Eine Flat Tax für den Thurgau!

Wolfsberg-Tagung der FDP Thurgau, 14.01.2004, Ermatingen TG

Meine Damen und Herren, ich habe ein Buch geschrieben, in dem ich einen einheitlichen Steuersatz von 18 Prozent für das ganze Land gefordert habe, den alle Leute zu zahlen hätten, ob arm oder reich, ob sie in Freienbach SZ wohnen oder in Basel-Stadt. Nun komme ich zu Ihnen in den Thurgau und halte ein Referat unter dem Titel: «Eine Flat Tax für den Thurgau», und damit sehen Sie: ich bin durchaus lernfähig. Wenn es schon nicht gelingt, eine einfache, flache Steuer in der ganzen Schweiz einzuführen, wie man mich überall belehren will, so soll dieses Vorhaben wenigstens im Thurgau gelingen.Das ist natürlich eine doppelte Anmassung meinerseits. Erstens kenne ich den Thurgau kaum, zweitens eignet sich just der Kanton Thurgau nicht besonders gut für ein solches Experiment. Aber ich versuch es jetzt trotzdem, schliesslich ist die Flat Tax gemäss meinem Buch eine wunderbare Sache, und zwar für alle, also auch für die Thurgauerinnen und Thurgauer.Beginnen wir bei den Reichsten, die Ihrem Kanton heute im Durchschnitt 24 Prozent ihres Bruttolohns für die Kantons- und Gemeinesteuern zahlen müssen. Hinzu kommen 10 Prozent für die direkte Bundessteuer, macht 34 Prozent – also fast doppelt so viel wie mit «meiner» Flat Tax.

Und erst der Mittelstand: Eine Familie mit zwei Kindern, die auf 100’000 brutto kommt, zahlt heute im Thurgau 9 Prozent für die Kantons- und Gemeindesteuern, hinzu kommt 1 Prozent für die direkte Bundessteuer, macht 10 Prozent, also 10’000 Franken im Jahr.

Richtig: das sind deutlich weniger als mit «meinen» 18 Prozent. Nur: In «meinem» Modell gibt es Steuergutschriften, wiederum für alle, wiederum ganz einfach gehandhabt, 5000 Franken pro Kopf, macht für eine Familie mit zwei Kindern 20’000 Franken – bar auf die Hand. Bei einem Brutto-Lohn von 100’000 Franken müsste eine Familie mit zwei Kindern aus der einen Tasche also 18’000 Franken zahlen; in die andere Hosentasche bekäme diese Familie aber eine Gutschirift von 20’000 Franken. Und jetzt kann sich jeder selber ausrechnen, was übrig bliebe. Ein kleiner, aber positiver Rest. Der Mittelstand würde von der direkten Einkommenssteuer befreit.

Noch attraktiver wäre die Flat Tax für die Working Poors, also für die Leute, die arm sind, obschon sie arbeiten. Die zahlen im Thurgau bei zwei Kindern und 50’000 Bruttolohn rund 3 Prozent Steuern, also rund 1500 Franken. In meinem Modell müssten sie 18 Prozent zahlen, rund 9000 Franken, aber weil sie 20’000 Franken Gutschrift bekämen, erhielten sie vom Staat 11’000 Franken zurück, während sie heute wie gesagt 1500 zahlen müssen.

Der Witz dieses Systems besteht übrigens darin, dass die Leute neu dafür belohnt werden sollen, dass sie etwas tun. Steuergutschriften sollen nur diejenigen erhalten, die ein minimales Einkommen versteuern (etwas mehr als 1000 Franken im Monat). Die heutige Sozialhilfe hingegen läuft nach dem genau umgekehrten Prinzip: Belohnt wird das Nichtstun. Wer selber etwas hinzu verdient, dem nimmt der Staat alles wieder weg. Dieses System ist natürlich unsinnig.

Sie sehen: Mein Modell entlastet die Leute oben, die Leute unten, die Leute in der Mitte, und mein Modell sorgt zudem für die richtigen Anreize, oben, unten, in der Mitte. Leistung soll sich lohnen. Für alle.

(Ich mache hier eine Klammerbemerkung auf, die vermutlich für alle Leute hier ein Allgemeinplatz ist. Aber es ist in diesem Zusammenhang eben wichtig: Die heutigen progressiven Steuersätze führen dazu, dass Besserverdiener auf jedem zusätzlichen Franken hoch besteuert werden. Steigert eine Familie ihr Einkommen von 150’000 auf 200’000 Franken, dann steigt die direkte Einkommenssteuer des Kantons Thurgau und den Gemeinden von 15 auf 20 Prozent (inkl. Bundessteuer). In Zahlen: Wer 150’000 verdient, zahlt 22’500 Franken Steuern, wer 200’000 verdient, zahlt 40’000, das Einkommen steigt um 50’000 Franken, die direkte Einkommenssteuer um 17’500, womit der Staat vom zusätzlichen Einkommen 35 Prozent wegnimmt. 35 Prozent Grenzsteuer, allein durch die direkten Einkommenssteuern, ohne Sozialbeiträge wie AHV und Pensionskasse gerechnet, 35 Prozent, das ist zu viel – und darum unternehmen die besser verdienenden Leute eben alles, damit diese 35-Prozent-Grenzsteuer nicht einsetzt: sie renovieren ihre Häuser, sie sorgen vor, nicht nur mit der Säule 3a, sondern auch mit Nachzahlungen in die zweite Säule etc., und wenn alles nicht mehr geht, dann zügeln sie, raus aus dem schönen Thurgau, weil der Thurgau eben keine einzige eigentliche Steueroase hat, womit dem Kanton das sogenannte Steuersubstrat verloren geht. – Sie sehen: Eine Flat Tax von 18 Prozent, wie ich sie vorschlage, oder von 19 Prozent, wie sie jetzt in der Slowakei eingeführt wird, hat zumindest einen Vorteil: Die Leute wissen, der Staat nimmt immer 18 Prozent weg, nie mehr, und das wäre eine allseits beruhigende Aussicht für alle Schweizerinnen und Schweizer.)

Klar, jetzt werden Sie selbstverständlich einwenden: Das sei ja schön und gut, aber leider nicht finanzierbar, weil der Staat damit nicht zu seinen Einnahmen komme. Ich habe in meinem Buch offen vorgerechnet, welches die Konsequenzen wären. Das Prinzip ist einfach: Im Modell der Flat Tax sind die Steuersätze zwar tief und flach, dafür werden sie flächendeckend angewendet. Es gäbe keine Abzüge mehr. Null. Kein einziger Abzug mehr für die Hauseigentümer, keinen für die dritte Säule oder Nachzahlungen in die zweite Säule, keine Abzüge fürs Auto und andere Gewinnungskosten. Besteuert würde der effektive Lohn. Also ganz analog zur AHV, wo ebenfalls der effektive Lohn zum Masstab genommen wird, bei den Selbständigen wie den Unselbständigen.

Und was wäre mit den Zinserträgen? Dafür gibt es die Verrechnungssteuer. Sie beträgt heute 35 Prozent, die man schleunigst halbieren könnte, aber dafür konsequent einziehen müsste, unwiderruflich. Also gleichfalls auf 18 Prozent festsetzen.

Ein solch einfaches Lohn- und Zinssteuersystem, das man gemäss angelsächsischen Vorbildern als Flat Tax bezeichnen darf, hätte mindestens zwei Vorteile: 1. Wie gesagt, es besteht bereits. Der AHV-Lohn wird heute schon festgelegt, die Verrechnungssteuer heute schon erhoben. Aber: Die ganze übrige Steuerbürokratie entfiele. Hunderte von Beamten könnten wegrationalisiert werden. Tausende von Steuerberatern und Steuerjuristen würden arbeitslos. Dafür könnte das Volk aufatmen. Endlich keine Steuererklärung mehr ausfüllen!

Der zweite Vorteil des neuen Systems: Es ist ergiebig. Heute nehmen der Bund, alle Kantone und sämtliche Gemeinden rund 40 Milliarden Franken mit der direkten Einkommenssteuer ein. Das tönt nach viel Geld, aber es ist so viel nicht. Würde wir die gesamte AHV-Lohnsumme zu18 Prozent besteuern, ergäbe das Steuereinnahmen in Höhe von 47 Milliarden Franken; und würde der Bund auch bei der Verrechnungssteuer 18 Prozent unwiderruflich zurückbehalten, kämen nochmals 13 Milliarden hinzu. Das ergäbe Steuereinnahmen von insgesamt rund 60 Milliarden Franken, die also viel höher liegen würden als die heutigen. Im Gegenzug könnte der Staat dann Steuergutschriften gewähren, damit den Mittelstand weitgehend befreien und die Working Poor sogar belohnen.

Nun muss ich Ihnen leider etwas mitteilen, was mir unangenehm ist: Ich wollte zeigen, dass Sie nicht unbedingt auf den Bund warten müssen, das sich so ein System selbst im Kanton Thurgau rechnen liesse. Das war mir nicht möglich, aus zwei Gründen. Erstens wurde ich erst vor zwei Tagen kurzfristig für dieses Referat eingeladen, mir fehlte die Zeit für zusätzliche Abklärungen. Aber das ist zweitens, Sie merken es, eine billige Ausrede. Selbstverständlich habe ich versucht, überschlagsmässig eine Rechnung für den Thurgau zu machen. Und ich habe, wie Sie vermutlich ahnen, merken müssen: Der Thurgau ist ein finanzschwacher Kanton. Er stellt fast 3,2 Prozent der Bevölkerung der Schweiz, kommt bei der Zahl der Beschäftigten und beim Volkseinkommen aber nur auf 2,6 Prozent. In Ihrem Kanton wäre eine reine, aber tiefe Lohnsteuer nicht ganz so ergiebig wie in der übrigen Schweiz; umgekehrt müsste der Thurgau relativ viel Geld ausgeben für die Gutschriften.

Mit andern Worten: Meine Eckdaten – 18Prozent Steuersatz für alle, 5000 Franken Gutschrift für alle Erwerbstätigen und alle Kinder – gelten nur, wenn die gesamte Schweiz mitmacht. Der Thurgau allein kann sich ein solch grosszügiges System nicht leisten.

Aber ich darf Sie beruhigen: das macht nichts. Viel wichtiger wäre es, Sie würden sich im Thurgau an den Prinzipien einer Flat Tax orientieren. Die erste Regel der Einfachsteuer lautet: Wer Steuern senken will, soll die Steuertarife senken.

Das tönt nach einer Binsenwahrheit, im Thurgau wurden die Tarife letzthin immerhin auch ein wenig gesenkt, aber es ist in der übrigen Schweiz eben keine Binsenwahrheit. Mit dem neuen Steuerpaket des Bundes haben Politiker wieder einmal vordemonstriert, wie es ihnen gelingt, Steuern zu senken – leider auf unglaublich dumme Art. Man hat schon wieder lauter neue Ausnahmeregelungen erfunden. Es ist symptomatisch, dass in den langen Debatten rund um das Steuerpaket ausschliesslich über Abzüge gestritten wurde. Es gab keinen einzigen Antrag auf Senkung der Tarife. Wer künftig von den geplanten Steuersenkungen beim Bund profitieren will, muss noch stärker ins Wohneingentum samt Renovationen investieren, oder dann sein Einkommen eben sonst optimieren, so lange die Tarife in der direkten Bundessteuer so steil – progressiv! – ansteigen wie heute. Keine Partei, inklusive die SVP, wollte unter dem Slogan «Steuern runter!» diese Progression kappen, allen ging es nur darum, ihre eigene Klientel, diesmal die Hausbesitzer, zu begünstigen.

Dabei ginge der Weg zu einer echt liberalen Steuerreform genau in die entgegengesetzte Richtung: Erstens senke man die Tarife, für alle. Und zweitens sorge man dafür, dass diese tieferen Tarife konsequent angewendet werden, wiederum bei allen, ohne jede Ausnahme. Man beseitige also das ganze Gewusel von Abzügen und Sonderabzügen und ersetze dieses entweder durch Steuergutschriften – oder wenigstens durch einen einzigen pauschalen Sonderabzug, der aber für alle gilt und hoch genug ist. Zum Beispiel 15’000 Franken pro Kopf, für Alleinerziehende 20’000 Franken. Damit wird jede Person, ob sie nun zum Mittelstand oder zur Oberschicht gehört, gleich behandelt. Bei jeder vierköpfigen Familie zum Beispiel wären dann die ersten 60’000 Franken steuerfrei. Basta. Weitere Abzüge gibt es keine.

Im Vergleich zu heute wäre das ein Sprung nach vorn: Alles wird einfacher – und der Staat nimmt sogar mehr Geld ein, wenn die Sonderabzüge abgeschafft sind. Gleichzeitig können dann die Steuertarife gesenkt werden, das ist ja das Ziel der Übung.

Zum Schluss wollte ich Ihnen zurufen: Beginnen Sie im Kanton Thurgau mit einer solch pragmatischen Reform! Leider muss ich auch in dieser Beziehung etwas zurückstecken: Der Thurgau ist nicht souverän genug. Ein einzelner Kanton kann all die vielen Abzugsmöglichkeiten (beim Hauseigentum, für die Altersvorsorge, für den Arbeitsweg mit dem Auto etc) nicht autonom abschaffen. In der Schweiz sind die Kantone und Gemeinden zwar frei, die Tarife festzusetzen; aber die Abzüge, die das System so kompliziert machen, werden Ihnen von Bern aus diktiert, unter dem schönen Titel der Steuerharmonisierung.

Womit ich wieder beim Anfang wäre. Es ist halt doch eine nationale Aufgabe. Das jetzige, progressive, komplizierte System soll durch eine neue, flache, einfache Steuer ersetzt werden. Hongkong hat das vorgemacht. Russland hat es imitiert, darauf folgten die baltischen Staaten. Die Slowakei hat die Flat Tax auf den 1. Januar 2004 eingeführt. Oesterreich folgt mit einem vierstufigen System ab 2005, das viele Vereinfachungen und vor allem tiefere Tarife bringen soll; Deutschland diskutiert darüber. In immer mehr Ländern wird die radikale Vereinfachung des Steuersystems zum Thema, nur in der Schweiz nicht. Noch nicht. Starten Sie aus dem Thurgau eine Initiative!

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