Kostenwahrheit im Sozialstaat Schweiz

Tagung des Produktions- und Technologieverbunds Ostschweiz, 12.03.2004, Hundertwasser Markhalle, Altenrhein SG

Rezepte für den Sozialstaat Schweiz

Meine Damen und Herren, es freut mich sehr, dass ich vor Ihnen sprechen darf, und ich werde mich im folgenden bemühen, Sie als Unternehmer auch direkt anzusprechen. Es freut mich weiter, dass ich hier in der Ostschweiz sprechen darf, denn die Ostschweiz ist ja eine ganz spezielle Gegend, was das Verhältnis gegenüber dem Sozialstaat betrifft. Ich werde auch darauf zurückkommen. Aber ich muss Sie leider ganz zu Beginn auch warnen: Sollten Sie sich «Rezepte für den Sozialstaat Schweiz» versprechen, wie ich es mit der Ankündigung dieses Referats und auch im Untertitel meines Weissbuchs verspreche, werden Sie am Ende enttäuscht sein. Es gibt keine einfachen Rezepte, es gibt keine Wundermedizin. Und ich möchte auch nicht als Wunderdoktor auftreten.Schliesslich spreche ich vor Unternehmern. Unternehmer glauben weniger an Rezepte, sie halten sich an Prinzipien. Ich möchte darum das Wort «Rezepte» lieber durch «Prinzipien» ersetzen, dabei auch noch die Mehrzahl weglassen, um es so einfach wie nur möglich zu machen. Es wäre nämlich schon sehr viel erreicht, wenn im Sozialstaat Schweiz ein einziges Prinzip verfolgt würde. Sie als Unternehmer und als Bewohner der Ostschweiz kennen dieses Prinzip sehr gut, sie wenden es auch in Ihrer täglichen Arbeit immer wieder an, vor allem wenn es darum geht, Entscheide zu treffen, die einigen betroffenen Menschen weh tun.

Sie haben es vermutlich längst erraten, um welches Prinzip es mir geht. Und Sie wissen vermutlich selber, dass Sie als Unternehmer, ja sogar als Ostschweizer Unternehmer noch nicht genügend tun, um diesem Prinzip Rechnung zu tragen. An jedem 25. Tag eines jeden Monats verschicken Sie an alle Ihre Mitarbeiter eine Lohnabrechnung, in der Sie einen schönen Teil der Summe, die Sie auszahlen, unterschlagen. Man mag das für eine grosszügige patronale Geste von Ihnen halten; aber ist das politisch klug? Auf alle Fälle wissen damit Ihre Mitarbeiter gar nicht, wie viel Geld sie insgesamt verdienen und wie viel Geld ihnen der Staat wieder wegnimmt. Die Arbeitnehmer sehen, dass sie 5,05 Prozent des Lohns an die AHV, die IV, die EO abliefern; aber sie sehen nicht, dass Sie als Arbeitgeber nochmals 5,05 Prozent an die AHV, IV, EO abgeben. Das gleiche ungleiche Spiel bei der Arbeitslosenversicherung: Die Arbeitnehmer sehen nur das 1 Prozent, das sie selber zahlen. Das andere 1 Prozent, das Sie als Arbeitgeber zahlen, geht vergessen. Bei der Pensionskasse geht es um sehr viel höhere Beträge, insgesamt meist etwa 14 Lohnprozente, gut die Hälfte davon wieder von der «unsichtbaren Hand» einbezahlt. Oder bei den insgesamt 3 Lohnprozenten, die für die Unfall- und die Krankentaggeldversicherung bezahlt werden, wiederum zu fifty-fifty, wiederum nur zur Hälfte ausgewiesen. Am schönsten bei den Familienzulagen: Hier läuft alles im «verdeckten Rahmen», hier zahlen Sie als Arbeitgeber den vollen Beitrag, rund 1 weiteres Lohnprozent, ohne dass Sie das auch nur an die kleine Glocke hängen würden.

Fassen wir zusammen: Jeder Arbeitnehmer sieht, dass er fast 15 Prozent des Lohns verliert für die Sozialversicherungen. Aber kein Arbeitnehmer sieht, dass er mindestens 15 zusätzliche Prozent des Lohns verliert, die sein Arbeitgeber bezahlt. Damit sind 30 Prozent des Lohns weg, Monat für Monat, nur um die obligatorischen Sozialversicherungen zu bezahlen. Hinzu kommt noch die Prämie für die Krankenkasse, dann die normalen Steuern, die ja zu Teil ebenfalls in den Sozialstaat fliessen.

Spätestens jetzt hat wohl jeder hier im Saal gemerkt, wie das Prinzip heisst, über das ich reden will und das im Sozialstaat Schweiz systematisch verletzt wird, leider auch von Ihnen als Unternehmer: «Kostenwahrheit».

Nun können Sie einwenden: Damit sparen wir doch keinen Rappen, wenn wir unsern Mitarbeitern die vollen Sozialbeiträge ausweisen. Das ist richtig. Aber es geht hier auch gar nicht ums «Sparen», es geht hier um den politischen Prozess. Wir leben in einer Demokratie, und da sollen die Leute bitte wissen, wie viel sie selber zahlen müssen. Solange sie in den monatlichen Lohnabrechnungen aber gar nicht erkennen können, wie teuer der heutige Sozialstaat ist, so lange läuft die Diskussion über den zukünftigen Sozialstaat auf einer falschen Bahn. Und die Leute diskutieren ja nicht nur, am Ende sie stimmen ab.

Ich rufe Sie also dazu auf: Machen Sie den ersten Schritt zur Kostenwahrheit, weisen Sie alle Ihre Sozialversicherungsbeiträge aus. Vermutlich reicht es nicht mehr auf den 25. März, aber tun Sie es auf den 25. April. Ich bin überzeugt, dass dieser kleine erste Schritt, von einem kleinen Verbund wie dem Ihrigen beschlossen, mehr auslösen wird, als Sie denken. Sie werden für einen kleinen Schock sorgen, der womöglich auch in der übrigen Schweiz wahrgenommen wird. Und haben Sie keine Angst: Es ist ein positiver Schock, den Sie da auslösen. Erstmals teilen Sie Ihren Leuten mit, wie hoch Ihr echter Lohn ist – und wie viel davon wieder weggeht. Konkret: Wer heute 85’000 netto verdient, sieht dann, dass er nicht 100’000 brutto verdient, wie bisher auf dem Lohnausweis gestanden ist, sondern 115’000, von denen 30’000 als Prämien in die Sozialwerke abfliessen.

Das sind die Dimensionen, die – und da bin ich mir ziemlich sicher – den meisten Leuten nicht bewusst sind. Und ich denke, gerade Sie in der Ostschweiz sollten für solche Gedanken besonders empfänglich sein: (ich zitiere) «Die Ostschweiz ist so etwas wie eine Deutschschweiz in akzentuierter Form», heisst es im neuen «Atlas der politischen Landschaften», den zwei Sozialgeografen der Universität Zürich herausgegeben haben. «Ordnungsliebe, Effizienzdenken und Sparsamkeit charakterisieren das Stimmverhalten der Ostschweizer Kantone St. Gallen, Thurgau und Appenzell». Ich habe dazu der neuesten Nummer der Weltwoche einen Artikel geschrieben, in dem ich zeige: Hier in der Ostschweiz wird der Sozialstaat tatsächlich viel weniger beansprucht als in der übrigen Schweiz.

Die Transparenz via Lohnausweis ist selbstverständlich nur ein erster Schritt. Denn die Lohnausweise zeigen ja nicht die volle Wahrheit. Beginnen wir bei der AHV. Mit den Lohnprozenten werden heute nur 75 Prozent der Einnahmen beschafft. Zusätzlich übernehmen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler des Bunds und der Kantone 20 Prozent aller laufenden Ausgaben, still und leise. Hinzu kommt das bereits eingeführte 1 Mehrwersteuerprozent; allerdings ist den meisten Konsumentinnen und Konsumenten wohl kaum bewusst, das sie beim Konsumieren für die AHV sparen. Seit April 2000 erhebt der Bund eine neue Spielbankenabgabe, welche für die AHV bestimmt ist. Bald sollen wohl auch noch die Nationalbankreserven für die AHV angezapft werden. Über die nächste Erhöhung der Mehrwertsteuer von 1 Prozent zu Gunsten der AHV stimmen wir am 16. Mai ab – die Ostschweiz wird, wenn ich mir als gebürtiger Baselbieter diese Prognose erlauben darf, wohl dagegen sein. Wird dieses zweite Mehrwertsteuerprozent zu Gunsten der AHV aber eingeführt, dann decken die Lohnprozente nicht mehr drei Viertel, sondern nur zwei Drittel der AHV-Ausgaben, wovon die Leute im Lohnausweis gewöhnlich nur die Hälfte sehen, was einen Drittel des vollen Preises ausmacht. – Kein Wunder, hat die AHV beim Volk ein so gutes Image.

Ich könnte nun jedes Sozialwerk einzeln durchgehen, aber ich will Sie nicht mit vielen Zahlen langweilen. Zum Thema Invalidität allerdings möchte ich ein paar Dinge sagen. Die IV wird inzwischen heiss diskutiert. Das ist neu. Bis vor einem Jahr war die IV überhaupt kein Thema; man hat vielleicht in Kommissionen in Bern und anderswo deren Probleme gewälzt, aber an der Bevölkerung ging das alles vorbei. Warum? Vielleicht liegt das ja daran, dass bei Invalidität die Kostenwahrheit und die Transparenz nahezu Null beträgt. Auf den Lohnausweisen werden die IV-Abzüge meist unter dem Titel AHV subsumiert; würde man es genauer wissen wollen, dann gehen exakt 0,7 Lohnprozente an die IV. Das tönt niedlich, ja vernachlässigbar. In Wahrheit zahlt der Arbeitgeber nochmals 0,7 Lohnprozente, das tönt nochmals niedlich, ja vernachlässigbar, vor allem wenn man bedenkt, wie viele Probleme die Arbeitgeber sich vom Hals schaffen, indem sie gewisse Mitarbeiter in die IV abschieben. Insgesamt decken diese Lohnprozente gerade einen Drittel der IV-Ausgaben. Wer zahlt den Rest? Der Bund und die Kantone, also die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, decken still und leise die Hälfte aller Ausgaben, ohne dass das den meisten Leuten bewusst ist. Selbst das genügt nicht, es bleibt ein Defizit, übrig, das Jahr für Jahr grösser wird, zur Zeit etwa einen Sechstel der Ausgaben ausmacht, still übertragen auf den Schuldenberg der IV, der ebenfalls Jahr für Jahr wächst. Ab 2005 werden auch die Konsumentinnen und Konsumenten ihren Beitrag leisten, sofern das Schweizer Volk am 16. Mai die Ostschweiz überstimmt, womit die Mehrwertsteuer um 0,8 Prozent erhöht wird und die ganze Finanzierung der IV noch intransparenter wird.

Hinzu kommt: Das Thema Invalidität spielt auch in der zweiten Säule, bei den Pensionskassen, eine viel grössere Rolle, als die meisten Leute denken. Warum? Weil sie in ihren Lohnausweisen keine Hinweise darauf erhalten. Laufend werden die Prämien angepasst, meistens ohne jede Ankündigung. Es handelt sich hier um das am schnellsten wachsende Sozialwerk überhaupt. Die Prämien für die Pensionskassen wachsen sogar stärker als die Prämien für die Krankenkasse, im Jahr 2001 sind sie um gut 10 Prozent gestiegen, neuere Zahlen gibt es nicht, die Statistik hinkt der Realität hinterher. Wenn die Arbeitnehmer auf den aktuellen Lohnausweisen nachschauen, sehen sie nur die Hälfte davon, die andere Hälfte nicht. Bei Ihnen in der Ostschweiz, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, wird das ändern. Wie gesagt: ab 25. April.

Aber das genügt noch nicht ganz. Bei der Pensionskasse müssten Sie noch mehr tun, um das Prinzip «Kostenwahrheit» umzusetzen. Das Wort «Pensionskasse» weckt nämlich falsche Erwartungen. Man assoziiert «Altersvorsorge». Also hat jede Person das Gefühl, dass ihre Beitrage schön auf die Seite gelegt und brav verzinst werden, bis diese Summe im Alter als Rente ausbezahlt wird. Aber das stimmt nicht, respektive es stimmt eben nur noch zum Teil. Die Prämien steigen ja nicht etwa deswegen an, weil wir laufend mehr fürs Alter sparen würden. Sondern weil wir zunehmend für so genannte «Risikobeiträge» zahlen, mit denen neben den Witwen- und Waisenrenten vor allem die anschwellenden Invalidenrenten beglichen werden; die Sammelstiftungen der grossen Versicherungen wie «Winterthur», «Rentenanstalt» oder «Zürich», denen viele KMU’s angeschlossen sind, subsumieren unter diesem Titel auch noch die exorbitanten Verwaltungskosten. Resultat: Vom Pensionskassenbeitrag einer 40jährigen Person werden heute oft nur noch zwei von drei Franken effektiv fürs Alter gespart; jeder dritte Franken, der heute durch Lohnprozente bezahlt wird, geht sogleich weg für den so genannten «Risikobeitrag», den man schleunigst in «Invaliditätsbeitrag» umtaufen und besonders ausweisen sollte – damit sich auch gewöhnliche Leuten etwas darunter vorstellen können. Und damit auch gewöhnliche Arbeitnehmer sehen, dass ein Drittel der Beiträge gar nicht fürs Alter gespart werden, sondern sofort benutzt werden, um die laufenden Invaliden-, Witwen- und Waisenrenten zu finanzieren.

Nun ist es höchste Zeit für das Gegenargument: Die Krankenkassenprämien.

Ja, ich weiss, hier ist die Transparenz, die ich so dringend fordere, erfüllt. Hier steigen die Prämien bekanntlich so stark, dass die Leuten zumindest erfahren, wie teuer die Grundversicherung im Gesundheitswesen ist. Auch das stimmt, wenn man es genau nimmt, eigentlich nur zu zwei Dritteln. Das restliche Drittel kommt schon wieder vom Staat, der für rund 2,5 Miliarden die Prämien subventioniert, was aber sehr transparent ist und vor allem auch zielgerichtet ist, da diese Subventionen ja nur denen zukommen sollen, die sie auch wirklich nötig haben, zumindest ist das die Absicht. Aber was gerne vergessen wird: Der Staat subventioniert auch im Stillen. Die Spitäler werden von den Kantonen und den Gemeinden mit rund 5 Milliarden Franken jährlich direkt aus dem Topf der Steuereinnahmen bezahlt.

Klar, auch hier kann man die volle Kostenwahrheit verlangen und diese versteckten Spitalsubventionen auf die Prämienzahler überwälzen. Damit würden die Pro-Kopf-Prämien auf einen Schlag um ein Drittel teurer, zusätzlich zu den üblichen Prämiensteigerungen zwischen 6 und 10 Prozent im Jahr. Ein Schock wäre das, diesmal ein negativer, und zwar ein derart negativer Schock, dass sogleich nach dem Staat geschrien würde. Er müsste seine bisherigen Subventionen, die giesskannenmässig den Spitälern zufliessen, wohl dazu nutzen, die Prämien gezielt und zugleich massiv zu verbilligen. Das wäre nicht einmal die dümmste Lösung. Es wäre ein Umbau, der kein Geld kostet, aber sozial erwünschte Folgen hätte: Die Ärmeren würden entlastet, die Reicheren belastet. Und auch wenn dann die Mehrheit der Bevölkerung zu Subventionsempfänger degradiert würde, so wäre das nichts anderes als ein Signal bezüglich Kostenwahrheit: Dann würden die Leute wenigstens theoretisch sehen, wie teuer Gesundheit ist – so teuer nämlich, dass sie sich praktisch niemand leisten kann.
Nun aber zurück zur Realität: Die Prämien steigen happig, auch wenn die Leute nur zwei Drittel des wahren Ausmasses sehen. Sie spüren das, sie leiden, sie klagen. Auf individueller Ebene gibt es zwar noch wenig Wille zum Sparen: Jeder Patient will, sobald er sich krank fühlt, möglichst gut behandelt werden. Jeder Arzt verdient umso mehr Geld, je intensiver er seine Patienten behandelt. Und viele Spitalmanager spielen weiterhin Hotelmanager – und maximieren ihre Bettenauslastung. Das Resultat ist klar: Die Kosten steigen weiter.
Aber es gibt neben der individuellen Ebene auch die politische, und hier ist die Diskussion doch ein schönes Stück weiter. Vor allem bei Ihnen in der Ostschweiz, wo die Instrumente der direkten Demokratie etwas stärker ausgeprägt sind. So heisst es in einer Studie des Büro Vatter über die kantonalen Unterschiede im Gesundheitswesen: «Die Stimmbürger entscheiden vor allem in den letzten Jahren aufgrund ihrer doppelten Finanzierungsrolle als Steuer- und Prämienzahler in vielen Fällen kostenbewusster als die Politiker und die Verwaltung». Spitäler fallen nicht vom Himmel, Spitäler werden gebaut. Diese Erkenntnis macht sich inzwischen auch in Kantonen breit, in denen es sehr grosses Angebote hat, von Spitälern über Ärzte und Psychologen bis hin zu Apotheken. Zum Beispiel fragt die Tessiner Sozialdirektorin Patrizia Pesenti: «Wird man tatsächlich gesünder wird, wenn man mehr Gesundheitsleistungen konsumiert und folglich höhere Kosten verursacht?» Ihre Antwort: «Nein.»
Meine Damen und Herren, warum poche ich so sehr auf Transparenz? Weil ohne Kostenwahrheit jede Debatte über den Sozialstaat nur eine Scheindebatte ist. Nehmen wir das Schweizer Dreisäulenprinzip: es mag schön aussehen, die ganze Welt soll uns darum beneiden. Aber vermutlich wissen wir Schweizerinnen und Schweizer ja selber nicht genau, wie teuer diese drei Säulen sind. Die AHV absorbiert gut 30 Milliarden Franken, die zweite Säule ebenfalls gut 30 Milliarden jährlich. Über die Säule 3a gibt es keine Statistiken, aber es dürfen sicher mindestens 2,5 Milliarden ausmachen. Macht 63 Milliarden Franken und damit ziemlich genau 15 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Die Steigerungsrate ist beachtlich, vor zwanzig Jahren waren es erst 11,6 Prozent, und ein Ende dieses Trends ist angesichts der zunehmenden demografischen Alterung nicht abzusehen. Bis 2025 schätzt das Bundesamt für Sozialversicherung den «Mehrbedarf» allein für die AHV auf 3,8 zusätzliche Mehrwertsteuerprozente. Und Sie sehen bei dieser Art der Umrechnung schon, wie diese zusätzlichen Kosten politisch hereingeholt werden sollen: So, dass es das Volk nicht so direkt spürt; also mit der Mehrwertsteuer.

Wo liegt das Problem? Bei der Intransparenz. Und wo beginnt die Lösung? Nicht mit Appellen zum «Sparen» oder zum «Abbau» oder andern Rezepten. Sondern mit dem Prinzip Kostenwahrheit. Mit den neuen Lohnausweisen, die Sie, so hoffe ich, ab 25. April in der Ostschweiz einführen, sehen die Leute wenigestens den grössten Brocken: 30 Prozent des Lohns gehen für die Sozialversicherung ab. Zusätzlich müssen sie die Krankenkassenprämien zahlen, nochmals sehr viel Geld, das draufgeht, sogar bei Ihnen in der Ostschweiz, wo die Prämien noch vergleichsweise tief sind. Dann kommt die Steuerrechnung hinzu, die Mehrwertsteuer, die Benzinsteuern, die Tabaksteuern, alle Gebühren. Ich habe es in meinem Weissbuch auf den Franken vorgerechnet: schnell sind 50 Prozent des Lohns weg. Das ist ein hoher Anteil. Und das führt mich zu meiner ersten Schlussthese dieses Referats:

1. Die Gesellschaft kann den Aktiven nicht laufend noch mehr Geld aus dem Sack ziehen.

Das ist übrigens keine politische Frage, sondern eine arithmetische: Mit 50 Prozent für Steuern, Abgaben, und Gebühren, die heute der Mittelstand zu zahlen hat, sind wir bei einer Quote angelangt, die sich nicht mehr unendlich steigern lässt. Kein Staat dieser Welt kann seinen Bürgern mehr als 100 Prozent wegnehmen, und kein freiheitlicher Staat kann seinen Bürgern viel mehr als 50 Prozent wegnehmen. Laut der NZZ vom letzten Samstag staunen selbst Leute wie Hans Magnus Enzensberger «über die Gutmütigkeit der Steuer- und Abgabenzahler, die sich ohne Gegenwehr oft mehr als die Hälfte ihres Einkommens wegnehmen lassen, damit Politiker mit ihrem Geld Gutes tun können».

Andererseits ist natürlich klar: Schweizerinnen und Schweizer, sogar Ostschweizerinnen und Ostschweizer, wünschen ein Mass des Sozialstaats, das deutlich über US-amerikanische Vorstellungen hinausgeht. Aber: Wenn die jetzige Abgabequote von 50 Prozent noch nicht hoch genug ist, um soziale Gerechtigkeit herzustellen, so fürchte ich, kann diese Abgabequote gar nie hoch genug sein. Das ist der falsche Weg, auf diesem Weg können wir nicht weitergehen. Klar können wir gerne über neue Ansprüche und zum Beispiel über eine Mutterschaftsversicherung oder Ergänzungsleistungen für Familien reden. Bitte sehr, wir leben in einer Demokratie, man soll über alles reden können. Aber vermutlich steigen die Chancen dieser Projekte, wenn parallel dazu Vorschläge kommen, wie die Kosten dafür an einer andern Stelle eingespart werden können. Wer den heutigen Sozialstaat an einem Ort ausbauen will, muss ihn an einem andern Ort abbauen, also umbauen. Nicht das Mass an Umverteilung ist entscheidend, sondern das Resultat dieser Umverteilung. Man kann mit 30 statt mit 50 Prozent Umverteilung die Armut in der Schweiz womöglich stärker bekämpfen, als dies heute der Fall ist. Ein effizienter Sozialstaat ist nicht möglichst gross, sondern möglichst zielgerichtet.

Damit bin ich bereits bei meiner zweiten Schussthese:

2. Die Gesellschaft muss die Existenz aller Mitmenschen grundsätzlich sichern.

Niemand in der Schweiz will das Elend und die Not auf der Strasse sehen, so weit ist man sich hier wohl einig. Aber hier handelt es sich um eine Herausforderung, die womöglich grösser ist, als die meisten Leute denken. Hier hilft es übrigens auch nichts, nach der «Kostenwahrheit» zu rufen: Hier geht es um klassische Umverteilung von Reich zu Arm. Auch in der Schweiz wird die direkte Armutsbekämpfung noch immer direkt aus dem Staatshaushalt finanziert: Ob Fürsorge oder Ergänzungsleistungen bei der AHV und der IV oder ob Subventionen bei der Krankenkasse – all dieses Geld kommt direkt aus dem Topf der Steuereinnahmen. In all diesen drei Bereichen übrigens gibt es stark steigende Zahlen. Wir alle, ob Linke oder Rechte, sollten diese Trends als Warnung und Signal verstehen: Wir sind zwar nicht zum Sozialabbau verdammt, sondern zum Sozialumbau, damit die Armutsbekämpfung auch in Zukunft möglich sein wird.

Damit bin ich bereits meiner dritten und letzten Schlussthese angelangt:

3. Die Gesellschaft wird nur schon aus demografischen Gründen gewisse Sozialleistungen kürzen müssen – damit genügend freie Mittel übrig bleiben, um den wirklich Bedürftigen zu helfen.

Klar, wenn man das sagt, heisst es schnell, man wolle den Sozialstaat in einen Fürsorgestaat verwandeln. Aber was soll dieser Vorwurf? Hier geht es um die Menschlichkeit: Das prioritäte Ziel ist die Existenzsicherung, dann kommt eine gewisse Garantie für die Grundversorgung, über die man in einer Demokratie streiten kann – aber bitte unter der Prämisse der Kostenwahrheit. Und alles, was darüber hinausgeht, sind dann Luxusfragen. Hier kann sich, wer will, privat versichern: bitte sehr, aber streng freiwilig. Hier hat der Staat nichts zu suchen, und da soll er auch nicht mit Steuerabzügen und andern versteckten Subventionen locken. So weit ein paar Stichworte zur Zukunft, wie ich sie sehe.

Nun zurück zu Ihnen, zur Realität in den kleinen und mittleren Unternehmen der Ostschweiz. Sie sind in ihren monatlichen Lohnausweisen völlig frei. Staatliche Vorschriften gibt es nur über die Jahresausweise zu Händen der Steuerverwaltung: Diese Auskunft hat mir Peter Hasler vom Arbeitgeberverband gegeben. Ich habe dieselbe Frage übrigens auch dem Informationsdienst des seco in Bundesbern gestellt, die waren aber nicht fähig, mit diese Antwort innert drei Wochen zu geben, das nur nebenbei.

Konkret würde Ihnen folgende Lohnausweise vorschlagen: Den heutigen Bruttolohn (z.B. Fr. 7000) nennen sie neu: AHV-massgebendes Einkommen. Das ist auch juristisch der korrekte Begriff, denn von dieser Höhe aus berechnen sich alle Prozentabzüge. Davon ziehen sie dann alle heutigen Abzüge ab. Das ist der gewohnte heutige Lohnausweises, der neu aber nur noch die untere Hälfte ausmacht. Sie kommen dann zum Nettolohn (z.B. 5981.50).

Nun kommt aber eine obere Hälfte hinzu: Über dem AHV-massgebenden Einkommen listen sie alle Arbeitgeberbeiträge an alle Sozialversicherungen auf. Dann setzten sie zuoberst die neue Summe, die Sie zum Beispiel „neuer effektiver Brutto-Lohn“ nennen können(und der dann z.B. Fr. 8088.50 beträgt). Eine Muster-Vorlage sieht so aus:

8088.50 Neuer effektiver Bruttolohn
Abzüge Arbeitgeber
– 353.50 5,05% AHV/IV/EO
– 70.- 1% Arbeitslosenversicher
– 70.- 1% Betriebs-Unfall
– 35.- 0,5% Kankentaggeld
– 70.- 1% Familienzulagen
– 350.- 5 % Pensionskasse-Altersparen
– 140.- 2 % Pensionskasse-Invaliditätsbeitrag

7000.- AHV-massgebendes Einkommen
Abzüge Arbeitnehmer
– 353.50 5,05% AHV/IV/EO
– 70.- Arbeitslosenversicher
– 70.- 1% Nicht-Betriebs-Unfall
– 35.- 0,5% Kankentaggeld
– 350.- 5 % Pensionskasse-Altersparen
– 140.- Pensionskasse-Invaliditätsbeitrag

5’981.50 Nettolohn

Und noch ein Tipp: Führen Sie die nächsten Lohnverhandlungen fürs Jahr 2005 über den neuen effektiven Bruttolohn. Das hat einen angenehmen Effekt für beide Seiten, für Sie als Arbeitgeber wie für die Arbeitnehmer: Sie unterhalten sich dann nämlich über weitaus höhere Summen als bisher. Ich danke Ihnen.

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