Die-Flat-Tax-Revolution Das nötige Flachwissen 04.05.2005, Weltwoche

Die-Flat-Tax-Revolution
Das nötige Flachwissen 04.05.2005, Weltwoche
Die britische Zeitschrift Economist setzte es neulich auf die Titelseite: ein Bügeleisen. Dazu die Zeile: «The Flat-Tax Revolution.» Im Editorial stand im ersten Satz: «Je komplizierter ein Steuersystem wird, um so einfacher wird es für die Regierungen, dieses Steuersystem noch komplizierter zu machen ­ bis vielleicht einmal die Grenze des Wahnsinns überschritten wird.»Es scheint, diese Grenze ist nah. Also wird die Zeit reif für die Forderung nach einer radikalen Vereinfachung des Wirrwarrs, der noch immer schönfärberisch «Steuersystem» genannt wird. Ob USA, Grossbritannien oder Deutschland ­ in allen westlichen Ländern gleichen sich die unterschiedlichen Steuerwesen in einer Hinsicht: Sie sind fast überall etwa gleich kompliziert. Bewusst wird uns das erst allmählich, da neue Konkurrenten im Osten andere Benchmarks vorlegen: einfache Steuersysteme, die keine einzige Ausnahme, keinen einzigen Abzug erlauben, aber dafür im Gegenzug flache Tarife anbieten. Angefangen hat diese «Mode» in Lettland und Litauen, später in Russland, dann folgte die Slowakei, wo neu ein einheitlicher Satz von 19 Prozent gilt, und zwar überall, von der Einkommenssteuer über die Gewinnsteuer bis zur Mehrwertsteuer.Theoretischer Beifall

Selbst in der Schweiz tut sich etwas. Die Kantonsparlamente in Aargau und Solothurn haben eine Standesinitiative für eine Flat Tax beschlossen. Die Steuerverwaltung in Bern studiert die Flat Tax in der Theorie. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) widmet die Mai-Ausgabe der Zeitschrift Volkswirtschaft diesem Thema. Hinter den Kulissen ist einiges in Gang, und solange die Debatte beim Grundsätzlichen bleibt, kommt der Applaus von rechts wie links, von Wissenschaftlern wie Politikern.

So befasst sich der Berner Ökonomieprofessor Ernst Baltensperger in seinem neuen Buch «Mut zum Aufbruch ­ 10 Jahre danach» eingehend mit der Flat Tax und schreibt: «Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich die Steuerreformdiskussion vermehrt an der Stossrichtung orientieren würde, welche die Idee einer Flat Tax vorgibt: Vereinfachung des Steuersystems, Verminderung von Abzügen und Ausnahmen, Verbreiterung der Steuerbasis, weniger und niedrigere Steuersätze.»

«In Richtung Flat Tax» gehen möchten auch Rudolf Strahm und Simonetta Sommaruga: «Die Steuerschlupflöcher sind zu beseitigen, die Abzugsmöglichkeiten sind drastisch zu reduzieren. Unser Vorschlag: Nur noch Kinderabzüge sollen zulässig sein», schreiben sie in ihrem Bestseller «Für eine moderne Schweiz». Im Gegenzug möchten die beiden Sozialdemokraten «die Progressionsskala verflachen».

Nur: Eine Flat Tax für das persönliche Einkommen, das ist in der Schweiz leider «noch Zukunftsmusik», wie der Zürcher Ökonomieprofessor Bruno S. Frey in der NZZ am Sonntag bedauernd feststellt. Also ist es auch kein Wunder, dass sich die hiesige Diskussion etwas verlagert: Wenn es (noch) nicht gelingt, die Einkommenssteuern zu vereinfachen, könnten wir ja bei anderen Steuern anfangen. Bei der Mineralölsteuer, bei der Mehrwertsteuer, oder bei den Steuerprivilegien für neue Unternehmen.

Bei der Mineralölsteuer ging der Bundesrat mutig voran. Er wollte alle heutigen Ausnahmen abschaffen, weil diese Ausnahmen gewisse Kreise auf sehr intransparente und bürokratische Weise subventionieren. Wer profitiert? Die Landwirte, die Berufsfischer, der öffentliche Verkehr inklusive der Schifffahrt, die Forstwirtschaft. Konkret werden die 72 Millionen Franken, welche die Bauern via «Rückerstattung» ausbezahlt erhalten, aber nirgendwo als Unterstützung an die Bauern ausgewiesen. Das sind im wahrsten Sinne des Wortes «versteckte» Subventionen, für welche die Subventionsempfänger auch noch einen enormen administrativen Aufwand zu erledigen haben. Jedes Jahr müssen sie bis spätestens 15. Februar das amtliche Rückerstattungsformular mit der Nummer 46.20 an die Oberzolldirektion nach Bern schicken. Zusätzlich müssen sämtliche Belege beigelegt werden, so dass die Couverts der Bauern ­ pro Jahr rund 50000 Stück ­ dick werden. «Die Nachweise für den Bezug von Dieselöl, Bio-Diesel und Petrol müssen mindestens die Namen des Treibstofflieferanten und des Bezügers, das Bezugsjahr, die Treibstoffart sowie die Menge in Litern enthalten.» Im Gegenzug erhält dann jeder einzelne Betrieb im Durchschnitt 1400 Franken.

Derselbe Aufwand für die Transportunternehmen, denn auch sie sind «rückerstattungs- und abgeltungsberechtigt», wie es auf Amtsdeutsch heisst. Davon profitieren 135 Bahn-, Bus-, Schifffahrtsbetriebe. Rund ein Viertel der insgesamt 52 Millionen geht freilich an die Post zugunsten des Betriebs der Postautos. Da staunt sogar ein Politiker wie der Glarner FDP-Ständerat Fritz Schiesser: «Mit anderen Worten subventioniert sich die Schweizerische Eidgenossenschaft auf diesem Umweg selber.» Schleierhaft ist auch, warum die Schifffahrt von der Mineralölsteuer befreit werden soll, obschon Schiffe «gar nicht auf Strassen fahren», wie Ständerat Fritz Schiesser bemerkt. Schön nach dieser Logik ergänzt der Bündner SVP-Kollege Christoffel Brändli spitz: Aus Gründen einer «gerechten Ausgestaltung» müsste man auch «Bau- maschinen und Pistenfahrzeugen» die Rückerstattung von der Mineralölsteuer ermöglichen.

Der Bundesrat, wie gesagt, wollte diesen Unsinn stoppen, indem er auf alle Ausnahmen radikal verzichten wollte. Dabei ist ihm leider ein taktischer Fehler unterlaufen: Er hat diese Massnahme als Teil des «Entlastungsprogramms 04» vorgeschlagen ­ und damit als reine Sparmassnahme. In der Folge setzten sich die Lobbys der Bauern und des öffentlichen Verkehrs leicht durch: Der Bundesrat verlor im Ständerat in der Frühlingssession klar. Auch im Nationalrat sieht es nicht besser aus, dieses Geschäft dürfte in den kommenden Sommerferien aus Abschied und Traktanden fallen.

Das ist schade. Der Bundesrat wäre gut beraten gewesen, er hätte die Rückerstattung bei der Mineralölsteuer nicht als «Sparmassnahme», sondern als «Vereinfachung» präsentiert. Mindestens fünf Beamte sind in Bern heute damit beschäftigt, die Zehntausende von Rückerstattungsformularen administrativ zu bewältigen. Und vor allem: Gäbe es diese Privilegien für Bauern, Berufsfischer, Busbetriebe nicht mehr, könnte die Mineralölsteuer für alle anderen verflacht werden. Rechnerisch könnten die Tarife um 5 Prozent sinken ­ immerhin.

Noch grösser wäre das Potenzial bei der Mehrwertsteuer. Diese könnte von den heutigen 7,6 Prozent auf «fünf bis sechs Prozent» gesenkt werden, wie die Eidgenössische Steuerverwaltung kürzlich in einem Bericht vorgerechnet hat ­ sofern man nur auf alle Ausnahmen und Sondersätze verzichten würde.

In der realen Politik geht es leider in die umgekehrte Richtung: Das Gastgewerbe setzt in diesen Wochen mächtigen Druck auf, dass Restaurants nun ebenfalls einen Sondersatz erhalten sollen, analog zu den Lebensmitteln und dem Take-away-Gewerbe. Eingeführt hat man diese Sondersätze, um den «Bedürftigen» entgegenzukommen. Nun zeigt sich: Jede Sonderbehandlung ruft nach einer Gleichbehandlung. Wenn nun auch noch die Restaurants privilegiert werden, ist das «sozialpolitisch völlig falsch», erkennt der Gewerkschafter Serge Gaillard. «Denn die Reichen geben in Restaurants viel mehr Geld aus.» Leider deuten alle Zeichen darauf hin, dass sich das Gastgewerbe durchsetzt. Derweil ist auch die Lobby des öffentlichen Verkehrs erwacht: Altpolitiker Peter Vollmer will nun billigere Sätze für den öffentlichen Verkehr durchsetzen; bald wird sich wohl auch noch das Taxigewerbe melden.

Es ist sicher nicht klug, wenn der Staat mit unterschiedlichen Steuersätzen «Sozialpolitik» machen will. Diese Politik ist teuer ­ und fast wirkungslos. In der Sprache der Direktwerbung nennt man das «Streuverluste». Wenn der Staat die «Armen» begünstigen will, muss er keine komplizierten Steuergesetze konstruieren; viel besser würde er das Geld direkt verteilen.

Es ist auch nicht klug, wenn der Staat mit unterschiedlichen Steuersätzen «Industriepolitik» machen will. Hier versuchen Wirtschaftsförderer, mit speziellen Steuerabkommen neue Firmen anzulocken ­ mit zweifelhaften Ergebnissen für den Standort insgesamt. «Ich habe mir das kürzlich für den Kanton Freiburg angeschaut», sagte der Freiburger Ökonomieprofessor Henner Kleinewefers kürzlich zur Sonntagszeitung. «Die Wirtschaftsförderer tragen nach eigenen Angaben zur Schaffung von etwa 500 Arbeitsplätzen pro Jahr bei. Das sind weniger als 0,5 Prozent aller Arbeitsplätze im Kanton Freiburg. Also nicht mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein. Wenn man die Förderung der Unternehmen von maximal zehn Jahren berücksichtigt, kommt man zu folgendem Ergebnis: Fünf Prozent der Arbeitsplätze haben günstige Rahmenbedingungen. Und 95 Prozent der Arbeitsplätze haben schlechte Rahmenbedingungen. Das ist die Realität.» Auch hier das Gleiche: Ein paar wenige werden steuerlich privilegiert ­ statt dass die Tarife für alle geglättet werden.

Schweizer Konterrevolution

Noch fördert der Bund im Rahmen des berühmten Bonny-Beschlusses in 17 Kantonen «Strukturanpassungen in wirtschaftlichen Erneuerungsgebieten». Mit welchem Erfolg? «Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene ist der Einfluss nicht sichtbar», heisst es in einer offiziellen Evaluation der Büros Infras und Eco’Diagnostic, welche im Auftrag des Seco die Wirkung des Bonny-Beschlusses zwischen 1996 und 2003 untersucht haben. Selbst im Kanton Neuenburg, wo mit Abstand am meisten Mittel investiert wurden, trägt diese Politik «bisher kaum zu einer langfristigen, sich selbst verstärkenden wirtschaftlichen Dynamik» bei. Und das trotz respektabler Kosten: Rechnet man alles zusammen, haben Bund und Kantone jeden einzelnen geschaffenen oder erhaltenen Arbeitsplatz mit 23000 Franken unterstützt.

Die Diskussion um die Ansiedlung des US-Biotech-Konzerns Amgen in Galmiz FR hat die Diskussion um den Bonny-Beschluss neu belebt ­ leider auf unheilvolle Art. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass der Bonny-Beschluss von bisher 17 auf 26 Kantone ausgeweitet wird.

Die Flat-Tax-Revolution, die den Osten Europas überrollt, fällt in der Schweiz (noch) nicht auf fruchtbaren Boden. Flat Tax heisst: möglichst flache Steuern für alle. In der Schweiz halten sich die Politiker exakt ans Gegenteil: Sie kümmern sich um die Sonderinteressen von ein paar wenigen ­ und schröpfen gleichzeitig alle übrigen Steuerzahler stärker, als es nötig wäre. Der Freiburger Ökonom Henner Kleinewefers meint: Früher habe er ein Flugzeug nehmen müssen, um eine Bananenrepublik zu besuchen. Heute könne er einfach vor seine Haustür treten.

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