NZZ am Sonntag, 10.04.2005, von Bruno S. Frey
Ein Grund für die heute hohe Zahl von Arbeitslosen ist unser Sozial- und Steuersystem, das in erheblichem Umfang das Arbeiten buchstäblich bestraft. Eine allein erziehende Verkäuferin, deren Ex-Mann die Alimente verweigert und deren Kind zur Krippe geht, reduziert in vielen Gemeinden unseres Landes ihr verfügbares Einkommen, wenn sie ihr Erwerbseinkommen steigert, wie uns Markus Schneider in seinem «Weissbuch 2004» vorrechnet. Der Grund liegt nicht nur in den höheren Steuern, sondern vor allem im Wegfall von Kinderzulage, Alimentenbevorschussung und der Subvention an die Krankenkasse. So bewirkt etwa ein Lohnzuwachs von 6500 Franken im Jahr in Schaffhausen, dass einer solchen Frau die Sozialleistungen um 6400 Franken gekürzt werden, nun aber 600 Franken mehr Steuern anfallen. Der erreichte Zuwachs im Erwerbseinkommen vermindert das verfügbare Einkommen um 500 Franken. Selbstverständlich arbeiten viele Leute nicht nur wegen des Geldes. Warum sollte aber ein Grenzsteuersatz gerade bei den unteren Einkommensschichten mehr als 100 Prozent betragen, bei den besser Verdienenden jedoch nur die Hälfte? Wird zusätzliche Arbeit und Anstrengung mit einem Einkommensverlust bestraft, sinken die Arbeitsanreize. Die Arbeitslosen werden im Teufelskreis der «Armutsfalle» gefangen gehalten, aus dem sie sich nur schwerlich herauslösen können.
Eine Steuergutschrift begegnet diesem Übel, indem die am stärksten von Armut bedrohten Personen – insbesondere Familien mit Kindern und Alleinerziehende – vom Steueramt Geld erhalten. Wer arbeitet oder mehr arbeitet, verliert nicht wie bisher beinahe schlagartig die staatliche Unterstützung, sondern erhält immer noch so viel, dass das verfügbare Einkommen zunimmt und Arbeit sich auch monetär lohnt. Damit dieses System bezahlbar ist, erhalten nur diejenigen diese Unterstützung, die arbeiten. Wer aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig ist, erhält wie bisher eine Invalidenrente plus Ergänzungsleistungen. Die grosse Zahl der hier tätigen Ausländer deutet darauf hin, dass nicht die Stellen knapp sind, sondern wegen des Sozialsystems für manche Schweizer die Anreize zur Arbeit ungenügend sind. Eine Steuergutschrift ermöglicht Personen, auch Stellen mit geringer Besoldung – zum Beispiel im humanitären Bereich – anzunehmen und dadurch mehr Einkommen zur Verfügung zu haben.
Das «Road Pricing» betrifft ein anderes Gebiet. Wer eine überlastete Strasse befahren will, muss eine Staugebühr bezahlen. Strassen mit flüssigem Verkehr bleiben unentgeltlich. Den Verkehrsteilnehmern wird so ein Anreiz vermittelt, das Auto weniger zu benützen, andere Wege zu fahren, den öffentlichen Verkehr zu wählen und langfristig Arbeits- und Wohnort anzunähern. Autofahrer werden veranlasst, sparsam mit dem knappen Strassenraum umzugehen. Es brauchen nicht dauernd neue Strassen, Brücken und Tunnels gebaut zu werden, die die Schweiz weiter zupflastern und zersiedeln. Die Erhebung dieser Staugebühr ist technisch kein grundsätzliches Problem. Vielmehr kann die Schweizer Industrie ein neues Produkt lancieren und exportieren.
Bundesrat und Parlament sollten diese Innovationen rasch beschliessen und durchführen. Wie die Einführung der Schwerverkehrsabgabe LSVA und die vor kurzem beschlossene Reform des Föderalismus im Rahmen des Neuen Finanzausgleichs gezeigt haben, macht das Volk mit, wenn die Vorlage gut begründet ist. Demgegenüber ist die dringend notwendige Föderalismusreform in Deutschland und Österreich schmählich gescheitert. Die direkte Demokratie verhindert Fortschritt keineswegs – obwohl uns dies bestimmte Kreise gerne suggerieren. Um den Problemen der Schweizer Wirtschaft zu begegnen, sollten den beiden Innovationen weitere folgen, insbesondere die Einfachsteuer («flat tax») auf persönliches Einkommen. Aber das ist Zukunftsmusik.
Bruno S. Frey ist Professor für Volkswirtschaft am Institut für empirische Wirtschaftsforschung der Universität Zürich.