Zurück zum Zehnten Cash Value, 26.08.2004, von Beat Michel

Zurück zum Zehnten
Cash Value, 26.08.2004, von Beat Michel
Die Steuerzahler blicken kaum noch durch den Abgabendschungel. Eine Idee zur radikalen Vereinfachung gibt es seit langem: Die Flat Tax, den Einheitssteuersatz. Auf einmal scheint die Idee salonfähig zu werden.Gerade noch acht Prozent der Schweizer halten die Steuerbelastung für gerecht, das ergab eine Nationalfondsstudie vom letzten Jahr. Aber erst seit das Stimmvolk am 16. Mai das Steuerpaket bachab geschickt hat, kündigt sich in der Finanzpolitik ein Umdenken an. Politiker verschiedenster Couleur befürworten plötzlich die Flat Tax, die Einheitssteuer, die ohne kompliziertes Abzugssystem und mit einem einzigen Steuersatz für alles auskommt. Anfang August hat jetzt auch Finanzminister Hans Rudolf Merz angekündigt, er wolle eine solche Systemumstellung prüfen lassen. Die Flat Tax soll dank einem grosszügigen, fixen Steuerfreibetrag, der die unteren Einkommen von der Steuerlast ganz befreien würde, sozial und mehrheitstauglich werden.Im Grunde entspricht dieses Steuermodell dem Zehnten, der vielleicht ältesten Steuer überhaupt: Bereits zu mittelalterlicher Zeit lieferten die Untertanen einen fixen Teil ihrer Erträge an die Obrigkeit ab. Erst die Französische Revolution brachte die Kapitalsteuer, die Grundsteuer, die Häusersteuer und die Handelsabgabe und schuf so die Grundlage für unser heutiges Steuersystem.Zumindest eines spricht für die Rückkehrr zu einem Steuersystem, das in den Grundzügen dem der alten Eidgenossenschaft entspricht: Es ist leicht durchschaubar und mit viel weniger Aufwand zu kontrollieren.

Den ersten Schritt in Richtung der einfachen Steuer ohne Abzugsmöglichkeiten machte die Sozialdemokratin und Berner Ständerätin Simonetta Sommaruga. Die oberste Konsumentenschützerin des Landes fordert in ihrer Interpellation vom Juni 2004 eine Untersuchung, ob wir heute tatsächlich gemäss der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden, wie das die Verfassung verlangt.

Die SP-Politikerin ist überzeugt, dass die Untersuchung das jetzige Steuersystem als unsozial entlarven wird. «Erst wenn wir die Ungerechtigkeit mit konkreten Zahlen belegen können, ist politischer Druck für die Einführung eines neuen Steuersystems möglich», sagt Sommaruga, die auch Mitglied der Kommission für Wirtschaft und Abgaben ist.

Sie kann sich eine Unterstützung der Flat Tax vorstellen, allerdings nur wenn sie konsequent angewendet wird. Es dürften keine neuen Steuerschlupflöcher entstehen, und die unteren Einkommen müssten von der Steuer befreit werden. Dass sich eine so radikale Vereinfachung des Steuersystems bereits mittelfristig durchsetzen wird, glaubt Sommaruga jedoch nicht. «Die Branche der Steueroptimierer hat ein starkes Interesse daran, das undurchsichtige System am Leben zu erhalten», meint die Politikerin. Ein Hoffnungsschimmer bleibt ihr: «Die Analyse wird die Öffentlichkeit aufschrecken und den Weg für Reformen ebnen.»

Die Steuererklärung muss auf einem Blatt von der Grösse eines Bierdeckels Platz haben

Die Diskussion um die Flat Tax haben zwei Wirtschaftsexperten entfacht: der Journalist Markus Schneider mit dem «Weissbuch 2004» und der CASH-Steuerexperte Michael Leysinger mit der Broschüre «Eine Flat Tax für die Schweiz». Dank radikaler Vereinfachung des Systems will er die Steuererklärung auf die Grösse eines Bierdeckels reduzieren.

Die beiden Experten fordern einen tiefen Einheitssteuersatz, kombiniert mit einem relativ hohen steuerfreien Betrag. Im Gegenzug kommen Eigenheimbesitzer, Selbständigerwerbende und Verschuldete nicht mehr in den Genuss spezifischer Abzüge. Der soziale Ausgleich wird nicht durch progressive Steuersätze erreicht. Es gibt nur noch einen fixen Grundabzug. Im Modell Leysinger beträgt er für ein Ehepaar mit Kindern 50000 Franken, für Unverheiratete 20000 Franken und für Alleinerziehende 28000 Franken. Alle Löhne darüber würden in der ganzen Schweiz mit 15 Prozent besteuert. Laut Leysinger resultieren aus einer Flat Tax gleich hohe Steuereinnahmen wie unter dem geltendem Steuerrecht.

Auch bei Markus Schneider rechnet sich die Flat Tax für die Schweiz. Er schlägt in seinem Buch einen Satz von 18 Prozent vor, was auf Grund der AHV-Zahlen 35 Milliarden Franken Einkommenssteuern ergäbe, gegenüber 40 Milliarden von heute. Die fehlenden fünf Milliarden glaubt er durch zusätzliche Investoren kompensieren zu können, die der tiefe Steuersatz in die Schweiz lockt. Anders als Leysinger schlägt Schneider nicht einen Pauschalabzug vor, sondern eine Steuergutschrift von 5000 Franken pro Erwerbstätigen und pro Kind. Die Vermögenssteuer würde abgeschafft. Diese Steuerausfälle können über die Erbschaftssteuer kompensiert werden.

Obwohl nach diesen Berechnungen ein annähernd gleich hoher Steuerbetrag zusammenkommen soll, müssten sämtliche Einkommensschichten weniger Steuern zahlen. Wie lässt sich das erklären? Markus Schneider sagt: «Das jetzige Steuerwesen verlangt zu hohe Tarife und ist zu kompliziert. Es lädt so die Leute ein, es aktiv zu umgehen.»

In der Tat gehen dem Staat heute viele Steuermillionen verloren, denn Besserverdiener ziehen sich in die Steueroasen zurück, renovieren steueroptimiert Häuser und geniessen das Privileg von abzugswirksamen Luxuspensionskassen und anderen Fringe Benefits, erklärt Schneider (siehe auch «Wahrer Luxus ist die Kunst, keine Steuern zu zahlen» auf Seite 14). Sein Rezept für eine steuergerechte Schweiz: Man kappe die Maximalsteuersätze, verlange von den Reicheren zwar weniger, dafür ziehe man das konsequent ein.

Auf einen Schlag würden sich die 26 kantonalen Steuersysteme und die direkte Bundessteuer in Luft auflösen. Dadurch braucht es weniger Steuerbeamte, und die verbleibenden können sich auf das Wesentliche konzentrieren: den wirklich schlauen Steuerbetrügern auf die Schliche zu kommen – und so mehr Steuervolumen zu generieren.

Es bräuchte weder die unzähligen Paragrafen in unüberschaubaren Gesetzes- und Verordnungssammlungen noch all die vielen Steuerberater, Juristen und Beamten, die sich im Vorschriftendschungel noch auskennen. Die professionellen Steueroptimierer, die jedes Jahr 700 Millionen Franken kosten, müssten sich mangels Optimierungsoptionen ebenfalls einen neuen Job suchen. «Die Flat Tax kann sofort eingeführt werden, es braucht weder eine Planung noch eine Einführungsphase», meint Schneider. Schliesslich besitze die Schweiz bereits zwei Quellensteuersysteme, nämlich die AHV und die Verrechnungssteuer, die zusammen genug Informationen für die Berechnung der Flat Tax liefern.

Damit das Steuersystem nicht unsozial wird, muss die Mehrwertsteuer abgeschafft werden

Erfahrungen mit einer Flat Tax haben bisher nur die Slowakei, Estland, Litauen und Russland gesammelt. Sie alle mussten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein neues, kapitalismustaugliches Steuersystem einführen. Beim Vorreiter Estland, wo bereits in den frühen Neunzigerjahren eine Einheitssteuer von 26 Prozent eingeführt wurde, wächst das Bruttoinlandprodukt jährlich um fünf bis zehn Prozent. Eben hat eine Studie des World Economic Forum das kleine Estland als das wettbewerbsfähigste der neuen EU-Länder eruiert – nicht zuletzt wegen der Flat Tax.

Auch die Slowakei startete durch in Richtung Einheitssteuer: Seit Januar gilt ein radikal vereinfachtes Steuersystem mit 19 Prozent Unternehmenssteuer, 19 Prozent Einkommenssteuer und 19 Prozent Mehrwertsteuer. Es profitieren vor allem Spitzenverdiener mit einem Höchststeuersatz von vorher 38 Prozent und Unternehmen.

Wer hingegen wenig verdient, bezahlt heute in der Slowakei mehr, weil auf Grund des erhöhten Mehrwertsteuersatzes die Preise für Lebensmittel, Miete und Dienstleistungen auf einen Schlag um fünf Prozent gestiegen sind. Auch bei der Einkommenssteuer werden in der Slowakei niedere Einkommen stärker belastet als vor der Einführung der Flat Tax. Damals lag der Steuersatz bei zehn Prozent. Das wird durch einen für slowakische Verhältnisse hohen Steuerfreibetrag von monatlich 6732 Kronen (246 Franken) ein wenig aufgefangen. Zum Vergleich: Das monatliche Durchschnittseinkommen liegt bei 13000 Kronen (rund 470 Franken).

Die Schweiz kann Systeme anderer Länder nicht einfach übernehmen

Russland hat mit seiner von Wladimir Putin im Jahr 2000 eingeleiteten Steuerreform laut «Financial Times» gute Erfahrungen gemacht. Eine umfassende und einheitliche Flat Tax gibt es in Putins Küche zwar nicht. Der Einkommenssteuersatz beträgt seit 2001 nur noch 13 Prozent. Im selben Jahr beschloss das russische Parlament, zusätzlich die Körperschaftssteuer von 35 auf 24 Prozent zu senken. Zudem läuft seit 2002 der Versuch mit einer Gewinnsteuer von nur noch 15 Prozent für kleine und mittlere Unternehmen.

Dass die Schweiz der Slowakei, Russland und Estland mit einer radikalen Steuerreform folgt, ist unwahrscheinlich. Immerhin besteht nach Meinung von Experten in breiten politischen Kreisen der Wille, das Schweizer Steuersystem stark zu vereinfachen und im Steuerdschungel Transparenz zu schaffen. Nach Simonetta Sommaruga äusserten sich auch der SVP-nahe Bund der Steuerzahler, die FDP und Finanzminister Rudolf Merz positiv über die Flat Tax.

Die Euphorie hat aber auch einen kleinen Dämpfer bekommen. Finanzminister Hans-Rudolf Merz liess die Auswirkungen des Flat-Tax-Models der beiden amerikanischen Ökonomen Alvin Rabushka und Robert Hall auf die Schweiz überprüfen. Deren Steuersystem hat aber erklärtermassen das Ziel, reiche Steuerzahler ins Land zu locken und den Mittelstand durch bescheidene Pauschalabzüge dafür stärker zu belasten. Als Ausgangslage wird ein einheitlicher Steuersatz von 24 Prozent angenommen, 6 Prozent mehr als etwa im Modell von Markus Schneider.

Das Arbeitspapier kam darum auch zu dem nicht gerade überraschenden Ergebnis, dass der Mittelstand wesentlich stärker belastet würde. Wie Schneider und Leysinger gezeigt haben, liegt das aber an den Parametern: Werden sie geändert, kommt der Mittelstand besser weg als im heutigen System.

Eines ist sicher: Das Modell der «flachen Steuer» hat in der Schweiz nur dann eine realistische Chance, wenn die Stimmbürger das System als gerecht empfinden. Und das wird vor allem von der Höhe des Steuerfreibetrags abhängen.

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