Wirtschaftswunder Schwyz Niedrige Steuern, massenhaft Zuzüger, hohe Einkommen 25.09.2003, Weltwoche

Wirtschaftswunder Schwyz
Niedrige Steuern, massenhaft Zuzüger, hohe Einkommen 25.09.2003, Weltwoche
Taugt der Kanton Schwyz als Modell für die übrige Schweiz?Ein Ausflug mit Franz MartyEin sparsamer Mensch, wie er einer ist, hat kein Auto. Er nimmt den Zug. Der Voralpenexpress bringt ihn von der Innerschwyz, wo er wohnt, über den Sattel in die Ausserschwyz an den Zürichsee. In Pfäffikon steigt er aus, hinter ihm modernste Geleiseanlagen, neben ihm eine doppelstöckige S-Bahn, 29 Minuten vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt, und zeigt auf das Bahnhofshäuschen mit den zackigen Giebeln: «Schön restauriert, aber immer noch das gleiche Pfäffiker Bahnhofshäuschen von früher.»Franz Marty setzt sich vis-à-vis ins Restaurant «Höfe», ein stimmungsloses Lokal. Start zum «Ausflug ins Steuerparadies»: Unser Reiseführer hat 18 Jahre lang als Sparminister im Kanton amtiert und während dieser Zeit die Steuern halbiert.

Franz Marty bestellt sich einen Espresso und stellt fest, dass Schwyz «kein Bauernkanton mehr» sei. Den Satz, dass Schwyz auch nicht mehr «das Armenhaus der Schweiz» sei wie zur Zeit, als er sein Amt angetreten habe, lässt er weg.

Es ist neun Uhr morgens, alles ruhig, als wäre kein Betrieb da. Dabei ist das Restaurant «Höfe» im Parterre eines blauen Glashauses einquartiert, in dem klein angeschrieben ein paar Firmen logieren, darunter die Man Investments. Eine internationale Grösse von einem Hegde-Fund. Vielleicht hat «Man» nicht den gleichen Klang wie «Rich», Vorname Marc, zudem ist das blaue Glashaus beim Pfäffiker Bahnhöflein in den Augen von Franz Marty «architektonisch nicht gar so gelungen», um einen Vergleich mit dem blauen Glaspalast beim mondänen Bahnhof Zug aufzunehmen. Aber die Jungs von hier sind auch nicht ganz ohne. Als Stanley Fink, CEO der Man, aus Spass 28 Freunde und Bekannte zu einem Sponsorenschwimmen einlud, das von Finks Wohnort Bäch hierher zu Finks Büro führte, kamen 350000 Franken zusammen; ein Teil dieser Summe ging an den Jugendfürsorgeverein Höfe, ein anderer Teil an die Sonderschule in Freienbach. Sogar die Neuen Reichen helfen mit, die tiefen Sozialausgaben tief zu halten.

Als Erstes kommt Franz Marty, wie alle Leute hier in Pfäffikon, auf das Thema Verkehr. Nur fünfzig Schritte von der Bahnhofsruhe weg, in der Churerstrasse, zählt man 20000 Autos pro Tag. Das sind zwar nicht 70000 wie an der Weststrasse in Zürich, aber zu viele für einen Ort wie Pfäffikon. «Die träumen hier von einer unterirdischen Umfahrung.» Marty meint, ohne es auszusprechen: Viel zu teuer so ein Tunnel, völlig übertrieben. «Der Hase im Pfeffer», das sagt er laut, «liegt darin, dass dieser Verkehr hausgemacht ist.»

In Zürich nennt man die Leute von hier «Trittbrettfahrer». Wohnen in Ausserschwyz, wo sie «keine» Steuern zahlen, arbeiten in Zürich, wo sie «gratis» in die Oper gehen, ins Schauspielhaus, in die Tonhalle. «Täglich pendeln zirka 15000 Erwerbstätige an ausserkantonale Arbeitsplätze, das entspricht beinahe 25 Prozent der Erwerbstätigen», meldet der Kanton auf seiner Homepage. Nur: Was fürs Ganze gilt, trifft für den boomendsten Teil des boomenden Schwyz nicht mehr zu. In Freienbach, bestehend aus den fünf Ortschaften Pfäffikon, Hurden, Wilen, Freienbach, Bäch, haben die Vorzeichen gekehrt. «Fragen Sie Herrn Abegg!»

Gemeindeschreiber Beat Abegg schickt die neueste Pendlerstatistik, in der die Volkszählung 2000 ausgewertet wird. Daraus geht hervor, dass 2709 Freienbacher Einwohner in Freienbach arbeiten, 4210 wegpendeln, aber bereits 4863 zupendeln.

Wir fahren los, mit dem Auto den kurzen Weg – links baut die Kantonalbank ihr neues Gebäude – vom Bahnhofchen zur Churerstrasse. Der Verkehr ist auch zu dieser Zeit zäh, aber flüssig. Es sieht nicht nach Zentrum aus hier. Verstreut ein paar Wohnblocks aus den sechziger Jahren, ein Kebabstand, dann ein Bürogebäude, ausgeschildert als Arvest-Privatbank. «Kenn ich gar nicht», sagt Franz Marty, der öfter das Telefonbuch in die Hand nimmt, einfach ein bisschen blättert, nur um eine Ahnung davon zu kriegen, welche Namen zuziehen. Rechts ein Motorradladen von früher, konnte sich offenbar halten. Dann ein modernes Glashaus, das Unaxis-Gebäude, Sitz des neuen
börsenkotierten Technologiekonzerns Unaxis unter dem CEO Willy Kissling, der früher bei Stephan Schmidheiny war und wie Stephan Schmidheiny drüben in Hurden wohnt. In der linken Hälfte desselben Glashauses sitzt die LGT, die Bank des Fürsten von Liechtenstein mit 80 Arbeitsplätzen, geführt von André Lagger, der oben in Schindellegi wohnt. Franz Marty hat
ja die Steuern für alle gesenkt, für Firmen wie Private, «bewusst». Damit Firmen wie Private zuziehen.

Erste Station ist das «Seedamm Plaza», ein 110-Millionen-Bau. Alles voll, kein einziger Parkplatz frei, das Hotel ausgebucht, der ganze nationale Seminar-Tourismus hier. Gemäss Bildschirm in der Lobby sind es heute: die UBS, die Basler Versicherung, die Raiffeisenbank -«das habe ich gar nicht gewusst», sagt Franz Marty, seit kurzem Präsident der Raiffeisenbank. Auch die Eurotax, «eine ganz interessante Firma mit Sitz in Pfäffikon», die für ganz Europa Occasionsautos bewertet, hält gerade ein Seminar ab, während der Schweizerische Verband Technischer Kaderleute im ersten Stock mündliche Prüfungen durchführt. Nicht zu übersehen vorne beim Eingang das Casino Zürichsee, nur mit einer B-Lizenz ausgestattet, aber «eines der wenigen Casinos der Schweiz, die laufen», wie man ihm gesagt habe. Daneben werden im «Plaza» ganze Büros vermietet. Boris Becker hat es mal versucht, auch die LGT von Liechtenstein hat zuerst hier
unten geschnuppert, bevor sie sich an der Churerstrasse niederliess. Hinten im Garten ein Pool mit der obligaten Südsee-Inszenierung. Prächtig der Blick auf das Naturschutzgebiet Richtung See und Damm.

Im «Seedamm Plaza» ist auch Martin Ebner gerne aufgetreten. Sein letztes Referat hielt er am 28. Mai 2002 zum Thema «Wirtschaftswachstum durch Steuersenkung». Wie üblich lobte er Ronald Reagan, wie üblich verhöhnte er Franz Marty. «Bei der Nennung meines Namens hat er mit dem Leuchtprojektor das Bild eines Eichhörnchens eingeblendet», sagt dieser und zückt die Folien aus der Tasche, die ihm aus der BZ-Bank zugespielt worden sind. Selber ging er nie an eine solche
Präsentation, öffentlich wich er Ebner aus, traf ihn lieber unter vier Augen. «Ebners Vision», sagt Marty heute, «war ein Kanton Schwyz als Center of Excellence für hochwertige Dienstleistungen.» Darunter habe der Bankier nicht bloss den Finanzplatz oder das Holdingprivileg verstanden, sondern auch luxuriöse Privatspitäler oder teure Privat-universitäten, die die besten Studenten der Welt hätten anziehen sollen. «Er wollte die totale Amerikanisierung.»

Stattdessen kam es zur schrittweisen Amerikanisierung des Kantons Schwyz, die 1968 begann, mit der Eröffnung der Autobahn. «Ohne diese Autobahn wäre das alles nie möglich gewesen.» Plötzlich waren es von Pfäffikon bis Zürich 20 Minuten, von Wollerau bis Zürich noch 12 Minuten. Dann kam Charles Vögele, baute das Seedamm-Center, machte aus dem Kaff Pfäffikon eine Shopping-Mall. Hier durfte man, was in Zürich lange unmöglich war: von 9 bis 9 einkaufen. Bald folgte die nächste Attraktion, das Alpamare. Und gleich daneben das Kunstmuseum des Ehepaars Vögele. Erst dann, 1984, trat Franz Marty sein Amt an. Erst dann wurden die Steuern gesenkt. Schritt um Schritt, Jahr für Jahr.

«Es ist wie bei einem Stein, der ins Wasser fällt, es bilden sich laufend neue Ringe.» Damit meint Marty: Tiefe Steuern ziehen neue Einwohner an, gefolgt von Immobilienhändlern und dem
Baugewerbe. Dann kommen Treuhänder, Anwälte, Unternehmensberater, Informatikbuden, Bankiers,
Autogaragen, das ganze Netzwerk von Dienstleistern. «Fragen Sie doch mal den Architekten Ulrich Feusi.»

Dieser Ulrich Feusi führt einen Betrieb mit 25 Angestellten, ist so etwas wie der Platzhirsch von Pfäffikon, agiert etwa als diskreter Investor beim «Seedamm Plaza», doch darüber redet
er nicht, lieber hält er sich ans Allgemeine: «Ich habe mal ausgerechnet, dass der Bezirk Höfe, bestehend aus den Gemeinden Freienbach, Wollerau und Feusisberg, die höchste Architektendichte der ganzen Schweiz hat.» Die lokale Macht des Architekten Feusi kommt zusätzlich daher, dass er
Präsident ist der Korporation Pfäffikon, der mit Abstand reichsten Bürgergemeinde der ganzen Schweiz. 500 Personen, die aus nur sieben Geschlechtern stammen, sind an dieser Korporation beteiligt, die drei Viertel des Bodens von Pfäffikon besitzt, bis heute. Denn die Korporation gab ihr Land nur im Baurecht ab. Das erlaubt den sieben Geschlechtern, sich jährlich happige Dividenden, «Nutzen» genannt, auszuzahlen. Das geht ins ganz grosse Geld, aber die Zahlen dazu will Ulrich Feusi lieber nicht in der Zeitung sehen. Clever waren diese sieben Geschlechter, und dazu kreativ: In der Bucht des oberen Sees schütteten sie mit Kies das Hurdner Feld auf, eine künstliche Insellandschaft mit Hafen und Werft, und schufen so Platz für 120 ebenso pittoreske wie private Parzellen. Rolf Hüppi zum Beispiel wohnt hier, der ehemalige Grossverdiener bei der Zürich-Versicherung.

Unsere nächste Station ist der Seezugang für die ganz normale Bevölkerung, die hier ja auch noch lebt. Reiseführer Franz Marty will uns die Seepromenade Freienbach zeigen, weil diese Anlage in seinen Augen schon «ein bisschen Luxus» sei, den man sich nun zu leisten beginne. Er hätte übrigens auch das neuste Schulhaus Steg von Freienbach vorführen können, das von Ulrich Feusi gebaut wurde und insgesamt 23 Millionen Franken gekostet hat. Oder den Dorfplatz von Pfäffikon, der noch immer nicht wie ein richtiger Dorfplatz wirkt, obschon er für 1,7 Millionen Franken gerade neu asphaltiert wird. Auch die längste Holzbrücke der Schweiz, die von Hurden hinüber nach Rapperswil führt, ist in den Augen des Franz Marty ein «nice to have».

Die Seepromenade von Freienbach war bis vor kurzem eine Industriebrache. Dann kaufte die Gemeinde das Areal der Steinfabrik ab. Der «Luxus» besteht nun aus einem Freibad am
See mit freiem Eintritt, einem Kioskrestaurant samt Kinderspielplatz. Vorne ein Wäldlein, dann ein Aussichtspunkt mit etwas moderner Kunst, wie sie in dieser Gegend sonst auf öffentlichem Raum selten ist. Hinten ein Platz, den Marty eine «Piazza» nennt, mit den Restaurants «Schiff» und «Rathaus», beides feine Adressen. Nebenan hat sich die Gemeindeverwaltung eingemietet, in der Sommerresidenz des Klosters Einsiedeln, und zwar standesgemäss im Schlossturm, bei dem man den alten Graben wiederhergestellt und mit Wasser gefüllt hat. Nichts protzig, alles putzig. «Es werden hier keine Brunnen vergoldet», kommentiert Franz Marty versöhnlich.

Sparsam, sparsam, sparsam soll der Staat sein. 1998, anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums des Kantons Schwyz, hat Franz Marty einen Beitrag für die Festschrift verfasst. Die Weisheiten dazu hat er aus der Festschrift abgeschrieben, die fünfzig Jahre zuvor erschien: «Unsere Väter haben nie gerne gesteuert, und ihre Söhne und Enkel werden es auch in Zukunft nicht tun», zitierte er seine Vorgänger. Bestellt man Martys Beitrag beim kantonalen Amt für Kulturpflege, erhält man 15 Seiten Fotokopien mit dem Hinweis: «Zwecks Vermeidung unnötiger Umtriebe bitten wir Sie, uns gelegentlich den Betrag von Fr. 10.- unter Umschlag zuzustellen.»

Es gibt im ganzen Kanton noch immer kein öffentliches Hallenbad; aber es gibt natürlich unzählige private Hallenbäder in den Villen. Das ist kein innerer Widerspruch, im Gegenteil. Charles Vögele, einer der ersten Zuzüger aus Zürich, hat beim Bau seiner Residenz in Altendorf gespottet, dass ihn das alles «keinen Rappen» koste, da er «so viel Steuern spare». Im Alter von 79 ertrank Charles Vögele in seinem Pool.

Solange der Kanton und die Gemeinden in Schwyz «die tiefsten Ausgaben pro Einwohner» in der ganzen Schweiz ausweisen, so lange ist Franz Marty glücklich. Die neuesten Zahlen bringt
er wie selbstverständlich in der Mappe mit. Schwyz gibt pro Kopf und Jahr 7180 Franken aus, wogegen es in Zürich bereits 12156 Franken pro Kopf sind, ganz zu schweigen von
Basel-Stadt mit 19266 Franken Ausgaben pro Kopf, dem absoluten Schweizer Rekord. Ganz interessant findet Marty den direkten Vergleich mit Zug, der andern Steueroase: Zug gibt
pro Kopf bereits 10163 Franken aus, leistet sich zum Beispiel die mit Abstand teuersten Volksschulen der ganzen Schweiz. «Hier erkennt man das Anspruchsdenken», sagt Franz Marty. «Zug will der zuziehenden Bevölkerung etwas bieten.» Und ergänzt warnend: «Bei uns in Freienbach oder Wollerau haben wir denselben Trend.»

In Wollerau geh’s den Hang hinauf Richtung Schindellegi. Es ist nicht nur steil, es ist sogar sehr steil. Die Grenze zum Kanton Zürich ist nah, wo der Hang etwas flacher wäre, aber die Leute wollen eben nicht in Richterswil ihre Steuern zahlen, sondern in Wollerau. Überall sind neue
Projekte ausgesteckt, in die steilsten Hänge werden Terrassenhäuser gebaut. «Das Wichtigste ist der Blick auf den See.» Der Rest offenbar weniger: Die Quadratmeterpreise sind extrem hoch, obschon der Hang so steil ist. Und das Bauen hierist speziell teuer, gerade weil der Hang speziell steil ist. «Hier im Hang beträgt die Quote der Vermögensmillionäre sicher siebzig Prozent», schätzt Franz Marty.

Der Augenschein wird bestätigt durch die Steuerstatistik: In Freienbach, Feusisberg und Wollerau verdoppelt sich die Zahl der Vermögensmillionäre alle fünf Jahre, so die jüngsten Erfahrungen. In Wollerau ist inzwischen jeder zwölfte Steuerpflichtige ein Vermögensmillionär. Und dann erst die Einkommensmillionäre: In Freienbach gibt es 29, und die deklarierten im Jahr 2000 mehr als 572 Millionen Franken Gesamteinkommen.

Reich zu reich gesellt sich gern. Patty Schnyder wohnt in Bäch, Martina Hingis in Schindellegi, und auch Roger Federer wäre hier, wäre er «nicht aus einer Political Correctness heraus», so Franz Marty, im Kanton Basel-Landschaft geblieben. Es kommen so viele Neuzuzüger aus den unterschiedlichsten Branchen, dass die sich gegenseitig gerne kennen lernen möchten, geschäftlich wie privat. Die Erfüllung solcher Wünsche gehört hier zum Service public: Die
Gemeinden Freienbach, Wollerau und Feusisberg laden zweimal im Jahr ihre mehr oder weniger prominenten Einwohner gezielt zu einem Feierabend-Apéro ein, «Gesprächspunkt Höfe» genannt. Es moderiert das Schwyzer Kommunikationsgenie Iwan Rickenbacher. Einmal ist der Ballonfahrer Bertrand Picard zu Gast, dann Ex-Regierungsrat Franz Marty. «Stehende Nachtessen, nicht aufdringlich, nicht einnehmend.» Das letzte Mal traf Franz Marty zum Beispiel Jacqueline Fendt, die früherer Expo-Direktorin, die in Ausserschwyz eine neue Beratungstätigkeit aufgenommen und
den Anlass «sehr geschätzt» habe. Die Kosten, fünfzig Franken, bezahlen die Gäste beim Eintreffen im «Seedamm Plaza», im Gegenzug erhalten sie laut Programm einen «Apéro riche».

Bauen diese Reichen Häuser, tun sie das nach eigenem Geschmack. Manchmal mit Türmchen, immer öfter mit Erkern. Es gebe da eine «Magazin-Kritik aus der Stadt Zürich», die sich gegen das «Klein-Hollywood» von Ausserschwyz richte, das «ungefähr so hässlich wie reich» sei, wie das
Tages-Anzeiger-Magazin einmal schrieb. Franz Marty ist erstens kein Architekturkritiker und zweitens ein Liberaler. «Ich hätte mir gewünscht, dass die Privaten in eigener Verantwortung für ein anspruchsvolleres Bild gesorgt hätten.» Doch beim Verkauf der Parzellen kam es halt zu einem
«Wettbewerb mit unheimlicher Dynamik», da war keine Zeit für freiwillige Gestaltungspläne. «Jetzt ist die Architektur sehr individuell ausgefallen», kommentiert Marty trocken.

Hoch oben in Wollerau zeigt er auf einen «ganz gelungenen Bau»: die Manufaktur Meister, die pro Jahr rund 80000 Hochzeitsringe und andern Schmuck herstellt. Direkt in einer Haarnadelkurve wurde bei extrem engen Platzverhältnissen, 20 Aren Grundfläche nur, ein gläsernes Schiff hingestellt, das auf sechs Ebenen insgesamt 75 Personen Platz bietet für Ateliers und Werkstätten. Ein mit Erdwärme klimatisierter Sichtbetonbau, der sogar von den Berufskritikern des Zürcher Tages-Anzeigers als «Tempel der Schönheit» gelobt wurde.

In Schindellegi steht Franz Marty vor dem neu erweiterten Hauptsitz von Kühne & Nagel, der «offenbar schon wieder zu klein» sei. Und er erzählt von einem Währungsbroker, der anfänglich in seiner Villa zehn Leute beschäftigte, bis es zu eng wurde. Man habe ihm dann das alte Schulhaus von Feusisberg vermitteln können, auch die damalige Telecom PTT habe die Zeichen der Zeit erkannt und eines ihrer ersten Glasfaserkabel dorthin gelegt, damit der Broker direkt mit Frankfurt verbunden war. Dann kommt Marty auf Kimi Räikkönen, den finnischen Formel-1-Fahrer, der «total glücklich» gewesen sei, «so nahe bei Zürich etwas zu finden». Man habe auch von dieser Prominenz übrigens immer etwas verlangt. Will sich ein Ausländer pauschal besteuern lassen, muss er ein Minimum an Einkommen und Vermögen deklarieren. «Die Leute haben also
immer mindestens 100000 Franken Steuern bezahlt.» Anders am Genfersee, dort werde «auf Dumping» gemacht, da begnüge man sich damit, dass jemand das Fünffache der Miete versteuere.

Szenenwechsel. Wir fahren weiter nach Rothenthurm durch das national geschützte Hochmoor. Kein Kran mehr, keine Projektstangen, absolutes Bauverbot. Die Linie der Eisenbahn darf bleiben, aber sogar die Kantonsstrasse muss verlegt werden, Franz Marty sorgt sich schon wegen der Kosten.
Später, bei der Durchfahrt durchs Dorf Rothenthurm, sagt er: «Hier haben wir die Strasse einst verbreitert, jetzt wird sie für viel Geld wieder beruhigt.» Dann geht?s runter, wird
wieder steiler, viele Brücken mussten geschlagen werden. «Wir haben einige hundert Millionen in diese Strasse gesteckt.» Vom Thema Strassen kommt er einfach nicht los. Kürzlich wollten
FDP und SVP 50 Millionen aus der Staatskasse herausschmuggeln, um neue Strassen zu bauen. Franz Marty, der Sparpolitiker der CVP, tat, was ein Ex-Regierungsrat sonst nicht tut: Er mischte sich ein, schrieb einen Leserbrief. Man solle die Strassen strikt nach dem Verursacherprinzip
finanzieren, mit Geldern aus dem Benzinzoll, den Motorfahrzeugsteuern, den LSVA-Einnahmen, aber bitte nicht aus den allgemeinen Steuermitteln. «Das passt nicht zu unserem Konzept, langfristig die Steuern tief zu halten», mahnte er – und gewann.

«Wir haben hier kein basel-städtisches Stimmvolk.» Am gleichen Sonntag, als das Strassenbegehren von rechts «mit Glanz und Gloria», so Marty, abgeschmettert wurde, sagten die Schwyzerinnen und Schwyzer auch nein zu einem Begehren von links, das Kinderkrippen fördern sollte. Noch stehen erst «0,43 Krippenplätze pro 1000 Kinder zur Verfügung», wurde in Leserbriefen geklagt. Aber das ändern wollten nur die reichen Gemeinden von Ausserschwyz. Das Volk im ganzen Kanton sagte – wenn auch äusserst knapp – nein.

Unten im Tal bei Seewen zeigt Marty auf eine Riesenbaustelle, wo Coop ein Einkaufszentrum hinstellt. Dabei gibt es ein paar Kilometer weiter oben, in Schwyz-Ibach, das Mythen-Center der Migros, «das auch noch den ganzen Kanton Uri versorgt». Diese nächste Rieseninvestition zeige, wie gross das Potenzial ist. Wie drüben in Ausserschwyz beginne die Zukunft auch hier in Innerschwyz mit der Autobahn: Ist die A4 durchs Knonauer Amt einmal fertig, rückt Zürich näher. Dann sind es etwa von Lauerz aus noch 35 Autominuten.

Noch ist Lauerz das verschlafene Nest am Lauerzersee. Noch gehört es zu den fünf hoch verschuldeten Gemeinden im Kanton Schwyz. Noch ist Lauerz vom innerkantonalen Finanzausgleich abhängig. Ohne diese Hilfe von den reichen Gemeinden müsste Lauerz wohl «doppelt so viel Steuern verlangen wie heute», schätzt Franz Marty. Kürzlich hat sich Lauerz eine total neue Infrastruktur geleistet. Schulhaus, Mehrzweckhalle, Sportplatz, Dorfplatz mit einer Halfpipe und einem noblen Veloständer, Gemeindeverwaltung, Feuerwehr, Zivilschutz: alles schön neu, alles schön beisammen. Das Schulhaus wird sogar von Architekten aus Zürich gelobt, während die Holzfassade bei der lokalen Bevölkerung weniger gut ankommt. Innen ist alles farbig und luftig und transparent. Wer durch die Gänge wandelt, sieht durchs Glas in die Schulzimmer und von dort durchs Fenster hinaus auf den Lauerzersee. «Jede Gemeinde im Kanton bietet diesen Service», betont Franz Marty. Sogar Riemenstalden, ein Weiler mit achtzig Einwohnern, der nur durch den Kanton Uri erreichbar ist, führt einen Kindergarten und eine Schule bis zur 6. Klasse. Riemenstalden ist zugleich die einzige Gemeinde im ganzen Kanton, die Einwohner verliert.

Alle andern Gemeinden wachsen, die meisten auf unheimliche Art. Es gibt keine Landflucht in Schwyz, nirgendwo, im Gegenteil. Sogar das Muotatal hat in den letzten zwanzig Jahren 23 Prozent Einwohner hinzugewonnen. «Unser Ziel war immer, dass die Berggemeinden eine lebenswerte Infrastruktur behalten. Sie haben zwar eine höhere Steuerbelastung als in Freienbach, aber eine tiefere als im ganzen Kanton Luzern.» Sogleich blättert Franz Marty, wir sind beim Mittagessen am Ufer des Lauerzersees, in seinen Tabellen mit der schweizweiten Steuerbelastung: «Reichenburg, die unattraktivste Gemeinde des Kantons Schwyz, ist um einen vollen Viertel attraktiver als Muri, die attraktivste Gemeinde des
Kantons Bern.» Aus der Sicht der Reichsten präsentiert sich die Wahl so: In der Stadt Bern zahlt ein Einkommensmillionär 26 Prozent Steuern, im Schweizer Durchschnitt 23 Prozent, in Muri bei Bern 20 Prozent, im Schwyzer Durchschnitt 12 Prozent, in Freienbach 6 Prozent. Man könnte auch
klassenkämpferisch sagen: Die Bankiers von Freienbach zahlen prozentual weniger Steuern als die Working Poors in der Stadt Basel.

Hier in Lauerz würde ein Einkommensmillionär 13 Prozent Steuern zahlen. Nur gibt es laut Statistik keinen in Lauerz, noch nicht. Aber gewisse Leute denken schon darüber nach, wie sie
mit ihren Landreserven, dem idyllischen See, dem Blick auf die Mythen und dank dem Anschluss an die Autobahn interessante Einwohner anziehen könnten. «Ein Gemeinderat hat mir erzählt, sie prüften, eine spezielle Bauzone für Landhäuser zu schaffen.»

Frage: «Ist Schwyz ein Modell für die Schweiz, Herr Marty?» Das sei eine Frage der Redlichkeit. Jeder Kanton habe seine besonderen Chancen. Schwyz hatte die Landschaft, die Autobahn, die Nähe zu Zürich. «Wir haben uns dann im Regierungsrat gefragt: Was können wir aus diesen Chancen
machen? Was uns fehlte, waren kaufkräftige Einkommen und attraktive Arbeitsplätze. Dieses Manko konnten wir tatsächlich mit einer Finanz- und Steuerpolitik ausgleichen.» Aber was hier möglich gewesen sei, sei kein Modell für die übrige Schweiz. «Wenn der Kanton Jura die Steuern senken würde, was würde schon passieren?», fragt der passionierte Steuersenker Franz Marty. Mit einer Steuer- und Finanzpolitik allein kann man das Schwyzer Wachstum nicht erreichen.

Dann zückt er aus seiner Jackentasche zwei Broschüren von der Schwyzer Kantonalbank, die ja mittlerweile zu seiner Konkurrenz gehöre. Die erste Broschüre heisst «Der Kanton Schwyz im Zahlenspiegel» und stammt aus dem Jahre 1984, als Franz Martys Regierungszeit anfing. Die zweite Broschüre heisst «Der Kanton Schwyz in Zahlen» und stammt aus dem Jahr 2002, als seine Regierungszeit endete. «Hier haben Sie auf die knappste Art, was alles passiert ist.» Die Bevölkerung stieg von 103000 auf 130000, die Zahl der Aktiengesellschaften multiplizierte sich von 1040 auf 3202 «um den Faktor drei». Längst gehört Schwyz nicht mehr zur Gruppe der «finanzschwachen Kantone», sondern zu den «mittelstarken Kantonen», und zwar auf Platz 1, unmittelbar vor dem Sprung in die Gruppe der «finanzstärksten Kantone». Nimmt man das Volkseinkommen zum Massstab, steht das einstige Armenhaus Schwyz bereits weit über dem Schweizer Durchschnitt auf Platz 7, gemeinsam mit Baselland.

Eine Nachfrage bei der BAK Basel Economics ergibt: Das Volkseinkommen verzerre das Bild, es messe ja die Einkommen, also sind die Zürich-Pendler mitgezählt. Viel aussagekräftiger sei das Bruttoinlandprodukt, das die Wertschöpfung im Innern des Kantons messe. Von 1990 bis 2002 betrug das durchschnittliche Wachstum in Schwyz 1,3 Prozent. Das ist ein stolzes Wachstum, vergleicht man Schwyz mit der übrigen Schweiz, die lediglich auf 0,8 Prozent kam. «Da liegt Schwyz signifikant höher», meinen die BAK-Ökonomen.

Nur: Vergleicht man das Schwyzer Wachstum mit den Lokomotiven im Ausland, erscheint das Resultat mager. In Irland wuchs das Bruttoinlandprodukt in den letzten 12 Jahren um 80 Prozent. «Irland», referiert Franz Marty, «hatte billigen Boden, billige Arbeitskräfte, tiefe Steuern.» Schwyz dagegen hat nur tiefe Steuern. Noch tiefere übrigens als Irland, überhaupt die tiefsten der Welt, wie der neueste Vergleich der BAK Basel zeigt. «Durch die Steuerentlastung», erzählt Franz Marty, «wuchs das Steuersubstrat.» Auf Deutsch: Die Tarife sanken, zogen zusätzliche Einkommen an, die vermutlich sogar etwas ehrlicher deklariert wurden, so dass die Steuereinnahmen insgesamt kräftig anstiegen. Nur wisse man im Voraus nie genau, wie gross diese positiven Effekte sind, sagt der Praktiker. Darum soll der Staat auch nicht wie eine billige Krankenkasse vorprellen, um die Prämien zwei Jahre später wieder still nach oben anzupassen. Schwyz hat darum seine Steuern behutsam gesenkt. Schritt für Schritt, Jahr für Jahr. So lange Franz Marty im Amt war, funktionierte es prächtig. Nächstes Jahr allerdings will sein Nachfolger die Steuern erhöhen, wie die Zürcher Zeitungen schadenfreudig vermelden. Nur handelt es sich dabei zu einem schönen Teil um Umlagerungen bei der Spitalfinanzierung: die Steuertarife des Kantons sollen tatsächlich erhöht, die Steuertarife gewisser Bezirke aber im selben Umfang gesenkt werden.

Inzwischen hat die übrige Schweiz begriffen, was in Schwyz gelaufen ist: «Nullsummenspiel» lautete der Vorwurf an die Adresse des Franz Marty. Was Schwyz hinzugewonnen habe, das hätten die andern Kantone verloren. «Das stimmt nur, wenn man die Schweiz als Gefängnis betrachtet», wehrt sich Marty. Heute wandere das Kapital ja nur zum Teil in den Kanton Schwyz, der andere Teil aber ins Ausland. «Es wäre schön, wenn die Inländer mehr im Inland investieren würden.» Noch wichtiger sei der Blick aus dem Ausland: «Die Ausländer, die heute nach Schwyz oder Zug kommen, kämen doch sonst gar nie in die Schweiz.»

Letzte Station ist Küssnacht am Rigi. Dieser Ort, da ist sich Franz Marty ziemlich sicher, wird «zum zweiten Pfäffikon». Unser Reiseführer zeigt auf die vielen Kräne und die vielen Stangen. Es wird gebaut. Und Küssnacht hat sogar etwas, was Pfäffikon nicht hat: Landreserven. Direkt bei der Autobahnausfahrt liegt die Industriezone Fänn. Hier soll, so hofft die Gemeinde, nicht nur ein Dienstleistungszentrum entstehen, sondern echte Industrie. Der Käsefabrikant Baer ist schon da, gleich daneben das Medizinalunternehmen Wilden. Und mittendrin ist Zeus, der grösste Saunaklub der Schweiz.»

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