Die grosse Kunst der kleinen Pause

Ein Wochenende im Kloster Kappel

08.07.2010, Schweizer Familie

Freitag, 18.15 Uhr. Wir kennen uns nicht, noch nicht. 21 Männer, die «Gefahr laufen, zu Kerzen zu werden, die auf zwei Seiten abbrennen». So stand es im Prospekt. Um dieses Ausbrennen zu verhindern, ziehen wir uns zurück ins Kloster Kappel. «Timeout statt Burnout», so der Titel unseres Kurses. Zwei sind zu Fuss von Zürich hierher gepilgert. Keiner ist mit Krawatte und Aktenkoffer aufgekreuzt. Zwischen 33 und 63 Jahre alt sind wir, die meisten haben Familie mit Kindern. Manche nehmen öfter ein Timeout, einer zum ersten Mal. Nicht alle fürchten ein Burnout, einige schon. Rund um uns: dicke Mauern.Martin Buchmann und Christoph Walser, die beiden Kursleiter, stellen sich vor: ihre Arbeitswelt, ihre Familienwelt, ihre Eigenwelt – und wie sie die Balance zwischen diesen drei Polen finden. Das ist des Problems Kern und zugleich dessen Lösung. Danach kommen wir dran, im Kreis sitzend, hat jeder zwei Minuten Zeit, um zwei Fragen zu beantworten. «Was ist mein Thema? Was ist mein Ziel bis Sonntag?» Ein Gong zum Start. Vorname, Thema, Ziel bis Sonntag. Ein Gong zum Schluss, damit das Gesagte in der Ruhe des Raums verklingt.

Einen von uns hat es die Karriereleiter hinaufgepurzelt. Will er das? Einer möchte sich von seiner Frau abgrenzen. Viele freuen sich, einmal nur unter Männern zu sein. Der Jüngste möchte Kinder haben. – Oder doch nicht? Einer hat sein Ziel bereits erreicht: Endlich gönnt er sich eine Rast. Kursleiter Christoph Walser spricht von der «grossen Kunst der kleinen Pause». Jeder darf mal weg, niemand verpasst etwas.

Eine Bar gibt es im Kloster nicht. Schlummertrünke stehen im Abtkeller bereit, zur Selbstbedienung auf Vertrauensbasis. In unsern Einerzimmern: ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett. Kein TV, kein Radio. Dafür zwei Bibeln, eine «in gerechter Sprache», eine in der Sprache Zwinglis, der im Jahre 1531 hier in Kappel auf dem Schlachtfeld erschlagen wurde.

Am Samstagmorgen starten wir mit Körper-, Lockerungs- und Atemübungen. Dann eine Stunde Theorie über «Burnout». Die Kursleiter sind froh, dass es diese Diagnose überhaupt gibt. Früher habe man von «Erschöpfungsdepressionen» gesprochen, da fühlte sich noch kein Mann betroffen.

Am Nachmittag eine Schweigestunde draussen im Wald. Wir fahren unsere Antennen aus, staunen über Knospen und Blüten, hören Vögel pfeifen, während Propellerflugzeuge dröhnen. Und was passiert, wenn 21 Männer still, aber quer durch den Wald ziehen? Sie scheuchen das Wild auf. Einer sieht zwei Rehe, einer vier, einer sieben.

Sonntag, 15 Uhr: Wir kennen uns noch nicht ganz, aber besser. Ein Gong zum Start. Mitten im Kreis stehend sagt jeder in zwei Minuten, wie er künftig die Gewichte zwischen seiner Arbeits-, Familien- und Eigenwelt neu verteilt. 21 Vorsätze von 21 Männern. Ein Gong zum Schluss. «Jawohl», quittieren die 20 andern im Chor ringsum.

Bereits erschienene Weekend- tipps finden Sie unter

www.schweizerfamilie.ch/weekendtipp

Fotos Alex Buschor
Kloster Kappel

Anreise: Mit dem Zug nach Baar ZG, weiter mit dem Postauto (Bus 280) in 10 Minuten nach Kappel am Albis. Mit dem Auto via Sihlbrugg oder auf der A 4 bis Affoltern am Albis.

Kurse: Das Angebot reicht von Zen bis Tai-Chi vom Frauenwochenende bis zur Männerspiritualität. Mehr Infos zu «Timeout statt Burnout», dem Kurs von Christoph Walser und Martin Buchmann: www.timeout-statt-burnout.ch

Preise: Kurs «Timeout statt Burnout» ca. 290 Fr.; Einzelzimmer mit VP: 164 Fr. pro Nacht, bei Kursteilnahme 133 Fr.

Geschichte: Gegründet wurde das Kloster Kappel vor mehr als 800 Jahren von Zisterziensermönchen. Vor fast 500 Jahren haben sich die Mönche der Reformation angeschlossen und das Kloster verlassen. Heute ist das Kloster ein Seminarhotel und Bildungshaus der Evangelisch-Reformierten Kirche des Kantons Zürich. Angeschlossen ist ein Biogarten, der auch die Hotelküche versorgt.

Allg. Auskünfte: Kloster Kappel, Tel. 044 764 88 10 www.klosterkappel.ch

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