Der Zank um die Zettel

31.03.2016, Schweizer Familie

wenn die Nationalbank nächste Woche die neue 50er-Note vorstellt, geht ein langer Leidensweg zu Ende. Der Wettbewerb zur Gestaltung der Geldscheine wurde schon 2005 durchgeführt. Dann aber folgte ein Ungemach dem anderen. Es begann mit der Wahl des Gestalters. Die Wettbewerbsjury hatte den Zürcher Grafiker Manuel Krebs zum Sieger gekürt. Doch die Nationalbank entschied sich für die zweitplatzierte Manuela Pfrunder. Gründe der Machbar keit wurden angeführt. Anstoss erregte aber auch ein feiner, kaum sichtbarer Totenkopf, den Krebs auf der Tausendernote platziert hatte. Um damit daran zu erinnern, dass Geld sich nicht ins Grab mitnehmen lässt.

Revolutionär wäre der Totenkopf nicht gewesen: Die Tausendernote von 1957, in Zirkulation bis 1980, zierte ein frivoler Totentanz. Nach dem Entscheid für Manuela Pfrunder kamen weitere Schwierigkeiten: Mehrfach musste die Ausgabe der Geldscheine aus technischen Gründen verschoben werden.

Ein Novum freilich ist das nicht. Die Herausgabe neuer Banknoten sorgt fast immer für Wirbel. Bereits die erste, vielleicht schönste jemals von der Nationalbank in Auftrag gegebene Serie führte zu Unmut. Sogar die Landesregierung mischte sich ein.

Am 1. September 1908 schreibt Bundesrat Robert Comtesse dem berühmten Ferdinand Hodler einen Brief nach Genf. «Unser Wunsch wäre», so der Politiker zum Maler, dass die Banknoten sich als «Kunstwerke erweisen, die darüber hinaus einen entschieden schweizerischen und nationalen Charakter» besitzen. Das sei «keine leichte Aufgabe, und sie ist umso schwieriger für den Künstler, als er für die Komposition und die figürlichen Motive, Ensemble und Ornamente nur über einen sehr beschränkten Raum verfügt». Der Bundesrat bittet um zwei Entwürfe, das Honorar dürfe Hodler hernach allein bestimmen. Die Harmonie ist bald vorüber, Künstler sind bockige Gesellen. «Unzuverlässig» sei er und «langsam», wird in der neu gegründeten Nationalbank über Hodler geklagt. Der Konflikt entzündet sich am Bild vom «Mäher», das für die Rückseite der Hunderternote vorgesehen ist. Die Stellung des Mähers könne nicht stimmen und die Art, wie er mit der Hand zur Sense greife, erst recht nicht. Zu diesem Schluss kommen laut Protokoll vom 29. März 1909 die drei höchsten Amtsträger der Expertenkommission: Robert Comtesse, der Bundesrat, Johann Hirter, der Präsident des Bankrats der Nationalbank, und Heinrich Kundert, der Präsident des Direktoriums der Nationalbank.

Wie kam es zu diesem ungehörigen Verdacht, der grosse Schweizer Landschaftsmaler habe sich vom Bodenständigen abgehoben? Vermutlich bekamen die Experten eine Schwarz-Weiss-Fotografie zu sehen, die bis heute erhalten ist. Sie zeigt den bärtigen Hodler mit seiner Staffelei auf einer Terrasse über den Dächern der Stadt Genf sitzen. Rechter Hand vor ihm posiert ein Mann im weissen Hemd mit seiner Sense. Keine grüne Wiese, keine Berge im Hintergrund, nur graue Mauern und dunkle Kamine.

Rudolf Locher, Inspektor im Dienst der Nationalbank, nimmt seine Berufsbezeichnung beim Wort. Im nächsten Sitzungsprotokoll der Kommission heisst es «Nachdem Rudolf Locher sich auf seinen letzten Reisen durch mehrere Kantone die Art der Sensenhaltung genau angesehen hat, kann er nun erklären, ‹dass die Sense nirgends so gehalten wird, wie dies auf der Zeichnung des Herrn Hodler der Fall ist›.» Immerhin, ein Experte stützt den Künstler: Bankrat Theodor Reinhart, Teilhaber des Winterthurer Handelshauses Volkart und privat ein bedeutender Kunstsammler, bezeugt, «dass sein Knecht, wie mehrere Fotografien belegen, die Sense genau so hält wie Hodlers Mäher».

Der sture Hodler gibt nach, allerdings nur bei zwei andern Details: Das «Käppli», das er dem Mäher verpassen wollte, lässt er weg. Auch dieses wurde beanstandet, weil es «von Kostümkennern als für einen Mäher nicht statthaft erkannt» wurde. Zudem ersetzt Hodler, wie verlangt, die Sandalen des Mähers durch festes Schuhwerk.

Trotzdem verliert er den zweiten Teil des Auftrags. Hodler darf nur die Hunderternote mit dem «Mäher» und die Fünfzigernote mit dem unumstrittenen «Holzfäller» schmücken. Die Illustration der beiden höchsten Noten, des Fünfhunderters und des Tausenders, wird dem Westschweizer Maler Eugène Burnand anvertraut. Stolz präsentiert Rodolphe de Haller, Vizepräsident des Direktoriums der Nationalbank, im Jahr 1910 Burnands Entwurf für die Fünfhunderternote. «Appenzeller Näherinnen in einem Appenzeller Interieur», so lautet der Titel. «Eine gefällige Szene», meint der Bankier, die vom Stil her an Albert Anker erinnere.

Auf Umwegen erfahren andere Experten der Kommission, dass sich Burnand beim Bild an Fotos aus seinem Familienalbum gehalten habe, die drei seiner Cousinen beim Nähen zeigen – nicht im Appenzellischen, sondern in Montpellier, Frankreich.

Diesmal schlüpft der Sammler Theodor Reinhart in die Rolle des pingeligen Inspektors. Im Mai 1910 reist er mit Burnand ins Appenzellerland, um «den dortigen Typus zu studieren». Offenbar fällt die Reise zur Zufriedenheit aus. Die 500er-Noten mit den Handstickerinnen kommen an Weihnachten 1912 in Umlauf.

Geld, so zeigen die Anekdoten, geht ans Herz, damals wie heute. Und bis die Kraft der Kunst die Macht der Gewohnheit besiegt, braucht es Zeit: Ferdinand Hodlers «Mäher», einst exakt 100 Franken wert, wird heute, falls die Note ungefalzt ist, unter Sammlern zum 25-Fachen getauscht.

Wertpapier für Reiche

Erfunden wurden Banknoten ursprünglich aus einem profanen Motiv: Sie sind spottbillig. Spottbillig in der Herstellung. Die derzeit kursierende violette Tausendernote, die auf der Vorderseite das ehrgebietende Porträt des Basler Kunsthistorikers Jacob Burckhardt trägt, wird produziert für 30 Rappen pro Stück. Auf diese Weise verwandelt sich, salopp gesagt, ein Stück Papier in einen Wert, der dank Garantie durch die Schweizerische Nationalbank überall auf der Welt als 1000 Schweizer Franken anerkannt wird. Eine solch wundersame Wertver-mehrung gelingt auf Schweizer Territorium erstmals 1825. Zu dieser Zeit gibt es noch keinen Bundesstaat und schon gar keine Nationalbank. Herausgegeben wird das erste Papiergeld von der «Deposito-Cassa der Stadt Bern». Dahinter steht die Berner Burgergemeinde, die für das nötige Vertrauen sorgt bei den reichen Leuten. Im breiten Volk jedoch werden die ersten Banknoten als das tituliert, was alle Banknoten bis heute sind: «Zettel». Und die kleine Berner Cassa, die solche Scheine in Umlauf bringt, wird als «Zettelbank» verspottet.

Der Wert der ersten Zettel ist mehr als happig. Die tiefste Berner Note, 500 damalige Schweizer Franken, entspricht ziemlich genau dem Wert von drei Kilo Silber. Niemand bezahlt damit einen Laib Brot auf dem Markt – die ersten Zettel sind noch gar kein richtiges Bargeld, sondern Wertpapiere für Grosshändler, Bankiers und Fabrikanten. Das Berner Geschäftsmodell macht in der rasch fortschreitenden Industrialisierung Schule. 1837 schafft die private «Bank in Zürich» Zettel unter dem Namen «Trabanten-Thaler». Die private «Bank in St. Gallen» folgt mit Noten, die auf «Reichsgulden» lauten, während die «Bank in Basel», ebenfalls in Privatbesitz, «französische Francs» ausstellt.

Regionale Vielfalt

Im Gegensatz zur heutigen EU wächst die moderne Schweiz wirtschaftlich nur langsam zusammen. Zuerst werden die Zölle zwischen den Kantonen abgeschafft sowie die Masse und Gewichte vereinheitlicht. Erst zum Schluss folgt die Währungsunion – wie das Sahnehäubchen auf dem Kaffee.

Als die Bundesverfassung 1848 in Kraft tritt, ändert sich für die vielen regionalen Zettelbanken vorerst gar nichts. Ihre «Zettel» bleiben in Umlauf für die grossen Summen. Das Kleingeld, bis heute «Münz» genannt, besteht aus Münzen, die Edles enthalten: echtes Silber, oft gar ein klein wenig Gold. Aber auch diese Münzen werden regional geprägt, und zwar in einer unglaublichen Vielfalt: Aargauer Batzen, Bündner Bluzger, Zürcher Dukaten – rund dreihundert Varianten kursieren Anfang des 19. Jahrhunderts in der Eidgenossenschaft.

Erst 1850, zwei Jahre nach Gründung des Bundesstaats, geht das Münzmonopol an den Bund über. Was nach einem eigenständigen eidgenössischen Entscheid tönt, ist in Wirklichkeit ein Anschluss an die damalige Leitwährung, den französischen Franc.

Die Produktion der neuen Schweizer Fränkler ist so teuer, dass die Schweiz nicht alle Münzen selber prägen will. Man wählt die naheliegendste Lösung: Im Inland werden ab 1852 auch französische und belgische Münzen akzeptiert. Damit wird die Schweiz Teil einer Münzunion mit Frankreich, Belgien, Sardinien, Parma, der Cisalpinen Republik mit der Hauptstadt Mailand, dem Königreich Italien und später Griechenland.

Schlecht vorbereitet ist der junge Bundesstaat auch beim Papiergeld. Erst 1891 wird das Banknoten-Monopol per Volksabstimmung dem Bund übertra gen. Noch existiert keine zentrale Bank, die den Wert der Noten verbürgen könnte

Als die Nationalbank 1907 ihre Schalter öffnet, muss sie sich notfallmässig behelfen: Sie übernimmt die Muster der alten «Zettelbanken» und überdruckt diese mit einer roten Rosette samt Schweizer Kreuz. Das Design spielt keine Rolle, die «Zettelbanken» haben einfach das Motiv der ersten Schweizer Briefmarke auf die Zettel übertragen: Mutter Helvetia, hübsch flankiert von einem rundlichen Büblein im unteren rechten Eck.

1911 kommen die ersten «eigenen» Noten der Nationalbank in Umlauf, gestaltet von Ferdinand Hodler und Eugène Burnand. Doch schon bald gerät die Schweiz in den Strudel des Ersten Weltkriegs. Erstmals wird der starke Franken als «sicherer Hafen» entdeckt. Im Inland werden die silberhaltigen Fünfliber gehortet – und im Ausland begehrt wie Gold. Das Problem dabei: Für den täglichen Zahlungsverkehr ist zu wenig Geld im Umlauf. In der Not schafft die Nationalbank Fünfer-, Zehner- und Zwanzigernoten. Endlich haben die Leute Bargeld auf Papier, mit dem man ein Schwein kaufen oder seinen Knecht bezahlen kann!

Für solch billige Noten braucht es keinen Künstler von hodlerschem Kaliber. Diesen Job erledigt ein einfacher Mitarbeiter der Druckerei Orell Füssli namens Balzer. Der wählt für die Vorderseite der Fünfernote ein Medaillon des unverdächtigen Wilhelm Tell.

Herausgegeben wird die Fünfernote im August 1914, kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs. In Umlauf bleibt die billigste Schweizer Banknote so lange wie keine andere: bis 1980. Ältere Leute erinnern sich noch heute gern an diese Fünfer, obschon Orell Füsslis Mitarbeiter Balzer gewiss kein Künstler war.

Die Noten eines veritablen Künstlers kamen dagegen gar nie in Umlauf. Das kam so: Die Herstellung von fälschungssicheren Banknoten war schon immer sehr anspruchsvoll. Die 5er-Note, deren Fälschung sich kaum lohnt, wird in der Schweiz gedruckt. Die hochwertigen Noten aber lässt die Nationalbank lange in London produzieren. Als sich der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs abzeichnet, wird der ausländische Produktionsstandort jedoch zum Problem: Was, wenn die Schweiz von den Lieferungen aus London abgeschnitten wird?

Hans Erni tobt

Die Nationalbank reagiert und beauftragt den prominenten Luzerner Maler und Grafiker Hans Erni mit einer neuen Serie. Erni, bei der Hunderternote unterstützt vom Berner Kollegen Victor Surbek, arbeitet schnell. Umgehend werden die neuen Noten in der Schweiz gedruckt, als Notvorrat gelagert – und im Jahre 1956 eingestampft, weil sie nicht mehr fälschungssicher waren. Hans Erni, ein bekennender Kommunist, tobt. Einige konservative Nationalräte haben sich gesträubt, ihn als Schöpfer einer Schweizer Banknote zu ehren. Kurz darauf kommt eine andere Serie in Umlauf: jene mit dem «Totentanz» auf der Tausendernote. 1957

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