Wo Reiche gerne Steuern zahlen Der Steuerwettbewerb wird brutal. 17.11.2005, Weltwoche

Wo Reiche gerne Steuern zahlen
Der Steuerwettbewerb wird brutal. 17.11.2005, WeltwocheIn Irland bezahlt eine Firma am wenigsten Steuern, so wie seit vielen Jahren. Aber dicht dahinter ist alles in Bewegung. Auf Platz 2 und 3 folgen Ungarn und die Slowakei (mit 18 und 19 Prozent für Unternehmensgewinne). Der Druck dieser beiden «kleinen Tiger» ist so gross, dass das Nachbarland Österreich, gegen die ursprünglichen Absichten, seine Gewinnsteuern ebenfalls senken musste, auf immerhin 30 Prozent. Noch tiefer gehen die skandinavischen Länder, die neuerdings «nur» noch von natürlichen Personen hohe progressive Steuern verlangen; die Unternehmen jedoch werden in Schweden, Norwegen, Finnland mit proportionalen Sätzen sanft angefasst (28 Prozent), etwa so sanft wie in Estland (26 Prozent), wobei Estland demnächst weiter senken wird.«Race to the bottom» nennt man das in der Fachsprache. Es finde ein Abwärtsrennen statt, besonders sichtbar bei den Gewinnsteuern für Unternehmen, wo die Tarife so tief fallen wie nur möglich ­ bis auf den Grund, so lautete vor kurzem das ehrliche Fazit an einer internationalen Tagung des Dachverbands der Schweizer Wirtschaft, Economiesuisse.Am 1. Januar 2006 wird die Rangliste für Unternehmenssteuern einen neuen Spitzenreiter erhalten: Obwalden, Schweiz. Hier wird, sofern das kantonale Stimmvolk am 11. Dezember ja sagt, eine Einheitssteuer eingeführt, gültig für alle Unternehmen im ganzen Kanton ­ mit einem sensationell tiefen Satz von 6,6 Prozent, dem tiefsten Satz der Schweiz, ja vermutlich dem tiefsten der Welt. Denn auch wenn man die direkte Bundessteuer (8,5 Prozent) miteinbezieht, rückt Obwalden ganz nahe an den Minimalsatz von Irland heran (12 Prozent). «Ich habe unser Modell dieses Wochenende in London vorstellen dürfen, die Leute haben gestaunt», erzählt Branko Balaban, Chef der Obwaldner Steuerverwaltung.

«Dieses Obwaldner Modell wird sich auf alle Kantone auswirken.» Das prophezeite Köbi Frei, SVP-Finanzdirektor von Appenzell Ausserrhoden, an der Economiesuisse-Tagung vor vier Wochen. Tatsächlich: In der Zwischenzeit hat er selber eine neue Vorlage präsentiert, die bereits am 28. November in Herisau im Kantonsrat behandelt wird. «Der Wettbewerb spitzt sich zu, wir müssen uns beeilen, damit wir vorn mithalten können», so Säckelmeister Köbi Frei.

In diesem Rennen kursiert in der Schweiz ein neues Zauberwort: «degressiv». Früher musste eine Person, die mehr hat, auch mehr Prozente abgeben (= progressives System). Dann erfanden die neuen Staaten im Osten ihre Flat Tax, bei der alle gleich viele Prozente abtreten müssen (= proportionales System). Jetzt lancieren kleine Schweizer Kantone eine neue, noch aggressivere Variante: Von nun an müssen die Reichsten, je mehr Einkommen und Vermögen sie mitbringen, umso weniger Prozente abgeben (= degressives System).

Angefangen mit diesem Wechsel hat Schaffhausen, nun folgt Obwalden, bald Appenzell Ausserrhoden. Das Prinzip geht so: In Schaffhausen zahlen Gutverdiener mit 400000 Franken eine Steuer von rund 25 Prozent. Besserverdiener mit einem Einkommen von 2 Millionen noch 20 und Topverdiener mit 7 Millionen nur 15,5 Prozent. Also eine Art Mengenrabatt, in Kraft seit 1. Januar 2004. Bald setzen die Obwaldner die Rabattgrenze deutlich tiefer, denn sie zielen auf Zuzüger, die zwischen einer halben und einer ganzen Million im Jahr verdienen. Darum fällt der Steuertarif in Sarnen künftig von 15,5 Prozent (bei 300000 Franken Einkommen) kontinuierlich ab bis auf 11,5 Prozent (bei einer Million); damit hat Sarnen OW mit der Konkurrenzgemeinde Hergiswil NW gleichgezogen, wenigstens bei den Einkommensmillionären.

Köbi Frei geht in Appenzell Ausserrhoden sogar systematisch vor. Der Kanton will nicht nur eine degressive Einkommenssteuer, sondern auch eine degressive Vermögenssteuer, ja sogar eine degressive Gewinnsteuer für die Unternehmen. Besonderes Merkmal: Die Ausserrhoder Degression wird noch schärfer ausfallen als in Obwalden und in Schaffhausen, kommt freilich erst bei den ganz «grossen Fischen» zum Zug. «Mit den degressiven Sätzen im obersten Steuersegment sollen speziell ausländische Privatpersonen mit hohen Einkommen oder Vermögen sowie juristische Personen mit hohen Gewinnen angezogen werden», heisst es unverhohlen im Antrag des Regierungsrats.

Konkret richten sich die Ausserrhoder nach dem günstigsten Ort der Schweiz, Wollerau SZ, und unterbieten konsequent jeden Satz dieser Gemeinde. Für die Gewinnsteuern zahlen Unternehmer heute in Wollerau 9 Prozent. Künftig zahlen die Unternehmen in Appenzell Ausserrhoden nur noch 8,3 Prozent ­ sofern der Gewinn 10 Millionen übersteigt. Beträgt der Gewinn eine Million, bleibt der Steuersatz bei rund 14 Prozent. Dasselbe bei den Einkommen und Vermögen: Profitieren sollen nicht etwa die Gutverdiener und die Reichen, sondern erst die Bestverdiener und Superreichen, Letztere jedoch mit einem Rabatt in schier unglaublicher Höhe: Deren Einkommenssteuer nämlich halbiert sich künftig von 19 Prozent (bei 400000 Franken Jahreseinkommen) auf 8,5 Prozent (bei 10 Millionen Franken Jahreseinkommen, Zahlen für Teufen AR). Genau gleich bei den ganz grossen Vermögen: Hier drittelt sich die Belastung von 0,44 Prozent (bei 10 Millionen Franken Vermögen) auf 0,15 Prozent (bei 500 Millionen Franken Vermögen, wiederum für Teufen AR). Ein klassisches Lockangebot.

Diese neue Avance aus Appenzell Ausserrhoden wurde bis jetzt von der Öffentlichkeit gar nicht wahrgenommen. Dabei zeigt sie: Der Damm ist gebrochen. Die degressiven Modelle, bis jetzt als exotische Ausnahme gehandelt, setzen sich durch. Denn die Gelegenheit ist günstig, vor allem die kleinen Kantone schwimmen im Geld ­ dank den Millionen, die sie aus dem Nationalbankgold erhalten. Sowohl Obwalden wie Appenzell Ausserrhoden senken die Tarife nicht nur gezielt für die Reichsten, sondern auch linear für die Normalverdiener. Und versprechen salopp gesagt: «Wir brauchen nur ein paar wenige neue Zuzüger, dann können wir den Mittelstand bald noch stärker entlasten.»

Damit geraten alle andern Kantone in Zugzwang. In Uri, Glarus, Appenzell Innerrhoden rechnet man offenbar ebenfalls degressive Lösungen durch, heisst es. Vorerst senkt Appenzell Innerrhoden die Gewinnsteuer ­ klassisch linear, von 11,5 auf 9,5 Prozent ­ und unterbietet damit das international bekannte Steuerparadies Zug. Selbst der brave Kanton Thurgau macht beim «Race to the bottom» mit, vorderhand ebenfalls ohne degressive Nebeneffekte. Der dortige Thurgauer Finanzdirektor Roland Eberle (SVP) senkte die Gewinnsteuer für Firmen, führte ein Teilsplitting für Familien durch und entlastete sowohl die tiefsten wie die höchsten Einkommen.

Das waren kleine Schritte, die allerdings die Nachbarn bereits aufgeschreckt haben. «Seit je kann der Kanton St. Gallen mit den Kantonen Schwyz, Zürich und Appenzell Innerrhoden nicht mithalten. Neu hat jedoch auch der Kanton Thurgau den Kanton St. Gallen überflügelt», heisst es in einer Botschaft, welche die St. Galler Regierung am 9. November verabschiedet hat. Wie reagiert St. Gallen? Ebenfalls mit Steuersenkungen, die freilich kaum stark genug ausfallen, um eine weitere Abwanderung in die Degressionsinsel Teufen zu verhindern.

Dasselbe im Kanton Luzern: Der dortige Finanzdirektor Daniel Bühlmann will die Vermögenssteuer halbieren und die Einkommenssteuer senken, aber nur sachte. «So innovativ der degressive Ansatz sein mag, für grössere, städtische Kantone ist er kein probates Mittel», sagt der Luzerner Finanzdirektor Daniel Bühlmann. Warum nicht? Weil Luzern bereits ein paar grosse Steuerzahler habe, und wenn er denen «zu viel» Rabatt gäbe, wären die Steuerausfälle «zu gross».

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