Warum die Flat Tax sozial ist 31.08.2005, Die Welt

Warum die Flat Tax sozial ist
31.08.2005, Die Welt
Es sei nicht gerecht, wenn alle Leute prozentual gleich viel Steuern bezahlen müssen, heißt es. Reflexartig verwirft das Publikum eine Flat Tax in Höhe von 25 Prozent, wie sie Paul Kirchhof für Deutschland vorschlägt und wie sie die Slowakei, 19prozentig, bereits kennt. Was steckt hinter dem Widerstand der Gegner?Ein fataler Denkfehler. Ob der Steuertarif prozentual fixiert ist oder progressiv steigt, sagt über die Einkommens- und Vermögensverteilung in einem Land gar nichts aus. Das Maß der sozialen Umverteilung läßt sich erst im Kontext der gesamten Staatsausgaben und der gesamten Staatseinnahmen beurteilen. Sehr schön läßt sich dieser Gedanke mit einem Extrembeispiel illustrieren: Nehmen wir einmal an, in Deutschland bezahlten alle Leute, ob arm oder reich, gleich viel Prozent Steuern. Dann werfe man all diese Einnahmen in einen großen Topf – und verteile das ganze Geld gleichmäßig an jeden Einwohner, jede Einwohnerin, so daß eine jede Person eine gleich hohe Eurosumme erhält. Resultat wäre eine radikale Umverteilung zugunsten der Ärmeren – obschon alle Leute, ob arm oder reich, einen gleich hohen Euro-Betrag erhalten und alle Leute, ob arm oder reich, prozentual gleich viel zahlen. So gesehen kann eine prozentuale Steuer also «sozial gerecht» wirken; es kommt auf die näheren Umstände an.Entscheidend ist dabei etwa, daß die Niedrigverdiener mit einem genügend hohen Freibetrag von der Steuerpflicht ganz ausgenommen bleiben.

Umgekehrt weiß kein Mensch, ob das heutige Steuersystem tatsächlich progressiv und damit «sozial gerecht» ist, wie es heißt. Es kommt auch hier auf die näheren Umstände an. Dabei fällt ins Auge: Die Tarife steigen zwar mit steigendem Einkommen steil an, aber die Politiker getrauen sich nicht, diese steigenden Tarife voll durchzusetzen. Statt dessen gewähren sie den Betroffenen – also den Reichen – unzählige Möglichkeiten für Abzüge. Diese wiederum machen das deutsche Steuersystem sehr kompliziert. Jeder Abzug muß schließlich einzeln begründet, definiert und von den Normalfällen abgegrenzt werden.

So vielfältig diese Sonderregelungen sein mögen, eine generelle Folge ist trivial: nicht das volle Einkommen, nicht der volle Gewinn wird besteuert, sondern um die jeweils zugelassenen und provozierten Abzüge reduziert, womit die Progression, wie es im Jargon der Experten heißt, «gebrochen» wird.

Manches deutet darauf hin, daß aus dem heutigen progressiven Steuersystem längst ein politisches Phantom geworden ist. In Wirklichkeit nämlich unternehmen die Besserverdiener, die von den progressiv steigenden Sätzen betroffen wären, mit Hilfe ihrer Buchhalter und Berater alles, damit sie die progressiv steigenden Sätze umgehen können.

Wie das Steuersystem insgesamt wirkt, ist völlig offen. Am Ende kann Finanzminister Hans Eichel froh sein, wenn die Spitzenverdiener Deutschlands effektiv so viele Prozente ihres Lohns abgeben wie der ganz normale Mittelstand.

Aus einer derart großen Unübersichtlichkeit gibt es rein logisch nur einen Ausweg: Man schlage den Dschungel kahl. Man verlange von den Reichen von Beginn weg lieber etwas weniger (in Prozent); aber man ziehe dieses Weniger konsequent ein (in Euro). Ohne Ausnahmen, ohne Abzüge. Das sagt nicht nur ein Theoretiker wie Paul Kirchhof, das sagen ebenso die Flat-Tax-Praktiker in der Slowakei: «Wir wollen die Erfolgreichen nicht dafür bestrafen, daß sie erfolgreich sind.»

Sobald die Erfolgreichen prozentual denselben Beitrag leisten wie alle anderen, nützt das nämlich auch den weniger Erfolgreichen. Bleibt der Abgabesatz zudem tief genug, gibt es genug Erfolgreiche, die noch erfolgreicher werden wollen – und damit dem Staat neue Einnahmen bescheren. Anschließend müssen die Politiker beim Geldverteilen nur noch darauf achten, daß die Mittel effektiv zu jenen Leuten fließen, die sie wirklich nötig haben. So erhält Deutschland eine Politik, die zugleich «sozial» ist und «gerecht».

Markus Schneider ist Ökonom und Journalist in Zürich. Er hat in seinem «Weißbuch 2004» (Weltwoche-Verlag) eine Flat Tax für die Schweiz vorgeschlagen.

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