Der ewige Berater Hans-Rudolf Merz, neuer Bundesrat 12.12.2003

Der ewige Berater
Hans-Rudolf Merz, neuer Bundesrat 12.12.2003, Weltwoche
Der Mann ist fast kahl, 1 Meter 71 klein, 65 Kilo leicht, hat kein
Gramm Fett zu viel und vergleicht sich selber mit einer Qualle:
«Viele Leute wissen nicht, wie ich anzufassen bin.»Die Qualle ist ein unangenehmes Tier, Hans-Rudolf Merz ein
hohes. Von Beruf «Wirtschaftsberater», der früher damit
geprahlt hat, er sei «Schmidheinys Personalchef». Dabei war
er höchstens dessen Headhunter. Ein richtiger Chef war er nie.
Als das Wirtschaftsmagazin Bilanz ihn persönlich in eine alte
Asbestgeschichte verflocht, behauptete er via
«Gegendarstellung», er habe «nie eine Mine besucht». Später,
bei der Helvetia Patria, einer Versicherung mit 4800
Angestellten, war er auch nie die eigentliche Nummer eins,
obschon er als deren Präsident amtierte. Und kokettierte:
«Wenn der Chef derjenige ist, bei dem sich die Mitarbeiter
krank melden müssen, dann hatte ich als Chef einen einzigen
Untergebenen: Erich Walser, CEO der Helvetia Patria.»Als «typischer Bergler» (Selbsteinschätzung) war er nirgendwo
dabei, weder bei der Economiesuisse noch in einem
Rotary-Club. Trotzdem avancierte der kleine Appenzeller
ideologisch ausgerechnet zum letzten Vertreter des einst so
stolzen Zürcher Wirtschaftsfreisinns. Das ist nicht seine
Schuld: «Vom alten Zürcher Freisinn ist seit dem Rücktritt von
Vreni Spoerry halt niemand mehr da, und die neuen sind noch
zu jung.»In die Lücke schwamm die Qualle Merz. «Ein Egomane», heisst
es, «ein kleiner Napoleon». Sogar im Sport isoliert er sich.
Früher trainierte er Triathlon (Schwimmen, Radfahren,
Rennen), heute joggt er nur noch, aber das jeden Morgen. Im
Winter macht er Langlauf. Ein einsamer Mann mit einem langen
Atem. Sein Leben lang war er Berater, der sich im Notfall selber
so beraten hat, dass man auch mal den Notausgang nehmen
darf. Wie vor zwölf Monaten, als er sich für das Präsidium der
FDP interessierte, dann beim ersten Gegenwind umfiel und
allein auf seine eigene Karriere schaute. Womit er erneut
bewies: Hans-Rudolf Merz ist kein Teamplayer.Warum will so ein Leichtgewicht mit 61 Jahren plötzlich
Bundesrat werden? «Ein Mann in meinem Alter kann die Welt
nicht mehr verändern», antwortet er ein paar Tage zum Voraus.
Und erinnert damit an Christoph Blocher, der sich mit 63
Jahren als «zu alt» bezeichnet, um noch Diktator zu werden,
sich aber trotzdem jung genug fühlt, die Schweiz zu «retten».
Ganz ähnlich sieht Hans-Rudolf seine Rolle: als Herkules, der
nur selber den Augiasstall ausmisten muss, weil er in seiner
Partei, der FDP, keine andere Person sieht, die für diese
Aufgabe in Frage käme. «Ordnungspolitisch ist die FDP nicht
mehr glaubwürdig», sagt Merz, als ob er Christoph Blocher
wäre.Der Zürcher Freisinn? Am Boden. Der frühere Präsident, Franz
Steinegger? Ein «Bergler» wie Merz, aber ebenfalls am Boden.
Die frühere Fraktionschefin, Christine Beerli? Auch sie
personifiziert den Niedergang der Partei. Drei Stichworte
genügten Hans-Rudolf Merz, um alle parteiinternen Gegner
abzuschiessen: «Erstens Swissair, zweitens Expo, drittens
Solidaritätsstiftung.» Auch als Bundesratskandidat sprach er
offen von den «drei Fehlern des Freisinns», die er nun via
Bundesrat «zu korrigieren» habe. Sofort zitiert Merz, erneut im
Gleichschritt mit Christoph Blocher, den alten Wilhelm Röpke:
«Jeden Franken muss man zuerst verdienen, bevor man ihn
umverteilen kann.»

Laut Ostschweizer Lokalpresse ist er «der Bonsai-Blocher». Er
selber, der sich gesellschaftspolitisch gerne aufgeschlossen,
liberal, weltoffen sieht, versteht unter dem Herrliberger
Christoph B. ein «Enzym, das die Prozesse in Gang bringt».
Hätte man diesen Gärstoff nicht in den Bundesrat gewählt, wäre
das aus Merz’ Sicht ein «absoluter Blödsinn» gewesen.
Nun freut er sich natürlich diebisch auf eine neue, bürgerliche
Regierung, in der die neue Nummer eins – Blocher -, flankiert
vom ewigen «Berater» – Merz -, zusammen mit Couchepin und
Schmid eine solide Mehrheit hält. Zugleich appelliert der neue
«echte» FDP-Bundesrat aber an das «Selbstbewusstsein der
Linken»: Eine Regierung sei in der Schweiz nie allmächtig, im
Nachgang komme immer das Parlament, dann das Volk.

Pragmatisch spielt Merz die neuen Mehrheitsverhältnisse im
Bundesrat zur «Ausgangslage» herunter, den «Schlendrian» zu
stoppen. Er habe drei Söhne, um die 30 Jahre jung, erzählt der
Alte gerne, erwähnt dann den aktuellen Stand der Schulden,
122 Milliarden Franken, zählt die 7 Milliarden hinzu, die im Jahr
2004 neu entstehen werden, verweist auf die Löcher in den
Bundespensionskassen, rechnet die Summe der
Bundesschulden auf 150 Milliarden hoch, die man zu 4 Prozent
verzinsen müsse, ergebe schon 6 Milliarden Franken
Schuldendienst im Jahr. «Das ist doch keine Perspektive»,
meint der an der Hochschule St. Gallen studierte Finanzpolitiker
und zieht daraus seine Urmotivation: «Da hat es mich
gezwickt.»

Von sich selber ist er überzeugt. Zeit gibt er sich vier Jahre.
Und wenn das nicht reicht, werden daraus «vielleicht auch
sechs Jahre», rät Unternehmensberater Merz dem Bundesrat
Merz.

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