05.06.2014, Schweizer Familie
Rolf, ein geborener Thurgauer, will mir Kreuzlingen zeigen. Ich war noch nie dort, was er kaum glauben kann. Wir fahren mit dem Zug hin, steigen aber nicht in Kreuzlingen aus, sondern bleiben sitzen bis zur Endstation Konstanz. Wir schleichen uns aus dem Ausland an.
Auf dem Konstanzer Gleis ein paar Schritte vorwärts Richtung «Zoll», dann biegen wir rechts ab durch die Unterführung zum Hafen Konstanz. Ein weiter Blick. Und eine auffällige Statue, die uns willkommen heisst. Sie trägt den Namen Imperia. «Du darfst genau und unverschämt hinschauen», sagt Rolf, 65 , und ergänzt maliziös: «Auf Wikipedia findest du auch allerhand Informationen.»
Ein richtiges Weibsbild
Imperia ist eine aus Beton gegossene Statue, 9 Meter hoch, 18 Tonnen schwer, die sich alle 4 Minuten um die eigene Achse dreht. Was so antik und so ehrwürdig anmutet, ist eine zeitgenössische Provokation, geschaffen vom einschlägig be-kannten Bildhauer Peter Lenk aus Ludwigshafen. Mann muss nicht lüstern sein, um zu erkennen, wer hinter Imperia steckt: eine aufreizende Frau. Lenks Werk ist eine «satirische» (Originalton Wikipedia) Anspielung auf das Konzil von Konstanz 1414 1418 , als sich hier versammelten: 33 Kardinäle, 346 Erzbischöfe und Bischöfe, 2148 weltliche Doktoren sowie 546 Vorsteher und Mitglieder der Mönchsorden.Zu zweit spazieren Rolf und ich der Seepromenade entlang zum nächsten Kunstwerk. Vor uns ragen geschwungene Skulpturen aus dem kargen Feld. Sie sind aus rostfreiem Stahl, bunt, doch nicht mehr knallig farbig, sondern waschecht verwittert.
«Da war einmal ein Zaun», sagt Rolf. Kein eiserner Vorhang, nur ein drahtiges Geflecht. Ein Plakat klärt uns auf Englisch auf, was die Plastik bedeutet: «Art Border, 22 sculptures by Johannes Doerflinger.»Ein Magier auf der Grenze
Eine Kunstgrenze also, die erste Kunstgrenze der Welt, erschaffen von Johannes Dörflinger, inspiriert von Tarot-Spielkarten. Blind haben die Zollbehörden zugestimmt unter einer einzigen Bedingung, «dass die Markierung den Verlauf der Landesgrenze sichtbar macht».
Und siehe da: Eine der 22 Tarot-Skulpturen, sie heisst «Magier», steht im Wasser und damit exakt auf der Grenze. Eine andere Tarot-Figur trägt den Titel «Heiliger», schön passend zum Konzil. Künstler Dörflinger ist schliesslich Konstanzer.
«Leider», sagt Rolf, «ist das Wetter schön.» Deswegen geniessen wir die freie Sicht auf die österreichischen Alpen, erkennen aber auch das gegenüberliegende Ufer. Ohne Blick auf dieses Ufer kämen wir uns vor wie am Meer. Ein Schiff fährt vorbei, die Wellen schlagen, und in Rolfs Heimweh-ohren tönt das «wie Meeresrauschen». Hier daheim, am Rand der Schweiz.
Hochgefühl im Park
Wir schlendern weiter, die Seeuferanlage, insgesamt 2 , 5 Kilometer lang, öffnet sich zu einer «königlichen Fläche» (O-Ton Rolf) und mittendrin wartet das Schloss Seeburg mit seinem Ausflugsrestaurant. Dahinter das Seemuseum, unmittelbar davor ein unüberhörbares Amphibien-Schutzgebiet von nationaler Bedeutung. Hier überleben Bergmolche, Gelbbauchunken, Erdkröten, Gras- und Grünfrösche. Wir steigen die 53 Tritte den Aussichtsturm empor, entdecken Wollsauen und Hochlandrinder und blicken hinunter auf ein Meer von Schilf.
Der nächste Höhepunkt ist die Kreuzlinger Badi Hörnli, die grosszügigste Badeanstalt, die ich auf Schweizer Boden gesehen habe. Nicht bloss wegen der Wiese, des Schwimmbeckens und der Wasserrutschbahn für die Kleinen. Sondern weil es eine Unterführung gibt hinaus auf den weiten Bodensee.
Bis jetzt sind wir spaziert, haben gebadet und könnten, wenn wir wollten, nun richtig loswandern. Dem Ufer entlang nach Bottighofen, Münsterlin gen, so weit die Kraft reicht, jedes Dorf hat seinen eigenen Bahnanschluss, nach Romanshorn bis hinauf nach Rorschach. Rolf hät te mir noch viel zu zeigen.
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Seeburgpark
Anfahrt: Mit dem Zug nach Kreuzlingen, Kreuzlingen Hafen oder Konstanz. Von überall Gehdistanz zum Park.
Parkplätze: Bei schönem Wetter knapp.
Eintritt: Frei.
Vorbereitung: Broschüre «Der Natur auf der Spur». Informationen zum Naturlehrpfad, Fotos und Übersichtskarte. Zu bestellen bei der Bauverwaltung Kreuzlingen, 071 677 64 10 .
Restaurants: Am vornehmsten: «Schloss Seeburg», 071 688 40 40 . Auch ganz fein: «Fischerhaus» in Kreuzlingen, 071 688 18 77 , «Seegarten», 071 688 28 77 und «Alti Badi», 071 672 80 80 im Hafen Kreuzlingen.
Camping: Fischerhaus Kreuzlingen. Unbedingt voranmelden, 071 688 49 03.
Allgemeine Informationen: Kreuzlingen Tourismus, 071 672 38 40 www.kreuzlingen-tourismus.ch