«Wer reich stirbt, stirbt ehrlos» 10.03.2005, Weltwoche

«Wer reich stirbt, stirbt ehrlos»
Plädoyer für eine massvolle Erbschaftssteuer 10.03.2005, Weltwoche
Erben macht faul. Erben widerspricht dem Leistungsprinzip. Erben ist unfair. Erben widerstrebt dem kapitalistischen Traum, wonach es ein Tellerwäscher zum Millionär bringen kann, sofern er gerissen, klug und fleissig genug ist. Aber ein Mensch, der nur reich geboren ist? Der fühlt sich vielleicht als etwas Besseres, hat aber keinen Grund dazu.Diese Moral gilt vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dort gab Thomas Jefferson, der dritte Präsident, folgende Losung durch: «Jeder Mensch hat sich an der gleichen Startlinie aufzustellen.» Ganz ähnliche Töne schlug Andrew Carnegie an, der reichste Mann der Welt ums Jahr 1900, nachdem er mit unzimperlichen Methoden sein Stahlimperium aufgebaut hatte, indem er gar auf Streikende schiessen liess. Danach sprach er: «Wer reich stirbt, stirbt ehrlos», und liess sein Vermögen Bibliotheken zukommen, der Carnegie Hall in New York, dem Palast des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag oder der Carnegie-Stiftung für Lebensretter.Carnegie forderte eine «möglichst hohe Erbschaftssteuer», denn die Kinder und die Ehefrau sollten «nur bescheidene Summen aus dem Vermögen zum eigenen Lebensunterhalt» bekommen. Im Jahre 2001, als George W. Bush die Erbschaftssteuern abschaffen wollte, schaltete eine Gruppe von 120 Superreichen – darunter Leute wie Warren Buffett, George Soros und William Gates, der Vater von Bill Gates – ganzseitige Inserate: zur Beibehaltung der Erbschaftssteuern. Man dürfe doch nicht «ein Leben lang eine Art Sozialhilfe kassieren, nur weil man der richtigen Gebärmutter entschlüpft ist», sagt Warren Buffett. Solche Gedanken führen zu einer extremen politischen Forderung: einer Erbschaftssteuer in Höhe von 100 Prozent.

Andere Liberale sehen das anders. Milton Friedman oder Friedrich A. Hayek betrachteten eine Erbschaft «lediglich als einen der vielen Zufälle der Geburt». Individuen haben unterschiedliche Talente, eine unterschiedliche Intelligenz, ein unterschiedliches Aussehen. Das Ziel «Startchancengleichheit» könne gar nie erreicht werden, und deshalb sollten wir politische Versuche, diese «Startchancengleichheit» herzustellen, gleich aufgeben, fordern Friedman, Hayek und ihre Jünger bis heute.

Tatsächlich haben reiche Eltern beim Übertragen ihres Reichtums zwei Alternativen: Sie können in die Ausbildung, also in das Humankapital, ihrer Kinder investieren oder ihnen physisches Kapital transferieren. In der Realität tun sie meistens beides, was für die Eltern sogar ein Ansporn sei, Leistungen zu erbringen. Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter vermutete, «dass kapitalistische Unternehmer weniger aus nacktem Gewinnstreben handeln als vielmehr in der Absicht, eine Dynastie zu begründen». Solche Gedanken führen schon wieder zu einer extremen politischen Forderung: einer Erbschaftssteuer in Höhe von null Prozent.

Die Schweiz ist daran, diese Extremvariante umzusetzen. In den letzten zehn Jahren wurden Kanton für Kanton die Erbschaftssteuern abgeschafft. Nur noch der Jura und die Waadt kassieren bei hinterbliebenen Ehefrauen oder Ehemännern ab; Kinder und Enkel werden nur in fünf Kantonen (AI, BE, GR, JU, VD) zur Kasse gebeten. Das war bis vor kurzem anders: Noch vor einem Jahrzehnt mussten die Kinder in 14 weiteren Kantonen etwas an die Allgemeinheit abgeben. Wobei das Wort «Kind» in diesem Zusammenhang falsche Assoziationen weckt: 72 Prozent der jährlichen Erbsumme gehen heute an über 50-Jährige, 28 Prozent gar an Leute, die bereits eine AHV-Rente beziehen. Via Vererbung wird heute das meiste Geld von den Hochbetagten zu Frühpensionären umverteilt.

Der Schritt zur Steuerbefreiung ist getan. Aber ist er auch politisch klug? – «Natürlich kann man sich diese Frage stellen», meint der abgetretene Basler Finanzdirektor Ueli Vischer, ein Liberaler. Auch Kaspar Villiger hat, als er noch Finanzminister war, wegen der desolaten Lage der Bundesfinanzen einen Moment lang mit der Erbschaftssteuer «gedroht» oder «geliebäugelt», je nach Perspektive; laute Proteste aus seiner Partei, der FDP, haben ihn schnell zurückkrebsen lassen.

Anders als in den USA kämpfen in der Schweiz nicht die Liberalen, sondern die Linken für die «death toll», wie sie in Übersee genannt wird. «Eine Steuer auf Erbschaften ist eine Abgabe, die weder die Arbeit verteuert (wie Lohnprozente) noch die Kaufkraft schmälert (wie die Mehrwertsteuer). Es ist eine Steuer, die niemandem etwas nimmt, sondern nur den Erben etwas weniger gibt», wiederholt Hans-Jürg Fehr, seit er Präsident der SP ist. Inzwischen reden auch Gewerkschafter immer lauter von einer eidgenössischen Erbschaftssteuer «zur Finanzierung der AHV». Das wäre «sinnvoll und machbar», schreiben auch Simonetta Sommaruga und Rudolf Strahm in ihrem neuen Buch, würde aber von der politischen Mehrheit nicht akzeptiert.

Die beiden Berner Sozialdemokraten schlagen darum eine andere Variante für die Erbschaftssteuer vor, die auch das Herz der Liberalen höher schlagen lassen sollte: Sie wollen zwar wie alle Linken die Erbschaftssteuer wieder einführen, aber nicht etwa um zusätzliche Steuern zu schaffen – sondern um eine besonders stossende Steuer abzuschaffen: nämlich die Vermögenssteuer, über die sich just die Rechten so ärgern. «Anstelle der Vermögenssteuer wäre eine nationale Erbschafts- und Schenkungssteuer angebracht. Die Erbschaftssteuer ist gerecht, behindert die Leistungsfähigen in keiner Weise und bringt keine anderweitigen Verzerrungen, im Gegensatz zur Vermögensbesteuerung.»

Der letzte Nachsatz hat es in sich: Die Vermögenssteuer, die heute von den Kantonen erhoben wird, ist eine Form der Doppel- und Dreifachbesteuerung, mit der die Erfolgreichen für ihre Leistungen bestraft werden. Verdient eine Person aus eigener Kraft viel Geld, muss sie Einkommenssteuern zahlen. Häufen sich diese Einkommen mit der Zeit zu einem Vermögen an, zahlt die betreffende Person auf alle Zinsen und Dividenden erneut eine Einkommenssteuer. Das reicht eigentlich, und es ist schwer einzusehen, warum der Staat bei der Summe aller Löhne, Gewinne, Dividenden, Zinsen – also beim Vermögen – nochmals zulangt.

Damit haben Strahm und Sommaruga den Karren so angespannt, dass auch alle Liberalen im Land schleunigst aufspringen sollten: Die Vermögenssteuer ist abzuschaffen und durch eine Erbschaftssteuer zu ersetzen! Damit würde die Schweiz endlich für richtige Anreize sorgen: Die Tüchtigen, Mutigen, Genialen sollen belohnt – und von der Vermögenssteuer befreit werden. Bei ihren Nachkommen aber, die selber nichts geleis-tet haben, darf der Staat ruhig zugreifen.

Letztlich wäre diese Reform sogar aus Sicht der Erben von Vorteil. Die müssten zwar damit rechnen, ein Mal eine Steuer zu zahlen – aber eben nur ein Mal. Heute hingegen langt der Staat jedes Jahr ein klein bisschen zu – via Vermögenssteuern, die insbesondere für die Erben von grossen Unternehmen unter Umständen zu einer Belastung werden können. Niemand Geringerer als Christoph Blocher klagte laut, seine Kinder müssten bei einem Erbvorbezug «das Unternehmen aushöhlen», um sich die Vermögenssteuern leisten zu können.

Führt die Schweiz eine neue Erbschaftsteuer ein, soll diese massvoll sein. «Massvoll» heisst: flache Tarife, die möglichst breit angewendet werden, ohne Ausnahmen, unabhängig vom jeweiligen Verwandtschaftsgrad. Der Steuersatz soll im ganzen Land einheitlich sein und sich in der Grössenordung von 25 bis 30 Prozent bewegen. Vor allem aber müsste der Freibetrag relativ hoch sein: bei einer halben Million Franken. Denn der Staat soll bitte nicht auf die «Kleinen» losgehen, im Gegenteil, die Erben von Handwerksbetrieben oder Bauernhöfen sollen auf einer realistischen Basis starten können.

Ist die erste halbe Million für jeden Erben steuerfrei, haben 90 Prozent der Erben gar nichts zu befürchten: Sie zahlen weiterhin null Steuern. Denn 90 Prozent der Erben beziehen weniger als eine halbe Million Franken, wie aus den Vorausresultaten der Nationalfondsstudie des Büros Bass hervorgeht. – Die obersten zehn Prozent hingegen, sie müssten etwas abgeben. Nicht alles, sondern lediglich 25 bis 30 Prozent. Aus Sicht des Staats wäre das trotzdem ergiebig. Denn die obersten 10 Prozent der Erben kommen auf drei Viertel der gesamten Erbsumme. Diese beträgt in der Schweiz 28 Milliarden Franken, zusätzlich werden 5 bis 7 Milliarden verschenkt, macht insgesamt rund 34 Milliarden im Jahr, wiederum gemäss den Vorausresultaten des Büros Bass.

Fazit: Auch wenn der Fiskus nur die grossen Nachlässe anfasst und auch wenn er es sanft tut, so sollte er damit mindestens 4,5 Milliarden Franken im Jahr generieren können. Das wäre just die Summe, die die Vermögenssteuer heute den Kantonen einbringt.

Damit müssten sich auch die Privilegierten nicht mehr so dumm vorkommen wie heute. Josiah Hornblower, ein Nachkomme der Vanderbilts, die ihr Geld im Reederei- und Eisenbahngeschäft machten, erzählt im Dokumentarfilm «Born Rich», wie sein Vater ihm immer eingeschärft habe, sie seien arm. Bis ihn sein Onkel eines Tages zur Grand Central Station in New York mitgenommen und ihm dort gesagt habe: «Die gehört dir.» Pause. Dann blickt Hornblower mit verwirrtem Ausdruck in die Kamera und lacht peinlich berührt. «Das ist wohl das Dümmste, was man einem Kind antun kann.»

Simonetta Sommaruga, Rudolf Strahm: Für eine moderne Schweiz.
Nagel & Kimche, 2005. 224 S., Fr. 32.50
Jens Beckert: Unverdientes Vermögen.
Campus, 2004. 423 S., Fr. 48.80
Tobias Bauer, Heidi Stutz, Susanne Schmugge: Erben in der Schweiz.
Die Nationalfondsstudie erscheint im Frühsommer.
Auf der Internet-Seite www.nfp52.ch gibt es erste Vorausresultate
(Poster zum Herunterladen)

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