Ein Kommentar zu Angela Merkels Regierungsprogramm 14.07.2005, Die Welt
Angela Merkel will keine Maggie Thatcher sein. Neoliberale Politik? Nein danke. Aber ein Reformpaket, wie es die Slowakei durchexerziert? Noch vor wenigen Monaten zeigte sich Angela Merkel begeistert über dieses «Experiment». Tatsächlich zieht Angela Merkel zunächst am genau gleichen Hebel wie die Regierung unter Mikulas Dzurinda. Auch die Slowakei hat die Mehrwertsteuer erhöht (hinauf auf 19 Prozent).Aber das ist dann leider bereits das Ende der Gemeinsamkeit. Was zum Beispiel will Angela Merkel anfangen mit den zusätzlichen Mitteln, die sie gewinnt? Sie will den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung senken. Damit zeigt die Kanzlerkandidatin, wie wenig sie sich selber zutraut. Würde sie daran glauben, dass es ihr gelingt, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen – tja, dann sänken die notwendigen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung automatisch. Deswegen müsste sie nicht extra die Mehrwertsteuer erhöhen!Wenn man die Mehrwertsteuer erhöht, dann bitte für einen guten Zweck siehe Slowakei. Die dortigen Reformer haben umgehend alle andern Steuern gesenkt, und zwar radikal. Jetzt gilt in der ganzen Slowakei ein Einheitssatz von 19 Prozent: Für die Einkommen der natürlichen Personen, die Gewinne der Unternehmen, die Kapitalgewinne und die Mehrwertsteuer.
Regel Nr. 1:
Man verlange von allen für alles den gleich tiefen Tarif.
Die Begründung ist simpel. Sind einzelne Tarife höher als andere, versuchen die Leute, die höchsten Tarife zu umgehen, ob auf legale oder illegale Art. Das gelingt meistens. Und wenn es nicht gelingt, strengen sich just diejenigen Personen, welche die höchsten Sätze zu zahlen hätten, etwas weniger an. Jedes Mal verliert derselbe: der Staat.
Nur in Deutschland wissen es die Politikerinnen und Politiker wieder einmal besser. Die weit divergierenden Sätze sollen in die Ewigkeit gerettet werden, ja Angela Merkel verspricht in ihrem Regierungsprogramm wörtlich: «Wir sorgen dafür, dass der Spitzensteuersatz nicht länger nur auf dem Papier steht, sondern von den Spitzenverdienern auch tatsächlich bezahlt wird». Da kann man ihr nur «viel Glück!» wünschen. Bisher haben «die Reichen», die Spitzensteuersätze umgehen wollen, noch immer Mittel und Wege gefunden. Manchmal führen diese in die Schweiz, immer öfter in die Slowakei. «Wir wollen die Erfolgreichen nicht dafür bestrafen, dass sie erfolgreich sind», lockt Finanzminister Iwan Miklos.
Die Spitzentarife in Deutschland, obschon von Gerhard Schröder gesenkt, sind zu hoch. Noch schlimmer ist, wie der Fiskus seine Bürgerinnen und Bürger behandelt: wohl nirgends auf der Welt ist die Deklaration der Einkommen so aufwendig wie in Deutschland.
Regel Nr. 2:
Das Steuerzahlen muss einfach sein.
Frage: Warum ist das deutsche System so kompliziert? Weil es hier so viele Ausnahmen und Sonderregeln gibt. Nächste Frage: Warum zum Teufel gibt es ausgerechnet in Deutschland so viele Ausnahmen und Sonderregelungen? Weil sich die Politiker nie getraut hätten, ihre hohen Tarife ausnahmslos von allen Leuten zu verlangen. Letzte Frage: Warum sind die deutschen Tarife so hoch? Weil die meisten Leute eben einen Sonderfall darstellen und deswegen weniger zahlen müssen… Ein klassischer Zirkelschluss.
In der Slowakei gab es 90 Ausnahmen, 19 Arten von unversteuertem Vermögen, 66 Steuerbefreiungen, 37 spezifische Steuersätze. In Deutschland gibt es von allem mehr. Aber es kommt nicht auf die Zahl dieser Sonderregelungen an, sondern darauf, dass man diese abschafft. Alle – und zwar auf einen Schlag. So wie es die Reformer in der Slowakei getan haben. Die kamen im September 2002 an die Macht. Auf 1. Januar 2004 wurde die Steuerreform in Kraft gesetzt.
Regel Nr. 3:
Keine Ausnahme! Keine einzige.
Die Linke redet in diesem Zusammenhang gern von «Steuerschlupflöchern»; Angela Merkel leider auch. Damit kommuniziert sie, sie wolle den Leuten an den Kragen. Eine kluge Steuerpolitikerin würde sagen, sie verlange von ihrem Volk lieber etwas weniger; aber sie ziehe dieses Weniger konsequent ein. Alle müssen zahlen, ohne jede Ausnahme. Klar, es gibt einen Steuerfreibetrag, eine Pauschale pro Kopf, wie es Angela Merkel vorschlägt; diese Pauschale sollte aber hoch genug sein (im Regierungsprogramm sind nur 8000 Euro pro Kopf vorgesehen), und vor allem sollte diese Pauschale sämtliche bisherigen Steuerrabatte ersetzen.
Das ist wie in der Pädagogik: Eltern dürfen keine einzige Ausnahme machen. Sonst kommt das nächste Kind und pocht auf «gleiche Rechte». Angela Merkel jedoch will nicht einmal die Pendlerpauschale abschaffen, bloss halbieren; weiter will sie die Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge «innerhalb von sechs Jahren gleichmässig abbauen». Lauter halbe Lösungen, so dass Angela Merkel die Einkommenssteuern und die Gewinnsteuern nur leicht senken kann. Das ist schade. Wer den Steuerdschungel kahlschlagen will, muss radikal und konsequent vorgehen.
Regel Nr. 4
Das einzige Ziel der Steuerpolitik besteht darin, Steuern einzutreiben.
Alle andern Ziele soll der Staat mit andern Instrumenten erreichen, aber bitte nicht mit der Steuerpolitik. Will der Staat etwas für die Armen tun? Dafür gibt es die Sozialpolitik. Will der Staat etwas für die Bauern tun? Dafür gibt es eine Landwirtschaftspolitik. Will der Staat etwas für die Eigenheimbesitzer oder die Mieter tun? Dafür gibt es eine Wohnbaupolitik. Will der Staat etwas für die Buchautoren tun? Dafür gibt es eine Kulturpolitik.
Die Vermischung der Steuerpolitik mit andern Zwecken ist undurchsichtig, kaum effektiv, manchmal kontraproduktiv und meistens ungerecht. Warum soll eine Person einen Steuerrabatt erhalten, nur weil sie irgendwo in der abgelegenen Provinz billig wohnt und einen langen Arbeitsweg auf sich nimmt? Volkswirtschaftliche wirkt eine jede Steuerausnahme verheerend: 5 Prozent der Leute zählen zu den Gewinnern, 95 Prozent zu den Verlierern; nur die Politikerinnen und Politiker denken laufend an die nächsten 5 Prozent, die sie mit einem nächsten Steuerprivileg als Wähler ködern könnten. «Je komplizierter ein Steuersystem wird, um so einfacher wird es für die Regierungen, dieses Steuersystem noch komplizierter zu machen», kommentierte jüngst der der Economist und fügte hoffnungsvoll an: «Bis vielleicht einmal die Grenze des Wahnsinns überschritten wird».
Deutschland ist nahe dran. Und Angela Merkel könnte, wenn sie nur wollte, zu einer modernen Maggie Thatcher avancieren: zur ersten Politikerin, die im Westen einführt, was im Osten von Estland bis in die Slowakei für Furore sorgt: Eine Flat Tax. Welch ein Befreiungsschlag!
Regel Nr. 5
Steuerpolitik allein schafft noch kein Wirtschaftswunder.
Bester Beleg dafür ist schon wieder die Slowakei. Die Reformer um Mikulas Dzurinda haben nicht nur die Steuern vereinfacht, sondern vieles mehr reformiert. Für jeden Arztbesuch, jedes Medikament, jeden Tag Spitalaufenthalt müssen nun alle Slowakinnen und Slowaken einen minimalen Beitrag leisten wie in der Schweiz. Die Altersvorsorge wurde um eine private zweite Säule ergänzt wie in Chile. Die slowakische Sozialreform erinnert an die Programme des Tony Blair: Wer vom Staat eine Rente will, muss selber einen Beitrag leisten. Und last but not least ist die Slowakei auch viel stärker gegen den Kündigungsschutz vorgegangen, als es Angela Merkel plant. Die Slowakei hat gleich im Arbeitsmarkt gleich beide Schrauben gelockert: das Hire wurde vereinfacht, das Fire auch.
Deutschland hat all das nicht nötig, so die Botschaft des Regierungsprogramms 20052009. «Manchmal ist es wirklich traurig, EU-Politikern zuzuhören», meinte jüngst der Slowakische Wirtschaftsminister Pavol Rusko. «Sie wollen einen Laib Brot an viel mehr Menschen verteilen, als es die Grösse des Laibs zulässt.»