«Flat Tax» belastet den Mittelstand Der Bund, 07.05.2005, von Hans Galli

«Flat Tax» belastet den Mittelstand
Der Bund, 07.05.2005, von Hans Galli
Das schweizerische Steuersystem ist kompliziert. So kompliziert, dass 2500 Steuerberater damit jährlich 700 Millionen Franken verdienen. Das müsste nicht sein, sagt der Solothurner Steuerberater Michael Leysinger. Gemäss seinem Vorschlag hätte die Steuererklärung auf einer Postkarte Platz: Lohneinkommen minus Pauschalabzug pro Kopf. Bei Unternehmen stünde auf der Postkarte: Umsatz minus Unkosten. Was unter dem Strich bei Privaten und Firmen übrig bleibt, wird mit 15 Prozent besteuert. Der Einfachheit halber würde der Arbeitgeber die Steuern für seine Angestellten gleich an der Quelle abziehen und dem Staat abliefern.Leysinger ist der vehementeste Befürworter der «Flat Tax» in der Schweiz. Markus Schneider hat Leysingers Ideen im «Weissbuch 2004» aufgenommen. Schneider schlägt einen einheitlichen Steuersatz von 19 Prozent vor. Sein Konzept verbindet er mit der Idee der negativen Einkommenssteuer: Wenn der Pro-Kopf-Abzug grösser ist als das Lohneinkommen, wird die Differenz dem Steuerpflichtigen vom Staat überwiesen.

Finanzminister Hans Rudolf Merz lässt die «Flat Tax» als eine von mehreren Varianten für den Umbau des schweizerischen Steuersystems prüfen. In ihrer reinsten Form dürfte sie in der Schweiz kaum Chancen haben, wie Buchautor Schneider in einem Streitgespräch in der neusten Ausgabe der «Volkswirtschaft» einräumt. Die reinste Form wäre ein Einheitssatz von 19 Prozent für Einkommens-, Mehrwert- und Unternehmenssteuern. Dieses Modell hat die Slowakische Republik eingeführt, ähnliche Systeme kennen Russland, die Ukraine, Serbien und Singapur.

Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) erachtet die von Leysinger und Schneider vorgeschlagenen Einheitssätze von 15 und 19 Prozent als zu tief. Gemäss seinen Schätzungen wäre ein Satz von 24 Prozent nötig, wenn das heutige Steueraufkommen von Bund, Kantonen und Gemeinden erhalten werden soll. Für Deutschland läge der Einheitssatz bei 30 Prozent, wie Prof. Clemens Fuest von der Universität Köln schätzt.

Grossverdiener zahlen weniger

Unbestritten ist laut Fuest, dass die Einheitssteuer die Steuerbelastung der verschiedenen Einkommensklassen gegenüber dem heutigen Zustand verändert. Es sei wissenschaftlich erwiesen, «dass die Haushalte in den höchsten Einkommensklassen entlastet werden, während vor allem die Mittelklasse zusätzlich belastet wird», schreibt Fuest. Einzelne Studien kämen sogar zum Schluss, dass die niedrigsten Einkommensklassen die Verlierer einer solchen Reform wären.

Die politische Linke steht deshalb der «Flat Tax» skeptisch gegenüber. Er begrüsse zwar, dass Abzüge für die Säule 3a sowie für Einmaleinlagen abgeschafft werden sollen, sagt Serge Gaillard, geschäftsführender Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. Aber er betont: «Für die Gewerkschaften ist die Progression wichtig.» Hohe Einkommen müssten auch in Zukunft mit einem höheren Steuersatz belastet werden als tiefe.

Das werde indirekt durch die Pauschalabzüge erreicht, entgegnet Schneider: «Es wäre sozialpolitisch nicht vertretbar, wenn alle Einkommen faktisch proportional besteuert würden.»

Eveline Widmer-Schlumpf, Präsidentin der kantonalen Finanzdirektoren, mahnt zu einem vorsichtigen Vorgehen: «In der Schweiz hängen die Ausgestaltung des Systems der sozialen Sicherung und das Steuersystem eng zusammen. Beginnt man an einem Ende zu schrauben – etwa mit einem vollständig neuen Steuersystem für die natürlichen Personen – muss unweigerlich das ganze System der Abgaben und Zulagen überprüft werden.» Die Kantone seien deshalb bei diesen Arbeiten von Anfang an mit einzubeziehen, fordert die Bündner Finanzdirektorin. Sonst drohe erneut ein Scheitern an der Urne.

Föderalismus als Hindernis

Die «Flat Tax» dürfte aber nicht nur bei den kantonalen Finanzdirektoren auf Vorbehalte stossen. Auch Fuest meldet Bedenken an. Ein einheitlicher Steuersatz eigne sich zwar für Länder mit einem hohen Anteil der Bundessteuer. Das sei in den USA der Fall, von wo das Modell stamme. In der Schweiz werde aber der grosse Teil der Steuern von den Kantonen und den Gemeinden erhoben. Eine Vereinheitlichung sei deshalb schwierig.

Die «Flat Tax» würde in einigen Kantonen zu tieferen, in andern aber zu höheren Steuern führen. Dafür werde es nie ein Volks- und ein Ständemehr geben, pflichtet Gaillard bei.

Auch Bundesrat Merz ist nach der Abstimmungsniederlage vom Mai 2004 zur Einsicht gelangt, dass grundlegende Steuerreformen Zeit benötigen. Er will sich frühestens 2006 zur «Flat Tax» und zu andern Modellen äussern.

[i] Quellen: – «Die Volkswirtschaft», Nr. 5, 2005. – Michael Leysinger: «Eine ,Flat Tax‘ für die Schweiz», Solothurn 2004. – Markus Schneider: «Weissbuch 2004», Jean Frey AG.

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