Sparen bis zum Neubeginn

Wann geht das bankrotte Griechenland Pleite? Fragen und Antworten
22.03.2012, Schweizer Familie
Wann ist ein Land bankrott?Am Tag, an dem sich die Regierung für zahlungsunfähig erklärt und alle Forderungen ablehnt. In Griechenland ist das bisher nicht geschehen. So etwas will jede Regierung der Welt unbedingt verhindern. Ein Staat ist keine Firma, die ihren Betrieb einfach einstellen kann. Die Beamten würden keinen Lohn mehr bekommen. Die Alten keine Rente, Arbeitslose und Invalide ebenso. Unbezahlte Lehrer würden ihre Schulen verlassen, Ärzte die Spitäler. Zuletzt rollt jeder Polizei­posten den Laden herunter.

Ist so etwas schon passiert?

Am 25. Dezember 2001 erklärte Präsident Rodriguez Saá Argentinien für zahlungsunfähig. Drei Tage später wurde er aus dem Land gejagt. Der neue Präsident ­Eduardo Duhalde stellte den Schuldendienst ein und wertete die Währung radikal ab. In der Folge verdienten die wenigen Argentinier, die noch Arbeit hatten, Pesos, die fast nichts mehr wert waren. Heerscharen von Cartoneros, Papiersammlern, zogen durch die Städte und durchsuchten den Müll nach Verwert­barem. Solche ­Bilder sehen wir heute auch aus Griechenland.

Sah das Ausland einfach zu?

Nein, das Ausland zitterte mit wie jetzt bei Griechenland. Erklärt ein Land den Bankrott, müssen die Kreditgeber ihre aus­stehenden Schuldpapiere abschreiben: auf null. Davon betroffen waren besonders ausländische Banken und Privatanleger. Der nächstfolgende argentinische Präsident – in Zeiten des Staatsbankrotts wechseln Regierungen wie der Wind – drehte den Spiess um und drohte dem Ausland: Entweder ihr verzichtet auf 70 Prozent eurer Forderungen, oder wir reden nicht mehr mit euch.

Ist das ein Modell für Griechenland?

Argentinien musste untendurch. Die Geldgeber sassen am längeren Hebel, und Argentinien verlor eine Zeit lang seine ­politische Autonomie. Das Land wurde buchstäblich vom Internationalen Währungsfonds (IWF) regiert. Der IWF überwies Rate für Rate die nötigen Dollar-­hilfen. Im Gegenzug musste Argentinien eine Sparmassnahme nach der andern vollziehen. Aus heutiger Sicht jedoch ist alles perfekt gelaufen: In Argentinien ist keine Anarchie ausgebrochen, Argentinien ist auferstanden.

Griechenland sei «praktisch pleite», heisst es seit Monaten. Was bedeutet das?

Dass das argentinische Szenario bereits stattfindet. Es ist eine Mischung aus Drohung und Gehorsam, Vernunft und Disziplin. Alle Beteiligten müssen einsehen, dass sie ihren Beitrag zu leisten haben. Die Gläubiger, die ihr Geld früher fahrlässig an Griechenland, Portugal oder Spanien geliehen haben, müssen auf einen schönen Teil davon verzichten. Vor allem aber müssen die verschuldeten Länder selbst Opfer bringen. Das tun sie mehr oder weniger freiwillig – Etappe für Etappe. In der spanischen Provinz Castellón werden Schulen zwar nicht geschlossen, aber nicht mehr geheizt. In Griechenland werden 15 000 Staatsstellen gestrichen, weitere 150 000 sollen noch folgen. Der griechische Mindestlohn wird reduziert, dann eingefroren: auf jämmerliche 586 Euro im Monat. Für jedes neue Hilfspaket muss Griechenland ein neues Sparprogramm akzeptieren. Mal soll es sein Staatsvermögen verscherbeln, mal Renten kürzen, mal hohe Militärausgaben kappen, mal Eisenbahntickets verteuern.

Warum regt sich niemand über Japan auf? Griechenlands Staatsschulden betragen 190 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), Japans dagegen 240 Prozent.

Schulden sind nicht gleich Schulden. Japan ist mit Abstand das am stärksten überschuldete Land der Welt. Aber der japanische Staat steht bei japanischen Privatleuten und Pensionskassen in der Kreide. Japan muss keine Angst haben, dass ausländische Kreditgeber den Hahn zudrehen. Japan bleibt fast so souverän wie die solide Schweiz. Bei uns belaufen sich die öffentlichen Schulden auf 50 Prozent des BIP.

Und wie stehen die USA da?

Nicht dramatisch. Zwar übersteigt die Schuldenquote klar 100 Prozent des BIP. Aber während sich Japan fast vollständig bei Japanern verschuldet hat, taten es die USA immerhin auch zum grösseren Teil bei Amerikanern. Inländer lassen ihren Staat nicht so schnell im Stich. Mittler­weile ist jedoch ein beachtlicher Rest der US-Schulden in chinesischen Händen. Würde China diesen Schatz an amerikanischen Staatsanleihen auf den Markt werfen, wird es unangenehm für Amerika. Dann verliert der US-Dollar enorm an Wert.

Welche Rolle spielt die eigene Währung?

Die entscheidende. Argentinien musste Schulden in US-Dollar auf sich nehmen, weil kein Mensch mehr dem Peso traute. Dagegen kann ein Land, das eine eigene starke Währung besitzt, sich jederzeit bei der eigenen Notenbank bedienen. Die amerikanische Zentralbank kauft amerikanische Schuldpapiere in Dollar, die Bank of England britische in Pfund. «Quantitative easing» nennt sich das. Auf Deutsch: «Der Staat setzt die Notenpresse in Gang.» Das ist gefährlich, weil es früher oder später zu Inflation führt. Dann wird alles teuer.

Warum bedient sich Griechenland nicht bei seiner Zentralbank?

Weil Griechenland keine eigene mehr hat. Es gehört der Euro-Zone an. In diesem Fall muss die Europäische Zentralbank EZB einspringen. Was sie auch kräftig tat. Jetzt aber stellt sich die Frage: Soll die EZB unendlich viel Geld in südeuropäische Staatsanleihen investieren? Frankreichs Präsident Sarkozy meint eher Ja, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagt Nein.

Tut die EZB zu wenig?

In den letzten Wochen hat die EZB die Strategie gewechselt. Sie pumpt die Euros nicht mehr in Staatsanleihen, sondern ins Bankensystem. An zwei Tagen durften sich Banken für die nächsten drei Jahre unbeschränkt neues Geld besorgen – gegen ein Prozent Zins. Dieses «Gratisgeld» wird gewinnbringend angelegt: etwa in vermeint- lich sicheren französischen oder spanischen Staatsanleihen, die gut vier Prozent rentieren. Ein Taschenspielertrick, der funktioniert. Banken sind liquide, Sparer müssen keine Angst um ihr Geld haben, die Kurse der Staatsanleihen haben sich stabilisiert. Der Flächenbrand scheint gebannt.

Für wie lange?

Längerfristig führt das «Gratisgeld» zu Inflation, aber das interessiert im Moment niemanden. Zurzeit kommt es einzig darauf an, dass alle zusammen am gleichen Strick ziehen. Dass die Kreditgeber verzichten. Dass die Hilfe der EZB, der EU und des IWF weiterläuft. Und dass die Schuldnerländer weiter sparen, sparen, sparen. Das birgt aber die Gefahr, dass sich Griechenland, Portugal oder Spanien «kaputtsparen», wie Ökonomen warnen.

Und wann gibt Griechenland den Euro auf?

Erst am Tag, da die EU ihr Mitglied ­Griechenland aus der EU ausschliesst. Vorher könnte Griechenland allenfalls freiwillig die alte Drachme einführen. Resultat wäre eine radikale Abwertung. Importe würden ex­trem teuer. Umgekehrt würden aus Schweizer Sicht Ferien in Griechenland billig. Fragt sich nur, ob ein ausgebranntes Griechenland eine attraktive Destination wäre.

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