Zwei Ostschweizer Kantone beschränken den bereits beschränkten Zugang zur Bildungselite nochmals. Wie klug ist das? 14.04.2005, Weltwoche
Die Schlausten der Schlauen kommen aus dem Kanton Glarus. Das ist kein Witz, sondern das Fazit der Universität Freiburg aus den nationalen Eignungsprüfungen für das Medizinstudium. Hinter Glarus auf den nächsten besten Plätzen folgen mit Zürich, Uri, Zug, St. Gallen alles Kantone aus der Ost- und Zentralschweiz. Am Schwanz der Tabelle stehen mit Freiburg, Basel-Stadt und Wallis die Kantone der Westschweiz. Ist diese Zweiteilung der Schweiz Zufall?Nein. Hier zeigen sich die Früchte der unterschiedlichen Eliteförderung. Der Kanton Glarus hat die besten Maturanden, aber er hat auch die wenigsten. Nur 12 Prozent der 19-Jährigen erreichen die Matur (Stand 2003). Im Aargau sind es knapp 14 Prozent, aber auch in Solothurn, Appenzell, St. Gallen, Uri, Schaffhausen, Graubünden, Thurgau, Luzern, Schwyz, Nidwalden, Zug, Bern, Obwalden sind es weniger als 18 Prozent. Ganz anders in der lateinischen Schweiz: In Genf schaffen 30 Prozent eines Jahrgangs die Matur, im Tessin und in Neuenburg 28 Prozent, in der Waadt und im Jura 23 Prozent, und auch Basel-Stadt gehört mit 24 Prozent zur lateinischen Schweiz.Solche Unterschiede sind kulturell erklärbar – und politisch gewollt. Wie Glarus seine Prioritäten setzt, demonstrierte jüngst das Kantonsparlament. Es strich eine von drei Gymi-Klassen, und zwar aus rein finanziellen Abwägungen. Darum werden nun 16 Primarschülerinnen und Primarschüler abgelehnt, obschon diese die Gymi-Prüfung bestanden hätten. «Numerus clausus!» hiessen die Schlagzeilen in der nationalen Presse.
Ganz Ähnliches hat Graubünden vor: Auch dort soll der bereits verknappte Zugang zur Matur (nur 15 Prozent eines Jahrgangs schaffen es heute) in den nächsten vier Jahren auf 13,5 Prozent reduziert werden, so beschloss es das Kantonsparlament.
Das lateinische Wort «numerus clausus» heisst auf Deutsch «zahlenmässig beschränkter Zugang», und einen solchen gab es zu den Gymnasien schon immer, in Glarus, in Genf, überall. Man lässt einfach nur so viele Schülerinnen und Schüler zu, wie es Plätze frei hat. Sehr schön illustriert diesen Sachverhalt der grösste Kanton der Schweiz. In Zürich wurde von 1980 bis 2000 kein neues Schulhaus gebaut, Jahr für Jahr schafften ziemlich genau gleich viele Jugendliche die Matur. Die Quote der Maturanden wurde damit zur Restgrösse, die sich rein rechnerisch aus der jeweiligen Grösse des Jahrgangs ergab. Sie schwankte zwischen 13 Prozent (1985) und 20 Prozent (1997), heute sind es in Zürich wieder 18 Prozent – mit einer unterschiedlichen Intelligenz pro Jahrgang hat das nichts zu tun. Es würde ja auch niemand behaupten, unter den Jugendlichen im ländlichen Glarus gebe es nur halb so viele Kluge wie im ländlichen Jura.
Frage: Ist die Politik von Glarus und Graubünden klug? International geht der Trend in die entgegengesetzte Richtung: Der Anteil der möglichst gutausgebildeten Jugendlichen soll möglichst hoch sein, damit sie für die «Wissensgesellschaft» gerüstet sind, fordern alle Wirtschaftsexperten. In Finnland beträgt die Quote der Hochschulabsolventen 45 Prozent, im Durchschnitt der OECD-Länder sind es 32 Prozent, in der Schweiz lediglich 18 Prozent, parallel zur tiefen Maturaquote. Damit steht die Schweizer Bildungselite mit abgesägten Hosen da – quantitativ wie qualitativ: In Finnland erreichen fast 50 Prozent der 15-Jährigen das zweithöchste Level 4 oder das höchste Level 5, in der Schweiz sind es weniger als 30 Prozent, wie die jüngste Pisa-Studie gezeigt hat.
Also gibt es für Glarus, ja für die ganze Ostschweiz nur ein doppeltes Ziel: Sie müssten mehr Beste auswählen und diese besser ausbilden.