Was ist, wenn die Jungen nicht mehr zahlen?

Über die Zukunft des Sozialstaats Schweiz

Liberales Institut, 26.11.2003, Zürich

Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass ich zu Ihnen sprechen darf, erst noch zu einem Thema, das laut dem Organisator, dem Liberalen Institut, provokativ angefasst werden darf. Ich bin jetzt natürlich etwas unsicher, ob mir das gelingt.Sozusagen verdient habe ich mir die Einladung mit einem Artikel, der vor etwa einem halben Jahr in der Weltwoche erschienen ist, kurz nachdem Pascal Couchepin die Journalisten auf die berühmte Petersinsel entführt hat. Dieser Artikel trug den Titel «Die glücklichen Alten», und der Artikel begann mit dem Worten: «Nüchtern» gelte es «zu konstatieren»:

a) Unsern Alten geht es gut.
b) Unsern Alten geht es so gut, wie es ihnen in der Schweiz noch nie gegangen ist.
c) Unsern Alten geht es noch eine ganze Zeit lang gut.

Man mag das bereits als «Generationenhetze» interpretieren, vielleicht. Aber ich bitte Sie zu berücksichtigen, wie die selbe Diskussion in Deutschland inzwischen geführt wird. Nämlich gehässig. Zum Beispiel hat Bernd W. Klöckner, ein Journalist mit Jahrgang 1966, diesen September ein neues Buch herausgegeben, das den Titel «Die gierige Generation» trägt, und das mit einem offenen Aufruf zum Boykott beginnt. «Verweigern wir uns JETZT diesem System! Ein System, das die Alten begünstigt, die Jungen skrupellos abkassiert, ist zutiefst unsozial und undemokratisch. Kündigen wir den – ohnehin nie existenten – Generationenvertrag. Verweigern wir uns der unersättlichen Gier…» und so weiter, wobei das Wort von der Gier auf die heutigen «Alten» gemünzt ist.

Ich will hier nicht näher auf dieses Buch eingehen. Es ist, wie Sie schon aus dieser kurzen Einleitung herausgehört haben, ein polemisches Werk. Aber dass solche Bücher bereits in renommierten Verlagen wie Eichborn erscheinen, zeigt, wo die Diskussion hinsteuert. Nicht nur in Deutschland, auch bei uns. Christiane Brunner, die einheimische SP-Präsidentin, sprach am 20. September an einer AHV-Grosskundgebung in Bern bereits mit einem erhobenen Zeigefinger: «Immer mehr Junge denken, dass sie im Alter leer ausgehen werden, weil niemand mehr für die Finanzierung sorgen wird. Aber wer redet ihnen das ein? Es ist die Rechte in diesem Land».

Nun stehe ich also vor Ihnen, aber ich will, um Christiane Brunners Worte aufzunehmen, nicht die «Verkörperung der Rechten» sein. Ich will den Jungen nicht einreden: «Die Jungen werden leer ausgehen», denn auch ich weiss, dass das natürlich blanker Unsinn ist. Ich sage nur: Unsern Alten geht es gut. Sie gehen, um es wieder mit den Worten von Christiane Brunner zu sagen, nicht etwa «leer» aus, sondern «voll». Und da ist wohl zu ergänzen: Die zukünftigen Alten werden nicht mehr so voll ausgehen wie die heutigen Alten.

All das ist kalter Kaffee. Silvio Borner hat vor mehr als einem Vierteljahrhundert, am 17. Dezember 1977, in der Basler Zeitung eine Kolumne verfasst, die trug den Titel: «Traue keinem über 30!». Das war ein Slogan der Alt-68er, und mit diesem Slogan hat Silvio Borner sagen wollen, dass in der AHV nicht in erster Linie von den Reichen zu den Armen, sondern von den Jungen zu den Alten umverteilt wird. Das war schon damals ein ziemlich schwierig nachvollziehbarer Gedanke, und schwierig nachvollziehbar bleibt dieser Gedanke bis heute.

Gestatten Sie mir, etwas technisch zu werden. Die Geschichte der AHV ist jung, sie begann im Jahre 1948. Die erste Generation, die eine Rente beziehen durfte, machten gleich das beste Geschäft. Sie hat ja null Beiträge zahlen müssen. Aber auch alle nachgefolgten Rentnergenerationen durften sich nicht beklagen. Die anfangs noch spärlichen AHV-Renten wurden in 9 Schritten, die jeweils Revisionen genannt wurden, erhöht. Von diesen erhöhten Renten haben jeweils immer neue Generationen profitiert, ohne dasss diese ihre Renten mit eigenen Beiträgen hätten vorfinanzieren müssen. Diese Generationen haben, wie Silvio Borner 1977 in seiner Kolumne sagte, gemessen an ihren Beiträgen «phänomenale Renditen» erzielt.

Diese schöne Rechnung wird für die zukünftigen Generationen leider nicht mehr aufgehen. Das ist zwar allen Experten klar, nur sagt es kaum einer so offen heraus. Ein klassisches Tabu, um das selbst Provokateur Pascal Couchepin einen grossen Bogen macht. Zwar hat er das nötige Grundlagenmaterial eigenhändig den Journalisten verteilt, diesen Sommer war’s auf der St. Petersinsel. Aber bei dieser Gelegenheit hat Couchepin derart viele Studien abgegeben, dass das brisante «Overlapping Generations Model» , erstellt vom Büro Ecoplan, total unterging. Dabei hat diese Studie zweierlei gezeigt:

• Aus Sicht des Jahrgangs 1935 ist die AHV immer noch ein phantastisches Geschäft. Misst man deren heutige Renten an ihren früheren Einzahlungen, hat die Mittelschicht eine Rendite von «real vier Prozent» erzielt, die armen Haushalte eine Rendite von «real fünf Prozent».
• Aus Sicht des Jahrgangs 2000 wird die AHV zu einem Neutrum. Misst man die erwartbaren Renten an den abzusehenden Einzahlungen, wird die Rendite durchwegs «unter real zwei Prozent» liegen. «Sogar die ärmeren Haushalte werden künftig ihre spärlichen AHV-Renten rechnerisch voll selbst vorfinanzieren», heisst es wörtlich in der Ecoplan-Studie.

Ist das bereits eine «Generationenhetze», wie Paul Rechsteiner, oberster Präsident des Gewerkschaften, meint? Darf man solche Rechnungen überhaupt aufstellen?

Ich meine, man darf nicht nur, man muss sogar. Und zwar nur schon deswegen, um die Leute aufzuklären, was die jetzige AHV in Zukunft leisten kann und vor allem: was nicht. Die Botschaft solcher Generationenrenditen ist doch klar, sie lautet: Wer in Zukunft nur auf die AHV-Rente angewiesen sein wird, ist arm dran.

Bitte erinnern Sie sich an David de Pury und seine Freunde, die 1995 ein «Weissbuch» herausgegeben haben, das einen grossen Wirbel ausgelöst hat. Wer dieses «Weissbuch» genau gelesen hat, was wenige taten, fand darin eine Stelle, in der wörtlich «eine existenzsichernde Altersvorsorge für alle» gefordert wurde, «die höher sein sollte als die heutige Minimalrente der AHV». Ein kühner Gedanke, den die Linke lange zuvor unter dem Titel «Volkspension» lanciert hatte. Sofort musste der Bundesrat via «SonntagsBlick» diese Forderung ins richtige Licht rücken: «Nicht bezahlbar», belehrte Finanzminister Kaspar Villiger. «Damit die Existenz garantiert ist, müssten die Renten massiv erhöht werden.»

Das war wie gesagt 1995. Inzwischen ist die aktuelle AHV-Rente bereits ein bisschen weniger wert als diejenige von damals. Und wer in Zukunft auf die AHV allein abstellt, wird in Zukunft noch weniger haben als die Rentner von heute.

Die Ursache für diese schleichende Entwertung der angeblich so sozialen AHV liegt am Mischindex. Hinter diesem technischen Wort verbirgt sich ein sozialer Zündstoff, der den künftigen Rentnern kaum bewusst ist. Mischindex heisst, dass die Altersrenten nicht mit den Löhnen Schritt halten können. Seit jeher passen sich die AHV-Renten lediglich zur Hälfte den Lohnsteigerungen an, zur andern Hälfte folgen sie den Preissteigerungen. So klein die Differenzen jeweils sind, so gross wird der Effekt im Laufe der Jahrzehnte. In Wahrheit ist die AHV nur ans halbe Wirtschaftswachstum gekoppelt.

«Kalter Leistungsabbau», darf man das nennen. Zu spüren bekommen ihn die Alten der Zukunft. Das Büro Ecoplan liefert dazu in der bereits erwähnten Studie alle Zahlen . Verglichen werden die AHV-Renten im Alter 65 mit dem Lohn im Alter 58. Eine arme Person mit Jahrgang 1940 wird demnächst pensioniert und kann 55 Prozent ihres früheren Lohnes mit der AHV-Rente ersetzen; das erscheint erbärmlich, aber in Zukunft wird es noch erbärmlicher sein. Eine arme Person mit Jahrgang 1970 wird nur auf 50 Prozent kommen, eine mit Jahrgangs 2000 unter 45 Prozent fallen.

Der Prozess läuft langsam, aber heimtückisch, und er hat zwei Folgen:

• Die AHV genügt je länger je weniger, da der Mischindex die AHV schleichend entwertet. Namhafte FDP-Politiker wollen diesen schlechten Mischindex nochmals verschlechtern, so dass es für alle Leute, die nichts ausser der AHV haben, eng wird. Sie werden auf Ergänzungsleistungen angewiesen sein, dringend. Die Kantone und der Bund werden dafür bedeutende Mittel bereitstellen müssen.
• Entscheidend wird die Rente der Pensionskasse.

Laut Bundesverfassung «ermöglicht die berufliche Vorsorge zusammen mit der AHV die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise» . Das ist eine offene Formulierung. Als das Gesetz eingeführt wurde, 1985, ging man davon aus, dass mittlere Einkommen ungefähr 60 Prozent des versicherten Lohns erreichen sollen. Dieses Ziel wird bis heute erreicht, ja übertroffen. Ursache für die positive Entwicklung ist die vergangene Börsen- und Zinshausse. Von 1985 bis 2002 wurden die angesparten Alterskapitalien zu mindestens 4 Prozent, im Jahr 2003 noch zu 3,25 Prozent verzinst, was zusammen mit den Zinseszinsen eine Totalrendite von rund 100 Prozent ergibt. Weil die Nominallöhne im selben Zeitraum nur um rund 60 Prozent gestiegen sind, vermehrte sich der reale Wert des Vorsorge-Kapitals. Sogar 2004, wenn der Minimalzins auf 2,25 Prozent sinkt, machen die Arbeitnehmer wieder vorwärts, da ihre angesparten Alterskapitalien erneut stärker wachsen werden als die Nominallöhne.

Das ging jetzt vielleicht etwas schnell, darum wiederhole ich: Seit die zweite Säule für obligatorisch erklärt wurde, haben die angesparten Kapitalien viel mehr Zinsen abgeworfen als die löhne in Prozenten gestiegen sind. Also hat die zweite Säule mit der Lohnentwicklung nicht nur Schritt halten können, im Gegenteil, sie hat die Lohnentwicklung sogar übertroffen. Der so genannte «Rentenklau» findet sicher nicht in der zweiten, sondern in der ersten Säule statt, weil dort die Renten wegen des Mischindexes eben gerade NICHT mit der Lohnentwicklung Schritt halten können und darum systematisch entwertet werden.

Fazit: Dank der zweiten Säule lief bisher alles rund. Wer bei einer Pensionskasse versichert ist, hat das Ziel der Bundesverfassung, «die Fortführung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise», locker erreicht, sogar übertroffen. Also keine Panik: Unsern Alten geht es gut.

Rein statistisch hat jede Person eine schöne, sichere und vor allem eine lange Zeit vor sich. Eine Frau, die heute das Alter 65 erreicht, lebt noch ganze 21 Jahre, ein Mann immerhin 17 Jahre. Das ist neuer Rekord. Im Vergleich zu den ersten AHV-Rentnern der Schweiz im Jahre 1948 wird den heutigen Pensionären ein volles Drittel Extraleben geschenkt. Mindestens. Denn ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen. Jedes Jahr steigt die zusätzliche Lebenserwartung der 65-Jährigen wie durch ein Wunder um einen weiteren Monat an. Unsere Alten werden nicht nur zahlreicher, sie werden auch immer älter.

Und dabei werden sie sogar immer reicher, wie eine neuere Analyse der Zürcher Staatsteuerstatistik zeigt. Im Alter von 65 versteuert im Kanton Zürich bereits jeder Fünfte mehr als eine Million Franken Vermögen. Und das ist noch nicht das Ende. «Mit dem Alter nimmt das Vermögen generell zu» . Das Vermögensmaximum erreichen die Leute etwa im Alter von 75, und von da an bleibt es stabil bis über das Alter 90 hinaus. Im Klartext: Eine Person, die bei ihrer Pensionierung schon reich ist, wird im Durchschnitt noch reicher sein, wenn sie ins Grab kommt – quasi als letzter Beweis für die Grenzenlosigkeit der irdischen Vorsorge. Die heutigen Alten müssen ihr Vermögen nicht verzehren, im Gegenteil. Sie mehren es.

Ich will hier nicht den Sozialneid schüren. Aber man darf in diesem Zusammenhang wohl auch erwähnen, dass der medizinische Fortschritt, der zum Beispiel dafür sorgt, dass die Alten noch älter werden, nicht gratis ist. Eine 90jährige Person bezieht im Durschnitt zehn mal mehr Leistungen von der Kranken-Grundversicherung als eine 30- bis 40jährige , dennoch zahlen beide die genau gleiche Prämie. All das passiert klaglos. Noch unterstützen die Jungen die Alten solidarisch, obschon die Alten zumindest im Durchschnitt viel reicher sind als die Jungen.

Später wird diese Entwicklung vielleicht Konsequenzen haben, in der Krankenversicherung und erst recht in der Altersvorsorge. Aber erst später. Noch gelten, wie es so hübsch heisst, «die wohlerworbenen Rechte». Die fangen beim Rentenalter an, hören bei der Rentenhöhe auf und erstrecken sich von der Ersten bis zur Zweiten Säule.

Selbst der forsche Pascal Couchepin, Jahrgang 1942, will das Rentenalter 66 erst ab Jahrgang 1950 einführen, das Rentenalter 67 erst ab Jahrgang 1960. Wer heute schon länger lebt, muss noch nicht länger arbeiten. Also keine Panik, bitte.

Die «wohlerworbenen Rechte» gelten sogar bei den Pensionskassen. Klar, es schwirren zur Zeit manche Zahlen und Szenarien rund um die Unterdeckungen der Kassen in allen Zeitungsspalten herum. Doch aus Sicht der heutigen Rentner ist nur eine einzige Ziffer entscheidend: der Umwandlungssatz. Dieser liegt seit Einführung des Beruflichen Vorsorgegesetzes (BVG) bei 7,2 Prozent. Der Rest der Rentenberechnung ist trivial. Man nehme das gesparte Kapital im Alter 65, wandle es zum ominösen Satz von 7,2 Prozent um, und man erhalte die Jahresrente. Für 100‘000 Franken Alterskapital gibt‘s 7200 Franken Jahresrente, für 200‘000 Alterskapital 14‘400 Franken Jahresrente. Ist die Rente einmal fixiert, bleibt sie das ganze Leben lang garantiert – egal, wie schlecht die Börse läuft und wie tief der Deckungsgrad der Pensionskasse sinkt.

Dass der Umwandlungs-Prozentsatz so konstant hoch blieb, ist beachtlich. Denn eigentlich müsste die Rechnung längst revidiert werden. Erstens leben die Über-65-Jährigen immer länger. Und zweitens muss das angesparte Kapital, bis es als Rente ausbezahlt wird, vom Tag der Pensionierung an weiter angelegt werden, nur rentiert es heute nur noch halb so viel, wie man ursprünglich kalkuliert hat (mit 2,25 Prozent statt 4 Prozent). Beide Effekte wirken gleich: Die Umwandlungssätze und damit die Renten müssten fallen, heute. Aber sie tun es nicht.

Erst für die später Geborenen werden die Bedingungen angepasst. Aber sachte, sachte. Ab 2005 sinkt der Umwandlungssatz Jahr für Jahr ein kleines Schrittlein, so dass Personen mit Jahrgang 1950 ihre Rente noch mit 6,8 Prozent umrechnen dürfen. So ist es in der 1. BVG-Revision gesetzlich vorgeschrieben. Das ist zwar eine gewisse Einbusse im Vergleich zu den Rentnern von heute; die Generationen, die nachfolgen, würden sich allerdings bedanken, dürften sie weiterhin auf solche Bedingungen zählen.

Hier droht der Generationenkonflikt schon wieder, diesmal nicht in der ersten Säule, sondern in der zweiten Säule, in der angeblich jedes Indiduum streng für sich selber spart. Nur: Das stimmt nicht. Es gibt Profiteure auch in der zweiten Säule, und diese Profiteure bestehen wie in der ersten Säule ganz eindeutig aus den heutigen Alten. Jede Massnahme, die heute verschoben wird, muss später um so radikaler vollzogen werden. Ein Vorspiel dazu gaben die Sammelstiftungen der grossen Versicherungen «Winterthur» oder «Zürich». Weil sie in finanzielle Not geraten sind, im obligatorischen Bereich aber nicht handeln können, greifen nun umso radikaler im überobligatorischen Teil durch, indem sie ab 2004 den Umwandlungssatz abrupt auf unglaublich tiefe 5,4 bis 5,8 Prozent fallen lassen.

«Die heutigen Rentner werden nicht nur in der AHV, sondern auch in der Zweiten Säule von den Aktiven quersubventioniert», fasst der Basler Pensionskassenexperte Martin Wechsler zusammen. Wechsler weiss, wovon er spricht. Er hat 1996 im Auftrag des Bundes eine viel beachtete Studie über die «Umverteilung zwischen den Generationen» verfasst. Bisher lief alles glatt. Dank den Extragewinnen an der Börse haben sich die Pensionskassen manches locker leisten können: neben dem zu hohen Umwandlungssatz auch vorzeitige Pensionierungen unter vorzüglichen Bedingungen. So wurde das Rentenalter 65 immer mehr zur Ausnahme, die die Regel bestätigt, dass jeder dritte Mann und jede vierte Frau vorzeitig aus dem Erwerbsleben zurücktritt; im öffentlichen Sektor ist die Rate der Frühpensionierungen viel höher, am höchsten vermutlich bei den SBB, wo die Pensionskasse umgekehrt am schlimmsten dasteht. In der Euphorie begannen unzählige Pensionskassen sogar damit, einen Teuerungsausgleich auf den Renten zu zahlen, in der maroden SBB-Pensionskasse leistete man sich diesen Luxus zuletzt per 1. Januar 2003.

Das war ein Spiel mit dem Feuer, wie sich heute herausstellt. Profitiert hat durchwegs die gleiche Generation: die heutigen Rentner. Nun, nach drei Jahren Börsencrash, wird die Rechnung wie der berühmte schwarze Peter an die nachfolgenden Generationen weitergereicht. Viele Pensionskassen sind unterdeckt, teilweise dramatisch, aber immer soll sich die gleiche Gruppe für die Sanierung zur Verfügung stellen:

• Die Aktiven, indem sie auf die Mindestverzinsung ihres Vermögens verzichten müssen.
• Die Aktiven, indem sie jeden Monat Extrabeiträge leisten müssen.
• Die Aktiven, indem ihnen bei einem Stellenwechsel nicht mehr in jedem Fall die volle Freizügigkeit gewährt wird.
• Die Aktiven, indem sie die Schulden, die bei den öffentlichen Pensionskassen entstanden sind und weiterhin entstehen, zu verzinsen und irgendwann zu begleichen haben.

Gerade dieser letzte Punkt, die öffentlichen Pensionskassen, sind heute aber kein öffentliches Thema. Das ist erstaunlich, handelt es sich hier doch um ein gigantisches Klumpenrisiko. Welcher Generation die Rechnung irgendwann eben doch präsentiert wird, ist auch schon klar: den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern der Zukunft.

Die Summen sind unvorstellbar. In den letzten fünf, sechs Jahren hat allein der Bund zur Sanierung seiner Pensionskassen 20,3 Milliarden Franken nachbezahlt. Für die nächsten drei, vier Jahre sind weitere 16,6 Milliarden fest versprochen, macht schon 36,9 Milliarden. Wer denkt, damit wären sämtliche alte Schulden beglichen, täuscht sich. Im Januar 2003 verlangten die SBB abermalige 1,6 Milliarden Franken, im Juni stellte die Post eine Nachforderung von 1 Milliarde, im August hat sich auch die Publica gemeldet, die grösste Pensionskassen des Bundespersonals. Selbstverständlich hat der Bund solche Summen nicht flüssig, also schiebt er die Probleme auf die lange Bank. Und lässt einfach die Schulden weiter ansteigen lässt.

Bis jetzt war erst vom Bund die Rede. Nimmt man die Pensionskassen der Kantone, Städte und Gemeinden hinzu, nehmen die Summen galaktische Dimensionen an. Trotz unübersichtlicher Datenlage hat Professor Heinz Zimmermann, Finanzexperte der Universität Basel, eine Hochrechnung erstellt . Demnach beträgt die heutige Unterdeckung aller Kassen rund 41 Milliarden Franken. Auch damit sind eigentlich erst zwei Drittel der wahren Dimensionen erfasst, funktionieren doch die meisten öffentlichen Pensionskassen nach dem Leistungsprimat. Da werden Leistungen fix garantiert, ohne dass sie genügend vorfinanziert wären; vor allem aber liegt diesen spendablen Versprechen ein technischer Zinsfuss zu Grunde, der seit längerem unerreichbar ist. Ein Problem, das eigentlich nur zwei Lösungen offen liesse: entweder werden die Beiträge erhöht – oder die Leistungen gekürzt. Aber nichts geschieht. Heinz Zimmermann schätzt die «echte» Unterdeckung auf 66 Milliarden Franken. Sein lakonischer Kommentar: «Ob nun die Unterdeckung 41 oder 66 Milliarden Franken beträgt, in beiden Fällen handelt es sich um Dimensionen, welche sich der alltäglichen Erfahrung mit Finanzgeschäften entziehen.» Die alltäglichen Erfahrungen aus der Politik zeigen jedoch, wo Probleme dieser Grössenordnung «entsorgt» werden: auf dem Schuldenberg. Nach uns die Zinsflut.

Ich weiss, das waren jetzt etwas technische Ausführungen. Solche Themen eignen sich schlecht für öffentliche Vorträge. Die Botschaft, die ich Ihnen überbringen wollte, ist hoffentlich trotzdem klar geworden. «Trau keine über 30!» Als ich diese Schlagzeile in Zusammenhang mit der AHV das erste Mal gelesen habe, war ich 17, heute bin ich 43. Also darf ich heute denen nicht mehr trauen, die bereits über 55 sind. All diese Leute werden spätestens um das Jahr 2015 pensioniert. Für alle dies Leute läuft alles rund. Bis 2015 ist die AHV gesichert, und bis dann bleiben auch die Umwandlungssätze in den Pensionskassen relativ hoch. Was später geschieht, etwa im Jahr 2025, wenn zum Beispiel auch ich pensioniert werde, ist offen. Aber das darf denen, die 1977 schon über 30 waren, ziemlich egal sein.

Ich danke Ihnen.

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