Fluchen und andere Heilmittel

Wie die Psyche auf den Körper wirkt

07.02.2013, Schweizer Familie

Wer krank ist, geht zum Arzt, schluckt Tabletten, lässt sich operieren. Und hofft. Genau dieser letzte Punkt ist in vielen Fällen der entscheidende. Dass man hofft. Ja, dass man manchmal mehr als nur hofft: dass man daran glaubt, dass man überzeugt ist, wieder gesund zu werden. Es ist für unsere Gesundheit wichtig, das Positive zu sehen und jedes halb leere Glas als ein halb volles Glas zu betrachten. «Wie Gedanken unser Wohlbefinden beeinflussen» lautet der Titel eines neuen Buchs des Sozialwissenschaftlers Gustave-Nicolas Fischer.
Fischer, der als Gastprofessor an den Universitäten von Genf und Montreal lehrt, ist kein Esoteriker. Er beruft sich auf strenge Studien und wissenschaftlich anerkannte Fakten. Die Erkenntnisse daraus vermittelt er uns Laien mit simplen Fragen und leicht verständlichen Antworten. Wir haben uns einige spannende herausgepickt und zusammengefasst.
Warum tut Fluchen gut, wenn man sich mit dem Hammer auf den Daumen geschlagen hat?Studenten wurden befragt, welche fünf Ausdrücke sie ausrufen, wenn sie sich mit dem Hammer auf den Finger schlagen – und welche fünf Ausdrücke sie verwenden, um einen ganz normalen Tisch zu beschreiben. Danach folgte ein «Eiswassertest», mit dem die Fähigkeit, Schmerz zu ertragen, getestet wird. Alle Probanden traten zweimal an – einmal mussten sie ein neutrales Wort laut sagen, das andere Mal einen ih­rer Flüche hinausschreien. Das überraschende Ergebnis: Wer seiner Wut freien Lauf lassen durfte, hielt seine Hand 41 Sekunden länger in der Eiseskälte.
Ist Ihr Mann aufrichtig, wenn er sagt: «Du bist doch gar nicht dick»?

Umfragen zur Wunschfigur und Einschät zungen der eigenen Figur legen ­krasse Differenzen offen: Die meisten Frauen finden sich dicker, als sie tatsächlich sind. Doch damit nicht genug: Die meisten Frauen möchten schlanker sein, als ihr Partner es tatsächlich wünscht. Fazit: Sie dürfen also ruhig dem Urteil Ihres Mannes vertrauen.

Warum haben Tabletten nicht alle dieselbe Farbe?

Eine Pille verspricht gesundheitliche Besserung. Schon diese Erwartung sorgt bei Patienten dafür, dass sich die Besserung tatsächlich einstellt – ganz egal, ob die ­Pille einen Wirkstoff enthält oder leer ist.
Sogar die Farbe der Pillen spielt mit. Italienische Forscher zeigten dies mit Schlaftabletten. Eine erste Gruppe erhielt blaue, echte Pillen, die zweite Gruppe orange Placebos. In der nächsten Nacht wurden die Farben getauscht. Das ­Placebo war blau, die echte Tablette orange.
Das Resultat verblüfft. Patienten, denen eine blaue Kapsel verabreicht wurde, schliefen um 32 Minuten schneller ein. Mit andern Worten: Es spielt in manchen Fällen weniger eine Rolle, ob eine Pille «voll» oder «leer» ist. Wichtiger ist die Farbe.
Warum ist es sinnvoll, einem Kranken Blumen zu schenken?

In einem Spital im US-Staat Pennsylvania wurden 46 Patienten nach einer Gallen blasen-Entfernung im Spital in Zweierzim mern platziert. Die einen hatten Blick auf einen Wald, die andern auf eine Mauer.Das Ergebnis: Die Patienten mit Blick ins Grüne mussten knapp einen Tag weniger lang im Spital bleiben. Auch ihr Verbrauch an Schmerzmitteln war tiefer: «signifikant» tiefer, wie sich Statistiker ausdrücken, um Zufälligkeiten auszuschliessen.
Nun ist ein Krankenhaus kein Hotel, das seinen Gästen freie Sicht auf Bäume und Wiesen bietet. Was hilft?
In einem Spital von Kansas wurden 90 Patienten in ein Standard-Zimmer gelegt. Während die Patienten operiert wurden, stellte man bei der Hälfte von ihnen Grünpflanzen ins Zimmer.
Die Patienten mit Pflanzen im Zimmer litten weniger unter Schmerzen und Angst. Sie empfanden ihr Krankenzimmer sogar als sauberer, komfortabler, gemütlicher, ruhiger – obschon es immer noch dasselbe Zimmer war wie vor der Operation. Also beim nächsten Krankenbesuch den Blumenstrauss nicht vergessen.
Warum ist die Behandlung beim Zahnarzt weniger schmerzhaft, wenn dabei Musik läuft?

Musik lenkt ab – hin zur Melodie, weg vom Schmerz. Viele Zahnärzte wissen das und lassen in ihren Praxen Musik im ­Hintergrund laufen. Laura Mitchell, Dozentin an der Universität von Glasgow, hat das wissenschaftlich untermauert: Sie machte den Eiswassertest. Die Versuchspersonen mussten ihre Hand so lange wie möglich in einen Eimer voll eiskaltes Wasser tauchen. ­Dabei durften sie frei nach ihrem Geschmack Musik hören. Mit ­Musik hielten es die Leute 37 Sekunden länger aus.
Ähnliches zeigte sich nach überstandener Operation am offenen Herzen. In einem Versuch wurde Patienten entspannende Musik vorgespielt. Dabei emp­fanden – trotz identischem Einsatz von Medikamenten – 57 Prozent weniger Schmerz und sogar 72 Prozent weniger Angst als die Kon­trollgruppe, die nach der Operation keine Musik hörte. Sogar Gebärende sollen die Wehen mit Musik besser aushalten, wollen Wissenschaftler nachgewiesen haben.
Warum essen Personen während einer Schlankheitskur tendenziell mehr?

Vor allem eine strenge Diät wirkt oft kontraproduktiv. Nicht nur wegen des danach meist eintretenden Jo-Jo-Effekts, der das Gewicht wieder nach oben schnellen lässt. Die Leute kompensieren während der Diät ihre Frustrationen oft, indem sie sich aufs Essen stürzen. Denn ständige Selbstkontrolle ist äusserst anstrengend. Studien zeigen deutlich, dass eine gute Absicht, die nur mit einem ­hohen Mass an Disziplin umzusetzen ist, in der Regel zum Scheitern verurteilt ist.
Schaden Videospiele der Gesundheit Ihrer Kinder?

In einem Experiment der Universität in Kent (USA) wurden Kinder und Jugendliche in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine Hälfte war über-, die zweite Hälfte normalgewichtig. Zuerst musste jedes Kind zehn Minuten lang ruhig sitzen. Dann musste es zehn Minuten aufs Laufband. Es folgte ein passives, herkömmliches Videospiel im Sitzen, ebenfalls zehn Minuten. Zum Schluss kam ein aktives, aufrecht ausgeführtes Boxspiel mit der Videospiel-Konsole Nintendo Wii.
Den Aktivitäten entsprechend entwickelten sich Herzfrequenz und Sauerstoff-Verbrauch: Es ging aufwärts – vom ruhigen Sitzen bis zum Aktiv-Boxen via Bildschirm. Und was hat den Spielern wie gut gefallen? Beiden Gruppen das Gleiche. Das aktive Boxen fanden alle toll, das passive Spiel im Sitzen gefiel knapp, das langsame Laufband überhaupt nicht.
Damit war der Versuch aber nicht zu Ende: Jetzt mussten die Kinder Aufgaben am Computer lösen. Hatten sie Erfolg, durften sie als Belohnung frei wählen zwischen einem der beiden Videospiele.
Die Normalgewichtigen entschieden sich nach ihrem Geschmack: Sie wählten das aktive, etwas anstrengende Boxspiel. Bei den Übergewichtigen jedoch kippte die Vorliebe: Die «Belohnung» für die vorherige Anstrengung wollten sie lieber im Sitzen geniessen – und entschieden sich für das bequeme Videospiel.
Fazit: Die Studie zeigt, dass Games, bei denen die Spieler aktiv etwas Körperliches tun, wenigstens den Vorteil haben, das Spielen mit gesunder Bewegung zu verbinden. Ein Ersatz für das Spielen im Freien können sie aber nicht sein.
Warum lieber einen Hund anschaffen als eine Katze?

Weil das «Gassi gehen» auch den Menschen Freude macht und nebenbei noch gesund ist. Am meisten hilft diese Massnahme der Gesundheit von Personen, die vorher keinen Hund hatten und so ein neues Bewegungsverhalten einüben.
Wussten Sie, dass Sie mehr frieren, wenn Sie allein sind?

Wer sich ausgeschlossen fühlt, friert eher als jemand, der gut integriert ist, zeigen verschiedene Experimente. Und wer von den Kollegen abgelehnt wird, empfindet die Temperatur im Büro entsprechend eher als kühl. Aber gilt auch das Umgekehrte? Steigt unser Wohlbefinden, wenn die Temperatur im Büro erhöht würde? Das ist noch in weiteren Studien zu überprüfen.

Positives Denken – Eine Waffe der Psyche

«Glückliche Menschen leben länger»

Der Psychologe Gustave-Nicolas Fischer erklärt, warum es auf Optimismus und Lebenssinn ankommt.

Schweizer Familie: Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?
Gustave-Nicolas Fischer: Um die Psychologie der Gesundheit zu erklären. So wie Körper und Geist verbunden sind, so hat Gesundheit mit Gefühlen zu tun. Glückliche Menschen leben länger als andere.
Sehen Sie sich als Kritiker der Schulmedizin?
Die gängige wissenschaftliche Medizin orientiert sich an der Biologie. Doch der Mensch besteht nicht bloss aus Organen, auch aus Gefühlen. Und diese ­Gefühle beeinflussen die Funktionsweise der ­Organe. Depressionen zum Beispiel behindern die Abwehr von Viren und Bakterien. Das belegt die neueste Psycho-Neuro-Immunologie.
Sie betonen die Kraft des positiven Denkens. Genügt das schon?
Das positive Denken ist eine psychologische Waffe, die gegen Stress und vieles andere gut wirkt. Selbst­verständlich gibt es Krank­heiten, die man nicht selber «im Kopf» heilen kann. Immerhin hilft ­positives Denken auch im schlimmsten Fall, dass wir das, was wir nicht mehr zu beeinflussen vermögen, wenigstens besser ertragen ­können.
Und was ist, wenn wir den Optimismus verloren haben?
Man verliert den Optimismus nur, wenn man im Leben keinen Sinn mehr sieht. Darauf kommt es an: Wir müssen unserem Leben einen Sinn geben – dann werden wir sogar mit dem Tod besser umgehen.
Wann gehen Sie persönlich zum Arzt?
Aus organischen Gründen, wenn etwas nicht mehr funktioniert. Überall hier hat die moderne Medizin Grossartiges zu bieten. So weit habe ich volles Vertrauen. Auch mache ich regelmässig kardiologische Tests, oder ich lasse mir, um allfälligen Krebs rechtzeitig zu erkennen, die Prostata abtasten.
Haben Sie schon Medikamente verweigert?
Bei Grippe. Damit die Nebenwirkungen nicht auf meinen Magen schlagen, greife ich lieber zu Alter­nativmedizin – obschon ich weiss, dass homöopathische Mittel nicht besser wirken als jedes Placebo.
Nehmen wir an, bei Ihnen wird eine schwere Krankheit diagnostiziert. Holen Sie dann sofort eine Zweitmeinung ein?
Das hängt ab vom Ver­trauen, das ich in die Ärzte habe, die mich behandeln. Bei einem ernsten Befund ist eine Zweitmeinung ­sinnvoll – und sei es nur, um Zweifel und Ängste zu besänftigen.
Wird man krank, wenn man sich zu viel mit dem Thema Kranksein beschäftigt?
Nicht automatisch. Aber ganz allgemein behaupte ich: Wenn sich eine Person zu sehr mit sich selber beschäftigt, ist dies ein Symptom für Krankheit.
Gustave-Nicolas Fischer war Professor für Sozialpsychologie an der Universität Lausanne und ist heute Gastprofessor in Genf und in Montreal.

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