Bestellen, aber kein Geld zum Zahlen Konstant steigende Gesundheitskosten 18.09.2003, Weltwoche

Bestellen, aber kein Geld zum Zahlen
Konstant steigende Gesundheitskosten 18.09.2003, Weltwoche
Nur die Amerikaner gönnen sich ein noch teureres
Gesundheitssystem: 11 Prozent des Privatbudgets eines
Durchschnittsschweizers gehen bereits dafür drauf. Und
weit und breit kein Zeichen, dass die Kosten nicht weiter
steigen.Ein falsches Wort geht um, das Wort von der
«Kostenexplosion». Dabei stellen die Experten im Bundesamt
für Statistik nüchtern fest: «Der Kostenanstieg im
Gesundheitswesen kann keinesfalls als
«explosiv» eingestuft werden; im Gegenteil, er ist
stetig und entspricht eindeutig der Entwicklung der sozialen und individuellen Ansprüche an die Lebensqualität, zu der die
Gesundheit ganz wesentlich beiträgt.»Hurra! Die Gesundheitskosten sind vielleicht ein Luxus, aber
einer, den wir Schweizerinnen und Schweizer uns weiterhin zu
leisten vermögen. 1970 betrug der Anteil der Gesundheitskosten
am Bruttoinlandprodukt erst 5,6 Prozent, 1980 waren es 7,6
Prozent, 1990 bereits 8,5 Prozent, im Jahr 2000 waren es 10,7 Prozent, heute sind es über 11 Prozent. Wenigstens in dieser
Hinsicht kann die Schweiz ihre frühere weltweite
Spitzenposition beibehalten, nur die USA gönnen sich ein noch
teureres Gesundheitswesen.Oder übertreibt die Schweiz etwa? Nicht unbedingt. Vermutlich
liesse sich trotz der ständig steigenden Kosten locker eine
demokratische Mehrheit gewinnen. Würde man die Leute
nämlich fragen: Wollt ihr 11 Prozent eures Budgets gegen die
Krankheit ausgeben? – Eine Mehrheit würde wohl antworten:
Aber sicher wollen wir das. So viel ist uns die Gesundheit wert.

In diese Richtung zeigt zumindest eine Umfrage, die der
Tessiner Gesundheitsökonom Gianfranco Domenighetti im
September 2002 durchgeführt hat: «Eine klare Mehrheit der
schweizerischen Bevölkerung (66,8 Prozent) ist insgesamt
zufrieden mit unserem Gesundheitssystem.» Besonders
zufrieden waren, wen erstaunt’s, Personen über 66
Jahren und Personen mit einem Monatseinkommen unter 3000
Franken. Bezeichnend für die extrem hohe Akzeptanz der
sozialen Krankenversicherung ist ein weiteres Teilresultat:
«Personen, die eine Zusatzversicherung abgeschlossen haben,
sind insgesamt nicht zufriedener als jene, die nur über die
Grundversicherung verfügen.»

Ein zweites falsches Wort geht um, das Wort von der
«Prämienexplosion». Es gibt auch bei den Prämien nichts
«Explosives» zu vermelden, im Gegenteil. Die Prämien steigen
stetig. Zwar etwas steiler als die Kosten, aber ebenfalls
konstant. Bei den letzten beiden Malen betrug die
Wachstumsrate knapp 10 Prozent, und auch am Montag, 22.
September, wenn die Prämien 2004 bekannt werden, dürften es
wieder knapp 10 Prozent sein. Offiziell beträgt die
Steigerungsrate lediglich rund 5 Prozent, aber das ist nur eine
offizielle Zahl, dahinter steckt ein buchhalterischer Trick des
Monsieur Couchepin, unseres neuen Sozialministers. In
Wahrheit sind es auch diesmal gut 8 Prozent, nur werden gut 3
Prozent der Prämiensteigerungen ab Januar 2004 an der
Hintertür eingezogen. Denn Pascal Couchepin setzt die
Grundfranchise und den Selbstbehalt herauf, gleichzeitig
reduziert er die bisherigen Rabatte für Leute mit erhöhter
Wahlfranchisen.

Spätestens an diesem Punkt hört die Freude übers
Gesundheitswesen normalerweise auf. «Bei jeder
Prämienerhöhung steigt der Anteil der Schweizerinnen und
Schweizer, welche die Belastung der Prämie als zu hoch oder
gar als übermässig empfinden, deutlich an», hat der Tessiner
Domenighetti mit seiner Studie herausgefunden. Nur: Die
Pro-Kopf-Prämien mögen in Umfragen unbeliebt sein, politisch
sind sie klar mehrheitsfähig. Die SP ist mit ihrer
«Gesundheitsinitiative», mit der sie die Pro-Kopf-Prämien
abschaffen wollte, am 18. Mai dieses Jahres bös auf die Nase
gefallen: 73 Prozent des Volks und sämtliche Kantone sagten
nein, nicht einmal in Genf, Basel-Stadt oder der Waadt hatte
die Linke eine Chance.

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