Wer rettet die Schweizer Familie?

Unsere Politiker sicher nicht
16.10.2011, NZZ am Sonntag
Vielleicht ist es ein Klischee, vielleicht ein Wunsch, aber das Bild hat sich in unseren Köpfen festgesetzt. Die Schweizer Familie besteht aus einer Frau, einem Mann, zwei Kindern, schön verpackt in einem Haus mit Garage und Garten drumherum.Die Wirklichkeit spiegelt sich in einer nackten Zahl: 14,5 Jahre. So kurz dauert eine Ehe im Durchschnitt. In dieser Frist wächst ein Teenager heran. Höchstens. Womit es der einheimischen Familie ergeht wie der Langflügelfledermaus: Sie ist «unmittelbar vor dem Aussterben».

Was dagegen tun? Der Staat eignet sich definitiv nicht als Paartherapeut. Das hindert unsere Politiker nicht, Wahlkampf zu machen. «Meine Schweiz, meine Familie, unser Erfolg», plakatiert die CVP mit Fotos von herzigen Buben und Mädchen.

Und was fordert die CVP konkret? Die «Heiratsstrafe» abschaffen! Damit zielt sie auf die bekannte Sache, dass ein verheiratetes Paar bei der AHV 25 Prozent weniger Rente kriegt als zwei Konkubinatspartner zusammen. Nur: Denken Menschen im heiratsfähigen Alter an ihre Altersrente?

Vorher stellen sie sich die Frage, ob sie Kinder auf die Welt bringen wollen. Genau das überlegen sie sich sogar doppelt gut. Und warten ab. Frauen sind bei der Geburt des ersten Kindes 30 Jahre alt, Männer über 31. Zur Beschleunigung fordert die CVP einen «Vaterschaftsurlaub» samt einer sechsmonatigen «Elternzeit», die Vater und Mutter bis zum 16. Lebensjahr ihres Kindes einziehen dürfen. Nur: Richten sich Menschen im zeugungsfähigen Alter nach Lockvögeln in Form von mehr Ferien?

Noch bringt eine Frau in der Schweiz 1,5 Kinder zur Welt. Immerhin. In letzter Zeit stieg diese Quote erstmals wieder an, sanft. Das frühe Ende der Ehe ist also nicht das ewige Ende der Familie. Es entstehen, wie es fröhlich heisst, «Patchworks». Bunte Formen – die am Ende öfter klein herauskommen: Jeder sechste Teenager lebt in einer Ein-Eltern-Familie.

Das muss kein Drama sein. In der Wohnung eines glücklichen Alleinerziehenden – meist der Mutter – lebt es sich friedlicher als mit zwei unglücklich Verheirateten. Nur wird das Geld schneller knapp: 27 Prozent der Ein-Eltern-Familien in der Schweiz leben unter der statistischen Armutsgrenze. So schlecht geht es nur Haushalten mit drei oder mehr Kindern. 24 Prozent dieser «Grossfamilien» leben unter der Armutsgrenze.

Spätestens hier sind Politiker am Zug. Weil die bisherige Unterstützung nicht genügt, fordern sie mehr vom Gleichen. Höhere Kinderzulagen, halbierte Krankenkassenprämien (CVP), höhere Steuerabzüge. Die SP wünscht einkommensabhängige Ergänzungsleistungen. Nie ausklingen wird der Ruf nach mehr Krippen. Zwar sind 78 Prozent aller Mütter bereits erwerbstätig, heute schon. Aber die Hälfte davon nur Teilzeit. Die bringen Kind und Beruf unter einen Hut – aber kaum Kind und Karriere.

In Frankreich oder Schweden klappt das besser. Dort ist das staatliche Krippen- und Hortwesen tatsächlich stattlich. Und dort bringt eine Frau im Schnitt weiterhin zwei Kinder zur Welt.

Bei uns zieht die stärkste politische Kraft in die umgekehrte Richtung. Die SVP pflegt im Alleingang die traditionelle Rollenverteilung und deckt eine andere Form der «Diskriminierung» auf: Paare, die ihre Kinder «fremdbetreuen» lassen, dürfen Kosten für Krippe und Hort von den Steuern abziehen. Jetzt zaubert die SVP einen neuen Steuerabzug aus der Tasche: für die «Eigenbetreuung».

Steuerabzug, Steuerabzug, Steuerabzug. Ein Geschenk hier, eines dort. Es ist Wahlzeit. Gewerbler fordern einen Abzug fürs Wohneigentum – neben der dritten Säule, welche Doppelverdiener rege nutzen, um Steuern zu sparen. Ein Haus können sich diese Familien trotzdem nicht leisten, zu teuer sind Grund und Boden in der engen Schweiz. Die CVP wiederum denkt an eine «junge Säule». Leute zwischen 16 und 35 sollen steuergünstig für eine Familiengründung sparen dürfen. «Erfüllt sich der Kinderwunsch nicht», schreiben die Christlichen, kann man die «junge Säule» trotzdem steuergünstig beziehen: fürs Alter und, welche Überraschung, fürs Wohneigentum.

Alle diese Rezepte haben etwas gemeinsam: Sie nützen nichts. Menschen sind keine Hunde, die jeder Wurst mit dem Schwanz hinterherwedeln. Ob eine Frau Mutter, ob ein Mann Vater werden will – diese Frage hängt sicher nicht von der Höhe des jeweiligen Steuerabzugs ab. Das ist und bleibt Privatsache.

Also gilt es, Abschied zu nehmen. Das Bild vom Ehepaar mit zwei Kindern und der Katze im Haus – das ist ein Klischee. Wer die Familie retten will, muss ihr, marketingtechnisch gesagt, ein neues Image verpassen. Es ist doch voll easy, eine Freundin, einen Freund zu finden. Es ist cool, wenn daraus eine Kiste wird, die hält, bis dass das Baby kreischt. Plus ein paar Jahre darüber hinaus. Richtig geil wird es mit der Pubertät, egal, ob auf stiefmütterliche oder altväterliche Art. Stress machen wir keinen, auch als Grossmutter oder Grossvater nicht.

Übersicht