in zehn Jahren immer noch zehn Jahre älter sein werden. Männer haben da nicht die geringsten Selbstzweifel.

Charles Meyer: Ein Mann, der eine Jüngere – eine Tochter – nimmt, ist gesellschaftlich attraktiver als ein Mann, der eine Ältere – eine Mutter – nimmt. Da denken alle, der hat einen Mutterkomplex.

Gegenüber einer Jüngeren ist der Mann total überlegen: bezüglich Status,

Karriere, Geld, Ausbildung, Erfahrungen. Will ein älter werdender Mann einfach bewundert werden?

Charles Meyer: Das ist die Sehnsucht jedes Mannes. In der Firma steht er heute extrem unter Druck. Und daheim sagt seine Partnerin: Bitte stecke die Wäsche in die Maschine.

Was soll sie denn sonst tun? Ihn bedienen, anhimmeln?

Doris Meyer: Partnerschaft bedingt, dass man sich gegenseitig ernst nimmt. Ich finde meinen Mann gut, aber ich weiss, welche Fehler und welche Probleme er hat. Ich weiss, wo er nicht funktioniert, und ich weiss, wo er funktioniert. Ich stelle ihn ebenso wenig auf ein Podest wie er mich.

Charles Meyer: In einer Beziehung zwischen einem älteren Mann und einer jüngeren Frau wird sich das Gefälle mit der Zeit ebenfalls ein bisschen ausgleichen. Die junge Frau will auch ernst genommen werden. Spätestens wenn ein Kind kommt, beginnt alles nochmals von vorn.

Dann nimmt sich der Mann eine nochmals Jüngere?

Doris Meyer: Einer unserer Interviewpartner hat das viermal gemacht, und mit drei Jüngeren hat er Kinder gezeugt. Seine jüngsten Kinder sind heute jünger als die Kinder seiner ältesten Tochter.

Wie habt ihr solche Fälle gefunden?

Charles Meyer: Aus unserem Bekanntenkreis. Fast alle unserer Freunde konnten uns mit Fällen weiterhelfen.

Doris Meyer: Selbstverständlich ist es auch ein einkommensabhängiges Phänomen. Der Bauarbeiter, der seine Familie verlässt wegen einer Jüngeren – diesen Bauarbeiter haben wir nicht gefunden. Das Alter des Mannes muss kompensiert werden durch Geld und Status,

Ihr seid seit 36 Jahren ein Paar, wohnt zusammen, arbeitet zusammen, schreibt zusammen ein Buch. Wie haltet ihr das aus?

Charles Meyer: Mit unglaublich vielen Konflikten von morgens früh bis abends spät. Aber wir schaffen es.

Doris Meyer: Als Coach für Paare können wir nur sagen: Achtet auf eure Beziehung, tut etwas dafür – das Auto gibt man ja auch regelmässig in den Service.

Fotos Cortis & Sonderegger

Coaching für Paare

Charles Meyer / Doris Carmen

Meyer: «Mein Mann hat eine

Jüngere! Wenn Männer ausser

Kontrolle geraten.» Orell Füssli Verlag, 2010,

190 Seiten, 34.90 Franken.

Charles Meyer, 57, studierte Organisationspsychologie, Literatur und Philosophie. Früher arbeitete er als Journalist. Seit 2002 ist er Unternehmensberater und Coach für Männer und Teams. In seinem Wohnort Cham ZG amtiert er als Gemeinderat der Grünen Partei.

Doris Carmen Meyer, 54, ist Journalistin, zurzeit in Weiter- bildung als systemischer Coach.

Zusammen bieten Charles und Doris Meyer Coaching für Paare an.

www.meyermeyer.ch

www.charlesmeyer.ch

Buch: Charles Meyer / Doris Carmen Meyer: «Mein Mann hat eine Jüngere! Wenn Männer ausser Kontrolle geraten.» Orell Füssli Verlag, 2010, 190 Seiten, 34.90 Franken.

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