Mein Name ist Heilig

Eine kleine Bitte an alle Frauen und Männer, die heiraten: Bleiben Sie Ihrem ledigen Namen treu. verzichten Sie auf Doppelnamen. Danke.
27.01.2011, Schweizer Familie
Die letztjährige Bundespräsidentin stand mir näher als die neue. Das kommt nicht davon, dass die neue aus Genf stammt und die alte aus dem Aargau. Meine Distanz zur Neuen liegt an ihrem Namen. Genauer: an ihrem Doppelnamen. Ich habe es einfach nicht so gern, wenn mir eine Frau zur Begrüssung mitteilt: Ich bin im Fall verheiratet.Dabei klingen die drei Silben Calmy-Rey auch in meinen Ohren rhythmisch und sympathisch, verbunden mit dem Vornamen sogar charmant. Doch geht es mir nicht um den Klang allein. Ein Name ist ein Name und kein Ausweis für eine Leistung. Sondern immer das Resultat eines Zufalls.

Bei der Geburt hiess die neue Bundespräsidentin schlicht Micheline Rey. Zwanzig Jahre später heiratete sie einen Mann, der kraft seiner Geburt schlicht André Calmy hiess. Man schrieb das Jahr 1966, Micheline war eine junge Studentin und hatte keine Wahl: Sie musste ihren Namen, um ihn zu behalten, dem seinen hinten anstellen, mit Bindestrich dazwischen. Als Micheline später ihre politische Karriere startete, trat sie an, wie es damals Sitte und Gesetz war: unter dem Doppelnamen Calmy-Rey.

«Im Umgang mit der Behörde»

Frauen, die später heirateten, hatten es besser. Im Jahr 1999, als Doris Leuthard Hochzeit feierte, hätten wir das ohne Klatschpresse nicht einmal gemerkt. Denn Doris Leuthard blieb Doris Leuthard, bis auf wenige vereinzelte Ausnahmen: Das Couvert für Abstimmungen und Wahlen ist seither an «Doris Leuthard Hausin» adressiert. Auch auf der Identitätskarte und dem Pass steht dieser Doppelname. Die Steuerrechnung geht an «Herrn Roland Hausin-Leuthard und Frau Doris Leuthard Hausin». Das klingt so richtig bürokratisch, wie es «im Umgang mit einer Behörde» Pflicht ist.

Aber eben nur «im Umgang mit einer Behörde». Dieser Umgang ist ansonsten nicht so streng definiert, wie man fürchten könnte: Bei der AHV, der Krankenkasse und jeder andern Versicherung darf sich eine Frau nach der Heirat so nennen, wie sie immer geheissen hat. Auf dem Schild des Briefkasten und an der Haustür sowieso. Bei der Bank muss sie bei der Eröffnung eines Kontos ihre Identitätskarte vorzeigen, so will es das Gesetz zur Verhinderung von Geldwäscherei. Die Bank muss den wirtschaftlich Berechtigten kennen. Aber das Konto selber darf auf jeden Namen lauten, den der Kunde wünscht.

1 + 1 = hoffentlich 3

Damit wir uns richtig verstehen: Mir geht es nicht um Formalitäten. Sondern um den Wert eines jeden Individuums, also um den höchsten Wert überhaupt. Mein Unbehagen gegenüber Doppelnamen zielt nicht auf ihre Träger. Schon gar nicht möchte ich Micheline Calmy-Rey angreifen oder die NZZ-Kultur-Kritikerin Barbara Villiger Heilig, im Gegenteil. Mir geht es um Anerkennung. Achtung. Respekt.

Eine jede Person, die eine andere heiratet, bleibt dieselbe Person. Sie wechselt ihre Identität nicht. Sie schlüpft unter keinen andern Mantel. Sie wird auf kein Tandem gekettet. Eva Ledig ist Eva Ledig, auch nachdem sie zu Adam «Ja» gesagt hat. Niemand heiratet, um sich selbst aufzugeben. Wir alle tun es, weil wir uns von der Zweiergemeinschaft mehr versprechen als vom Einzeldasein.

In die Sprache der Mathematik übersetzt bedeutet das: 1 + 1 = hoffentlich 3. Doch 1 muss immer gleich 1 sein, sonst schaut am Ende plötzlich weniger als 2 heraus.

Das ist keine graue Theorie. In der Schweiz wird bekanntlich jede zweite Ehe geschieden. Und dann? Dann müssen sich vor allem Frauen erneut entscheiden, wie sie den Telefonhörer abnehmen wollen: Unter dem Namen des früheren Mannes? Unter ihrem ledigen Namen wie anno dazumal? Oder gar unter dem verblichenen Doppelnamen?

Möglich ist alles. Susanne Leutenegger Oberholzer (ohne Bindestrich), Baselbieter Politikerin feministischer Prägung, begann ihre politische Karriere unter dem Namen Susanne Leutenegger. Als sie heiratete, galt das alte Eherecht. Sie musste den Namen ihres Mannes Oberholzer annehmen. Dank des neuen Eherechts wechselte sie später zu Leutenegger Oberholzer. Heute möchte sie am liebsten nur noch Susanne Leutenegger genannt werden. Leider hält sie sich selber nicht an ihren Wunsch: Ihre eigene Homepage trägt die sperrige Adresse www.s-leutenegger-oberholzer.ch (mit zwei Bindestrichen). Auf dieser Webseite erfährt man ihren Zivilstand: Susanne Leutenegger ist «nicht verheiratet».

Chefredaktor mit Pfadi-Namen

Da freue ich mich über Simonetta Sommaruga, die in Wahrheit mit dem Schriftsteller Lukas Hartmann verheiratet ist, der in Wahrheit Hans-Rudolf Lehmann heisst. Doch wer kümmert sich um solchen Kleinkram? Man muss in der Schweiz kein Künstler sein, um sich einen Künstlernamen zuzulegen. Ich kenne einen amtierenden Chefredaktor, der firmiert unter seinem Pfadi-Namen. Die Pflicht zum Gebrauch des richtigen Namens besteht nur im Umgang mit Behörden, der – siehe oben – streng definiert ist.

Warum bloss führen so viele Leute, besonders in Politik und Wirtschaft, trotzdem einen doppelten Namen? Weil das der Transparenz diene, ist zu hören. Eveline Widmer-Schlumpf präsentiert sich als «die Tochter des früheren Bundesrats». Johann Schneider-Ammann als «der klassische Patron», der die traditionsreiche Ammann-Group in Langenthal führen durfte. Denn Johann war kein gewöhnlicher Schneider, sondern der Eingeheiratete.

Umgekehrt bei Magdalena Martullo-Blocher: Sie ist die Ausgeheiratete – die nun die Ems Chemie leitet. Diese Information mag für Belegschaft und Öffentlichkeit wichtig sein. Doch wie fühlt sich die betroffene Frau? Wenn sie sich bei fast jedem Handschlag als Tochter des berühmten Vaters vorstellen muss? Magdalena Martullo-Blocher löst das Problem auf einfache Art: «Ich sage einfach immer nur Martullo. Doppelnamen finde ich furchtbar zum Aussprechen.»

Das ist ein Wort in Volkes Ohr. Doppelnamen sind zum Verwechseln. Zum Vergessen. Zum Verrücktwerden. Einmal kommt der ledige Name zuerst (Schneider-Ammann), dann folgt der ledige danach (Calmy-Rey). Wird der Bindestrich verwendet, sprechen Juristen von einem «Allianz-Namen, der nie der ‹amtliche Name›» ist. Darum lautet die korrekte Anrede «Frau Bundesrätin Widmer», während die Allianz Widmer-Schlumpf streng interpretiert nichts anderes darstellt als ein Pseudonym.

Drum prüfe, wer sich ewig bindet, zuerst den Namen. Und halte bitte am eigenen ledigen fest. Freiwillig, autonom, pragmatisch. Selbst ist der Mann, selbst ist die Frau. Vor und nach der Hochzeit.

Markus Schneider, 50, ist verheiratet.

Übersicht