30 Prozent der Schweizer wohnen in Einfamilienhäusern Entziffert 14.12.2005, Bilanz

30 Prozent der Schweizer wohnen in Einfamilienhäusern
Entziffert 14.12.2005, Bilanz

Berühmte Architekten hat das Land. Vier von ihnen – Roger Diener, Jacques Herzog, Marcel Meili und Pierre de Meuron – haben jüngst das dreibändige, tausend Seiten starke Werk «Die Schweiz – ein städtebauliches Porträt» veröffentlicht. Der Titel weist auf einen Widerspruch in sich hin: Eine richtige Stadt, in der Menschen auf engem Raum zusammenwohnen, gibt es bei uns eigentlich nicht. «Die spezifisch schweizerische Urbanität erweist sich als eine Kultur des Verweigerns und Verhinderns von Dichte, von Höhe, von Masse, von Konzentration, von Zufall und von fast allen anderen Eigenschaften, die man einer Stadt wünscht und die auch die Schweizer sehnsüchtigst lieben – bloss fern ihrer Heimat.»In der Heimat will jeder Haushalt im eigenen, möglichst frei stehenden Häuschen leben. 712 000 Einfamilienhäuser gab es im Jahr 2000 gemäss Volkszählung; zehn Jahre zuvor waren es erst 595 000 gewesen. Ein stolzer Zuwachs. Also stieg auch der Anteil der Bevölkerung, die in einem Einfamilienhaus lebt, zwischen 1990 und 2000 von 26 auf 29 Prozent und dürfte inzwischen die Grenze von 30 Prozent überschritten haben, denn der Bauboom geht ungehindert weiter. Weitere sieben Prozent wohnen in Zweifamilienhäusern.Die Folgen misst ein mit Spezialkameras ausgerüstetes Flugzeug des Bundesamtes für Landestopografie. Es liefert aus 5000 Meter Flughöhe regelmässig flächendeckende Luftbilder der Schweiz, aus denen man herauslesen kann, dass jede Sekunde ein Quadratmeter neu verbaut wird: für neue Strassen, Gleise, Einkaufszentren, Fabriken, Bürogebäude, Parkplätze und – mit einem stolzen Anteil von fast 22 Prozent an der zusätzlichen Siedlungsfläche – für zusätzliche Ein- und Zweifamilienhäuser. «Angesichts dieser Entwicklung stellt sich immer dringlicher die Frage, ob die Raumplanung, die ja zum Ziel hat, die Zersiedelung zu bremsen und den Boden haushälterisch zu nutzen, versagt hat», kommentiert der Basler Ökonom René L. Frey und fordert, als wäre er ein Architekt: «In die Höhe bauen statt in die Breite.»

Betrachten wir eine Hektare Bauland. Darauf finden, nimmt man Schweizer Durchschnittswerte, 13 frei stehende Einfamilienhäuser Platz, ein jedes mit einem Gärtlein, einem Sandkasten und einer Garage. Auf demselben Boden kann man aber auch einen fünfzehnstöckigen Block erstellen mit grosszügigen Wohnungen für 100 Familien, wobei aussen eine gemeinsame Grünfläche frei bleibt im Ausmass eines veritablen Fussballfelds.

Trotzdem wollen die Gemeinden keine 15-stöckigen Wohnblöcke fördern, sondern Einfamilienhauszonen, um «gute Steuerzahler» anzulocken, wie es überall heisst. Geht diese Rechnung auf?

Kurzfristig kaum. Die Kosten für die Erschliessung und den Unterhalt der Infrastruktur (Kanalisation, Wasser, Strom, Strassen) werden pro Einwohner deutlich höher. Zudem profitieren die Einfamilienhausbesitzer von Steuerprivilegien und haben, wenn sie neu zuziehen, häufig noch Kinder, die zur Schule gehen.

Langfristig ändert sich dies aber. Hat der Schweizer seinen Traum vom Einfamilienhaus verwirklicht, lässt er sich nieder, selbst wenn die Kinder ausgezogen sind. Er fühlt sich wohl, wird alt und reich und hoffentlich nicht einsam. Gemäss Volkszählung wohnen in einem Einfamilienhaus gerade 2,8 Personen. Und das auf einem Areal, das im Durchschnitt 775 Quadratmeter gross ist.

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