Weltverbesserer im Anzug

Die Mächtigen der Welt treffen sich am WEF in Davos zum Gedankenaustausch. Wer und was steckt hinter diesem Anlass?
20.01.2011, Schweizer Familie
Text Markus Schneider

 

Was ist das WEF?

Die Abkürzung für World Economic Forum (Weltwirtschaftsforum). Dahinter steht eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Coligny, einem Vorort von Genf, gegründet von Klaus Schwab. Berühmt ist das WEF, weil es seit 1971 jeweils Ende Januar sein viertägiges Jahrestreffen in Davos abhält, an dem «die ganze Welt» teilnimmt: Konzernleiter, Regierungschefs, Wissenschaftler, Journalisten.

Warum in Davos?

Klaus Schwab, passionierter Schwimmer, trainiert täglich. 1969 crawlte er im Hallenbad von Davos, blickte durchs Glasfenster, sah das im Bau befindliche Kongresszentrum und wusste: Das ist der Ort, wo sich die höchsten Wirtschaftsführer treffen sollen.

Zu welchem Zweck?

Der damals 32 Jahre junge Professor für Betriebswirtschaft der Uni Genf machte sich Sorgen um das träge Europa, während in den USA neue Technologien und neue Managementmethoden schnell Fuss fassten. Diesen Rückstand wollte Klaus Schwab aufholen. Am Anfang war Davos kein globales, sondern ein Europäisches Management Forum. Zu Gast waren Robert Holzach, Chef der UBS, die noch «Schweizerische Bankgesellschaft» hiess. Oder Armin Baltensweiler, Chef der Swissair, die es damals noch gab. Organisiert wurde das erste Treffen von der Sachbearbeiterin Hilde Stoll, die im selben Jahr Schwabs Ehefrau wurde. Seither steht Hilde an der Seite von Klaus – Jahr für Jahr sind die beiden Gastgeber von Davos.

Seit wann kommen höchste Politiker?

1974, als die Ölkrise ausbrach, kam US-Aussenminister Henry Kissinger. Und machte die «Managerschule» (Klaus Schwab) zur «globalen Plattform», auf der Lösungen diskutiert werden. Dies unter dem ehrgeizigen Motto «to improve the state of the wold». Was auf Deutsch heisst: Die globale Elite will in den Schweizer Bergen die Welt verbessern, abseits ihrer gewohnten Umgebung. Klaus Schwab wünscht, dass seine Gäste während des Tages keine Krawatte tragen.

Wer darf kommen?

Man muss eingeladen werden von Klaus Schwab. Die Hälfte der Teilnehmer kommt aus der Businesswelt. Dieser Weg geht so: Man wird oberster Chef eines Weltkonzerns, der Mitglied ist beim WEF. Es gibt immer genau tausend Mitglieder, die ihre Bedeutung als Weltkonzern laufend neu beweisen müssen. Zudem müssen sie einen Obolus abgeben: den Mitgliederbeitrag von 42 500 Franken pro Jahr. Der Aufenthalt in Davos kostet dann 18 000 Franken pro Kopf. Die zweite Hälfte der Teilnehmenden von «Davos» sind Entscheidungsträger aus Politik, Wissenschaft, Gewerkschaften, Religionen usw. Dazu zählen auch 200 Medienschaffende aus der ganzen Welt.

Haben Kritiker eine Chance?

Klaus Schwab entwickelte als Professor die Theorie, dass Unternehmer nicht nur für ihre Aktionäre («Shareholder») Werte schaffen sollen, sondern auch für ihre «Stakeholder»: für Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, für Städte und Gemeinden, in denen sie tätig sind. In diesem Sinn hat Klaus Schwab von Anfang an gezielt kritische Köpfe ausgewählt und nach Davos geladen: den Schweizer Umweltschützer Franz Weber, die indische Feministin Vandana Shiva, Greenpeace-Chef Thilo Bode, Schriftsteller Umberto Eco. Eine Einladung abgelehnt hat der französische Bauernführer José Bové. «Der hat sich lieber an die Spitze der Demonstranten gestellt, die nachher die Schaufenster von Mc Donald’s zertrümmerten», so Klaus Schwab (Mc Donald’s gehört zu den zahlenden WEF-Mitgliedern).

Welche Reaktion zeigen WEF-Teilnehmer bei Kritik?

Letztes Jahr hielt der französische Präsident Nicolas Sarkozy zur Eröffnung eine Brandrede gegen die Boni der Bankiers. Einige verliessen empört den Saal. Joe Ackermann, der oberste Chef der Deutschen Bank, blieb. Neben ihm sass Klaus Schwab, und der fühlte sich wohl. Seiner Meinung nach darf ein Manager «nicht mehr als eine Million» verdienen. Mit einer Million im Jahr könne man «ein tolles Leben» führen. Wer mehr verlange, dürfe nicht bloss Angestellter sein, der müsse «das unternehmerische Risiko» tragen.

Was lernen WEF-Teilnehmer?

Als Nelson Mandela zum ersten Mal nach Davos kam, wollte seine Partei die privaten Firmen verstaatlichen. In Davos traf Mandela auf Li Peng, den chinesischen Ministerpräsidenten. Der erzählte ihm beim Nachtessen, wie grossartig sich China dank privaten Unternehmertums entwickle. Li Peng überzeugte Mandela, und darauf überzeugte Mandela seine Partei, ihre Forderung nach Verstaatlichungen aufzugeben. Klaus Schwab: «Das ist das, was Davos ausmacht: diese persönlichen Treffen.»

Warum wird immer wieder gegen das WEF demonstriert?

Als eine Versammlung der Mächtigen ist es eben auch ein Symbol der Macht. Die vielen Wirtschaftsführer verkörpern die Globalisierung, das Zusammenwachsen der Weltwirtschaft zu einem grossen Marktplatz. Dabei gibt es aber auch Verlierer. Wer für alternative Politik- und Wirtschaftsmodelle einsteht, hat in Davos einmal im Jahr eine viel beachtete Bühne.

Könnte das WEF in die Geschichte eingehen?

Im Januar 1986 schüttelte der griechische Regierungschef Papandreou in Davos die Hand des türkischen Ministerpräsidenten Özal – zu einem Zeitpunkt, als die beiden Länder zum Krieg gegeneinander mobil machten. Im Januar 1987 rief der deutsche Aussenminister Hans-Dieter Genscher seine Zuhörer am WEF auf: «Gebt Gorbatschow eine Chance.» Im Januar 1990 traf Helmut Kohl in Davos Hans Modrow, den Regierungschef der damals noch existierenden DDR. Das war vielleicht einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg zur deutschen Wiedervereinigung, die im Oktober desselben Jahres vollzogen wurde.

Was ist 2011 das Motto?

«Gemeinsame Normen für eine neue Realität». Das WEF will die G 20, die Gruppe der 20 grössten Industrieländer, unterstützen, neue Regeln zu finden, welche zukünftige Finanzkrisen verhindern, und dabei helfen, solidarische Massnahmen zu beschliessen, welche die Weltwirtschaft ankurbeln.

Was tut das WEF im übrigen Jahr?

Es publiziert Studien, etwa über die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Staaten. Hier steht die Schweiz zurzeit übrigens auf Platz 1. Zudem führt das WEF Initiativen und Arbeitsgruppen zu Themen wie Klima, Gesundheit, Korruption. Neu bietet es einen eigenen dreijährigen Studiengang an.

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) findet vom 26. bis zum 30. Januar in Davos statt. www.weforum.org

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