Das beste Hirntraining und das zweitbeste

Preisverleihung: Medienpreis für Finanzjournalisten 2008, 08.04.2008, Hotel Savoy

Sehr geehrte Damen und Herren,
zuerst habe mir überlegt, ob ich hier überhaupt etwas sagen soll, denn nach einer Laudatio auf die eigene Person wird es schnell peinlich, wenn der Gelobte selber auch noch etwas sagt. Ich habe mir bereits überlegt, auf welche Weise ich mich entschuldige.

Ob ich zum Beispiel sagen soll, dass Schreiben und Sprechen zwei verschiedene Dinge sind. Weswegen gute Schreiber, zu denen ich mich nach der Laudatio von Herrn Professor Jarren zählen darf, weswegen gute Schreiber meistens schlechte Redner sind. Gerade unter den Journalisten gibt es namhafte Beispiele für diese These.

Aber das wäre natürlich eine faule Ausrede gewesen.

Ich habe dann in Betracht gezogen, mich wegen meiner gesundheitlichen Probleme herauszureden. Sie haben es vermutlich bemerkt, ich habe einen unsicheren Gang, ich habe Mühe mit der Orientierung im Raum, auch beim Erkennen von Gesichtern. Falls ich jemanden, den ich eigentlich kenne, heute Abend nicht begrüssen sollte, bitte ich vorsorglich um Entschuldigung.

Alle diese Schwierigkeiten sind die Folgen von zwei Hirnschlägen, die ich hinter einander erlitten habe – – aber keine Angst, Sie sehen es auf den ersten Blick, gemessen an diesen Umständen geht es mir hervorragend. Es wäre faul, mich hier aus gesundheitlichen Gründen herausreden zu wollen.

Nachdem ich also beschlossen hatte, dass ich hier etwas sagen werde, dachte ich darüber nach, was ich sagen soll und was nicht. Ich möchte Sie NICHT mit meiner Krankengeschichte langweilen.
Umgekehrt getraue ich mich nicht, über das zu sprechen, was Sie, meine Damen und Herren, beschäftigt. Zum Beispiel über die Immobilienblase in den USA und ihren Auswirkungen auf die globalen Aktienmärkten oder auf die Binnenkonjunktur. Zu all diesen Dingen getraue ich mich nichts zu sagen. Es ist zwar nicht so, dass ich keine eigene Meinung mehr habe, aber ich habe den Mut zur Arroganz verloren.

Alle Journalisten brauchen diesen Mut, gerade auch gute Journalisten müssen zuweilen über Dinge urteilen, von denen andere Leute von Berufs wegen mehr verstehen, mehr verstehen müssen – und hoffentlich auch mehr verstehen. Das ist bei jedem Thema so, jeder Journalist braucht einen gewissen Mut zur Arroganz.

Bei mir sind die Defizite aber offensichtlich. Zu lange war ich abwesend. Ich lag ein paar Wochen im künstlichen Koma, dann ein paar Monate in verschiedenen Kliniken.

Ich bin im besten Fall halb informiert. Das Lesen einer Zeitung schaff’ ich inzwischen wieder, aber nur eine Zeitung pro Tag, nicht zwei wie früher. Die NZZ lasse ich ungelesen liegen. Den ECONOMIST schaff ich auch nicht mehr, weil das Lesen auf englisch für mich zu anstrengend ist.

Dabei hat mich gerade der ECOONOMIST früher in diesen Themen immer zuverlässig informiert. Ich würde sogar behaupten: Hätte Marcel Ospel den ECONOMIST gelesen und die Arroganz dieser Jountalisten ein klein wenig Ernst genommen, er wäre heute hoch in Amt und Würden.

Und: Hätte das das Schweizer Anlegermagazin PRIVATE einen internationalen Preis für den besten Finanzjournalisten zu vergeben, müsste ihn der Immobilienmarktspezialist beim ECONOMIST gewinnen.

Ich drifte ab. Es wäre wohl besser, ich rede über Dinge, mit denen ich mich in diesen Tagen tatsächlich beschäftige: mit Hirntrainings aller Art. Darum stelle ich –- wir sind schliesslich an einem Preiswettbewerb – meine kurze Ansprache unter den Titel: DAS BESTE HIRNTRAINING UND DAS ZWEITBESTE.

DAS BESTE, so bestätigen mir alle Neurologen und Ergotherapeutinnen, das beste Hirntraining ist das Klavierspiel. Musiknoten lesen, das ist komplex, viel komplexer als zum Beispiel den Economist auf englisch lesen. Man muss zunächst die Noten in zwei Notenschlüsseln erkennen, entschlüsseln eben, anschliessend muss man diese Noten umsetzen auf zwei Hände, zehn Finger, auf viele weisse Tasten und viele schwarze Tasten, den Thythmus finden und die Melodie klingen lassen und den Rhythmus finden. Das alles zugleich ist nicht so kinderleicht, wie es tönt, das ist eine kognitive wie eine feinmotorische Herausforderung – besonders für Leute, die wie ich das Klavierspielen nicht schon als Kind, sondern erst im Erwachsenenalter gelernt haben.

Aber ich arbeite daran.

Das ZWEITBESTE Hirntraining  – Sie sehen, ich nähere mich allmählich den alltäglichen Realitäten, ich rede bereits von den zweitbesten Lösungen – das zweitbeste Hirntraining, ist das Ausfüllen der Steuererklärung. Zu diesem Thema getraue ich mir sogar etwas zu sagen, denn die Vereinfachung des Steuersystems gehörte früher zu meinem journalistischen Standard-Repertoire. Deswegen habe ich ja auch diesen Preis gewonnen.

Warum ist das Steuersystem so kompliziert? Meine Antwort lautet immer gleich: Weil es so viele Ausnahmen gibt, so viele Sonderregelungen, so viele Sonderabzüge, die man dann einzeln belegen muss. Zum Beispiel die Einzahlungen in die Dritte Säule, die Einkäufe in die Pensionskasse der Ehefrau, die Renovations- und Unterhaltskosten im eigenen Haus, die Kosten für die Zahnspangen der Kinder, den kleinen Teil der horrenden Gesundheitskosten, die ich im letzten Jahr verursacht habe, nämlich jene 1000 Franken, die ich selber bezahlen musste.

Und so weiter, Sie kennen das alle. Man muss den Kopf ordentlich beisammen haben, damit man ja keinen Abzug verpasst. Nur so können wir den herrschenden progressiven Steuertarifen ausweichen. Dank den vielfältigen Sonderabzugsmöglichkeiten ist es jedoch meistens möglich, das steuerbare Einkommen auf ein Niveau zu senken, bei dem Steuertarife auf ein erträgliches, flaches Mass absinken, wie es das Konzept der Flat Tax schon von Anfang an vorsieht.

Das ist natürlich ein absurder Umweg, es wäre sicher gescheiter, der Staat würde von Anfang an flache Tarife verlangen, diese aber konsequent anwenden und einziehen, ohne Ausnahmen, ohne Sonderregelungen, ohne Sonderabzüge.

Früher habe ich das Ausfüllen der Steuererklärung noch als Schikanierung durch den Staat beschimpft. Inzwischen habe ich mich weiter entwickelt. Heute erachte ich das Ausfüllen einer Schweizer Steuererklärung als das zweitbeste Hirntraining der Welt.

Das DRITTBESTE Hirntraining – – so merke ich jetzt gerade –- ist das Halten einer Rede, und sei sie kurz wie diese hier. Das ist gleichzeitig eine Konzentrations- wie eine Gedächtnisübung. Zuerst musste ich mir überlegen, was ich sagen will und was nicht. Dann musste ich meine Worte auswendig lernen. Und jetzt muss ich aufpassen, dass ich alles, was ich sagen wollte, auch tatsächlich sage. Einmal, und nicht etwa zwei Mal, da mein Kurzzeitgedähtnis etwas beeinträchtigt ist. So oder so laufe ich Gefahr, dass ich mich verliere.…

Wo stehe ich jetzt gerade? Richtig. –ich stehe bereits am Ende meiner kurzen Rede. Mir bleibt nichts anderes, als zu danken: Herrn Professor Jarren für seine Laudatio, Herrn Dr. Bernhard als Herausgeber des Magazins PRIVATE, das diesen hoch dotieren Preis spendet, der Jury, die mich auserkoren hat. Ich danke meiner Frau, die mich schon immer und vor allem in den letzten neun Monaten unendlich unterstützt hat. Ich danke meinem Vater, auch er ist heute Abend unter uns, für die Ausbildung und alles andere, was er mir ermöglicht hat. Ich danke Roger Köppel, dass er früher ALLE meine Artikel druckte, selbst wenn er nicht von A bis Z derselben Meinung war, und ich danke ihm, dass er es heute Verständnis hat, dass er seit August KEINEN Artikel mehr von mir drucken konnte.

Und ich danke Ihnen allen, meine Damen und Herren, dass Sie mir zugehört haben, auch wenn ich – aus gesundheitlichen Gründen – in einem etwas langsameren Tempo sprach, als Sie sich das sonst gewöhnt sind.

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