Warum der soziale Aufstieg in der Schweiz einfacher ist, als man denkt. 07.07.2005, Weltwoche
1. TeilWer will, kann. Aber man muss wollen, anstrengend ist der tägliche Klassenkampf schon. Wer jedoch fleissig ist und gerissen und das nötige Glück hat, kann oben ankommen. Sogar ganz oben. Ist man dort angelangt, muss man schon wieder wollen – und sich nochmals anstrengen. Damit man oben bleibt; sonst geht es wieder abwärts. Und zwar unabhängig davon, ob man weiss ist oder schwarz, reich geboren oder arm, gross oder klein, männlich oder weiblich, inländisch oder ausländisch.Genau so funktioniert die typisch amerikanische Leistungsgesellschaft, personifiziert durch die Figur des Benjamin Franklin. Auch das fünfzehnte Kind eines einfachen Seifen- und Kerzenmachers in Boston, das von seinen Eltern nur das Notwendigste erhielt, kann es schaffen. Auch wenn er nach einem Jahr die Lateinschule verlassen musste, «aus Kostengründen», dann bereits als Zehnjähriger seinem Vater bei der Arbeit half, als Zwölfjähriger in die Lehre ging, in der Druckerei seines Halbbruders. Trotzdem begann er früh mit Schreiben, leitete als Fünfzehnjähriger die zweite Zeitung der USA, den New England Courant, und avancierte später zu einem der bedeutsamsten Staatsmänner der jungen USA. In seiner berühmten Autobiografie gab uns Benjamin Franklin den Ratschlag: «Lieber ohne Suppe ins Bett gehen als mit Schulden aufwachen.» Das war im 18. Jahrhundert.
Armut ist kein Schicksal für die Ewigkeit
Und heute? Auch Reiche tragen Jeans, Rapper sind auch weiss, aber klassenlos ist die Gesellschaft deswegen nicht. Ausgerechnet in den USA kam eine angeregte Debatte auf: Wer schafft es nach oben? Und wer nicht? Mitte Mai startete die New York Times eine elfteilige Serie mit dem Titel «Class Matters» («Auf die Klasse kommt es an»), im Juni folgte das Wall Street Journal mit einer siebenteiligen Serie unter dem Titel «Moving Up», in welcher der «amerikanische Traum» zur «Herausforderung» degradiert wird. Beide Zeitungen, sicher keine Linksblätter, zitieren reihenweise Experten, welche ernüchternde Dinge sagen, wie zum Beispiel Bhashkar Mazumder, ein Ökonom der Zentralbank in Chicago: «Der Apfel fällt viel näher zum Stamm, als wir dachten.»
Das sind neue Töne im einstigen Land der unbegrenzten Möglichkeiten. «Armut ist kein Schicksal für die Ewigkeit», predigte noch vor kurzer Zeit Nobelpreisträger Gary S. Becker, Professor der urliberalen University of Chicago. «Fast alle Vorteile und Nachteile, welche die Eltern ihren Kindern mitgeben, sind innert drei Generationen weg.» Heute ist derselbe Gary S. Becker etwas vorsichtiger, denn ihm ist nicht entgangen, dass die neuere sozialwissenschaftliche Forschung ein anderes Bild der USA entwirft. David I. Levine von der kalifornischen Berkeley University: «Wer arm geboren ist, hat in den USA weit schlimmere Nachteile als in Westeuropa, Kanada oder Japan.» Selbst Bill Gates, der reichste Mann der Welt, warnt: «Vor dreissig Jahren waren die Lebenschancen für einen mittelmässig Begabten in der amerikanischen Provinz weit grösser als für ein Genie in Schanghai. Heute ist es umgekehrt.»
Das Fachwort heisst «soziale Mobilität». Damit gemeint ist die Chance zum Aufstieg für die tieferen Schichten – und parallel dazu das Risiko eines Abstiegs für die höheren Schichten. Beides, Aufstieg wie Abstieg, finde in den USA zu selten statt, kritisieren New York Times und Wall Street Journal unisono. Als Beleg dient etwa ein Buch, das in der prestigeträchtigen Cambridge University Press erschienen ist, verfasst vom kanadischen Statistikexperten Miles Corak. Er hat untersucht, wie stark sich die Einkommensunterschiede von Generation zu Generation fortpflanzen, und anschliessend einen internationalen Vergleich erstellt.
Das Resultat verblüfft: Am schlechtesten stehen die USA da, dicht gefolgt von Grossbritannien. Hier bleiben die Kinder der Reichen mit grösster Wahrscheinlichkeit reich und die Kinder der Armen mit grösster Wahrscheinlichkeit arm. Ausgerechnet in diesen beiden angelsächsischen Ländern, die beide so stolz sind auf ihre «Wettbewerbssysteme», in denen die Gewinner angeblich alles nehmen (the winner takes it all) – ausgerechnet in diesen beiden Ländern ist die «soziale Mobilität» am geringsten. In Deutschland sieht es ein wenig besser aus; viel besser ist die Situation in Kanada und den skandinavischen Ländern: Hier ist schon das Risiko, arm geboren zu werden, kleiner. Noch kleiner aber ist vor allem das Risiko, arm zu bleiben.
Gleich ungleich
Und wie steht die Schweiz da? Der kanadische Statistiker Miles Corak entschuldigt sich, er habe «leider» keine direkt vergleichbaren Daten. «Bis jetzt hiess es immer, die Ungleichheit sei in der Schweiz geringer als in den USA, dafür sei auch die soziale Mobilität geringer», sagt Christian Suter, Professor für Soziologie in Neuenburg, der wohl beste einheimische Experte auf diesem Gebiet. An der Uni Neuenburg arbeiten rund um ihn mehrere Politologen und Sozialwissenschaftler, welche systematisch alle Daten zur sozialen Lage sammeln und regelmässig zum «Sozialbericht» aufbereiten. Gemäss der neuesten Ausgabe sind die Verhältnisse erstaunlich stabil: «Die schweizerische Gesellschaft ist in den vergangenen dreissig Jahren weder substantiell ungleicher noch gleicher geworden», heisst der zentrale Satz im «Sozialbericht 2004».
Nur: Man könnte diesen Bericht natürlich auch anders lesen. Von der Wiege bis zur Bahre haben die einen Menschen Privilegien, welche die andern eben nicht haben. Es wäre ein Leichtes, die These der New York Times auf hiesige Verhältnisse zu übertragen und etwa das Bild einer «Klassen-Gesellschaft» an die Wand zu malen. Eine solche Behauptung liesse sich sogar mit Belegen aus einigen wissenschaftlichen Studien anreichern.
Die Ungleichheit beginnt gleich mit dem ersten Schrei. Bereits die Sterblichkeit der Neugeborenen hängt «in einem gewissen Mass» von der sozialen Lage ihrer Väter und Mütter ab, wie genauste medizinische Untersuchungen der Universität Lausanne darlegen. Im Alter von 15 sind die Unterschiede massiv. Ob man gut oder schlecht ist in der Schule, hängt von der familiären Herkunft ab. Das ist zwar überall auf der Welt so, aber in keinem Land ist dieser Zusammenhang so deutlich wie in der Schweiz. Die OECD-Statistiker haben die Jugendlichen gemäss der beruflichen Stellung der Eltern in vier Stufen eingeteilt. Zudem haben sie auch die Lesekompetenz der Kinder in vier Stufen gegliedert. Resultat war die berühmte Studie «Pisa 2000»: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus dem untersten sozialen Viertel auch zum untersten Viertel bei der Leseleistung gehört, ist in der Schweiz am höchsten. Davon betroffen ist die ganze Unterschicht in der Schweiz, unabhängig von der Nationalität.
Der Beweis: Nomen est omen
Die Ausländer werden hierzulande besonders benachteiligt. «Die Hälfte der ausländischen Jugendlichen besucht eine Realschule, d.h. den Sekundarschulzug mit den tiefsten Anforderungen», heisst es in einer neuen Nationalfondsstudie des Freiburger Professors Urs Haeberlin. Daran schuld sei nicht die soziale Herkunft allein: «Bei zwei Dritteln hat die Zuweisung nicht nur mit der Leistung zu tun. So gehen etwa schweizerische Mädchen mit durchschnittlichen Schulleistungen mehr als doppelt so oft (83 Prozent) in anforderungsreiche Sekundarschulzüge als ausländische Jungen.»
Bei der Lehrstellensuche kommt es gar zu offener Diskriminierung, wie die Neuenburger Politologin Rosita Fibbi mit einem standardisierten Test der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) belegt hat. Sie liess auf effektive Stelleninserate in der Presse jeweils zwei Bewerbungen fiktiver Kandidaten einreichen, deren Unterschied lediglich im Herkunftsland bestand. Alle übrigen Kriterien – Schulzeugnis, Erfahrung, Geschlecht, Alter – waren gleich. Resultat: «Nomen est omen», Afrim ist nicht gleich Peter. Afrim wird viel seltener zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, trotz des exakt gleichen Profils wie Peter. «Die Diskriminierungsquote liegt für die albanisch sprechenden Jugoslawen bei 59 Prozent, für die Türken bei 30 Prozent; bei den Portugiesen hingegen liegt die Diskriminierungsquote tiefer.» Bedenklich auch der internationale Quervergleich: Anderswo liegen diese Diskriminierungsquoten durchwegs tiefer, in Deutschland etwa werden die Türken «nur» halb so stark benachteiligt wie in der Schweiz. Und: Nirgends wird eine Volksgruppe so stark diskriminiert wie die Kosovo-Albaner in der Deutschschweiz.
Die Heirat ist auch keine Leiter «nach oben». Auf dem Standesamt verbindet sich, vereinfacht gesagt, jede Bildungsstufe mit sich selbst. 66 Prozent der Männer ohne jede Schulbildung wählen eine Frau ohne jede Schulbildung. 68 Prozent der Männer mit nicht mehr als einem Volksschulabschluss entscheiden sich für eine Frau mit nicht mehr als einem Volksschulabschluss. Aus Sicht der Frauen sehen die «Aufstiegschancen» nur leicht besser aus, wie die Statistiken aus der eidgenössischen Volkszählung 2000 zeigen. Etwas offener ist der Heiratsmarkt bezüglich der nationalen Herkunft. Im Jahr 2003 wählten 28 Prozent der Schweizer Männer, die geheiratet haben, eine Ausländerin – und gegen 24 Prozent der Schweizerinnen einen Ausländer.
Nimmt man die Spitzengehälter von Vasella, Brabeck & Co zum Mass, öffnet sich die Einkommensschere bedenklich. Bei der UBS ist der höchste Lohn 230-mal höher als der tiefste, bei der Credit Suisse 180-mal höher, bei Novartis 98-mal höher, zeigt die Gewerkschaft Travail Suisse. Solche Diskrepanzen werden scharf kritisiert, und just diese scharfe Kritik kann wieder als Reaktion auf eine mangelnde soziale Mobilität in der Schweiz interpretiert werden: «Gesellschaften, in denen die Kinder der ärmeren Schichten leichter nach oben kommen können, sind viel toleranter gegenüber Ungleichheiten», bezeugt Gary Solon, Professor an der University of Michigan, ein international führender Forscher für soziale Mobilität.
Schweizerische Vererbungslehre
Selbst vor dem Tod sind nicht alle gleich. Männer aus freien und akademischen Berufen leben im Schnitt 4,4 Jahre länger als Arbeiter, die ungelernt oder nur angelernt sind, wie eine Studie des Genfer Arbeitsamtes gezeigt hat. «Die Fakten sind klar, aber noch wenig thematisiert», bestätigt der Zürcher Präventivmediziner und FDP-Nationalrat Felix Gutzwiller. «Auch in der Schweiz hat die soziale Grundschicht eine deutlich geringere Lebenserwartung.»
Vor allem sterben nicht alle gleich reich. Wenige hinterlassen sehr viel, die meisten nur ein bisschen. Die Vermögen sind in der Schweiz derart schief verteilt, wie es sonst höchstens in Ländern der Dritten Welt zu beobachten ist. Die «obersten» drei Prozent besitzen fünfzig Prozent des Ganzen, wie die Statistiken der Eidgenössischen Steuerverwaltung zeigen. Durch die Vererbung wird diese Ungleichheit weitergegeben, inzwischen meist steuerfrei, womit sich die Ungleichheit von Generation zu Generation noch verschärft. Die «unteren» fünfzig Prozent gehen mehr oder weniger leer aus – im Durchschnitt erben sie weniger als 10000 Franken -, während die «obersten» zehn Prozent drei Viertel der gesamten Erbsumme für sich beanspruchen dürfen, was sich pro Person in der Grössenordnung von einer halben Million an aufwärts bewegt. Genaueres zeigt eine Nationalfondsstudie des Berner Büros Bass, die im Herbst publiziert wird.
In all diesen Statistiken, Ergebnissen, Studien gibt die moderne Schweiz ein schreckliches Bild ab. Die Oberschicht pflanzt sich selber fort, die Unterschicht auch. Es kommt, wie es im Jargon der Soziologen heisst, zu «einer Reproduktion der sozialen Verhältnisse». Aus den Buben der Akademiker werden Doktoren, aus den Mädchen der alleinerziehenden Supermarkt-Kassiererinnen Serviertöcher.
Trifft das zu? Leben wir in einer Klassengesellschaft? Ist das Schicksal eines Individuums bereits bei Geburt determiniert? «Sicher nicht», antwortet der Neuenburger Soziologe Christian Suter und zieht ein Standardwerk aus dem Jahre 1997 hervor. «Tous egaux?», auf Deutsch: «Alle gleich?», so hiess ein Wälzer des Lausanner Soziologen René Levy. Sein Fazit: Es gibt «keine Klassen», aber «eine ausgeprägte soziale Schichtung», die an den beiden Extremen besonders «augenfällig» sei. Oben komme es zu einer «Kumulation der Vorteile in den begüterten Schichten». Und unten «häufen sich in den benachteiligten Schichten die Schwierigkeiten derart, dass kaum Aussicht auf einen sozialen Aufstieg besteht».
Aufwärts
Dieses Raster ist laut Soziologe Christian Suter weiterhin gültig: «Ganz oben und ganz unten kommt es tatsächlich zu einer hohen Eigen-Reproduktion.» Dann redet Suter aber über das Dazwischen: «Die grosse Mitte ist relativ offen, und davon profitieren sechzig bis achtzig Prozent der Leute.» Unter Soziologen wird das eine «nivellierende Mittelschichtsgesellschaft» genannt.
Einzelne schaffen es sogar von weit unten nach ganz oben. «Tellerwäscher-Karrieren sind nicht nur in Amerika möglich, sondern auch in Zürich Wiedikon», sagte einer, nachdem er es vorgemacht hatte: «der Gärtner der Nation», Werner K. Spross (1926-2004). Blättert man die Liste der 300 Reichsten in der Bilanz durch, erscheint eine ganze Reihe von Selfmade-Unternehmern – von Nicolas G. Hayek über Christoph Blocher zu Edgar Oehler, Peter Spuhler und vielen andern mehr. In der Medizinaltechnik haben Hansjörg Wyss, Rudolf Maag oder Willy Michel, ein gewöhnlicher Chemielaborant, aus eigener Kraft ein Milliardenvermögen geschaffen. Der Kunsthändler Ernst Beyeler startete als Aushilfe in einem Antiquariat an der Basler Bäumleingasse. Wie im Leiterli-Spiel erging es Martin Ebner: Er startete von null auf hundert, rutschte zwischenzeitlich ins Minus ab und macht heute bei fünf weiter.
Oder Bruno Bencivenga, ein Secondo aus Italien. Sein Vater führte in Rapperswil ein Gipsergeschäft, er selber machte die kaufmännische Lehre, begann als Kleiderverkäufer, übernahm den ersten Benetton-Laden der Schweiz im Franchise-System, um dann, vor vierzehn Jahren war’s, seine eigene Firma zu gründen: Navyboot. Eine Marke, 39 Läden, 180 Angestellte.
Daneben gibt es immer ein paar buchstäbliche Tellerwäscher. Erdogan Göduman, Sohn einer mittelständischen Familie aus der Osttürkei, kam «ohne Geld, ohne Arbeit, ohne ein Wort Deutsch» vor 19 Jahren nach Zürich, verdingte sich als Küchenbursche im Manor-Restaurant, arbeitete sich zum Küchenchef hoch. Vor bald zehn Jahren eröffnete er mit seinem Bruder seinen ersten kleinen Take-away an der Langstrasse in Zürich; inzwischen wurde daraus die Kette «New Point» mit sechs Edel-Take-aways, zwei Spezialitätenrestaurants und achtzig Angestellten. «King Kebab», wie Göduman im Züritipp gefeiert wird, hält sich an Regeln, die nicht unschweizerisch klingen: «Ich arbeite achtzehn Stunden täglich, praktisch ohne Ferien.» Und: «Ich habe keine Zeit, mir Häuser, Ferienwohnungen oder Autos zu kaufen.» Oder: «Gewisse Wirte binden sich eine Krawatte um und rauchen Zigarre; ich packe lieber an der Front an.»
Varathan Nithiyapawanantham ersuchte als 20-Jähriger um Asyl. Ein Ungelernter. Dreizehn Jahre später errang er an einem Kochwettbewerb mit der international höchstmöglichen Zahl von 100 Punkten den ersten Preis. «Ich, der kleine Tamile ohne Diplom, unter all diesen grossen Küchenchefs. Da lief es mir kalt den Rücken herunter.» Emporgearbeitet hat sich Varathan als Küchenhilfe im Kurhotel «Eichberg» in Seengen AG, in dem er heute eine Küchenbrigade führt mit vier Köchen, drei Lehrlingen und zwei Hilfsköchen, ohne selber jemals in die Lehre gegangen zu sein. Diese «Tellerwäscher-Karriere im Aargau» (Mittellandzeitung), ist kein Einzelfall. In der «Traube» in Trimbach SO, «Aufsteigerin des Jahres» bei «Gault Millau», kochen Mano und Sri. «Die Tamilen», das waren vor zwanzig Jahren die Dealer vom Bahnhof Bern. Heute sind sie «die beliebtesten Ausländer», sagt die Schweizer Fotografin Vera Markus und widmet ihnen einen Bildband unter dem schönen Titel «In der Heimat ihrer Kinder».
Noch schneller assimiliert hat sich José João Gonçalvez, 21. Erst vor fünf Jahren ist er von Portugal in die Schweiz eingewandert, ohne ein Wort Deutsch. Nun gewann er an der Berufsweltmeisterschaft in Helsinki die Goldmedaille für Autolackierer und «scheut», wie er einheimischen Journalisten auf Mundart erzählt, «kei Büez. Für mich ist ein Maurer genauso viel wert wie ein Studierter. Was zählt, ist der Einsatz und der Charakter eines Menschen.»
Leap Kheng Ly kam 1980 mit seinen Geschwistern im Flüchtlingszentrum Grüningen ZH an, mit nichts als den Kleidern, die er auf dem Leib trug. Heute führt er zusammen mit seinen Brüdern die China-Restaurant-Kette «Suan Long» mit 18 Lokalen in Zürich, Zug, Winterthur, Kloten, Bern und gegen 300 Angestellten. Wie ist ihm das gelungen? «Wir haben gchrampft», antwortete Leap Kheng Ly dem Zürcher Tages-Anzeiger.
Zur Erfolgsgeschichte des Leap Kheng Ly ist anzumerken: Er kam mittellos an, aber nicht klassenlos. Sein Vater war ein in Kambodscha ansässiger Chinese, der es mit Plantagen und Fabriken zu einem Vermögen gebracht hatte. Leap Kheng besuchte mit seinen sechs Geschwistern eine französische Privatschule, jeden Tag gefahren von einem privaten Chauffeur. Dann musste seine Familie vor dem Pol-Pot-Regime fliehen. Der Clan teilte sich auf: Leap Kheng flüchtete mit seinem Onkel nach Thailand, mit dem Velo durch unwegsames Gelände, Wälder, Gebirge. Total erschöpft erreichten sie ein Camp in Thailand. Ein Jahr blieben sie dort, hatten kaum zu essen und zu trinken; Vater und Mutter sah er erst Jahre später in der Schweiz wieder.
Wer einmal ganz unten ist, kann sich nur in eine Richtung verändern: aufwärts; einige Leute schaffen das tatsächlich. Etwas weniger publik ist die Kehrseite derselben Medaille: Wer reich geboren wird, kann sich unter dem Titel der «sozialen Mobilität» auch nur noch in eine Richtung bewegen: abwärts; einigen passiert das, etwa dem berühmten «Taxifahrer Dr. phil.». Doch darüber spricht man kaum. «Sind Akademiker bei geselligen Anlässen unter sich, kann durchaus die Bemerkung fallen, dass der eigene Sohn ’nichts Rechtes›, nur Soziologie oder Ethnologie studiert», erzählt der Berner Soziologe Martin Schmeiser. Andere Akademikerkinder freilich schaffen es gar nicht an eine Uni. Über diese «schwarzen Schafe» reden die Akademiker dann nicht einmal an geselligen Anlässen.
Rein statistisch bringt es ein Akademikerkind zu sechzig Prozent selber zum Akademiker. Daraus folgt logischerweise: Die «Abstiegswahrscheinlichkeit» beträgt vierzig Prozent. Ein Tabu, zu dem Schmeiser eine Habilitationsschrift verfasst hat unter dem Titel «’Missratene› Söhne und Töchter».
Einige driften in die alternative Lebenskultur ab, freilich nicht ohne jeden Gedanken an den Status verloren zu haben. Für Klaus L. gibt es «als alternativen Landwirt nur noch eine Steigerung: der eigene Bauer zu sein». Etta B., eine Hebamme, betont ebenfalls, dass sie «freiberuflich» arbeite. Robert L. tat, als ob er Akademiker wäre, und stapelte hoch; nun wohnt er wieder im Haus seiner Eltern und sucht eine Lehrstelle. Auch Rüdiger V. wohnt noch mit 34 «daheim» und unterhält sonst überwiegend Beziehungen zu Freunden «aus der alten Zeit», als er an einem privaten Gymnasium die Matura nachholte.
Andere grenzen sich vom Eltern-Milieu bewusst ab: Martina E., eine Ernährungsberaterin, meidet bis heute den Umgang mit Leuten «mit Anzug und Krawatte» und deren «schreckliches Benehmen». Helen G., 25, die zuerst ein Englisch-, dann ein Veterinärstudium abgebrochen hat, arbeitet heute als Flight-Attendant; ihre Eltern halten diese Berufswahl für «so etwas wie Prostitution». Materiell verläuft der Abstieg in einem studierten Haus meist wie im «Buddenbrooks»-Roman von Thomas Mann: langsam, über mehrere Generationen hinweg.
Kluge machen Kluge
«Ich persönlich finde, dass die Reproduktionsfunktion des Bildungssystems etwas zu einseitig behandelt wird»: Das sagt Urs Moser, der wohl renommierteste Bildungsforscher der Schweiz von der Universität Zürich. Stattdessen betont er die «primären sozialen Ungleichheiten», welche dazu führen, «dass bereits bei Vierjährigen ein enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Kompetenz besteht». Das lasse sich mit einem sprachfreien Intelligenztest zweifelsfrei nachweisen. Weiter hat Urs Moser die Menge Bücher in den Regalen im Haus der Eltern nachgemessen, was sich «als recht zuverlässiger Indikator» für die schulischen Leistungen der Kinder erwiesen habe. Klar, nun könne man dem Bildungssystem vorwerfen, es gelinge ihm nicht, solche Ungleichheiten zu kompensieren. «Dabei bleibt aber unbeantwortet, ob und wie das überhaupt möglich wäre.»
Hanspeter Stamm, Soziologe in Zürich, ergänzt: «Wenn man die Chancengleichheit konsequent verwirklichen wollte, müsste man den Eltern die Kinder nach der Geburt wegnehmen, in einen Kibbuz stecken, und erst mit zwanzig kommen sie wieder heraus.» Das ist undenkbar – «DDR!», wirft der Soziologie-Professor Christian Suter ein. Andere gedankliche Experimente erweisen sich ebenfalls als nicht umsetzbar: Man kann die Kinder vom Zürichberg, um sie mit den Kindern der Immigranten in Schwamendingen gleichzustellen, kaum zwingen, Albanisch zu lernen.
In Zukunft wird die Reproduktion der Klugen durch die Klugen noch stärker ausfallen als heute schon. Dafür sorgen wird die wachsende Zahl Frauen, die heute an den Universitäten die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern durchsetzt. Falls diese Akademikerinnen später heiraten, wählen sie zu 62 Prozent einen Akademiker. Entscheiden sie sich im Laufe ihrer Karriere für ein Kind, dann für eines, höchstens zwei. Im Schnitt bringt es eine Akademikerin auf 0,8 Kinder.
Die Konsequenz aus dieser minimalen Zahl Kinder besteht darin, dass diese von ihren ehrgeizigen Eltern maximal gefördert werden. Für jedes aufflackernde Talent gibt es einen Kurs: Mutter-Kind-Turnen, Klavier für Dreijährige, Ausdrucksmalen, Judo, Tennis, Reiten, Roboterbauen, Filmen, Englischsprachbad für Zweijährige. Tauchen später bei den ansonsten Hochbegabten erste Teilschwächen auf, werden diese von den aufmerksamen Eltern früh erkannt und mit professionellem Stützunterricht angegangen. All diese Bemühungen laufen freiwillig und privat ab; aber nicht alle diese Bemühungen werden erfolglos sein. «Die Akademikereltern vollbringen einen Superjob in ihrem Bestreben, ihre Privilegien auf die nächste Generation zu übertragen», meint der Economist lakonisch zur «Class Matters»-Debatte der New York Times.
Tagesschulen braucht das Land
Und die unteren Schichten? Sie bringen eher mehr Kinder zur Welt, kümmern sich aber eher weniger um diese. «Eltern aus einfachen Verhältnissen haben gar nicht die Aspiration, dass ihre Kinder etwas Besseres lernen», weiss Bildungsforscher Urs Moser. «Das Bildungsverhalten wird wie das Paarungs- oder Heiratsverhalten durch die soziale Herkunft mitbestimmt – da steht das Schulsystem auf verlorenem Posten.» Und weil Kinder kosten, die Schweiz aber teuer ist, müssen bei Niedrigverdienern oft beide, der Vater und die Mutter, voll arbeiten. Dies gilt besonders für Ausländerinnen, die im Schnitt noch 1,9 Kinder zur Welt bringen, immerhin. Deren Kinder sind dann tagsüber oft nicht betreut, mit den bekannten Folgen. «Wenn Kinder ‹verwahrlost› zur Schule kommen, erschwert dies den Unterricht enorm», klagt Christian Aeberli, Bildungsexperte bei Avenir Suisse.
Der Think-Tank der Wirtschaft propagiert zwar keinen «Kibbuz», aber erstens eine möglichst frühe Einschulung ab drei Jahren und zweitens eine Ganztagesstruktur für die Volksschule. «Die Unterrichtszeit reicht kaum mehr aus, um den Herausforderungen und Ansprüchen der multikulturell zusammengesetzten Klassen gerecht zu werden.» In diesen Tagen verschickt Avenir Suisse einen praktischen Leitfaden an sämtliche 2800 Gemeinden der Schweiz, wie man Tagesschulen einrichtet. Die Vorteile reichen bis ins Kulinarische, der ganztägige Aufenthalt der Kinder habe zum Beispiel «zur Folge, dass alle gut verpflegt sind».
Heute ist fast ein Drittel der Sechs- bis Zwölfjährigen übergewichtig; auch davon sind die «sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsschichten» besonders betroffen, meldet das Bundesamt für Gesundheit. Auch die Anzahl verbrachter Game-Stunden vor dem Bildschirm dürfte eng mit der sozialen Schicht zusammenhängen. «Mit Tagesschulen kann das Suchtverhalten – Essen, Computer, TV – kontrolliert werden, zumindest den Tag hindurch», bestätigt Bildungsforscher Urs Moser.
Wie klein sind die Bildungschancen der Unterschicht tatsächlich? Die Hochschule für Soziale Arbeit in Luzern hat Daten aus der Volkszählung 2000 ausgewertet und kam zu einem überraschenden Ergebnis für die Chancen der 17-Jährigen. Zuvorderst stehen Secondos und Secondas mit einem Schweizer Pass. 32 Prozent schaffen es ins Gymnasium, womit es die Eingebürgerten sogar weiterbringen als die Eingeborenen. Von den «gebürtigen» Schweizerinnen und Schweizern schaffen es 26 Prozent ans Gymnasium, bei den Nichteingebürgerten der zweiten Generation sind es 19 Prozent, bei der ersten Generation der Ausländer 14 Prozent.
Offenbar sind manche Einheimische etwas weniger «hungrig» als gewisse Ausländer. Das ist nicht nur in der Schweiz so, das zeigt sich auch in andern Einwanderungsländern. Menschen kommen hierher, weil sie sich sozial verbessern, weil sie aufsteigen wollen; dieser Ehrgeiz überträgt sich dann auf den Nachwuchs. In der ersten Generation haben es die Ausländer zwar schwer: Da verbessern sie sich auch, aber nur im Vergleich zu ihrer früheren Situation in ihrem Herkunftsland. In der zweiten Generation wechseln die Prioritäten bereits: Sobald die «Ausländerkinder» hier geboren sind, lernen sie die Sprache besser – und packen dann auch die Chancen, welche unser Bildungssystem ihnen bietet.
Die Secondo-Tugend
«Entgegen der weitverbreiteten Ansicht sind Ausländerinnen und Ausländer im Schweizer Bildungssystem nicht generell benachteiligt», bestätigen die beiden Zürcher Soziologen Hanspeter Stamm und Markus Lamprecht. «Vielmehr lässt sich ein differenzierter Effekt nach Herkunftsregion nachweisen.»
Es gibt dazu ein aufschlussreiches Papier der Uni Basel, verfasst von Regina Riphan und Philipp Bauer, die ebenfalls die Daten der Volkszählung 2000 fein analysiert haben. Zunächst haben sie alle 17-Jährigen in drei Bildungsstufen eingeteilt («hoch», «mittel», «tief»); das Gleiche taten sie mit deren Eltern. Haben die Eltern ein «tiefes» Bildungsniveau, haben ihre Kinder geringere Chancen, so viel war bekannt. Aber: Dieser Effekt spielt nicht bei allen Volksgruppen gleich stark. Die Kinder der Türken mit «tiefer» Bildung haben nur 7 Prozent Chance, ein «hohes» Niveau zu erreichen. Die Kinder der Schweizer kommen gerade auf 9 Prozent. Damit liegen die Einheimischen genau gleich tief wie die zweite Generation der Ex-Jugoslawen und Albaner mit ebenfalls nur 9 Prozent Chance auf ein «hohes» Niveau. Viel besser ergeht es der zweiten Generation aller übrigen Länder: Die Italiener, Deutschen und Franzosen kommen auf gut 15 Prozent, die Spanier sogar auf 22 Prozent, obschon auch deren Eltern jeweils nur ein «tiefes» Niveau mitgebracht haben.
Noch werden solche Studien und Ergebnisse von der Öffentlichkeit leider kaum zur Kenntnis genommen. Dabei zeigen sie: Die Secondos und Secondas haben Chancen – und nutzen sie. Unserer Volksschule jedenfalls gelingt die Integration erstaunlich gut. Miese Chancen haben lediglich einzelne ethnische Gruppen: die Unterschichten der Schweizer, der Türken und der «Jugos».
Dass die zweite Generation der Ex-Jugoslawen mit besonderen Nachteilen zu kämpfen hat, zeigt sich selbst in der Kategorie der sogenannt «Privilegierten». Haben die Eltern ein «hohes» Ausbildungsniveau, erreichen deren Kinder mit einer Wahrscheinlichkeit von über 70 Prozent eine «hohe» Stufe – egal, ob es sich um Schweizer handelt oder um die zweite Generation der Italiener, der Spanier, der Deutschen, der Franzosen, der Portugiesen, ja sogar der Türken. Einziger Ausreisser: die Kinder der Ex-Jugoslawen und der Albaner. Deren Kinder erlangen nur mit 33 Prozent Wahrscheinlichkeit ein «hohes» Niveau, selbst wenn sie aus «privilegiertem» Haus stammen.
Es ist allerdings noch zu früh, von einem speziellen «Jugo»-Effekt zu sprechen. Die meisten Ex-Jugoslawen wanderten erst in der Periode von 1989 bis 1995 ein; Integration braucht jedoch Zeit. «Noch deutet zwar nichts auf eine Erfolgsgeschichte hin», meint der Neuenburger Soziologe Christian Suter, um hoffnungsvoll zu ergänzen: «Entscheidend ist, wie es den ersten hier geborenen Kindern der Ex-Jugoslawen ergeht. Das können wir erst schlüssig beantworten, wenn diese 45 Jahre alt sind.» Mit den Italienern und Spaniern hat es jedenfalls geklappt. Drei Generationen haben genügt, wie von US-Ökonom Gary S. Becker prophezeit – und weggefegt sind die einst so unterschiedlichen Startbedingungen.
Alles wird besser
«Chancengleichheit» bedeutet nicht, dass am Ende die ganze Bevölkerung in einem UniHörsaal repräsentativ vertreten ist. Schliesslich sollen nur die Klügsten studieren dürfen. Diese Klügsten müssen ausgewählt werden – auf eine möglichst faire Art. Gerade in dieser Beziehung hat die Schweiz Fortschritte erzielt: Bildung ist keine Einbahnstrasse mehr, Berufsmatur und Fachhochschulen bieten auch eine zweite Chance. Insgesamt ist das System durchlässiger geworden, bestätigen alle Fachleute.
Der Lift fährt nach oben, und dieser Lift nimmt immer mehr Leute mit. Denn gemäss dem deutschen Soziologen Ulrich Beck schielt der Mensch nicht nur auf seine Nachbarn, um dann festzustellen: Ich gehöre weiterhin zu den untersten zwanzig Prozent. Sondern der Mensch vergleicht sich auch mit seinen Eltern, und dieser Vergleich sieht eben positiv aus. Zwei von drei Personen, die älter als 18 Jahre sind, besitzen einen Personenwagen. Wohnungen ohne Zentralheizung gibt es keine mehr. Computer sind für weniger als einen Tausender im Angebot. Solange die Wirtschaft weiter wächst und der Wohlfahrtsstaat stets mehr umverteilt, kommt es zu einem «kollektiven Prozess gesellschaftlicher Aufwärtsmobilität». Am Ende frönt auch die Unterschicht einem Lebensstil, der früher der Elite vorbehalten war.
Selbst die, die «ganz unten» sind, fallen nicht aus der Gesellschaft heraus, sondern ins soziale Netz hinein. In der Stadt Basel beziehen zurzeit 9 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung eine Invalidenrente, 7 Prozent Sozialhilfe und 4 Prozent eine Arbeitslosen-Unterstützung – macht total 20 Prozent «Frührentner». Ausbezahlt werden diese «Frührenten» nicht zuletzt im Namen der Chancengleichheit: Es profitieren besonders viele Alleinerziehende und Working-Poor-Familien – damit deren Kinder künftig teilhaben können an der Leistungsgesellschaft Schweiz.
Die Schweiz driftet zusammen
Die Einkommensverteilung hat sich während der neunziger Jahre nicht etwa «dramatisch verschlechtert», wie die meisten Journalisten schreiben, «sondern eher verbessert», wie die beiden Zürcher Soziologen Stamm und Lamprecht im «Sozialbericht 2004» sauber darlegen. Dieses Bild bestätigen auch die regelmässigen Einkommens- und Verbrauchserhebungen des Bundesamts für Statistik: Hier werden die verfügbaren Einkommen samt staatlicher Transfers gemessen, also inklusive IV-Renten, Krankenkassensubventionen, Sozialhilfen. Damit wird der Blick erst frei auf die tatsächliche soziale Lage der Haushalte. Und siehe da: Die Schweiz driftet nicht auseinander, sondern zusammen: 1990 verfügte das oberste Fünftel der Haushalte noch über knapp 4,0-mal mehr Einkommen als das unterste Fünftel; heute sind es noch 3,5-mal mehr.
Klar, die sozialen Gegensätze sind nicht verschwunden. Vergleicht man wiederum die zwanzig Prozent der einkommensstärksten Haushalte mit den zwanzig Prozent der einkommensschwächsten, fällt auf: Für Verkehr geben die «obersten» zwanzig Prozent 5,1-mal mehr aus als die «untersten» Prozent. Damit bleibt das Auto Statussymbol Nummer eins. Und Kleider machen Leute bis heute. Hier geben die reichsten zwanzig Prozent 4,8-mal mehr aus als die ärmsten zwanzig Prozent. Für Unterhaltung, Erholung, Kultur sinkt der Faktor auf 4,0; für Restaurants und Hotels auf 3,3. Bei den wirklich existenziellen Fragen werden die sozialen Gegensätze freilich immer geringer: Für Nahrungsmittel geben die zwanzig Prozent der Einkommensstärksten gerade 2,2-mal mehr aus als die zwanzig Prozent der Einkommensschwächsten; fürs Wohnen noch 2,1-mal mehr.
Wer will, kann
Die Schweiz, eine «nivellierte Mittelstandsgesellschaft»? Der Begriff stammt aus den fünfziger Jahren, erfunden hat ihn der Soziologe Helmut Schelsky, und gemünzt war er auf die Entwicklung Deutschlands in der Nachkriegszeit, als Ludwig Erhard den Slogan «Wohlstand für alle» ausgab. Dann kam die 68er Bewegung, hat mit Schelsky aufgeräumt und die Gegensätze der «sozialen Klassen» neu belebt. Bis heute werden via Globalisierungsdiskussion laufend neue Verteilungskonflikte heraufbeschworen und alte Gespenster wie die «Zwei-Drittels-Gesellschaft» an die Wand gemalt. In der Wirklichkeit nimmt die Ungleichheit in der Schweiz aber nicht zu, im Gegenteil. Und wie uns die Secondos und Secondas demonstrieren, ist die Chance zum Aufstieg da. Wer will, kann.
Literatur:
New York Times: Class Matters. Elfteilige Serie.
Link: www.nytimes.com/class
Christian Aeberli, Hans-Martin Binder: Das Einmaleins der Tagesschule. Ein Leitfaden für Gemeinde- und Schulbehörden. Avenir Suisse, 2005. 170 S.
Philipp Bauer, Regina T. Riphahn: Heterogeneity in the Intergenerational Transmission of Educational
Attainment: Evidence from Switzerland on Natives and Second Generation Immigrant. Juni 2005. Als PDF-File unter www.wwz.unibas.ch
Miles Corak: Generational Income Mobility
in North America and Europe. Cambridge University Press, 2005. 319 S., H 74.50 (über www.amazon.de)
Benjamin Franklin. Autobiographie.
Beck’sche Reihe, 2003. 277 S., Fr. 23.50
Urs Haeberlin, Christian Imdorf, Winfried Kronig: Von der Schule in die Berufslehre.
Haupt, 2004. 192 S., Fr. 36.-
René Levy et al.: Tous égaux? Seismo, 1997.
Deutsche Kurzfassung: Alle gleich? Soziale Schichtung, Verhalten und Wahrnehmung. Seismo, 1998. 64 S., Fr. 15.-
Vera Markus: In der Heimat ihrer Kinder. Tamilen
in der Schweiz. Offizin, 2005. 206 S., 150 sw-Fotos, Fr. 68.-
Urs Moser: Jugendliche zwischen Schule und
Berufsbildung. H.e.p., Bern 2004. 286 S., Fr. 39.-
Eva Mey, Miriam Rorato, Peter Voll: Die soziale
Stellung der zweiten Generation. Bundesamt
für Statistik. Neuenburg 2005. Als PDF-File unter www.bfs.admin.ch
OECD. Lernen für das Leben.
Erste Ergebnisse von Pisa 2000. OECD, 2001
Martin Schmeiser: «Missratene» Söhne und Töchter. UVK-Verlagsgesellschaft, 2003. 266 S., Fr. 50.70
Hanspeter Stamm, Markus Lamprecht: Entwicklung der Sozialstruktur. Bundesamt für Statistik, Neuenburg. Erscheint demnächst
Hanspeter Stamm, Markus Lamprecht: Soziale
Ungleichheit in der Schweiz.
Seismo-Verlag, 2003. 248 S., Fr. 38.-
Christian Suter, Isabelle Renschler, Dominique Joye: Sozialbericht 2004. Seismo-Verlag, 2004. Mit Beiträgen von Rosita Fibbi, Hanspeter Stamm u.v.a. 300 S., Fr. 38.-
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