Ungereimtes zur Schweizerischen Umverteilungspolitik

Vorlesung Public Choice and Public Economics, 31.01.2006, Universität Basel, Petersplatz 1

Es ehrt mich sehr, dass ich hier in der Universität Basel, an der ich studiert habe, eine richtige Vorlesung halten darf, obschon ich nur ein Journalist bin. Das Thema, das mir Professor Borner vorgegeben hat, lautet: «Ungereimtes zur Schweizerischen Umverteilungspolitik», und dieses Thema ist so ambitiös wie unerschöpflich. Vor einem Jahr habe ich versucht, darüber ein ganzes Buch zu schreiben. Ich wollte aufzeigen, wer die Gewinner sind und wer die Verlierer im Umverteilungsstaat Schweiz; das ist nämlich gar nicht so klar. Im Namen der «Idée suisse», so der Titel meines Buchs, wird unheimlich viel Geld hin und her geschoben, aber was dieses Geld bewirkt, weiss niemand. Dies ist übrigens bereits meine wichtigste, vielleicht sogar meine einzige Erkenntnis, die ich während meiner Arbeit gewonnen habe: Das Ungereimte der Umverteilungspolitik besteht darin, dass wir so wenig darüber wissen. Wir haben diese Sache analytisch nicht mehr im Griff.Mit «wir» meine ich neben uns Journalisten auch Euch, also die Wissenschaftler, aber natürlich auch die Politikerinnen und Politiker oder die Experten der Caritas, welche uns vorrechnen, dass es immer mehr «Arme» geben soll, obschon laufend noch mehr Geld umverteilt wird. Inzwischen sollen von den 7,4 Millionen Schweizerinnen und Schweizer bereits 1 Million «arm» sein. Eine wohl zweifelhafte Hochrechnung, welche aber immerhin bestätigt, dass irgendetwas nicht mehr stimmt. Und sei es nur, dass uns der Sinn und Zweck der Umverteilung aus dem Blickfeld geraten ist.In der Einleitung zu meinem Buch schrieb ich: «Der heutige Sozial- und Umverteilungsstaat entpuppt sich als eine Art Tinguely-Brunnen. Es rattert, es quietscht, es kracht, es pufft, und vor allem spritzt es. Auf unendlich verschlungenen Wegen strömt und sickert das Flüssige. Fasziniert steht das Publikum davor, schaut zu und lernt dabei: Eine solche Maschine funktioniert; aber sie funktioniert eben nur in der mechanischen Welt. Im realen Umverteilungsstaat spritzt und strömt das Flüssige ebenfalls in sehr viele Richtungen, und das Publikum kommt gleichfalls nicht mit. Welche Person wird wie nass? – Alle ein bisschen, so der erste Eindruck. Und einige richtig».

Heute muss ich gestehen: Ich bin gescheitert. Mein Buch ist erschienen, aber kaum zur Kenntnis genommen worden. Obschon es von der «Weltwoche» mit Vorabdrucken und Inseraten gefördert wurde, hat es sich nur 2500 mal verkauft, was für ein Schweizer Sachbuch vielleicht respektabel, aber leider zuwenig ist, um eine Diskussion in Ganz zu setzen – und übrigens auch zu wenig, um als Autor von den Buchhonoraren leben zu können.

Ich will darum auch gar nicht anfangen, den Inhalt dieses erfolglosen Buches zu rekapitulieren. Ich wollte ja ursprünglich eine Diskussion in Gang setzen. Also beginne ich mit dem Ende und damit mit der Frage: warum verkauft sich ein Buch über die Umverteilung nicht? Mein erstes Buch unter dem Titel «Weissbuch 2004» verkaufte sich dreimal besser; vermutlich, weil es eine einfache Lösung versprochen hat: die Flat Tax. Das tönt schon fast populär. Eine Analyse der Umverteilung hingegen ist schon vom Ansatz her umfassend, der Gegenstand notwendigerweise höchst komplex, womit der Text weniger lesbar wird, der Inhalt sogar diffus erscheint.

Kürzer gesagt: Ich war naiv. Am Anfang meiner Arbeiten habe ich noch darüber gestaunt, warum niemand die Frage untersuchen will, wer netto von der Umverteilung wie viel profitiert oder netto wie viel einzahlen muss. «Warum gibt es keine wissenschaftliche Publikationen dazu, von keinem Universitätsinstitut, auch von keinem Think Tank?», habe ich mich gefragt. «Warum nicht? Ist das etwa kein relevantes Thema?»

Aber sicher, das Thema wäre schon relevant, politisch wie ökonomisch, ja sogar akademisch. Aber es gibt trotzdem keine Studien dazu, und zwar einfach deshalb, weil die Wissenschafter klug genug sind, um zu wissen, dass sich die Umverteilung als Ganzes gar nicht analysieren lässt. Man kann nicht über «alles» reden wollen. Und darum sage ich jetzt nur: Die Umverteilung läuft. Wie sie läuft, darüber weiss ich nichts Genaues, darüber weiss niemand Genaues, und so lange niemand Genaues weiss, steht der Verdacht im Raum: dass die Umverteilung schief läuft.

Beginnen wir mit einem Normalfall, wie er in der Schweiz grob geschätzt eine Million Mal vorkommt. Womit ich diesmal nicht die Million der «Armen» meine, sondern die Million der «Sowohl-als-auch». Konkret: Es gibt eine einzige Subvention im Schweizerland, die inzwischen an 41 Prozent der Haushalte ausgeschüttet wird. 41 Prozent, das ist keine kleine Minderheit. 41 Prozent der Haushalte erhalten mindestens einen Teil der Krankenkasse vom Staat bezahlt. Nun mag man einwenden: Okay, diese Pro-Kopf-Prämien sind auch unbezahlbar teuer geworden, da ist nur logisch, dass «die untersten» 41 Prozent subventioniert werden müssen.

Schaut man näher hin, fällt auf, dass viele dieser subventionierten Haushalte aus Sicht des Staats immerhin reich genug sind, damit der Staat sich getraut, bei ihnen eine Steuer einzutreiben. Von der direkten Bundessteuer nämlich sind nur «die untersten» 20 Prozent der Haushalte befreit, von den kantonalen Steuern und kommunalen Steuern oft nur «die untersten» 10 bis 15 Prozent.

Damit wir uns hier richtig verstehen: Ich rede nicht vom Tinguely-Brunnen, sondern nur von zwei simplen Transfers – Prämiensubventionen kassieren, Einkommenssteuern zahlen –, doch diese beiden Transfers sorgen dafür, dass eine Schnittmenge entsteht, bestehend aus grob geschätzt einer Million Menschen, die man als «Sowohl-als-auch» bezeichnen kann, und die sich selber auch als «Sowohl-als-auch» vorkommen: Da stopft ihnen der Staat das Geld in die linke Hosentasche, um es ihnen sogleich wieder aus der rechten Hosentasche herauszuziehen. Dieser Vorgang ist ein bisschen schizophren.

Hier in Basel-Stadt sieht das konkret so aus: Eine alleinstehende Person mit einem Nettolohn von 40’000 Franken erhält eine Subvention 600 Franken im Jahr, muss aber gleichzeitig rund 4000 Franken Steuern zahlen. Verdient diese alleinstehende Person weniger als 23’000 Franken, kehrt sich ihre Lage um: Dann erhält sie eine Subvention von fast 3000 Franken im Jahr, aber sie muss trotzdem immerhin etwa 1400 Franken Steuern zahlen. Dasselbe Bild bei den Familien. Ein Paar mit zwei Kindern erhält bis etwa 84’000 Netto-Lohn eine Prämienverbilligung von gut 1800 Franken im Jahr; gleichzeitig muss dieselbe Familie im «sozialen Basel» jedoch über 7000 Franken Steuern abgeben.

Lohnt sich dieses Hin und Her? Oder ginge es auch einfacher und gerechter? Ich würde hier vorschlagen: Der Staat soll bei den unteren Einkommen darauf verzichten, Steuern zu erheben. Und er soll dann nur noch bei den untersten Einkommen die Krankenkassenprämien verbilligen. Aber dieses «Sowohl-als-auch», das ist kein Zustand. Es ist aus staatspolitischer kaum klug, wenn die jetzige Umverteilungspolitik dazu führt, dass 41 Prozent der Haushalte zu Subventionsempfängern herabgestempelt werden.

Vor allem aber ist das Hin- und Her nicht effizient. Das bekommen alle Haushalte bürgernah zu spüren, schon wieder in Form eines «Sowohl-als-auch». Sowohl müssen sie in einem langen Formular, das man „Steuererklärung“ nennt, darlegen, wie viel sie verdienen, damit der Staat anschliessend seinen Tarif durchgeben kann. Als auch müssen sie auf einem andern Amt darlegen, wie wenig sie verdienen, damit der Staat dann einen Teil seiner Steuereinnahmen wieder zurückerstatten kann. Nun können Sie schon wieder einwerfen: Okay, das mag ja schrecklich kompliziert sein, aber wenn es dem Staat wenigstens gelingt, die richtigen Leute richtig zu behandeln, ist alles gut.

Genau das gelingt nicht. Ich zum Beispiel, ich verdiene sechsstellig, meine Frau verdient auch, wir haben sogar ein kleines Vermögen in Form eines Eigenfamilienhäuschens in der Stadt Zürich, aber nachdem wir uns zusätzlich den Luxus geleistet hatten, in unserem Häuschen den Dachstock auszubauen, ist das Einkommen gemäss unserer Steuererklärung dank diesen «Renovationen» so stark gesunken, dass wir nicht nur weniger Steuern zahlen mussten, sondern dass uns der Staat auch noch offeriert hat, die Krankenkassenprämie zu verbilligen, was wir dankend abgelehnt haben.

Ich bin kein Einzelfall. In einer Studie des Nationalfonds, die das Büro Bass unter dem Titel «Familien, Geld und Politik» im Jahr 2004 publiziert hat, wurden die Familien in fünf Einkommensklassen eingeteilt. Und siehe da: in der obersten Kategorie, bei den einkommensstärksten, erhalten 18 Prozent eine Prämiensubvention. Als Betroffener und als Journalist wundere ich mich manchmal schon, warum das kein öffentliches Thema ist, wenn im Umverteilungsstaat Schweiz ganz offensichtlich so viel Geld zu den «Falschen» fliesst.

Dabei gibt sich der Staat übrigens enorm viel Mühe, damit er
a) die Richtigen belastet und
b) die Richtigen begünstigt.
Zu diesem Zweck muss der Staat jedoch jeden einzelnen Haushalt einschätzen, ob dieser einerseits reich genug ist, um Geld abzugeben, oder andererseits arm genug, um Geld zu erhalten. Diese Einschätzung ist in beiden Fällen nicht trivial.

Theoretisch will der Staat seine Bürgerinnen und Bürger gemäss ihrer «wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit» besteuern. So steht es in der Bundesverfassung. Gleichzeitig verfolgt der Staat aber auch andere Ziele, die er ebenfalls mit Hilfe des Steuerrechts erreichen will. Zum Beispiel will er die Mobilität der Leute fördern, darum gibt es in der Steuererklärung spezielle Abzüge für den Arbeitweg. Zusätzlich will der Staat das Wohneigentum fördern, darum gibt es nach oben unbeschränkte Abzüge für Renovationen. Überdies will der Staat die freiwillige Altersvorsorge fördern, und zwar auch bei Leuten, die im Jahr eine halbe Million aufwärts verdienen. Und so weiter. Der Bund, die Kantone, die Gemeinden packen sehr viele Ziele in das Steuergesetz. Das hat Folgen: Es gibt hunderte von Sonderregelungen mit Dutzenden von Abzügen, so dass jene Zahl, die bei der Steuererklärung unten raus kommt – das «steuerbare Einkommen» –, nicht unbedingt mehr die wirtschaftliche «Leistungsfähigkeit» abbildet. Prompt werden in Presse, Funk und Fernsehen regelmässig prominente Spitzenverdiener an den Pranger gestellt, die offiziell «null Einkommen, null Vermögen» versteuern.

Oder um es hier auf wissenschaftliche Art zu sagen: Das «Rentsseeking», dieser Terminus für das Erschleichen von Vorteilen, ist nicht etwa ein besonderes Merkmal von Randständigen, Invaliden, Arbeitslosen. Nein, alle Menschen wollen in ihrem Verhältnis zum Staat ein Maximum herausholen. Die Grossbanken zum Beispiel haben mit einem «Deal» mit der Steuerverwaltung in Zürich erreicht, dass bei ihren Spitzenverdienern der leistungsabhängige Bonus, sobald dieser drei Jahre hintereinander in ähnlicher Höhe ausbezahlt wird, als «Lohnbestandteil» anerkannt wird. Damit erhöht sich das «versicherte Einkommen», es entsteht eine Lücke in der Pensionskasse, welche die Betroffenen nachträglich auffüllen dürfen, was das «steuerbare Einkommen» entsprechend absenkt. Der gleiche Effekt spielt übrigens bei Spitzenverdienern, die sich scheiden lassen: Zwar müssen sie ihren Ex-Frauen die Hälfte des Pensionskassenkapitals auszahlen, aber just dadurch entsteht eine «Lücke», die sie nachträglich wieder auffüllen dürfen. Hier finden Sie, liebe Studentinnen und Studenten, vielleicht sogar Stoff für eine Studie: inwiefern begünstigt die Politik der Steueranreize die Scheidungsquote unter Spitzenverdienern?

Im Kanton Schwyz soll nun neu das Steuerregister nicht mehr öffentlich sein. Das schützt die prominenten Einwohner vor neugierigen Journalisten. Entlarvend scheint mir aber die offizielle Begründung der Behörden: «Die Steuerauskunft vermittle ohnehin kein objektives Bild über die tatsächliche Steuerleistungen, enthalte für Dritte kaum interpretierbare Endbeiträge», stand in der NZZ. Ein brisantes Eingeständnis.

Denn wenn das «steuerbare Einkommen» und das «steuerbare Vermögen» kein objektives Bild mehr vermitteln, ja kaum interpretierbare Endbeiträge darstellen, dann hat das weitreichende Konsequenzen. Denn damit wird der Sozialstaat zur Farce, sobald sich die Sozialpolitiker bei den Subventionen auf die «steuerbaren Einkommen» abstützen.

Das ist keine leere Warnung. Noch subventionieren einige Kantone die Krankenkasse gemäss den steuerbaren Einkommen; deswegen profitieren auch so viele Spitzenverdiener, wie ich zuvor ausgeführt habe. Andere Kantone gehen geschickter vor. In Basel-Stadt zum Beispiel gibt es ein Amt für Sozialbeiträge, das macht eine eigenhändige Bemessung. Es erhebt den Nettolohn (minus alle Sozialversicherungsbeiträge, inklusive Pensionskasse), davon werden die Pauschalabzüge zu für Versicherung und Berufsunkosten gewährt, aber nur die Pauschalabzüge. Zusätzlich werden das Vermögen und die Vermögenserträge erfasst. Das Verfahren gelingt, das Resultat spiegelt die «Leistungsfähigkeit» der Leute viel besser als das «steuerbaren Einkommen», aber: Es ist mit einem bürokratischen Effort verbunden. Die Behörde muss dasselbe Einkommen zwei Mal bemessen, nur um einerseits Steuern zu erheben und andererseits die Krankenkassenprämien zu verbilligen.

Nun gibt es weitere Subventionen, zum Beispiel, wie Sie wisssen, Stipendien. Auch hier dasselbe Lied: Im Kanton Schwyz, einem Paradies für Niedrigsteuern, haben die Behörden herausgefunden, dass einige gut verdienende Bürger ihre Häuser, die durchaus als «Villen» zu charakterisieren sind, gerade dann renovieren, wenn ihre Kinder in die Uni eintreten. Auch hier hat der Kanton Schwyz reagiert, oder wohl reagieren müssen: Es gibt nun vor jedem Stipendien-Entscheid eine Sonderumrechnung. Die Abzüge für Renovationsarbeiten am Eigenheim werden nur noch bei der Steuererklärung akzeptiert, nicht aber für die Stipendienbegehren.

Ich nähere mich allmählich dem Inhalt meines Buches «Idée suisse», aber keine Angst: Ich beschränke mich mit der populärst möglichen Zusammenfassung und lese jetzt nur den Klappentext vor:

«Das Phantombild des Profiteurs hat folgendes Signalement: Er ist vor 1950 geboren, Akademiker, kinderlos, lebt im Konkubinat, raucht nicht, besitzt entweder ein eigenes Haus, oder er mietet seit ewig das gleiche Appartement, wohnt auf alle Fälle abseits der Stadt, geht aber trotzdem ins Theater oder in die Oper, ist sehr mobil mit der Bahn, aber auch mit dem Auto und dem Flugzeug, ist in einer Pensionskasse bestens versichert, bewirtschaftet ein paar Wiesen, auf denen er nebenbei Schafe züchtet und am Feierabend Rüebli aussät, selbstverständlich streng biologisch, und er ist weiblich.»

Dieses Phantombild ist weit entfernt davon, wie wir uns gewöhnlich unter den «Armen» vorstellen, von denen es laut Caritas eine Million geben soll. Nur: Es ist ganz offensichtlich nicht der alleinige Sinn und Zweck der Umverteilung, die Armut zu verhindern; mit Umverteilung werden immer auch andere Ziele verfolgt. Entscheidend ist hier der Plural: Es werden immer mehrere Ziele verfolgt. Also ist es nur logisch, dass nicht alle Ziele zugleich erreicht werden können. Angesprochen ist hier das Tinbergen-Prinzip, benannt nach dem berühmten Ökonomen Jan Tinbergen, welches besagt, «dass eine volle Realisierung der Ziele nur dann möglich ist, wenn genau so viele unabhängige Instrumente eingesetzt werden, wie Ziele verfolgt werden».

Kürzer gesagt: Der Staat kann nicht vier, nicht drei, ja nicht einmal zwei Fliegen auf einen Schlag fangen. Das meiste, was heute in der Politik schief läuft, läuft schief, weil die Politiker zu viel auf einmal wollen. Zum Beispiel wollen sie den öffentlichen Verkehr fördern und gleichzeitig die abgelegenen Regionen. Das Resultat sieht man am heutigen SBB-Netz, das durch eine doppelte Neat ergänzt wird, oder am Autobahnnetz, welches dazu führt, dass auch der Kanton Obwalden eine Autobahn, nämlich die A 8, und der Kanton Jura seine A 16 erhält, obschon diese kaum befahren sein wird. Hier werden Täler erschlossen statt Menschen transportiert.

Die Landwirtschaftspolitik verfolgt neben der Kriegsvorsorge und der Landpflege auch soziale Ziele: Die reichsten Bauern sollen weniger Direktzahlungen erhalten. Wegen dieser Absicht wurden extra Einkommensgrenzen eingeführt, aber es lohnt sich kaum, diese Kriterien zu überprüfen; der Bund spart damit lediglich 0,37 Prozent der Direktzahlungen. In Zahlen: Lediglich 185 Betriebe versteuern mehr als 800’000 Franken Vermögen, trotz teilweise imponierenden Gehöften; lediglich 950 Bauern schaffen in der Schweiz ein von mehr als 80’000 Franken. Mit andern Worten: Der Staat treibt seine Bauern dazu an, ihr Leben so zu organisieren, damit sie laut Steuererklärung weiterhin «arm» bleiben, denn nur so werden sie weiterhin vom Staat unterstützt. Ferner sind die Flächenbeiträge nach der Fläche abgestuft, Ziel ist erneut die «soziale Gerechtigkeit», Grossbauern sollen nicht so stark gefördert werden; auch diese Absicht bewirkt, dass es in der Schweiz lauter «kleine» Bauern gibt. Am Ende sind die Gehöfte in der Schweiz so klein, wie sie sind, und die Bauern sind so arm, wie sie sind. Trotzdem kann die Landwirtschaft nur einen geringen Beitrag leisten zur «dezentralen Besiedlung des Landes», was sie laut Bundesverfassung aber sollte. Die hintersten Dörfer in den Tälern werden verlassen, sie «verganden», wie es so schön negativ gefärbt heisst, aber sie «verganden» nicht, weil die Schweiz so knausrig ist, sondern sie verganden, obwohl wir so viele Landwirtschaftssubventionen, Strassensubventionen, Lawinenbausubventionen in die hintersten Täler schicken.

Meine Schlussfolgerung lautet: «Es genügt, wenn die Sozialpolitik sozial ist. Die übrige Politik muss dann nicht auch noch sozial sein». Ob Wohnbau- oder Kulturförderung, ob SBB- oder Spitalsubventionen, ganz zu schweigen von der Hochschulpolitik – überall bringen die Politiker neben vielen andern auch sozialer Argumenten vor. Konkret wollen sie dann einen möglichst «freien» Zugang garantieren und produzieren, wie man in der Sprache der Direktwerbung sagen würde, «Streuverluste». Es werden immer alle Plätze subventioniert, ganz egal, ob auch Milliardäre im SBB-Waggon mitfahren oder in der Loge des Opernhauses sitzen oder in einem Spitalbett liegen. Und es sind zur Hälfte die Kinder der Akademiker, welche an einer Universität wie hier zu Akademikern ausgebildet werden. Postautos sind öfters leer unterwegs, hier will offenbar gar niemand subventioniert werden.

Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage: Wie wird umverteilt? Wer profitiert? Am meisten Leserbriefe erhalte ich, wenn ich als Journalist einen Artikel schreibe über den Altersreichtum. Jeder zweite Über-65-jährige versteuert ein Vermögen von mehr als einer Viertelmillion, wie offizielle Statistiken im Kanton Aargau darlegen, welche die wahren Verhältnisse wohl eher unterschätzen. Doch solche Dinge hören die Betroffenen nicht gern und werfen mir vor, ich würde den Neid schüren. Dabei frage ich mich nur: Ist es staatspolitisch klug, wenn wir bald jede zweite junge Familie subventionieren, damit sich diese jungen Familien weiterhin leisten können, den älteren Leuten indirekt die Krankenkasse zu finanzieren, obschon jeder zweite von den Über-65-jährigen mindestens eine Viertelmillion auf der hohen Kante hat – und obwohl just diese Über-65-jährigen für den grössten Teil der Kostensteigerungen im Gesundheitswesen verantwortlich sind?

Und welchen Reim machen wir uns darauf, dass in unserem Staat systematisch die heutigen Alten privilegiert werden? Obschon wir heute schon wissen, dass alle künftigen Rentner in der AHV, aber auch in den Pensionskassen schlechtere Bedingungen haben werden? Ist das sozial?

Sehr fragwürdig ist zudem der landesinterne Finanzausgleich zwischen den «reichen» und den «armen» Kantonen. «Warum sollte der Zürcher Arbeiter den Berner Millionär unterstützen?», fragt der Freiburger Ökonomieprofessor Henner Kleinewefers und antwortet: «Das ist aber das Ergebnis, wenn man die Umverteilungsgiesskanne per saldo in Zürich füllt und über Bern ausleert.»

Immer und überall dasselbe Lied: Die heutige Umverteilungspolitik ist intransparent – und führt nicht selten zu abstrusen, ja perversen Resultaten. Die soziale Umverteilungsmaschine ist, anders als bei Jean Tinguely, eben kein Gesamkunstwerk, all die vielen Transfers von heute sind untereinander überhaupt nicht koordiniert. Das führt zu nicht beabsichtigten, aber «falschen» Anreizen. Die Leute schauen nicht mehr nach «oben», sondern sie orientieren sich nach «unten». Sie wollen nicht mehr «mehr» verdienen; sondern sie achten vielmehr daruf, dass sie ja nicht «zu viel» verdienen, damit sie in den Genuss dieser Transfers gelangen.

Ihre Devise heisst dann: Ja nicht mehr als 115’000 Franken verdienen, sonst bekomme ich keine halbe Gratisprämie für die Kinder, die neu eingeführt werden soll. Ja nicht mehr als 100’000 Franken verdienen, sonst zahlen wir zu viel für die Kinderkrippe. Ja nicht mehr als 75 000 verdienen, sonst bekommen wir überhaupt keine Krankenkassensubventionen mehr. Ja nicht mehr als 45 000 Franken verdienen, sonst bekomme ich keine Bevorschussung der Alimente. Auch das wäre mal Stoff für eine wissenschaftliche Arbeit: inwiefern das aktuelle System der Alimentenbevorschussung dazu führt, dass geschiedene Frauen der unteren Schichten fast nicht mehr ins System der Erwerbstätigkeit zurückfinden.

Rein statistisch präsentiert sich die Lage in Basel-Stadt so: 9 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerkung sind invalid, etwa 7 bis 8 Prozent von der Sozialhilfe abhängig, nahezu 5 Prozent arbeitslos. Das ergibt eine Quote von 20 Prozent Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Hinzu kommen die Altersrentner und – nicht zu vergessen – die letztlich kaum schätzbare Zahl der «Sowohl-als-auch», also der Leute, die irgendeine Subvention beziehen, gleichzeitig aber auch Steuern bezahlen. Mir scheint, dass die Zahl der «Rent-Seeker» etwas gar gross geworden ist.

Gibt es eine Lösung? Eine liegt auf dem Tisch, sie wird in Euren Lehrbüchern immer wieder dargelegt, und zwar unter dem Titel «negative Einkommenssteuer», welche schon von der Definition her das Gegenteil darstellt des heutigen «Sowohl-als-auch». Rein theoretisch überzeugt diese Lösung sehr. Rein praktisch beginnen die Probleme bei einer negativen Einkommenssteuer, sobald man Zahlen einsetzt; doch das wäre Stoff für eine andere Vorlesung.

Die Frage, die sich hier stellt, lautet natürlich: Ist so ein System finanzierbar? Dazu bräuchte es wie gesagt einmal eine seriöse Hochrechnung, und diese hängt wie gesagt von den Summen ab, die man in Form von einer negativen Einkommenssteuer den einkommensschwachen Leuten zukommen lässt.

Ich möchte hier nur dringend emfpehlen: Wir sollten den Umverteilungsstaat vereinfachen, und zwar an beiden Enden. Wir sollten das Steuersystem und das Subventionswesen vereinfachen. Denn nur so können wir Transparenz herstellen. Und das gelingt am besten, wenn wir die vielen heutigen Transfers, die untereinander nicht koordiniert sind, ersetzen durch einzigen Transfer, der allenfalls noch mit einer Kinderzulage, einer Alterszulage und einer Invalidenzulage zu ergänzen wäre. Alle andern Subventionen und Sozialbeiträge könnten dann aber abgeschafft werden, womit wir uns einiges Geld sparen können, das wir heute für die Landwirtschaft, die Regionalpolitik, die Kulturförderung oder den öffentlichen Verkehr ausgeben. Der Staat soll das Existenzminimum absichern, wobei dieses Existenzminimum auch die Fahrt mit dem Tram zu kostendeckenden Tarifen erlaubt. Und der Staat soll alle Niedrigverdiener gleich behandeln: egal, ob es Bauern sind, Supermarktkassiererinnen oder Kleinkünstler, und unabhängig davon, ob es sich um alteingesessene Bergler im Schächental oder eine zugezogene türkische Familie in Kleinhüningen handelt.

Es geht also darum, dass aus dem kunstvollen, nicht durchschaubaren Tinguely-Umverteilungsbrunnen wieder ein ganz gewöhnlicher Geldfluss wird, bei dem das Publikum auf den ersten Blick sieht: Das Bare fliesst in die richtige Richtung, von Reich zu Arm. Wenn das gelingt, dann können ruhig etwas weniger Geld umverteilen als heute, sofern wir es richtig tun. Denn es kann nicht klug sein, wenn der Mittelstand auf komplizierten, nicht durchschaubaren Umwegen auch noch den Mittelstand querfinanziert. Und ich bin mir ziemlich sicher: Eine effizientere Umverteilung wäre letztlich im Interesse aller. Im Interesse der Reichen, im Interesse des Mittelstandes, und auch im Interesse der Armen, von denen es in der Schweiz tatsächlich eine Million gäbe, wenn keine Umverteilung stattfände.

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