Das verhöhnte Kapital Wie fies dürfen Manager sein? 21.04.2005, Weltwoche

Das verhöhnte Kapital
Wie fies dürfen Manager sein? 21.04.2005, Weltwoche

Er ist masslos. Also zahlt er sich ein Gehalt aus, das umgerechnet auf die Arbeitszeit schlicht keinen Sinn ergibt. Er weiss stets ein bisschen mehr, und genau das nützt er aus. Darum täuscht, vertuscht, verheimlicht er. Er tut immer das, was ihm selber nützt. Er lässt sich nicht gern kontrollieren und ist letztlich auch kaum kontrollierbar. Er ist schamlos, notfalls erpresst er seine eigenen Besitzer, droht mit Rücktritt. Mit einem halben Bein steht er im Gefängnis, aber wirklich nur mit einem halben; auf anderthalb Beinen zockt er ab. Muss er am Ende abtreten, tut er das in aller Regel freiwillig und kriegt eine Abfindung in einer Höhe, die man als gewöhnlicher Mensch mit ehrlicher Arbeit in einem ganzen Leben nie verdienen könnte.Und ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Der «Boss» ist «bös», ein «Absahner», die Diskussion läuft nun seit einigen Jahren, ein Leerlauf von Schlagzeilen, Argumenten, Ermahnungen, ohne jede Wirkung. Rainer E. Gut, die graue Eminenz, der früher nur den Journalisten der Financial Times Interviews gegeben hatte, redete, je näher sein Abgang rückte, auch mit auserwählten Schweizer Journalisten, diktierte denen auf Band: «Wir können nicht aus purem Idealismus auf einer Tieflohn-Insel vegetieren», und ergänzte keck: «Wenn Sie zurückblättern, werden Sie feststellen, dass sich die Schweizer Presse über mich lustig gemacht hat, als ich an der Wall Street für ein vernünftiges Lohnniveau gekämpft habe.»Zähmung des Widerspenstigen

Der Stil eines solchen Mannes besteht darin, dass er sich einen Dreck darum kümmern muss, ob er von der Öffentlichkeit eher als «Halunke» oder als «Pissoirwand» wahrgenommen wird. Als Spitzenmanager kreist er in andern Sphären. Und während die Schweizerinnen und Schweizer meinen, sie würden hier eine neue Fratze des Kapitalismus kennen lernen, täuschen sie sich gewaltig. Nähmen sie die Bibel des Kapitalismus zur Hand, «Wohlstand der Nationen», verfasst von Adam Smith im Jahre 1776, könnten sie dort nachlesen:

«Von den Direktoren dieser Unternehmen, die ja nicht mit ihrem eigenen Geld arbeiten, sondern mit dem anderer Leute, kann man nicht erwarten, dass sie dies mit der gleichen Sorgfalt tun wie die Eigentümer einer Firma. Gleich den Handlungsbevollmächtigten eines reichen Mannes dispensieren auch sie sich nur allzu leicht von der Pflicht, auch kleinsten Details ihre Aufmerksamkeit zu widmen, weil sie dies als unter der Würde ihres Herrn erachten. Vernachlässigung und Überschwänglichkeit sind daher fast immer die Regel in solchen Aktiengesellschaften. Daher sind diese auch nur selten in der Lage, den Wettbewerb gegen richtige Unternehmer zu gewinnen.»

Der Spitzenmanager, lernen wir bei Adam Smith, ist kein Kapitalist, wie wir ihn von Karl Marx kennen. Der Spitzenmanager beutet nicht aus, er zockt ab, und zwar bei den Eigentümern der Firma, bis zum heutigen Tag. «De facto ist es ja eigentlich für eine gut verdienende Firma oft irrelevant, ob der CEO der Novartis nun 5 oder 50 Millionen verdient. Bei Novartis mit 7 Milliarden Gewinn macht ein solcher Betrag nur einen marginalen Unterschied aus», sagte Daniel Vasella, bevor er für seine Dienste des letzten Jahres 21 Millionen einstrich.

Wer seine Ansprüche auf diese Art zur Schau stellt, darf sich nicht wundern über politische Konsequenzen. Während die Spitzenmanager ihre Spitzengehälter steigerten und nochmals steigerten, wollte sich die Rechte daran machen, den Sozialstaat in die Zukunft zu retten, indem sie Leistungen, Besitzstände, Ansprüche in Frage stellte. Dieses Vorhaben ist grandios gescheitert, logischerweise. Solange «die oben» derart zulangen, sieht niemand ein, warum «die unten» verzichten sollen. Hier zeigt sich ein solidarischer Reflex, den sogar der Direktor des Arbeitgeberverbands, Peter Hasler, ganz gut nachvollziehen kann; Hasler äusserte sich denn auch auf Podien über die Spitzenmanager in einer Form, in der er von der Presse nicht zitiert sein wollte.

Etwas verheizt fühlt sich sogar Thomas Held, der wirblige Direktor des Think-Tanks Avenir Suisse, der just von den Konzernen der Spitzenverdiener finanziert wird. Nun muss er erfahren, dass das ständige Wiederholen seiner immergleichen Botschaften («das Rentenalter muss erhöht, die Leistungen müssen heruntergefahren werden») beim Publikum nicht verfängt. «Das ist vielleicht auch eine ästhetische Frage», vermutet Thomas Held.

Ganz sicher fehlt es an Glaubwürdigkeit und Legitimation. Die Kapitalisten müssen ihre Bosse in den Griff bekommen, sonst kann die politische Rechte in der Schweiz abdanken. Genau das ahnen diese Kreise selber. Also gingen sie das Problem aktiv an, vor einigen Jahren schon. Ihr Plan lief unter dem Titel «Zähmung der Spitzenmanager», nur durften sie das nicht so laut sagen. Also handelten sie diese heiklen Punkte unter dem technischen Terminus «Corporate Governance» ab. Denn es war diesen Kreisen natürlich etwas unangenehm, wie sie in ihrem eigenen Stall für Ordnung sorgen mussten: mit neuen Regulierungen nämlich.

Im Juli 2002 sind gleich zwei neue Regelwerke in Kraft getreten:

Erstens: die von der Schweizer Börse erlassene SWX-Richtlinie betreffend Informationen zur Corporate Governance. Daran müssen sich alle an der Börse notierten Firmen halten; sie müssen etwa die Geldbezüge der obersten Gremien (Verwaltungsrat und Geschäftsleitung) zumindest summarisch offenlegen.

Zweitens: der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance, den der Dachverband der Wirtschaft, die Economiesuisse, abgesegnet hat. Hier handelt es sich um ein sogenannt weiches Gesetz («soft law»), Empfehlungen, die nun «zu 85 Prozent» eingehalten werden, wie die Economiesuisse in eigener Sache untersuchen liess.

Der Schoggi-Job

Ist damit alles in Butter? Die Regeln zu den Spitzengehältern werden brav eingehalten – doch die Spitzengehälter hoben trotzdem vom Boden ab. Jeder Gewerkschafter hätte vorausgesehen, warum. Wer für Transparenz sorgt, sorgt dafür, dass die Löhne steigen. Genau das ist geschehen, dank all den Journalisten, dank all den Politikern, darunter Christoph Blocher, dank den Experten der Economiesuisse. Sie alle forderten Transparenz, angeblich um die «Exzesse» zu stoppen, und haben damit das Gegenteil ihrer Absichten erreicht. Es kam zu einem Lohndruck nach oben – schön nach dem Lehrbuch. Sobald nämlich alle Leute wissen, wie viel alle andern verdienen, findet eine jede Person eine andere, die mehr verdient, obschon diese kaum mehr leistet.

Für die obersten Chefs gilt das erst recht. Die haben durch ihre ganze Karriere beweisen müssen: Ich kann knallhart verhandeln. Ich kann mich durchsetzen. Genau das ist den sechs obersten Chefs der Migros ganz offensichtlich noch nicht gelungen. Sie verdienen im Schnitt «nur» 600000 Franken; ein solch tiefes Niveau wird kaum zu halten sein. Der Verwaltungsratspräsident der öffentlichen Unfallversicherung Suva, der ehemalige Spitzenpolitiker Franz Steinegger, er ist seit 14 Jahren im Amt, verdient knapp 50000 Franken im Jahr; einen solch billigen «Mann» wird die Suva nie mehr finden.

Ein Schweizer Schoggi-Job sieht anders aus. Einer, der einen solchen hat, heisst Ernst Tanner. «Lindt & Sprüngli tickt anders», meldet das Wirtschaftsmagazin Bilanz.

Ernst Tanner hat den Umsatz bei Lindt & Sprüngli in den letzten zwölf Jahren verdoppelt und den Aktienwert des Unternehmens versechsfacht. Damit hat er nicht nur den Shareholder-Value nachhaltig gesteigert, er hat auch die übrigen Stakeholder zufrieden gestellt und die Zahl der Stellen in Kilchberg bei Zürich letzthin sogar steigern können.

Nach den neuen Regeln der Corporate Governance freilich macht Ernst Tanner alles falsch. Er führt die Firma Lindt & Sprüngli, als wäre er ein Nicolas Hayek oder ein Christoph Blocher oder ein Thomas Schmidheiny. Dabei ist Ernst Tanner gar nicht der Besitzer von Lindt & Sprüngli, sondern nur der oberste Angestellte, der allerdings gleich alle obersten Positionen in Personalunion führt und sich letztlich selber kontrol- liert. Tanner ist Verwaltungsratspräsident, Tanner ist CEO, Tanner führt selbst in der hauseigenen Pensionskasse das Zepter, wobei diese mit über 20 Prozent auch noch als grösster Aktionär des Schokoladekonzerns fungiert. Damit wird der «Best Code» der Economiesuisse ganz klar missachtet: Bei einem Doppelmandat an der Spitze müsste sich Tanner mindestens einen «Lead Director» zur Seite stellen lassen, ein «nicht exekutives, unabhängiges und erfahrenes Mitglied». Das ist bei Ernst Tanner nicht der Fall, doch der Markt gibt ihm sogar Recht. Allein letztes Jahr stiegen «seine» Aktien um weitere 60 Prozent. «Kontrolle und gerechte Machtverteilung sind zwar durchaus begrüssenswert, am Ende des Tages entscheidet allerdings eben doch die Performance», kommentiert die Bilanz trocken.

Auf Schwamm gebaut

Ganz unbescheiden ist Ernst Tanner auch nicht. Gemäss der aktuellsten Blick-Tabelle über die Spitzenverdiener steht er auf Rang 11 der einheimischen Abzocker mit einem Lohn von 7,2 Millionen Franken. Damit holt sich Ernst Tanner, objektiv wohl der erfolgreichste Manager der Schweiz der letzten zwölf Jahre, das Prädikat «gierig». Gemäss dem neuen Buch des Cash-Chefredaktors Dirk Schütz unter dem Titel «Gierige Chefs» hat «die akademische Forschung längst belegt, was der gesunde Menschenverstand schon immer nahe legte: Kein Konzernchef arbeitet besser – mehr oder intelligenter -, wenn er 20 statt 2 Millionen verdient».

Tatsächlich bestand Tanner den halboffiziellen Elchtest für den guten Manager nicht. Der Ethosfund, der zum grossen Angriff auf das Doppelmandat von Peter Brabeck bei Nestlé geblasen hat, legt zwei Drittel seines Fondsvermögens in Firmen an, «bei denen die Umwelt- und Sozialbewertung zu einem gesamt- haft positiven Ergebnis führt». Hierzu gehört Lindt & Sprüngli aber nicht. Sehr nachhaltig geführt werden dagegen der Rückversicherungskonzern Swiss Re oder der Maschinenbauer Sulzer, immer schön nach dem Massstab der Ethos- Experten.

Mit solchen Sozial- und Umweltverträglichkeitsprüfungen verschaffen sich die Stakeholder (Gewerkschaften, Umweltverbände, Konsumentenschützer et cetera) einen wachsenden Einfluss – auch wenn der letztlich jedoch auf schwammigen Grundlagen beruht. Auch die Credit Suisse fällt beim Ethos-Test durch, während ihn die UBS glänzend besteht. Damit werde unterstellt, «dass es eben auch unverantwortliche Investments gibt», warnt Thomas Held in seiner Facts-Kolumne. «Wer die Fragebögen der Pensionskassen zum ethischen Verhalten der Firmen ausfüllt, akzeptiert die Wertungen, was gut und schlecht für die Gesellschaft ist – und sitzt damit schon nahe bei der Anklagebank. Und wer sie nicht ausfüllt, sitzt schon drauf.» Weiter im Text heisst es: «Heerscharen von früheren Aktivisten aus der Antiglobalisierungs- und Umweltszene definieren, was ‹gute› und ’schlechte› Investments sind und wie man als Unternehmen oder Investor zum Heiligenschein kommt.»

Thomas Held argumentiert damit in der Tradition von Milton Friedman, wonach «die soziale Verantwortung eines Unternehmens darin besteht, Gewinn zu machen». Das will eigentlich auch die Stiftung Ethos, welche eine Dienstleistung für Pensionskassen anbieten will, die sich im Markt bewährt. Nur: Wer in diese Ethos-Fonds investierte, hat vom 15. Februar 2000 bis zum 31. März 2005 einen jährlichen Verlust von durchschnittlich 4,86 Prozent erzielt, während der Index SPI während dieser Zeit nur 0,97 Prozent pro Jahr nachgegeben hat. Ist das ein Argument für Pensionskassen, lieber doch nicht in die Ethik zu investieren? Eben nicht. Gerade bei Pensionskassen spielen marktfremde Überlegungen eine immer grössere Rolle. «Wenn Alterssicherheit an die Doktrin des Shareholder-Values gekoppelt wird, dann rationalisieren sich viele Beschäftigte über ihre Altersvorsorge die eigenen Jobs weg», schrieb Res Strehle, Chefredaktor des Magazins. «Heute arbeitslos zu werden, um im Alter womöglich besser gesichert zu sein, kann kaum der Schlüssel der Lösung sein.»

Die Illusion

Was also ist ein guter Manager? Einer, der sich noch schämt und sich darum einen anständigen Lohn auszahlt. Der sich von den Aktionären jederzeit und willig kontrollieren lässt. Der sein eigenes Wirken möglichst transparent und selbstkritisch darstellt. Der nicht auf den kurzfristigen Profit schielt, sondern auf das langfristige Wohl der Firma. Der sich um das Image der Firma kümmert, in erster Linie die Arbeitsplätze erhält, in zweiter Linie neue Arbeitsplätze schafft. Der alle möglichen Umweltstandards erfüllt, freiwillig, und der auch sonst sozial kompetent ist. Nie käme es ihm in den Sinn, einen Kunden übers Ohr zu hauen. Im Wettbewerb kämpft er ausschliesslich mit fairen Mitteln. Zum Dank erzielt dieser Manager einen möglichst hohen Gewinn, den er aber voll und ganz den Eigentümern überlässt.

Ein Schwein zum Beispiel

So viel Gutes auf einmal kann wohl keine Perspektive sein. Konrad Hummler, Privatbankier und Eigentümer der Wegelin-Bank, bezeichnet die hohen Bezüge der Manager als «unethisch», da «niemand unersetzlich ist, es sei denn, er wäre wirklich genial (was aber ziemlich unwahrscheinlich ist)». Aber er warnt davor, den Bogen zu überspannen, erinnert an die Erfindung der Kraftbrühe durch Justus Liebig, die Entwicklung der Glühlampe durch Thomas Alva Edison oder den Siegeszug von Microsoft, und er behauptet, dass «Innovation ursächlich mit Klandestinität, sprich Geheimhaltung, Tarnung, Täuschung, und gegebenenfalls schamlosem Kopieren zusammenhängt».

Am Ende seiner Ausführungen kommt Hummler im wörtlichen Sinn zur Sau: Anfang der siebziger Jahre habe man begonnen, sogenannte keimfreie Ferkel zu züchten. Man hat diese der Gebärmutter der Muttersau entnommen und dann getrennt von ihr aufgezüchtet, möglichst ohne Kontakt zur Natur. Damit habe man Tiere produziert, die dem normalen, nicht keimfreien Leben natürlich nicht gewachsen waren, nur dem Labor. «Keimfreiheit kann nicht eine Methode der Wirtschaft sein, weder als Ziel für die Regulation noch als Wegweiser für den Investor», meint Hummler und appelliert an die «Selbstreinigungskraft, welche systematisch unterschätzt» werde. Denn letztlich brauch- ten Natur und Wirtschaft dasselbe: «Ab und zu einen neuen, erfolgversprechenden Keim.»

Kürzer gesagt: Ein guter Manager muss manchmal auch fies sein. Joseph Schumpeter lobte noch die «Kraft der schöpferischen Zerstörung». Das gilt wohl auch heute noch. Wenn Eigentümer sich von ihren Managern ausnutzen lassen, sind sie selber schuld; deren Konzerne brechen ein, siehe Swissair, Enron, Parmalat. Aber es entstehen neue. «Dieser Struktur- wandel ist das wichtigste Charakteristikum der modernen Wirtschaft», schreiben Rudolf Strahm und Simonetta Sommaruga in ihrem neuen Buch und fordern ihr Publikum auf, «von Schumpeter zu lernen». – Manches deutet darauf hin, dass in der Schweiz des Jahres 2005 die Linke den Kern des Kapitalismus besser begriffen hat als die Rechte.

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